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Der Coroner fuhr nach Erledigung des Zwischenfalls in den Verhandlungen fort. Als Ersten rief er noch einmal den Detektiv auf den Zeugenstand.
Die Aussagen Franklin Rider's waren mit denen des Sergeanten gleichlautend bis zu dem Punkte, wo er auf die zerbrochenen Riegel am Fenster zu sprechen kam. Von hier an sprach er in fließendem Zusammenhänge wie folgt: »Die Haken an den Fensterläden, meine Herren Geschworenen, sind nicht von innen abgebrochen worden, sondern dieselben wurden von außen mit einem Brecheisen abgerissen; die Fußspuren des Einbrechers sind noch deutlich unter dem Fenster zu erkennen. Ebenso befinden sich Merkmale an der Wand unter dem Fenster, daß er, sich mit den Händen an der Fensterbrüstung festhaltend und die Fußspitzen gegen die Wand gestemmt, dort hinaufkletterte und durch das Fenster in die Office stieg.
Es scheint mir daher klar, daß der Mörder und Räuber kein Bewohner dieses Hauses war, und ich glaube ferner, daß derselbe keine unbedingte Kenntnis von dem zufälligen Vorhandensein einer so bedeutenden Summe im Geldschrank hatte. Ich habe mich mit diesem Falle sehr eingehend beschäftigt und bin zu der Ansicht gekommen, daß, als der Einbrecher das Haus betrat, Meville Palmer sich nicht in der Office befand, aber bald darauf in dieselbe trat. Der Eindringling hatte sich nahe der Thür hinter oder unter dem Schreibpult versteckt und wurde von dem Verstorbenen nicht bemerkt; dieser öffnete den Schrank, um sich zu überzeugen, ob die große Geldsumme, die er in denselben gelegt hatte, auch in sicherem Gewahrsam war. Bei dieser Gelegenheit sah der sich im Versteck Befindende das Geld und faßte den plötzlichen Entschluß, sich des selben unter allen Umständen zu bemächtigen: in dem Augenblicke, als der alte Mann sich seitwärts wendete, feuerte er den Schuß ab.
Die Thatsache, daß Niemand den Schuß gehört hat, erkläre ich mir dadurch, daß der Mörder sich einer sogenannten Luftpistole bediente, welche sich ohne Knall entladet; erst nachdem Palmer niedergestürzt war, beging er den Raub und entfloh durch die Hausthür. Aus diesen Gründen bin ich überzeugt, das es irrig ist: David Hicks im Verdacht des Raubes und Mordes zu haben, und ich betrachte seine plötzliche Abreise in der Nacht eher für einen Beweis zu seinen Gunsten, als für einen solchen gegen ihn.
Angenommen, irgend eine Person die nicht geradezu für das Irrenhaus reif ist, hätte dieses Verbrechen geplant und ausgeführt, so hätte es ihr doch klar sein müssen, das eine Flucht gleichbedeutend mit einem Schuldbekenntnis sein würde, und sie hätte keinen Augenblick daran gedacht, einen so gefährlichen Schritt zu thun. Im Gegenteil, der natürliche Weg für einen solchen Verbrecher würde gewesen sein, das Geld zu verstecken und, indem er dann den sich etwa ergebenden. Folgen dreist in's Auge schaute, als ein unschuldig scheinender Mann am Platze zu bleiben. Wer der Mörder ist, vermag ich noch nicht zu sagen, aber ich werde das dichte Dunkel, das vorläufig noch über dieser That schwebt, aufhellen und früher oder später meine Hand auf den Verbrecher legen.«
Der Jury leuchteten die Auseinandersetzungen des Detektivs ein; die Mitglieder derselben nickten wie zustimmend mit den Köpfen, und wenn sie aufgefordert wären, in diesem Moment ihr Verdickt abzugeben, so würde dasselbe unzweifelhaft dahin gelautet haben, das Melville Palmer von der Hand einer Person getötet worden sei, welche der Jury unbekannt.
Aber in demselben Augenblicke, in welchem Rider vom Zeugenstande zurücktrat, erschien ein Telegraphenbote im Zimmer und übergab dem Sergeanten eine Depesche.
Indem dieser sich an den Coroner wendete und ihn von dem Inhalt der soeben empfangenen Mitteilung unterrichtete, sagte er: »Die Depesche, welche übrigens sehr verzögert worden ist, berichtet mir, daß David Hicks in dem Moment verhaftet wurde, als er im Begriffe stand, von einem Eisenbahnzuge zu steigen, und daß er noch im Laufe des Vormittags unter Bedeckung wieder hier eintreffen wird.«
»Dies ist keine angenehme Nachricht,« flüsterte der Detektiv dem Effektenmakler zu, »denn es ist ein Beweis, daß der junge Mann die Stadt verlassen hat. Dieser Umstand mag gegen ihn sprechen, und Sie sollten ihren Einfluß auf ihn aufbieten, daß er eine befriedigende Aufklärung über sein Verhalten giebt.«
»Ich werde dies thun,« antwortete Dwight. Bei sich aber dachte er, daß, wenn die Ursache von David's nächtlicher Fahrt wirklich keine andre war, als die, welche er befürchtete, er es nicht einmal wagen durfte, Hicks um eine den Thatsachen entsprechende Darstellung des Sachverhaltes zu ersuchen. »Schwacher, elender und schuldbewußter Mann, der ich bin!« flüsterte er vor sich hin. »Ich befinde mich in der verzweifelten Lage meines Lebens, und eine Bloßstellung ist jeden Augenblick zu erwarten.«
Während dessen berührte Jane Palmer den Arm Rider's und als er sich zu ihr neigte, raunte sie ihm in's Ohr; »Glauben Sie, daß Mr. Hicks auf das bis jetzt vorgebrachte Beweismaterial hin eingekerkert werden kann?«
»Nach den bisher gemachten Aussagen dürfte die Jury noch kaum imstande sein, ein Verdikt gegen ihn fällen zu können; aber jedenfalls wird es notwendig sein, daß er eine befriedigende Aufklärung über seine plötzliche Abreise abgiebt,« antwortete der Detektiv.
Eine Minute später entstand ein Gedränge vor der nach dem Korridor führenden Thür, und schwere Tritte wurden vernehmbar. David Hicks wurde von zwei Polizisten in das Zimmer geführt.
Der Makler, Jane, die übrigen Clerks des Geschäftes, welche anwesend waren, und Rider waren gleichzeitig aufgesprungen und blickten dem jungen Mann erwartungsvoll ins Gesicht.
Der Verhaftete schaute frei und selbstbewußt um sich und als er Mr. Dwight und Miß Palmer vor sich sah, verneigte er sich gegen Beide mit einem freundlichen Lächeln. Auch seine Kollegen grüßte er in herzlicher Weise; dann sagte er, gegen den Coroner gewendet, mit sicherer klarer Stimme: »Wie mir mitgeteilt wird, bin ich unter dem Verdacht verhaftet worden, den mir befreundeten Kassirer unseres Geschäftes, Mr. Melville Palmer, ermordet zu haben. Wollen Sie so freundlich sein, mir die Gründe für einen so wahnsinnigen Verdacht anzugeben?«
Es war unverkennbar, daß sich der junge Mann in einem Zustande höchster Aufregung befand und daß er seiner ganzen Willenskraft bedurfte, um einen Ausbruch des Zornes zu unterdrücken.
»Ich bedaure, Ihnen erklären zu müssen, daß Ihre plötzliche Abreise mitten in der Nacht, verbunden mit anderen Umständen, wie beispielsweise Ihre Kenntniß, daß eine große Summe im Geldschrank aufbewahrt wurde, welche jetzt fehlt, eine befriedigende Aufklärung Ihres Reisezweckes unbedingt nötig machen,« entgegnete der Gefragte in entschiedenem Tone.
Das tiefste Schweigen war in dem Raume eingetreten; Alle hingen mit gespannter Erwartung an David's Lippen, denn nach seinem festen Auftreten zu urteilen, aus welchem die Empörung über den gegen ihn vorliegenden Verdacht offen hervorschaute, mußte er im Stande sein, denselben mit einer einfachen Erklärung zu entkräften.
Die Augen des jungen Mannes suchten diejenigen seines Prinzipals; als sich aber Beider Blicke begegneten, schlug der Letztere verlegen die seinigen nieder.
»Ja, er kennt meine Handlungsweise,« mußte sich der Effektenmakler eingestehen.
Nunmehr blickte Hicks nach Miß Palmer hinüber. Von dem Moment an, wo ihm die ihn verhaftenden Polizisten mitgetheilt hatten, daß Melville Palmer in der Office des Dwight'schen Geschäftes ermordet gefunden worden sei, konnte er das Bild nicht mehr aus seinem Gedächtnisse bannen, wie Jane bleich, verstört und mit allen Anzeichen des größten Entsetzens, als ob sie von Gespenstern verfolgt würde, aus der Office getreten und die Treppe hinaufgeflohen war.
Das Mädchen überkam es unter diesen Blicken wie ein Schauer; Angst drückte sich auf ihrem Antlitz aus, und sie umfaßte die Stuhllehne, um sich daran zu halten.
Hicks bemerkte die Veränderung, welche mit Jane vorging, und ein fürchterlicher Gedanke zuckte durch sein Gehirn. Aber fast eben so schnell, wie derselbe gekommen, wies er ihn auch wieder von sich, denn etwas so Entsetzliches war völlig undenkbar. Nur das Eine schien bei ihm festzustehen, daß das Mädchen mit dem geheimnißvollen Dunkel, das über der Mordthat schwebte, in irgend einer Weise in Verbindung stehen müsse.
Der junge Mann war einer von den wenigen edlen Charakteren, die ihr eigenes Interesse dem Wohle Anderer unterordnen können; er hatte beschlossen, keine Erklärung seines Reisezweckes abzugeben, denn um dies zu thun, hätte er ein Geheimniß preisgeben müssen, welchem er nur durch Zufall auf die Spur gekommen war und das auszuplaudern er sich nicht für berechtigt hielt. Er war nicht ohne Besorgniß, daß sein Verhalten ihn seinen Freunden entfremden würde, aber er betrachtete es als eine Ehrenpflicht, seinem Vorsatz getreu zu bleiben.
»David Hicks, Sie werden jetzt den Zeugeneid ablegen, die volle und die ganze Wahrheit zu sagen, und dann werden wir vernehmen, was Sie uns mitzuteilen haben,« sprach jetzt der Coroner.
Der junge Mann wurde vereidigt, und er begann: »Meine Erklärung ist sehr einfach; ich kann nur sagen, daß mich wichtige Geschäfte plötzlich aus der Stadt abriefen und ich es für geboten hielt, meine Reise geheim zu halten. Was die Verbindung meiner Person mit dem verübten Verbrechen anbelangt, so werden Alle, die mich kennen, die Möglichkeit meiner Schuld verwerfen; fremden Personen gegenüber mag der Fall eintreten, daß dieselben an meiner Unschuld zweifeln, obwohl es allgemein bekannt ist, wie fest ich durch aufrichtige Freundschaft und Hochachtung mit Melville Palmer verbunden war.«
Dieses freie und furchtlose Auftreten David's wollte dem Sergeanten, der für die Verhaftung des jungen Mannes verantwortlich war, gar nicht recht gefallen, und er sann auf ein Mittel, wie er denselben zu überführen imstande sein könnte. Endlich glaubte er das richtige gefunden zu haben; er erhob sich, trat auf den Verhafteten zu und sprach: »Sehen Sie hierher!«
Darauf zog er das Tuch, welches über die Leiche des Ermordeten gedeckt war, hinweg und enthüllte dadurch die erstarrten blutumzogenen Gesichtszüge.
Wenn der Polizeibeamte aber geglaubt hatte, Hicks würde vor dem Anblicke des Ermordeten zurückschrecken, sein Schuldbewußtsein würde zum Durchbruch kommen und ihn mit Qualen des Gewissens martern, so war er sehr enttäuscht, denn David beugte den Kopf leicht über die erstarrten Züge des Toten und rief mit schmerzlicher Miene: »Armer Freund! Dein Tod muß gerächt werden!«
Sowohl seine Stimme, wie sein Benehmen waren so natürlich, daß Diejenigen, welche ihn hörten, sich eines günstigen Eindruckes nicht erwehren konnten: selbst des Coroners Stimme klang freundlicher, als er sah, welchen Erfolg die Handlungweise des Sergeanten gehabt hatte und wie wenig denkbar es war, daß der unbescholtene junge Mann einer Verstellung und Verhärtung des Gemütes fähig sein sollte, wie sie kaum einem Veteranen des Verbrechertums zugetraut werden konnte.
»Um welche Zeit verließen Sie in der letzten Nacht das Haus, Mr. Hicks?« fragte der Coroner.
»Es war noch nicht ganz ein Uhr,« erwiederte David; ich hatte meine Weckuhr auf Eins gestellt und war, ohne mich zu entkleiden, eingeschlafen. Durch irgend ein Geräusch wurde ich jedoch früher geweckt, ohne daß ich mir darüber klar werden konnte, welcher Art dasselbe war. Ich sprang auf und sah nach der Uhr, die in jenem Moment auf zwanzig Minuten zu Eins zeigte; etwa eine Viertelstunde später verließ ich das Haus.«
»Ah, er gesteht, das er sich zur Zeit des Mordes noch im Hause befand; er weiß also nicht, daß der Zeitpunkt des Mordes durch die vom Tische gefallene Uhr genau festgestellt ist,« flüsterte der Sergeant Rider zu.
»Warten Sie mit Ihren Spekulationen lieber bis zum Schluß des Verhörs,« gab der Detektiv in demselben Tone zurück.
»Weshalb reisten Sie die letzte Nacht so plötzlich ab?« fuhr der Coroner fort.
»Ich sagte Ihnen bereits, daß ich durch wichtige Geschäfte abgerufen wurde; ich war auf dem Wege zu einem Freunde.«
»Aber Sie nannten nicht den Zweck Ihres Geschäftes!«
»Es war eine reine Privatangelegenheit, die durchaus nichts mit diesem traurigen Falle zu thun hat.«
»Dies mag sein,« versetzte der Coroner; »dann können Sie uns aber wenigstens den Namen Ihres Freundes nennen.«
Hicks zögerte einen Augenblick; dann antwortete er: »John Elliot.«
Bei der Nennung dieses Namens verriet Mr. Dwight eine sonderbare Unruhe. Wenn er noch Zweifel gehegt hatte, ob der Verlobte seiner Tochter um Alles wußte, so waren dieselben nunmehr vollends geschwunden; er zweifelte keinen Moment, daß David in der That zu Elliot hatte reisen wollen und daß er jetzt nichts weiter sagen, nichts verraten wollte, um ihn vor Schande zu schützen. »Um meiner Tochter willen begiebt er sich lieber selbst in Gefahr; er ist ein edler Charakter, dessen Freundschaft ich nicht wert bin,« murmelte er fast unhörbar vor sich hin.
»Sie weigern sich also, uns eine einfache, ehrliche Erklärung Ihres Verhaltens zu geben?« fuhr der Coroner fort. »Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihr eigenes Interesse es dringend erheischt, uns nichts zu verheimlichen.«
»Ich darf Ihnen keine weiteren Aufschlüsse geben, denn der Zweck meiner Fahrt betrifft eine dritte Person, deren Geheimnisse ich achten muß.«
»Gut, dann werden wir Mr. Elliot über Ihre Geschäfte mit ihm befragen müssen,« versetzte der Coroner.
Hicks biß sich auf die Lippen, und der Makler erbleichte; der Letztere fühlte, wie das drohende Verhängnis seiner Bloßstellung näher rückte.
»Daran hatten Sie wohl nicht gedacht, als Sie den Namen Ihres Freundes nannten?« fragte der die Untersuchung Leitende spöttisch.
Der junge Mann hatte eine ärgerliche Entgegnung auf den Lippen, aber er beherrschte sich und schwieg.
Der Coroner examinirte Hicks noch auf verschiedene Weise, um zu sehen, ob nicht doch noch etwas über die nächtliche Fahrt aus ihm heraus zu bringen sei; aber dieser blieb bei seiner einmal eingeschlagenen Zurückhaltung, und alle Versuche, ihn aus derselben herauszudrängen, scheiterten.
Rider betrachtete das Verhalten des Angeschuldigten als nahezu selbstmörderisch und sprach diese Ansicht dem Makler gegenüber aus.
Dwight stöhnte nur als Antwort, und alle Zeichen wiesen bei ihm auf eine tiefe Erregung; er wußte, daß seine Tochter an Hicks mit allen Fasern ihres hingebenden Herzens hing, daß das Schicksal der beiden jungen Leute miteinander eng verkettet war, und ihn schauderte bei dem Gedanken an die große Gefahr, die über David's Haupt schwebte.
Das Verhör war beendet, und der Coroner ordnete nunmehr die Durchsuchung des Angeschuldigten an.
Bei diesem Befehl überzog Zornesröte das männlich schöne Antlitz David's und er rief erregt: »Wollen Sie mich der Schande unterwerfen, wie ein gemeiner Dieb behandelt zu werden?«
»Die Justiz kennt keine persönlichen Rücksichten!«
»Gut! So führen Sie die Komödie zu Ende!« kam es zornbebend aus David's Munde.
Die Durchsuchung begann, und das, was dieselbe zutage förderte, wirkte gleich Keulenschlägen auf alle Anwesenden, die, mit Ausnahme des Sergeanten, bis dahin noch immer an die Unschuld des jungen Mannes geglaubt hatten. Jane Palmer preßte unwillkürlich beide Hände vor die Brust, und Rider stand wie versteinert da.
Der mit der Durchsuchung des Angeschuldigten beauftragte Polizist zog aus der inneren Brusttasche des Ueberrockes ein Bund Nachschlüssel, sogenannte Dietriche oder Diebesschlüssel und eine Anzahl Wachsabdrücke hervor, nach denen diese angefertigt worden waren.
David wankte, als wollten ihn die Beine nicht mehr tragen, und ohne selbst zu wissen, was er that, schlug er sich mit der flachen Hand vor die Stirn und rief: »Dies ist mein Verhängnis! An die Schlüssel und Abdrücke hatte ich nicht gedacht!«
Die Gegenstände wurden dem Coroner gereicht, der sofort feststellte, daß je einer von den Nachschlüsseln zu den Thüren der Office und des Hausflurs paßte; ein solcher, mit dem der Geldschrank geöffnet werden: konnte, befand sich jedoch nicht darunter.
»Wie kommen diese Nachschlüssel in Ihren Besitz? Was bezweckten Sie mit denselben?« fragte der Coroner.
»Die Schlüssel sind gegen meinen Willen und ohne mein Wissen in meinen Besitz gelangt, und ich glaube, daß ich die Art und Weise, wie dies geschehen ist, erklären kann,« sagte Hicks..
Er wollte weiter sprechen, wurde jedoch unterbrochen.
Der Polizist, welcher die Thür bewachte, meldete mit lauter Stimme: »Ein neuer Zeuge ist da, der wichtige Mitteilungen zu machen hat.«
Der in das Zimmer Tretende war der allen Anwesenden sehr wohlbekannte Mr. Thomas Statton, Teilhaber der Maklerfirma Statton und Kent. Er wurde von dem Coroner ersucht, Platz zu nehmen, während der letztere in der Vernehmung David's fortfuhr.
Hicks erzählte nun die Erlebnisse seiner nächtlichen Fahrt und wie er in den Besitz der Diebeswerkzeuge gekommen war. Er hatte den Bahnhof in dem Moment erreicht, als der Zug sich in Bewegung gesetzt, und er war noch eiligst in den letzten Wagen, den Rauchwaggon, gesprungen; dort hatte sich bald ein junger Herr zu ihm gesellt, der offenbar das Bedürfnis, sich zu unterhalten, empfunden und ein Gespräch mit ihm angeknüpft hatte. Der Fremde hatte sich als Sohn eines Bostoner Kaufmanns vorgestellt, dessen Vater in kaufmännischen Kreisen sehr gut bekannt war.
In dem überheizten Wagen war es sehr warm gewesen; dies hatte auch David empfunden, als sein Begleiter sich mit der Bemerkung seines Ueberrockes entledigt, man könne es sich ebensogut bequem machen, wie schwitzen. Hicks hatte ebenfalls seinen Ueberzieher abgelegt und, als sein Reisegefährte nach einiger Zeit schläfrig zu sein vorgegeben hatte und auch wirklich eingenickt war, gedacht ein kleines Schläfchen könnte ihm nichts schaden; wenige Minuten später war er gleichfalls eingeschlummert und erst erwacht, als der Kondukteur den Namen seines Reisezieles, Newburg, ausrief.
David sprang auf und griff nach seinem Rock; derselbe war jedoch verschwunden und mit ihm sein Reisebegleiter; wohl aber lag auf seinem Platze derselbe Ueberzieher, den jener getragen. Er hielt dies für eine Verwechselung, wie sie auf der Reise, besonders bei Nacht und in der Eile, leicht vorkommen kann. Zum Besinnen war keine lange Zeit, deshalb fügte er sich geduldig in die Verwechselung und zog den zurückgelassenen Rock statt des seinigen an.
Nachdem Hicks den Zug verlassen hatte, wollte er sich der Stadt zuwenden; aber er war noch keine zehn Schritte gegangen, als ein Polizist die Hand auf seine Schulter legte und sagte: »Sie sind verhaftet!«
»Diesmal haben wir den Rechten,« sprach ein zweiter nun hinzutretender Polizist, indem Beide den jungen Mann in die Mitte nahmen, führten sie ihn nach dem Wartesaal, um den nächsten nach New-York abgehenden Zug zu erwarten.
»Was soll diese Verhaftung bedeuten?« rief David empört. »Hier muß ein Irrthum oder eine Verwechselung vorliegen.«
»Sie sind doch David Hicks, oder sind Sie es vielleicht nicht?«
»Gewiß der bin ich; aber was wollen Sie von mir?«
»Wir haben Befehl, Sie sofort nach New-York zurückzubringen.«
»Unter diesen Umständen werde ich mich wohl fügen müssen; ich bitte Sie nur darum, mir einen kurzen Besuch bei meinem Freunde zu gestatten, worauf ich gern bereit bin, Ihnen zu folgen.«
»Dies ist unmöglich,« antworte der eine der Polizisten; »unsere Instruktionen sind bestimmt, und der nächste Zug kommt in zehn Minuten hier durch.«
»Welches Verhängniß!« rief Hicks. »So habe ich also die Reise vergeblich gemacht!«
Auf der Rückfahrt erfuhr der junge Mann durch die Polizisten von der Ermordung Melville Palmer's und den gegen ihn vorliegenden schrecklichen Verdacht. An die Untersuchung des nicht ihm gehörigen Rockes hatte er gar nicht gedacht, und so kam es, daß er in der Tat von dem Vorhandensein der Diebesgeräthe nichts gewußte
Als Hicks seinen Bericht beendet hatte, belehrte ihn jedoch ein Blick auf die ungläubigen Gesichter der Geschworenen, daß dieselben seinen Worten keinen Glauben schenkten, und er rief seine Kollegen zu Zeugen auf, daß er nie ein solches Kleidungsstück besessen hätte.
Seine Bekannten konnten dies nur bestätigen und benützten gleichzeitig diesen Anlaß, ihm das Zeugniß der strengsten Wahrheitsliebe auszustellen.
Der Coroner wendete sich nunmehr an Mr. Statton. »Sie wünschen Aussagen zu machen?« fragte er denselben.
»So sagte ich dem Polizisten an der Thür, und dieser rief zu meinem Erstaunen meine Absicht sofort in das Zimmer hinein.«
Mr. Statton wurde jetzt eingeschworen und begann darauf: »Nachdem ich in meiner Office von der Tatsache unterrichtet wurde, daß sich David Hicks unter dem Verdacht, Mr. Palmer ermordet zu haben, in Haft befindet, hielt ich es für meine Pflicht als Bürger von einem Umstande Mittheilung zu machen, welcher vielleicht über die That Aufklärung geben kann. Der Mord scheint mir nur ein unvorgesehener Zwischenfall bei der Beraubung des Geldschrankes zu sein; Tatsache ist, daß Hicks weit über seine verfügbaren Mittel in Börsenspekulationen verwickelt war und, da er uns über diese Mittel täuschte, schließlich unser Schuldner bis zum Betrage von zehntausend Dollars geworden ist. Für diesen Betrag gab er uns diesen auf zehntausend Dollars lautenden Sola-Wechsel, der schon seit einigen Tagen fällig ist. Am Tage vor dem Morde, also vorgestern, schickten wir ihm eine briefliche Notiz, daß wir, wenn er seinen Verbindlichkeiten nicht sofort nachkäme, uns an seine reiche Tante wenden würden, deren Erbe er angeblich werden soll. Er antwortete uns, daß wenn wir dies täten, alle seine Hoffnungen vernichtet würden, denn die Tante habe bestimmt erklärt, sie wolle ihr Geld nicht in solcher Weise verschwendet sehen; er behauptet sogar, unter solchen Umständen würde er enterbt werden. Ich persönlich bedauerte den jungen Mann, aber mein Socius wollte ihm keinen Aufschub gewähren, weil derselbe ihm einmal in roher Weise begegnet war. Hicks sagte, er wisse kein Mittel, um sich aus der Verlegenheit zu helfen, erlangte aber schriftlich von Mr. Kent das Versprechen, bis zum heutigen Tage nichts in der Sache zu unternehmen. Mir scheint es nun, daß die Beweggründe zu dem Raube klar zutage liegen; er wollte uns mit dem auf diese Weise errungenen Gelde bezahlen, um sich das Vermögen seiner Tante zu retten.«
David hatte schweigend zugehört, aber die innere Wut und Aufregung leuchteten ihm aus den Augen. »Sie sind ein Lügner und Schuft, Thomas Statton!« rief er, als jener vom Zeugenstand zurücktrat. »Sie wollen mich vernichten! Sie haben von mir einen Wechsel über tausend Dollars, und wenn in ihren Händen zehntausend Dollars daraus geworden sind, so haben Sie eine Fälschung begangen! Für den wirklichen Betrag habe ich das Geld auf der Bank bereit liegen, und ich hätte Ihnen heute den Check zugeschickt.«
»Armer junger Mann! er versinkt in der Lüge und der Täuschung; dem einen Laster folgen die andern,« sagte Statton in einem Tone, der Mitleid ausdrücken sollte.
»Also auch die Beweggründe für die That sind gefunden; der Fall ist jetzt klar,« sprach der Sergeant in diesem Augenblicke vor sich hin.
Auch auf den Gesichtern der Geschworenen und Zuhörer war deutlich zu lesen, daß man Statton mehr glaubte als Hicks.
Da nunmehr keine weiteren Anhaltspunkte für die Untersuchung vorlagen, so erklärte der Coroner dieselbe für geschlossen, und kurze Zeit darauf gaben die Geschworenen ein Verdikt dahin ab, daß Melville Palmer von einer Person getötet wurde, die nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, daß aber starke Verdachtsgründe auf David Hicks als den Thäter wiesen.
Der Coroner ordnete darauf die Abführung des jungen Mannes nach dem Gefängnisse an bis zum weiteren Eingreifen des Gerichtes.
Ehe Hicks aber fortgebracht wurde, trat Mr. Dwight an ihn heran: er schüttelte ihm warm beide Hände und sprach ihm Mut zu, da das Geheimniß sich bald aufklären müsse.
»Und werden Sie Magdalen sagen, daß ich unschuldig bin?« fragte David gespannt.
»Meine Tochter wird nie an Ihrer Unschuld zweifeln!« war die einfache, aber entschiedene Antwort des Maklers.
Auch Jane Palmer drängte sich an den jungen Mann heran, und mit einer Bestimmtheit, welche keinen Zweifel an ihrer Ueberzeugung aufkommen ließ, versicherte sie: »Ich weiß, daß Sie unschuldig sind, Mr. Hicks, und Sie müssen gerettet werden!«