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Statton und Kent hatten sich zur Verwendung des gezeichneten Geldes entschließen müssen, und Statton ging, wie verabredet, am folgenden Morgen zu Naphthali und Sohn, um von diesen gegen Hinterlegung der Banknoten und die Bewilligung hoher Zinsen ein Anleihen zu erhalten.
Er erstaunte sehr, als ihm Mr. Moses Naphthali nicht mehr als die Hälfte für das gezeichnete Geld bot.
»Wir können kein so großes Risiko ohne einen verhältnismäßig hohen Gewinn übernehmen,« sagte der alte Mann; »wir müssen das gezeichnete Geld doch gleichfalls zinslos in unserem Geldschrank liegen lassen. Wollen Sie die Summe von 42500 Dollars annehmen, so können Sie morgen um dieselbe Zeit diesen Betrag hier in Empfang nehmen.«
»Dieser Betrag kann das Geschäft nicht aus seinen Verlegenheiten herausreißen und uns in die Lage versetzen, an der Börse weiter zu arbeiten,« dachte Thomas, ohne jedoch seine Gedanken laut werden zu lassen. »Ich glaube, das Beste ist, ich nehme das Geld, brenne damit sofort durch und überlasse meinen lieben Freund Kent seinem eigenen Genie, welches er so oft gegen Andere angewendet hat; mag dann hier geschehen, was da wolle, wenn ich erst in Canada bin.«
Statton verließ die Office von Naphthali und Sohn, nachdem er das ihm gemachte Angebot acceptirt hatte.
An demselben Abende berichtete Mr. Moses Naphthali Wake von seiner Abmachung mit Statton.
»Gut!« versetzte Wake lächelnd; wir werden gerüstet dastehen und ihm einen nicht geträumten Empfang bereiten. Treffen Sie alle Vorkehrungen, damit im Geheimen Zeugen anwesend sind.«
Die beiden Herren hielten noch eine lange Beratung miteinander; dann entfernte sich Naphthali.
Zu derselben Stunde, da Statton mit dem älteren Naphthali wegen des Darlehens verhandelt, hatte sich Rider wiederum in der Zelle eingefunden, in welcher Tibald Gibbs eingesperrt war; aber es gelang ihm nicht, aus dem listigen und verstockten Verbrecher irgend ein Geständnis herauszulocken. Derselbe verblieb bei den Aussagen, die er am vorigen Tage gemacht hatte.
Dann begab sich der Detektiv in das Krankenhaus, in welchem Jane Palmer untergebracht war; aber dieselbe war zu krank, um irgend welche Aussagen machen zu können. Nur das Eine erfuhr Rider, daß sie in ihren Fieberphantasieen einmal gerufen hatte: »Es ist eine Lüge, eine furchtbare Lüge! Mein Vater war ein ehrlicher Mann, und ich muß sein Andenken vor jeder Verdächtigung bewahren!«
Am folgenden Morgen zur anberaumten Zeit erschien Statton pünktlich mit einer kleinen Handtasche in der Office von Naphthali und Sohn. »Ich habe hier die gezeichneten Banknoten; ist bei Ihnen das Geld dafür bereit?« sprach er.
»Das Geld liegt abgezählt in jenem Geldschrank dort drüben!«
»Gut; machen wir das Geschäft rasch ab! Mein Socius Kent wartet mit Schmerzen darauf, da wir heute noch Wechsel zu bezahlen haben. Darauf nahm Thomas ein Paket Banknoten aus der Tasche und reichte es dem Geldverleiher zum Nachzählen hin. »Es sind 85 000 Dollars; die Summe stimmt ganz genau!«
Naphthali nahm die Banknoten; er zählte dieselben durch und legte sie in den Geldschrank, aber anstatt die 42 500 Dollars in Gold herauszunehmen, schloß er den Schrank einfach wieder zu und steckte den Schlüssel in die Tasche.
Was soll dies bedeuten?« rief der erstaunte Börsenspekulant; »ich dachte, das Geld läge dort in jenem Schranke abgezählt.«
»Dort ist auch das Geld,« erwiderte Moses in ruhigem Tone; »aber ehe ich Ihnen dasselbe gebe, haben wir noch eine kleine Formalität zu erfüllen. Unterzeichnen Sie erst diesen Schein, welcher mir die Garantie giebt, daß das gezeichnete Geld auf gesetzliche Weise in meinen Besitz gekommen ist.«
Statton war zuerst ärgerlich über diese Verzögerung und die nach seiner Ansicht überflüssige Förmlichkeit, aber endlich entschloß er sich doch, die geforderte Bescheinigung zu unterzeichnen; hatte er doch ohnehin die Absicht, innerhalb einer halben Stunde in dem Eisenbahnwagen zu sitzen, der ihn aus den Vereinigten Staaten nach Canada bringen sollte.
»Nun geben Sie mir rasch das Geld!« rief er, nachdem er seinen Namen unter die Erklärung gesetzt hatte; »ich habe keine Zeit mehr zu verlieren.«
Einen Augenblick noch, lieber Freund,« entgegnete Naphthali in kühlem Tone; »erlauben Sie, daß ich Sie diesen Herren, die meine Zeugen sein sollen, vorstelle.«
Nach diesen Worten zog er eine spanische Wand fort, hinter der sich fünf Personen befanden.
Statton erblickte Rider, Wake und die Angestellten des Geschäfts; in einer Sekunde hatte er den energischen und den Verbrechern so gefährlichen Detektiv erkannt, und mit einem Satze war er an der Thür, um zu entfliehen. Hier traten ihm jedoch zwei handfeste Polizisten in Uniform entgegen, die ihn in die Office zurückschoben.
»Es ist dafür gesorgt, daß Ihnen eine Flucht unmöglich wird; Sie sind völlig machtlos in unseren Händen. Wir wünschen noch einige Auskunft« zu erlangen, die nur Sie uns geben können,« sprach Rider und indem er auf Mr. Wake zeigte, fuhr er fort: »Hier ist der Herr, welcher zuerst von Ihnen eine Art Beichte zu hören begehrt.«
»Jawohl, Mr. Statton, ich werde Sie jetzt auch einmal in's Gebet nehmen,« sagte Wake.
»Und wer sind Sie?« fragte der Spekulant.
»Ich bin Roger Warren, den sie betrogen, bestohlen und zur Flucht gezwungen haben,« lautete die in scharfem Tone gehaltene Antwort.
Gleichzeitig nahm der Sprechende seinen schönen weißen Vollbart ab, der ihm im Verein mit seiner silbergrauen Perrücke ein so ehrwürdiges Aussehen verliehen hatte, und ein noch junger, kräftiger Mann stand da.
»Verflucht! Ich bin verraten und verkauft!« stieß Statton hervor.
»Sie haben Recht, denn Sie sind in der That in meiner Gewalt, und ich werde Sie nicht eher loslassen, als bis Sie alles thun, was ich von Ihnen verlange,« sagte Wake; »Naphthali ist nur mein Agent in dieser Angelegenheit; Weir und Gate haben nur in meinem Auftrage gehandelt, und Kimbal, White und Komp. haben Ihre Spekulationen wie noch Andere nur in meinem Auftrage und mit meinem Gelde gekreuzt. Jeden Cent, den Sie ihren Gläubigern schulden, schulden Sie in Wirklichkeit nicht jenen, sondern mir selbst, Ihrem früheren betörten Opfer.«
Statton schäumte vor Zorn.
»Ich wußte auch, daß Sie im Besitze des gezeichneten Geldes waren,« fuhr der Andere fort, »und ich kann Sie jetzt sofort wegen Annahme gestohlenen Geld verhaften lassen.«
»Aber ich hatte keine Kenntnis davon, daß das Geld gestohlen war!«
»Das soeben von Ihnen unterzeichnete Dokument beweist das Gegenteil! Außerdem kann ich Sie auch noch wegen Fälschung des Wechsels von tausend auf zehntausend Dollars in's Zuchthaus bringen; Ihr früherer Buchhalter Giles Hamlin, der jetzt in unseren Diensten steht, kann dies bezeugen.«
Pein und Wut wechselten in Statton's Antlitz; dann aber ließ er sich, vollkommen gebrochen, auf einen Stuhl sinken und fragte, welches die Bedingungen für die Freigabe seiner Person ohne strafrechtliche Verfolgung seien.
»Vor Allem geben Sie mir eine schriftliche Erklärung, daß ich von Ihnen als Werkzeug eines Schwindels ausgenützt wurde, von dessen wahrem Charakter ich durchaus nichts wußte,« sagte Roger Warren. »Sie bescheinigen darin, daß Sie selbst die alleinige Schuld an diesem betrügerischen Unternehmen trugen und ich völlig schuldlos war. Die zweite Bedingung besteht darin, daß Sie aufrichtig bekennen, wie Sie in den Besitz des geraubten Geldes gekommen sind.«
Statton saß eine kleine Weile in dumpfes Brüten versunken da, als aber der Detektiv ein paar Handschellen aus der Tasche nahm und nicht ohne Absicht mit denselben spielte, besann er sich rasch eines Besseren und erklärte sich bereit, auf beide Bedingungen einzugehen.
Das Papier, welches die Unschuld Roger Warren's klarstellte, war schnell aufgesetzt und im Beisein von Zeugen von Thomas Statton unterschrieben.
»Wie steht es nun mit dem von Melville Palmer geraubten Gelde?« fragte jetzt Rider.
»Das Geld ist überhaupt nicht geraubt worden, sondern Palmer hat es selbst in unsere Office gebracht und dort in Gegenwart von Kent und einem Dritten an uns bezahlt.«
»Diese Erklärung erscheint mir wenig glaublich, denn Melville Palmer schuldete Ihnen nichts; wofür sollte er also das Geld hingegeben haben?«
In diesem Augenblick kam ein Kollege Rider's und machte diesem eine Mitteilung.
Franklin wendete sich darauf an die Anwesenden und sagte: »Die Nachricht, welche ich soeben erhalten habe, wird auch Mr. Statton interessieren. Es ist uns ein prächtiger Fang gelungen; Powel ist heute morgen bei ›Mutter‹ Darell mit einem Theile des gezeichneten Geldes verhaftet worden. Mr. Statton, wollen Sie nun noch länger mit der Wahrheit zurückhalten.«
Der Angeredete hatte sich entfärbt. »Wenn Powel verhaftet ist, so wird das Schweigen nutzlos sein; ich will deshalb sagen, was ich weiß,« begann derselbe. »Powel ist ein Sohn Melville Palmer's aus erster Ehe, der sich durch Leichtsinn zu Veruntreuungen hat verleiten lassen und von Stufe zu Stufe gesunken ist; sein wahrer Name ist Iram Palmer. Er hatte zuletzt unter dem Namen Alfred Fair eine großartige Betrügerei in Denver verübt und wurde von den Behörden unter diesem letzten Namen an verschiedenen Orten gesucht. Die Belohnungen, welche von mehreren Seiten auf seine Verhaftung gesetzt waren, beliefen sich auf fünftausend Dollars. So gut er es auch verstand, sich zu verkleiden, erkannte ich ihn sofort, als er in unseren Geschäftsräumen behufs Erlangung verschiedener Aufschlüsse vorsprach. Ich beabsichtigte, die fünftausend Dollars Belohnung zu verdienen, und schloß Powel in unsere Privatoffice ein. Nachdem er sah, daß er verraten war, bat er mich um die Gunst, seinem Vater einen Zettel hinüberzuschicken und ihn von dem Geschehenen zu unterrichten. Wir thaten dies, und Melville Palmer kam sofort herüber, um seinen ungeratenen, aber dennoch geliebten einzigen Sohn zu sehen.«
Statton schwieg einen Moment; dann fuhr er fort: »Von Tibald Gibbs hatten wir inzwischen erfahren, daß Palmer 86 000 Dollars von der Bank geholt hatte, mit welchem Betrage wir am nächsten Tage von Amos Dwight bezahlt werden sollten. Dieses Geld hatte der alte Mann, welcher soeben von der Bank zurückgekehrt war, noch in seiner Tasche, was wir durch ihn selbst erfuhren. Wir verlangten die ganze Summe als Lösegeld für die Freilassung seines Sohnes, der reuig und unter heiligen Schwüren, sowie Thränen Besserung gelobte. Zuerst wollte Palmer durchaus nicht auf unseren Vorschlag eingehen, schließlich aber, als er sah, daß wir fest auf unserer Forderung beharrten und sein Sohn ihn beim Andenken an die tote Mutter beschwor, ihn aus der Gefahr zu erretten, wurde er nachgiebig gestimmt und gab den ganzen Betrag von 86 000 Dollars heraus. Er hatte die Absicht, die Summe sofort aus seinem Privatvermögen, welches er in seinem in der Dwight'schen Office stehenden Geldschrank aufbewahrte, voll zu ersetzen. »Nehmen Sie das Geld,« sagte er zu uns, »es ist der Preis für meines Sohnes Freiheit; derselbe macht mich und meine Tochter zu armen Leuten, denn wir besitzen nur wenig mehr als dies. Dieser Betrag repräsentiert nicht nur die Ersparnisse meines ganzen Lebens sondern auch das jetzt meiner Tochter gehörende Vermögen meiner zweiten Gattin; aber alles wird Mr. Dwight als Ersatz des ihm gehörenden Geldes dienen.«
Palmer's kleiner Geldschrank wurde aber in derselben Nacht beraubt, denn es fand sich kein Geld in demselben vor,« warf Rider ein; »wollen Sie uns nicht auch noch mitteilen, in welcher Weise Tibald Gibbs mit der Sache in Verbindung stand?«
»So viel ich weiß,« erwiederte Statton, »war Tibald mit Palmer's Sohn seit Jahren eng befreundet, und da er von dem inzwischen geschlossenen Handel Kenntniß erhalten hatte, verlangte er von uns einen Antheil von dem Gelde für seine Verschwiegenheit, was wir ihm auch zusagten. Wohin Melville Palmer's Geld gekommen ist, davon habe ich keine Ahnung. Dies ist die ganze Geschichte, und jedes Wort, das ich gesprochen, ist lautere Wahrheit!«
Nach dieser Aufklärung begaben sich Rider und Roger Warren sofort zu dem verhafteten Powel, der in einer Zelle des Polizeigefängnisses saß.
»Sie heißen Iram Palmer!« redete ihn der Geheimpolizist an.
Der junge Mann war erstaunt, daß man seinen wirklichen Namen kannte, und hielt nun nicht länger mit einem Bekenntniß zurück. Von der Ermordung seines Vaters war ihm persönlich nichts bekannt. Die Reise nach Newburg hatte er unternommen, weil er Statton und Kent, trotz der hohen Summe, welche dieselben für seine Freilassung erhalten hatten, nicht traute, und die Vertauschung der Röcke war von ihm nur vorgenommen worden, damit er leichter entschlüpfen konnte, falls er verfolgt wurde. Es waren ja Zwischenfälle möglich gewesen, durch die sein Vater sich hätte veranlaßt sehen können, die Wiederherausgabe des Geldes von Statton und Kent zu verlangen. Er hatte die Absicht gehabt, mit den eintausend Dollars, die ihm Statton auf dringenden Wunsch seines Vaters von dem Lösegelde abgetreten, in der Ferne ein neues Leben zu beginnen. Als er dann jedoch von dem Verdacht der Ermordung seines Vaters gehört, welcher auf ihn unter dem zuletzt angenommenen Namen Powel ruhte, hatte er zu dem Zweck mit seiner Halbschwester Jane eine Zusammenkunft gesucht, um diese von seiner Unschuld zu überzeugen. Er hatte stets eine Zuneigung für die Schwester gehabt, und diese war ihm ebenfalls freundlich gesinnt, weil sie glaubte, der Vater sei zu hart gegen ihn gewesen, und er sei viel besser als sein Ruf.
In Bezug auf seine Begegnung mit dem Detektiv und das Dazwischentreten seiner Schwester in jenem Hause der alten Hehlerin erklärte Powel den Zusammenhang wie folgt: »Meine Schwester wurde in jenem Hause gewaltsam zurückgehalten, ohne daß ich bis wenige Stunden vor ihrem Erscheinen etwas davon wußte. Daß Jane meine Halbschwester war, wußte fast Niemand im Hause; sobald ich von ihrer Anwesenheit Kenntniß erhielt, beschloß ich, sie noch an demselben Abende in der Dunkelheit zu befreien, und nur Ihre Dazwischenkunft, Mr. Rider, hinderte mich daran. Da mich Jane, die an meine Unschuld glaubte, in großer Gefahr sah, so trat sie mit der mir inzwischen entrissenen Waffe dazwischen und ermöglichte mein Entrinnen aus rein schwesterlicher Teilnahme. Was dann aus ihr geworden ist, habe ich nicht ermitteln können und weiß es jetzt noch nicht.«
»Zu welchem Zwecke hatten Sie sich die Abdrücke und Diebesschlüssel zur Dwight'schen Office verschafft?« fragte der Detektiv.
»Ich hatte die Absicht, den Prinzipal meines Vaters zu berauben; ich kam jedoch nicht dazu, weil ich inzwischen von Statton erkannt wurde und dann aus den Ihnen bereits mitgeteilten Gründen schleunigst abreiste.«
»Haben Sie irgend welche Vermutung, wer der Mörder Ihres Vaters und der Räuber von dessen Gelde sein kann?« fuhr Rider fort
»Ich glaube, daß Tibald Gibbs der Raubmörder, jedenfalls aber der Dieb ist, denn seit jener Nacht war er immer sehr reichlich mit Geld versehen; er warf dasselbe zuweilen förmlich fort, trotzdem er vorher nie einen Cent übrig gehabt hat«, erwiderte Powel.
Hiermit schloß das vorläufige Verhör, das Rider mit dem Sohne des ermordeten Melville Palmer anstellte, und der Detektiv begab sich zu Tibald Gibbs in die Zelle.