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Zwölftes Kapitel.

. Robert Wake schritt in tiefen Gedanken über die von Rachel Gibbs und Hicks gegen Jane Palmer erhobene Anklage in seinem Zimmer auf und ab, als ihm ein Bote einen Brief überbrachte.

Der alte Herr, welcher die Handschrift der Adresse sofort erkannte, riß eiligst das Kouvert von dem Schreiben und las:

 

»Geehrter Mr. Wake!

Sie haben mich aufgefordert, mich an Sie um Hilfe zu wenden, sobald ich eines ergebenen und wahren Freundes bedürfe; diese Zeit ist jetzt gekommen, denn ich befinde mich in Gefangenschaft. Gleichzeitig höre ich aber von meinen Feinden, daß ich in Gefahr stehe, jeden Augenblick auf den Verdacht hin, meinen Vater ermordet zu haben, verhaftet zu werden. Rachel Gibbs kennt zwar Einzelheiten aus jener schrecklichen Nacht, die jedoch nicht die volle Wahrheit umfassen und mir höchst gefährlich werden können, seit mir ein Papier verloren gegangen ist, welches mich völlig rechtfertigen würde. Mehr als alles Andere fürchte ich jetzt verhaftet zu werden; retten Sie mich deshalb, wenn sie können, und versuchen Sie es, mich in Sicherheit zu bringen. Sie finden mich mit Hilfe des Ueberbringers dieser Zeilen; derselbe steht zwar mit meinen Feinden im Bunde, er empfindet aber Mitleid mit meiner Lage und hat sich unter der Zusage einer reichen Belohnung bereit erklärt, mir beizustehen, damit ich aus der verzweifelten Lage, in der ich mich befinde, erlöst werde.

Ihre ergebene

Jane Palmer.«

 

Auf die Frage Wake's beschrieb der Bote die Lokalität, in der sich die junge Dame befand, und gab auch an wo er selbst jederzeit gefunden werden könne.

Mit einer so großen Belohnung, wie er sie kaum erwartet hatte, ging der Mann wieder zu Jane zurück und berichtete dieser, daß Hilfe durch Mr. Wake sehr nahe sei und daß dieser Alles für sie thun würde, was sie verlangte.

Zu derselben Zeit aber, zu der Robert Wake von Jane's Aufenthalt Kenntniß erhielt, hatten auch Rider's Kameraden den Ort, an welchem sie sich befand, mit ziemlicher Sicherheit festgestellt, und der Geheimpolizist hatte beschlossen, das Nest womöglich noch an demselben Abend auszuheben.

Wake brachte dies zufällig in Erfahrung und er beschloß, den Detektivs zuvorzukommen. Er fand den Mann, welcher ihm Jane's Brief überbracht hatte, in der Nähe des bezeichneten Hauses und verabredete auch sofort einen Plan mit demselben, um die Befreiung noch an demselben Abend durchzuführen.

Das Zimmer, in welchem Miß Palmer eingesperrt war, befand sich etwa zehn Fuß über dem Erdboden. Vor dem einzigen Fenster befanden sich schwere Läden, die von außen mit starken Nägeln in die Wand eingerammt und so befestigt waren, daß sie nur mit Gewalt erbrochen werden konnten. Durch dieses Fenster wollte Wake am Abend eindringen und das Mädchen befreien.

Beim Einbruch der Nacht öffnete er mit Hilfe des Boten, auf einer kurzen Leiter stehend, mit Gewalt die Fensterläden. Dadurch wurde der Zutritt zu dem Zimmer frei; er schob die untere Hälfte des Fensters in die Höhe und stieg in das Zimmer.

Jane, die das Geräusch gehört hatte, wartete mit klopfendem Herzen, bis ihr Befreier sichtbar wurde; dann, als derselbe vor ihr im Zimmer stand, erfaßte sie dessen Hände und drückte dieselben im stummen Dank.

Wake forderte das Mädchen auf, sich zum Verlassen dieses Ortes fertig zu machen, und während Jane dies that, versicherte er sie seiner vollen uneigennützigsten Ergebenheit und erklärte ihr, daß er von ihrer Unschuld fest überzeugt sei und er sie auch vor der Polizei in Sicherheit bringen werde.

Miß Palmer vertraute völlig dem edlen alten Herrn, dessen Züge sie so sehr an jenen erinnerten, der ihr theuer war und mit dem sie durch die ganze Welt gegangen wäre, wenn er es verlangt hätte.

In demselben Augenblicke, in welchem sie die Flucht über die Leiter antreten wollten, wurden im vorderen Theile des Hauses Stimmen laut, und gleich darauf erschallten auch schwere Tritte vor der Thür.

»Rasch durch das Fenster!« rief Wake.

Als er aber seinem Schützling beim Heraussteigen behilflich sein wollte, sah er, daß die Leiter fortgezogen war und mehrere Männer unter dem Fenster standen. Durch die Thür war gleichfalls ein Entkommen nicht möglich.

Schon nach wenigen Minuten war die Letztere von außen erbrochen und mehrere Polizisten erschienen am Eingang zum Zimmer. Wake und Rider standen sich mit Revolvern in den Händen gegenüber. Es war ein peinlicher Moment für Beide; im nächsten Augenblicke aber senkte Jeder seine Waffe. Ein minutenlanges Schweigen folgte noch, während dessen sich aller Anwesenden eine gespannte Erwartung auf die Entwicklung der Dinge bemächtigte.

Franklin Rider ergriff zuerst das Wort; Mr. Wake die Hand hinhaltend, sagte er: »Ich weiß jetzt, wer Sie sind, und ich kenne die Beweggründe für Ihr Handeln, denn der Polizei-Superintendent hat mich auf mein dringendes Verlangen über Ihre Persönlichkeit aufgeklärt. Sie sind Roger Warren, der Bräutigam Jane Palmer's.«

»O, mein Roger!«

Mit diesem Ausruf der Freude sank das Mädchen an die Brust des silberweißen alten Herrn.

Dieser umschloß das geliebte Mädchen mit seinem starken Arm und sagte: »Ja, mein Liebling, ich bin Roger Warren, und nach Jahren der Trennung sind wir endlich wieder vereint.«

»Aber, o ich Unglückliche!« rief Jane in Thränen ausbrechend; »kaum haben wir uns wiedergefunden, so müssen wir uns aufs Neue trennen. Rachel Gibbs hat mich des Mordes an meinen Vater angeklagt.«

»Geliebte, der Schleier muß jetzt gelüftet werden, und Du wirst ohne alle Rücksichten auf irgend Jemanden die uns noch unverständlichen geheimnisvollen Vorgänge jener Nacht erklären. Du wirst Alles bekennen, was zur Ermittlung der vollen Wahrheit führen kann.«

»Es sei, wie Du es wünschest!« erwiderte Jane. »Es war ein schwerer Irrtum von mir, dies nicht sofort zu thun, und dem unschuldig angeklagten Hicks wäre ebenso viel Unrecht und Leid erspart worden, wie mir selbst, die um kein Haar mehr Schuld auf sich geladen hat, als die Anderen.«

»Sie werden durch volle Offenheit sich selbst und allen Uebrigen den größten Dienst erweisen,« versetzte jetzt Rider; »es muß volle Klarheit in die Sache kommen. Ihre Bereitwilligkeit, Alles aufzuklären wird uns viel unnötige Arbeit, Ihnen aber große Belästigungen ersparen.«

Roger Warren blickte seine wiedergewonnene Braut mit Besorgnis an, denn eine Anwandlung von Schwäche schien dieselbe überkommen zu haben; ehe er sich jedoch noch dessen versah, war sie in Ohnmacht gesunken und lag bewußtlos am Boden.

Die Einwirkung der Ereignisse, des Schreckens und der Leiden, von denen ein geheimes Seelenleiden das Schlimmste war, hatten zu schwer an ihrem ganzen Nervensystem gerüttelt und ihre Widerstandsfähigkeit allmählig untergraben. Die gleichzeitige Wirkung von Schrecken und Freude hatte ihre ohnehin erschütterte Gesundheit vernichtet.

Der sofort herbeigerufene Arzt erklärte, daß hier ein heftiges Nervenfieber vorliege, dessen Verlauf unberechenbar sei.

Jane Palmer wurde in eine Privat-Heilanstalt überführt und dort mit aller Sorgfalt gepflegt: aber schon nach wenigen Stunden lag sie in den heftigen Fieberphantasieen da und sprach über Gefahren und Drohungen, in denen Niemand einen Zusammenhang finden konnte.

* * *

Die Auskunft, welche der Polizei-Superintendent dem Detektiv Rider über Robert Wake gegeben hatte, erklärte in hinreichender Weise dessen geheimnisvolles Auftreten und dessen Erscheinen in New-York in der Maske eines hohen Sechzigers, während derselbe in der That im besten Mannesalter stand und nur sechsunddreißig Jahre zählte.

Vor einer Reihe von Jahren hatte er, als das nominelle Oberhaupt eines großartigen Schwindel-Unternehmens, bei dem alle Beteiligten, mit Ausnahme der wirklichen, im Hintergrunde stehende Leiter Statton und Kent, ihr Geld verloren hatten, von New-York entfliehen müssen, um sich der Strafe des Gesetzes zu entziehen. Er selbst war von Statton und Kent nur als der Sündenbock vorgeschoben worden und hatte sein Geld ebenso wie alle anderen Aktionäre verloren, da er volles Vertrauen in die Ehrlichkeit der eigentlichen Unternehmer gesetzt hatte.

Auch Melville Palmer war damals mit einer bedeutenden Summe ein Opfer des ihm von dem Bräutigam seiner Tochter empfohlenen Unternehmens geworden, und der alte, ehrliche Kassirer hatte infolge dessen Jane jeden weiteren Verkehr mit einem frechen Schwindler, wie er ihren Verlobten genannt, untersagt. Das damals wenig über sechzehn Jahre alte Mädchen hatte auch in gutem Glauben an ihres Vaters Ehrenhaftigkeit und Wahrheitsliebe jede weitere Verbindung mit dem jungen Manne abgebrochen.

Warren hatte gleich damals Statton und Kent mit Vergeltung gedroht; diese aber hatten den armen Bankerotteur nur höhnisch ausgelacht und ihm den Rat gegeben, sich schleunigst aus dem Staube zu machen, wenn er nicht in's Gefängnis wandern wollte.

Der junge Mann war mit einem Segelschiffe nach dem Kap der guten Hoffnung gegangen und hatte dort sein Glück versucht. Dasselbe lächelte ihm, als er sich, wie tausend Andere, auf das Suchen von Diamanten verlegte. Aber er hielt sich nicht lange bei dieser immerhin mühseligen Arbeit auf, nachdem er erst aus den gefundenen Edelsteinen einen hinreichenden Geldbetrag gelöst hatte, warf er sich auf den Handel mit Waren, die zum täglichen Gebrauch der Diamantensucher notwendig waren. Hierdurch erzielte er ganz bedeutende Gewinne und errichtete sehr bald großartige Zweiggeschäfte, wodurch er einer der bedeutendsten Großhändler des Kaplandes wurde und auch jetzt noch war.

Nachdem er ein großes Vermögen erworben, beschloß er, dasselbe dem Zwecke zu widmen, seine Unschuld an jenem Bankerotte in New-York zu beweisen und die Gauner Statton und Kent zu ruinieren, da er die denselben geschworene Rache nicht vergessen hatte. Erst dann, wenn seine Unschuld festgestellt war, wollte er sich wieder um Jane Palmer bewerben, falls dieselbe inzwischen nicht einen Anderen geheiratet hatte.

Das junge Mädchen hatte in der Zwischenzeit eine Unterredung zwischen ihrer Dienerin Rachel und Tibald Gibbs mit angehört, in welcher der Letztere, der vorher lange Jahre hindurch im Dienste von Statton und Kent gestanden und auch später noch deren Vertrauter und geheimer Spion blieb, der Schwester vertraute, daß Roger Warren nur das Opfer der Vorspiegelungen von Statton und Kent geworden war, selbst aber keinen wissentlichen Anteil an dem stattgehabten Betruge gehabt hatte.

Nachdem Jane dies erfahren, hatte sie sofort an ihren früheren Verlobten, dessen Adresse dieser ihr selbst bald nach seiner Ankunft in Port Elisabeth geschickt, geschrieben und ihn ihrer unwandelbaren Liebe und Treue versichert. Es war dies jenes Schreiben, das Robert Wake erst vor wenigen Tagen in New-York erhalten und welches ihn so sehr beglückt hatte.


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