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David Hicks befand sich in Untersuchungshaft; er saß tief in Gedanken versunken da, war aber ungebrochen an Geist und Zuversicht. Er hatte Jane Palmer's Aussage vor der Jury nicht gehört und wunderte sich, daß sie nicht Aufschluß über das begangene Verbrechen hatte geben können. Die bleiche, zitternde Gestalt des Mädchens, daß mit allen Zeichen des tödtlichen Schreckens aus der Office getreten war, kam ihm nicht aus dem Sinn; er sagte sich, sie müßte mit dem dunklen Geheimniß in irgend einer Weise in Verbindung stehen. Sie selbst hatte ihm gesagt, sie sei überzeugt, daß er an dem Verbrechen, dessen er bezichtigt, wurde, unschuldig sei; warum aber legte sie dann nicht Zeugniß dafür ab?
Trotzdem gewährte es ihm eine gewisse Befriedigung, vor der Coroners-Jury gar nicht erwähnt zu haben, daß er Jane gesehen habe, wie sie aus der Office gekommen; wäre es nicht unedel gewesen, auf sie, die ebenfalls unschuldig und tiefgebeugt sein mußte, noch einen Verdacht zu lenken? Würde man nicht außerdem geglaubt haben, er selbst wolle nur den auf ihm ruhenden Verdacht auf andere wälzen? Er zweifelte vorläufig nicht daran, daß seine Unschuld, auch ohne die Tochter des Toten mit in die Untersuchung zu ziehen, an den Tag kommen würde.
Den jungen Mann beschäftigte jetzt hauptsächlich der Gedanke, wer der wirklich Schuldige sein könnte. Wer kannte die Verhältnisse so genau und war gleichzeitig gewissenlos genug, um zum Zwecke der Erlangung des sich nur zufällig in dem Kassenschranke befindenden großen Betrages einen Mord zu begehen?
Sein Verdacht blieb endlich auf einen Einzigen haften und zwar auf dem Officediener im Dwightschen Geschäft, aus dessen Gesicht schon der Charakter eines gemeinen, verwegenen Menschen sprach, aus dessen unsteten, lauernden Augen die Natur des Raubtieres hervorsah und dem er mißtraute, seitdem derselbe auf Statton's warme Empfehlung im Geschäft angestellt worden war.
Tibald Gibbs war von ihm zweimal dabei ertappt worden, als er am Schlüsselloch der Thür, welche zu Mr. Dwight's Privatoffice führte, gelauscht hatte, während gerade über vertrauliche Gegenstände verhandelt wurde. Das zweite Mal hatte David der Zorn über den Spion erfaßt, so daß er ihn mit einem derben Fußtritte von seinem Lauscherposten hinweg befördert hatte. Der Bursche hatte sich die Züchtigung ruhig gefallen lassen, aber der Blick aus seinen tückischen Augen hatte Rache bedeutet, und von diesem Augenblicke an hatte Hicks den Schleicher als eine höchst gefährliche Person betrachtet. Er hatte die Sache seinem Prinzipal gegenüber nicht erwähnt, weil er jede Art von Angeberei verabscheute und weil er glaubte, es würde sich schon eine andere Gelegenheit bieten, um den Burschen aus dem Dienste zu jagen.
Der junge Mann überlegte jetzt, daß Gibbs an den Vorgängen des Geschäfts selbst unmöglich ein Interesse hatte haben können, da er dieselben nicht verstand, und daß der Zweck seines Spionirens kein anderer gewesen sei, als auszukundschaften, wann sich gerade eine größere Summe im Geldschrank befände, um diesen dann zu berauben. Er beschloß, Mr. Dwight bei erster Gelegenheit von diesem Verdachte Mitteilung zu machen.
Hicks hatte nicht bemerkt, daß, während Mr. Statton vor dem Coroner seine Aussagen machte, jener alte Herr mit den blitzenden Augen und dem schönen weißen Vollbart, der schon beim Beginn der Verhandlungen einmal in der Office gewesen, wieder in dieselbe eingetreten war; wenn dies aber auch der Fall gewesen wäre, so hätte dies seine Aufmerksamkeit durchaus nicht erregt, denn er kannte denselben ebenso wenig, wie ihn die Andern kannten.
Der Fremde hatte einen langen Blick voll tiefen Interesses auf Miß Palmer geworfen und war den Verhandlungen mit größter Aufmerksamkeit gefolgt; was aber der Zweck seines Kommens und Gehens gewesen, war Allen ein Rätsel geblieben, nach dessen Lösung sie übrigens nicht geforscht hatten.
Nach dem Schlusse der Coroner-Untersuchung begab sich der alte Herr von Dwight's Office direkt zu Statton und Kent, wo er Mr. Kent mit dem Zählen eines größeren Paketes Fünfzig-Dollar-Noten beschäftigt fand. Ein Blick seiner scharfen Augen genügte, um ihn über den Ursprung dieses Geldes zu belehren; es waren diejenigen Banknoten, welche Mr. Toller mit einem › V‹ gezeichnet hatte.
»Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir diese Hundert-Dollar-Note in zwei Noten zu je fünfzig Dollars umwechseln wollten,« sagte er höflich.
Kent war gern bereit, diese Bitte zu erfüllen, und er reichte dem Fremden zwei von den gezeichneten Banknoten hin.
In diesem Moment trat Statton aus der Seitenthür und legte seine Hand schnell auf den Arm seines Associes, während er ihm gleichzeitig einige Worte in's Ohr flüsterte.
Kent zog überrascht die beiden Noten wieder zurück und warf das ganze Paket mit einem halb unterdrückten Fluche in eine Schublade des Tisches; dem Fremden aber gab er zwei nicht gezeichnete Noten, die er aus dem Geldschrank holte.
Statton und Kent zogen sich nunmehr nach dem hinteren Teil der Office zurück und vertieften sich für die Dauer von mehreren Minuten in eine sehr eifrige Unterhaltung, die sie im Flüstertöne führten.
Diese Gelegenheit benutzte der Fremde, um unbemerkt einen Blick auf den Streifen des im Zimmer befindlichen Telegraphen-Apparates zu werfen, welcher die neuesten Abschlüsse auf der Effektenbörse anzeigte. Er schien kein Neuling auf dem Aktienmärkte zu sein; er erfuhr durch den Streifen; daß Statton und Kent fünfhundert Aktien der Chicago-, Burlington- und Quincy-Eisenbahn, mit einer sechzigtägigen Lieferfrist zu einem bestimmten Kurs, sowie mehrere andere Eisenbahnpapiere fest gekauft hatten.
Nun entfernte sich der Fremde und begab sich direkt nach dem Astor-House, in dem er vor etwa einer Woche abgestiegen war und in dessen Register er sich als »Robert Wake« eingetragen hatte. Als er das Haus verließ, in dem sich die Geschäftsräume von Statton und Kent befanden, sah er, wie Tibald Gibbs sich aus einem Seitenausgange desselben auf die Straße schlich, und er war sich sofort klar darüber, daß dieser Mr. Statton die Nachricht gebracht habe, die Noten seien gezeichnet.
Mr. Wake schien in New-York fremd zu sein, war aber augenscheinlich sehr stark an den Vorgängen an der Effektenbörse in der Wall-Street interessirt; besonders vertraulich waren seine Geschäftsbeziehungen zu der Maklerfirma Weir und Gate, welche sich hauptsächlich mit der Vermittelung von Krediten und Darlehen auf Eisenbahn-Effekten und andere Fonds befaßten. Auch die Firma Kimbal, White und Komp., die stark in Minen- und Eisenbahnpapieren arbeitete und häufig mit Statton und Kent Geschäfte abzuwickeln hatte, gehörte zu den engeren Geschäftfreunden des alten Herrn. Ganz neu waren jedoch Wake's geheime geschäftliche Beziehungen zu dem Bank- und Wechselgeschäft Naphtali und Sohn in der Wall-Street, eine Firma, an die sich im Geheimen gar mancher bedeutende Geschäftsmann der Wall-Street wendete, wenn er zeitweilig Geld bedurfte.
An der Börse war Mr. Wake nicht persönlich bekannt; allabendlich aber fanden sich Vertreter der genannten Firmen zu verschiedenen Stunden in seinem Zimmer im Astor-House ein und hatten geheime Beratungen mit ihm über den Eintritt in Spekulationen oder das Abwickeln derselben oder die sonstigen Vorgänge an der Effektenbörse.
* * *
Zu Mr. Dwight's größter Verwunderung verstrich nach beendeter Coroner-Untersuchung der übrige Teil des Tages, ohne das ein Mitglied der Firma Statton und Kent den fälligen Betrag von sechsundachtzigtausend Dollars von ihm gefordert hätte.
Als Statton bei der Leichenschau seine Aussage gemacht, schien er von der Anwesenheit des Maklers absichtlich gar keinen Vermerk genommen zu haben: was dies bedeuten sollte, vermochte Dwight nicht zu enträtseln, und es beunruhigte ihn fast ebenso sehr, wie das über ihm schwebende Verhängnis, dessen Schleier er nicht einmal seinem eigenen Kinde gegenüber lüften durfte.
Magdalen Dwight hatte die Verhaftung ihres Bräutigams erfahren, und sie empfand einen tiefen Schmerz über das harte Los des Geliebten; aber ihr Glaube an dessen Unschuld blieb unerschüttert, und sie hegte die feste Zuversicht, daß dieselbe sehr bald an den Tag kommen werde.
Ihr Vater dagegen befand sich in einer furchtbaren Aufregung und Besorgnis über die Gefahren, welche ihm von zwei Seiten drohten. Um seine trüben Gedanken etwas zu zerstreuen, griff er zu dem auf dem Tische liegenden »Commercial Advertiser« und warf einen Blick auf den Bericht über die Ereignisse des Tages.
Plötzlich sprang er wie elektrisirt auf und rief mit bewegter Stimme: »Kann dies wahr sein? Jawohl, hier steht es als telegraphische Nachricht: Newburg, den 24 März. Heute früh zehn Uhr ist John Elliot plötzlich in seinem Hause an einem Herzschlage verschieden.«
Amos schellte und befahl der eintretenden Dienerin, ihm sofort eine Nummer der »Evening Post« zu besorgen; dann schritt er unruhig im Zimmer auf und ab, bis das Mädchen mit dem gewünschten Zeitungsblatte erschien.
Während sich dieselbe wieder entfernte, suchte er die betreffende Notiz auch in diesem Abendblatte; endlich fand er sie und las sie atemlos durch.
Wie von einem schweren Drucke befreit, hob sich seine Brust, und er rief: John Elliot ist tot! Ich bin gerettet! Dieses Mannes Tod macht eine Entdeckung fast unmöglich! Heute ist es bereits zu spät, aber morgen früh soll mein erster Gang zu David Hicks nach dem Gefängnis sein, um mit ihm in's Reine zu kommen.«
So früh, wie Besuche bei den Gefangenen zugelassen wurden, betrat Mr. Dwight am nächsten Morgen David's Zelle; er wurde aber von diesem mit einer gewissen Zurückhaltung empfangen; die ihm schmerzlich war.
Die erste Frage des jungen Mannes war nach Magdalen; besorgt erkundigte er sich danach, wie seine Braut die gegen ihn erhobene Anschuldigung und seine Verhaftung ausgenommen hatte, und freudig erhellte sich sein Gesicht, als er erfuhr, wie zuversichtlich das junge Mädchen auf eine baldige glückliche Aufklärung des verhängnisvollen Dunkels rechne und wie er auf ihre unwandelbare Liebe bauen könne.
Der Makler begann nunmehr den eigentlichen Zweck seines frühen Besuches zu erklären: er besprach seine Gefahr und David's nächtliche Fahrt. »Ich gestehe, lieber Hicks, daß ich die wahre Ursache ihrer Reise nach Newburg erraten habe,« sagte er.
»Ich konnte mir denken, daß Ihnen dies jetzt klar geworden,« erwiderte David; »ich hatte beschlossen, Sie vor den Folgen Ihrer Handlungsweise zu bewahren. Ich kann nur nicht begreifen, wie Sie an ein solches Vorgehen überhaupt zu denken vermochten! Sie mußten doch wissen, daß eine Entdeckung nicht ausbleiben konnte.«
»Ich war zur Verzweiflung getrieben – wahnsinnig, wenn Sie es so nennen wollen,« versetzte Dwight mit niedergeschlagenen Augen; »ich rechnete auf schleunige Einlösung des Checks und dachte die Sache auf friedlichem Wege beizulegen.«
»Wollen Sie damit sagen, daß sie sich mit Elliot abfinden wollten?« entgegnete Hicks kopfschüttelnd. »Woher wollten Sie das hierzu nötige Geld nehmen?«
»Sie haben von meinem Grundbesitz in Colorado Kenntniß; mein Agent hatte mir geschrieben, daß der Preis von neunzigtausend Dollars, den ich dafür verlangt hatte, von einem Käufer bewilligt sei und das Geld bis zum 23., also bis vorgestern, in meinem Besitz sein könne.«
»Ich verstehe Ihre Lage, in welche Sie die gaunerische Handlungsweise von Statton und Kent gebracht hat, und Ihre Berechnung, sich aus derselben herauszuwinden, vollständig; dennoch würde ich es nie für möglich gehalten haben, daß Sie zu einer Fälschung Ihre Zuflucht nehmen könnten.«
»Um des Himmelswillen, sprechen Sie leise!« bat der Makler; »es könnte uns Jemand hören. Ich bekenne, daß ich John Elliot's Namen unter einem Check von sechsundachtzigtausend Dollar fälschte; aber ich war überzeugt, seine Unterschrift so täuschend nachgeahmt zu haben daß Niemand, vielleicht nicht einmal er selbst, die Fälschung entdeckt hätte, wenn er nicht wissen mußte, keinen Check dieses Betrages ausgestellt zu haben. Ich wußte ferner, daß Elliot diesen Check nicht vor der monatlichen Abrechnung mit seinem Bankier zu sehen bekommen würde, bis dahin glaubte ich imstande sein zu können, von dem Gelde aus Colorado den Betrag zu decken, selbst wenn eine kleine Verzögerung in der Rimesse eintreten sollte. Gestern aber erhielt ich die Nachricht von Denver, daß der Verkauf zu keinem Abschluß gekommen ist.«
»Dann ist die Entdeckung unausbleiblich,« versetzte David, »denn ich kenne John Elliot zu genau, um nicht zu wissen, was er thun wird. Sie werden mein Nachbar in meiner Verbrecherzelle werden, Mr. Dwight!«
Ein paar Sekunden schwieg der junge Mann; dann fuhr er fort: »Ich reiste nach Newburg, um Mr. Elliot, der ein alter, aufrichtiger Freund meiner Familie ist, zu Ihren Gunsten zu beeinflussen; ich wollte ihm mein zu erwartendes Vermögen als Sicherheit anbieten. Sie wissen, daß ich über ein Jahr lang dessen Privatsekretär war; ich kenne seine Unterschrift besser als irgend eine andere dritte Person und vermutete sofort eine Fälschung, als ich den Check in Mr. Palmer's Händen sah. Dennoch hegte ich noch Zweifel, bis ein Zufall mich plötzlich aufklärte.«
»Eine halbe Stunde nach jener Entdeckung traf ich Mr. Elliot auf der Straße, als er im Begriffe war, nach Newburg zurückzureisen; von ihm erfuhr ich, daß er sich entschieden geweigert hatte, Ihnen irgend welchen Betrag vorzustrecken. Ich wollte Palmer von der Einkassirung des Checks abhalten, traf diesen aber erst wieder, als er das Geld bereits in der Tasche hatte. Von meinem intimen Freunde, dem Buchhalter der Bank, erfuhr ich dann, daß Mr. Elliot Auftrag gegeben hatte, am nächsten Tage die Abrechnung seines Kontos einzusenden.
Es war also ein sofortiges Einschreiten notwendig, und ich beschloß, mit dem Nachtzuge nach Newburg zu fahren, und am nächsten Vormittage wieder auf meinem Posten zu sein und trotzdem jeder Ihnen drohenden Gefahr vorgebeugt zu haben. Als ich verhaftet wurde, war ich in Verzweiflung, denn ich sah den Vater meiner Braut der Schande preisgegeben.«
Amos Dwight teilte Hicks nun mit, daß John Elliot am vorhergehenden Morgen plötzlich am Herzschlage verschieden sei.
»So sind Sie demnach gerettet!« rief David aufatmend, »und eine große Last ist von meinem Herzen gewälzt.«
»Aber Sie werden mich jetzt verachten Hicks,« entgegnete der Makler. »Von einem guten Menschen und aufrichtigen Freunde verachtet zu werden, ist ein bitteres Gefühl.«
»Nein, Mr. Dwight; ich bemitleide Sie nur, daß Sie schwach waren, und glaube, diese Lehre wird nie von Ihnen vergessen werden.«
»Ich habe schwer gesündigt und bitter bereut,« versetzte Amos; »aber nun, David, versprechen Sie mir, meiner Tochter nie ein Wort zu sagen, in welche traurige Lage meine Thorheit mich gebracht hatte.«
»Seien Sie dessen sicher, daß kein Mensch der Welt, am allerwenigsten aber Magdalen ein Wort von dem Geschehenen erfahren soll!« rief Hicks, dem Vater seiner Braut die Hand darreichend.
»Tausend Dank, teurer Freund!« entgegnete der Makler, die Rechte des jungen Mannes festhaltend. »Nun aber lassen Sie uns über Ihre Lage beraten! Detektiv Rider, welcher von Ihrer Unschuld überzeugt ist, wird sich heute hier bei Ihnen, einfinden; ich selbst werde sofort einen tüchtigen Advokaten engagiren, und außerdem wird meine Tochter Sie noch heute besuchen. Hätte sie darum gewußt, daß ich mich hierher begab, so würde sie darauf bestanden haben, mit mir zu gehen; aber ich mußte Sie vorher allein sprechen.«
Mit einem wiederholten herzlichen Händedruck und völlig wieder hergestelltem gegenseitigen Vertrauen trennten sich die Beiden.
In der That erschien am Nachmittag Miß Dwight im Gefängnis.
Das Wiedersehen der beiden Liebenden war ein ergreifendes; mehrere Minuten lang hielten sie sich in stummen Schmerz umschlungen, und Magdalen konnte vor Schluchzen und thränenerstickter Stimme keine Worte finden.
Endlich faßte sich das junge Mädchen, und sie begann: »David ich beschwöre Dich, mir das Geheimnis Deiner Reise nach Newburg mitzuteilen! Du hattest mir versprochen, mich an demselben Abend zu einer Fahrt auf dem Hudson nach Albany abzuholen, um Deiner Tante einen Besuch zu machen; darauf ließest Du mir sagen, daß Du plötzlich eine Abhaltung gefunden, Deine Zusage zu halten, und um Mitternacht fuhrst Du allein! Was soll ich hiervon denken? Wem galt Dein Besuch? Warum fürchtest Du, mich mitzunehmen? Ich bitte Dich sprich Dich aus! Wenn es sein muß, gelobe ich ewiges Schweigen, selbst meinem Vater gegenüber, oder laß mich nicht länger in dieser Unruhe und Ungewißheit!«
Eifersucht ist die Zwillingsschwester der Liebe, und jene ist desto heftiger, je stärker diese ist. David vermutete den Grund von Magdalenas Argwohn, und doch durfte er nicht reden: »Auf Deine Bitte kann ich Dir weiter nichts erwidern,« entgegnete er, »als daß ich Dich um Dein Vertrauen bitte, Geliebte; den Grund jener Fahrt kann und darf ich Dir nicht mitteilen!«
Mit betrübtem Herzen schied Miß Dwight kurz darauf aus David's Zelle.
Während Hicks im Gefängnis über Jane Palmers sonderbares Wesen und ihre fluchtartige Entfernung aus der Office in der Mordnacht nachsann, befand sie sich in einem Seelenzustand, welcher an Verzweiflung grenzte. Seit Rachel Gibbs sie belauscht und ihr gedroht hatte, fürchtete sie sich vor dieser Person, und dennoch getraute sie sich nicht, dieselbe aus dem Hause zu weisen, in dem sie noch Herrin war.
Am Abend nach dem Morde war Jane allein in ihrem Zimmer; sie hatte den Schlüssel der nach der Halle führenden Thür umgedreht und glaubte sich gegen jeden unerbetenen Besuch gesichert. Mit zitternder Hand öffnete sie einen Koffer und nahm den Inhalt desselben heraus; auf dem Boden lag eine alte Pistole von eigentümlicher Konstruktion, bei deren Anblick sie ein Schauer überrieselte. »Ich fürchte mich, die Waffe zu berühren,« sagte sie, und doch muß dieselbe fortgeschafft werden!«
Kaum war das letzte Wort jedoch den Lippen des Mädchen entschlüpft, als sich eine schwere Hand auf ihre Schulter legte und eine Stimme ihr in's Ohr schrie: »Das Geheimnis ist entdeckt!«
Miß Palmer stieß einen lauten Schrei aus und blickte sich erschrocken um.
Hinter ihr stand Rachel Gibbs, welche von einem anderen Zimmer aus hereingetreten war und ihre junge Herrin belauscht hatte.
»Sind Sie wieder hier, infame Schleicherin? Fort mit Ihnen! Was wollen Sie, Verruchte?« rief Jane in größter Erregung.
»Nur langsam, mein Täubchen!« entgegnete die Schwester des Officedieners höhnisch; »ich bin nicht so verrucht wie Sie selbst! Ich habe die Pistole gesehen, und zwar nicht zum ersten Male! ich sah dieselbe auch in der Nacht, da ihr Vater ermordet wurde, denn sie brachten die Waffe mit aus der Office herauf und versteckten sie in Ihrem Koffer. Erst dann kamen Sie, um mich zu rufen.«
»Weib, welchen Sinn sollen die Worte haben?« rief Miß Palmer erschreckt.
»Daß Sie Ihren eignen Vater ermordeten!« antwortete die Andere ruhig.
Jane wankte zu dem Sopha und fiel auf dasselbe nieder; die Anschuldigung Rachel's hatte ihr die Sinne geraubt. Bald aber kam sie wieder zu sich, und ihre fürchterliche Lage erfassend, sprang sie auf. »Sie lügen, elende Person, und Sie wissen, daß Sie es thun!« rief sie drohend.
»Nur nicht so hitzig, mein Fräulein! Sie wissen, ein wie geringfügiger Verdacht David Hicks in's Gefängnis gebracht hat; mein Zeugnis wird Sie an den Galgen bringen!«
»Beabsichtigen Sie etwa, mich öffentlich anzuklagen?« fragte Jane, bereits von der Drohung eingeschüchtert.
»Dies hängt ganz von Umständen ab,« erwiderte die Dienerin lauernd.
»Von welchen Umständen? Sprechen Sie sich aus! Wir müssen uns ein- für allemal verstehen, Rachel Gibbs!«
»Wenn mir das Schweigen Vorteil brächte, könnte ich auch den Mund halten,« antwortete die Andere mit einem lauernden Blicke.
»Ich soll Sie also bestechen?« rief Miß Palmer verächtlich.
»Nennen Sie es, wie Sie wollen.«
Die Beiden sahen einander eine Weile schweigend an, als wollten sie gegenseitig ihre innersten Gedanken lesen.
»Nennen Sie mir Ihren Preis!« rief Jane endlich.
»Sie besitzen fünftausend Dollar; nicht wahr?«
»Ja; dies ist aber auch Alles, was mir gehört.«
»Dann können Sie freilich nicht mehr geben,« versetzte Rachel trocken.
»Und Sie wollen mir den letzten Cent abnehmen?« rief Jane erschrocken.
»Gewiß, mein schönes Fräulein; es wird Ihnen wohlthun, wenn auch Sie einmal erfahren, was es heißt, nichts besitzen. Ich kenne dieses Gefühl seit langen Jahren, und Sie sind nichts Besseres als ich; arbeiten Sie! Verdienen Sie sich Ihr Brot, wie ich es thun mußte, oder verhungern Sie!« kam es zischend aus dem Munde der alten Jungfer.
»Sie sind ein undankbares, verworfenes Geschöpf!« rief Jane. »Sie sollen den geforderten Preis haben, und ich will trotz Allem meinem Vorsatz treu bleiben.«
Noch an demselben Tage überwies Miß Palmer der Dienerin die ihr zugesagte Summe von fünftausend Dollars in einem Check auf die Bank, bei welcher dieselbe deponirt war.
Rachel Gibbs wußte, daß dieses Geld, der Betrag der Jane von einer verstorbenen Tante zugefallenen Erbschaft, das ganze Vermögen des Mädchens war, nachdem sich in dem Geldschrank des Ermordeten nichts vorgefunden hatte. »Aber wo,« so fragte sie sich, »ist das Geld hingekommen, das sich in dem Schranke des Geschäftes, und jenes, welches sich im Privatschrank des Toten befunden hat? Mein Bruder Tibald ist ein durchtriebener Bursche; er hält ein wichtiges Geheimnis vor mir verborgen. Warte nur, Brüderchen! Du sollst von mir auch nichts erfahren!«