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Siebentes Kapitel.

. Der Geheimpolizist, welcher die Ueberwachung des Officedieners übernommen hatte, meldete seinem Kameraden Rider, daß Gibbs einen Tag Urlaub genommen, ein Billet nach Newburg gekauft habe und am nächsten Tage mit dem ersten Zuge dorthin abreisen würde.

»Ich werde ihn begleiten, ohne daß er eine Ahnung davon hat,« meinte Franklin darauf, und am nächsten Morgen befand er sich in der That mit Tibald in demselben Eisenbahnwagen aus der Fahrt nach Newburg.

Der Detektiv hatte sich in die Maske eines jungen Gecken geworfen, der vor Uebermut nicht wußte, was er anstellen sollte; er belästigte mit seinem Geträller und Gepfeife in solchen Tönen die ganze Reisegesellschaft. In seiner Handtasche aber führte er das Material bei sich, um nötigenfalls eine andere Verkleidung anlegen zu können.

In Newburg angekommen, begab sich Tibald Gibbs direkt zu dem Grundeigenthums-Makler; Rider folgte ihm und trat wenige Minuten nach ihm in das Büreau.

Tibald entfernte sich mit dem Agenten nach der Privatoffice, während Franklin in der Hoffnung, etwas von dem Gespräche im Nebenzimmer zu erlauschen, den Gehilfen über verschiedene Lokalverhältnisse ausfragte. Es war ihm jedoch nicht möglich, von der Unterhaltung in der Privatoffice etwas zu verstehen, und er begab sich deshalb nach dem gegenüberliegenden Hotel.

Dort mietete er ein nach der Straße zu gelegenes Zimmer und bewachte die Thür der Grundeigenthums-Office; gleichzeitig legte er seine zweite Verkleidung an und ging dann in demselben Augenblicke, in welchem Gibbs auf die Straße trat, hinunter in den Korridor des Hotels. Er glich jetzt einem Greise, der schon sehr schwach auf den Beinen war; in der Hand führte er einen starken Stock als Stütze, und um die Schultern hatte er einen dicken altmodischen Shawl geschlungen.

Tibald kam gleichfalls nach dem Hotel! er wendete sich nach dem Speisezimmer und bestellte ein Mittagessen.

»Gibbs wird nun hier eine halbe Stunde verweilen,« sprach Rider zu sich selbst und begab sich nach der Office, welche Jener soeben verlassen hatte.

Mühsam Athem holend und auf seinen Stock gestützt, sah er sich in dem ziemlich großen Raume überall um und sagte dann; »Er ist nicht hier; ich habe ihn verpaßt.«

Der Grundeigenthums-Vermittler trat eben aus seiner Privatoffice und fragte den Alten, wen er suche.

»Meinen Sohn, Tibald Gibbs; er wollte um diese Zeit hier sein,« antwortete Franklin.

»Er war auch hier, hat mich aber soeben verlassen.«

»Hat er das Geschäft abgeschlossen?«

»Nein, er hat sich noch nicht bestimmt erklärt, ob er das Eigenthum kaufen will; er bot zehntausend Dollars, aber unser Preis ist zwölftausend. Ich versichere Ihnen, dasselbe ist soviel werth, und in einem Monat kann er es wahrscheinlich nicht mehr für fünfzehntausend Dollars kaufen.

»Zehntausend Dollars! Dies ist ein hoher Preis; dies ist sehr viel Geld!« sagte der Alte und verließ kopfschüttelnd die Office.

»Dies ist ja eine neue Entdeckung,« murmelte Rider draußen vor sich hin; »Tibald Gibbs will für zehntausend Dollars Grundeigenthum kaufen, und vor dem Tode Melville Palmer's besaß er noch nicht einen Dollar außer seinem wöchentlichen Lohn! Von dem gezeichneten Gelde hat er noch nichts bekommen; woher stammen nun die zehntausend Dollars, die er jetzt nutzbringend anlegen will?«

Dann fiel dem Detektiv ein, daß von den Ersparnissen Palmer's, die er sein ganzes Leben hindurch gesammelt und in seinem Privatgeldschrank verwahrt hatte, keine Spur gefunden worden war. Es lagen demnach zwei Möglichkeiten vor; Gibbs konnte nach der Ermordung des Kassirers den Schlüssel zum Geldschrank aus dessen Tasche genommen, den Raub ausgeführt und den Schlüssel dann wieder in die Tasche des Todten zurückgesteckt haben, oder er konnte sich vorher einen Nachschlüssel verschafft und das Geld schon vor dem Morde auf die Seite geschafft haben.

Nach New-York zurückgekehrt, beschäftigte sich Rider mit Ermittelung der Vergangenheit von Roger Warren, von dem jener Brief stammte, welchen der Detektiv aus den alten Papieren Palmers heimlich zu sich gesteckt hatte. Von Mr. Dwigth hörte er, daß Warren der Leiter eines großartigen Schwindelunternehmens gewesen, bei dem viele Leute ihr Hab und Gut verloren hatten; derselbe sollte ein Gauner gewesen sein, der auch das Vertrauen Palmers zu täuschen gewußt, so daß selbst dieser, welcher sich sonst nie auf Spekulationen einließ, um mehrere tausend Dollars beschwindelt worden war.

Der Geheimpolizist kam nun zu der Überzeugung, daß Warren und Powel ein und dieselbe Person und der Helfershelfer Tibald's bei der Ermordung des alten Kassirers sei. Warren war damals dem ihm drohenden Kriminalprozeß durch die Flucht aus dem Wege gegangen; er konnte aber in Verkleidung zurückgekehrt sein, ohne daß er bisher entdeckt worden war.

Zwei Tage später meldete einer der Kollegen Rider's diesem, daß Rachel Gibbs in einer Sparbank Geld deponirt habe. Weitere Erkundigung enthüllte die Thatsache, daß sie seit Palmers Tode mehrere Einzahlungen von je fünfhundert Dollars gemacht hatte, daß sich aber unter jenen Scheinen nichts von dem gezeichneten Gelde befunden hatte.

Um der Sache weiter auf den Grund zu kommen, lauerte Franklin an einem der nächsten Abende wieder an dem Fenster, das nach der Rückseite des Hauses in der Wall Street ging und in dessen Nähe Jane und Rachel vor einigen Tagen das Bild Powel's betrachtet hatten. Der Vorhang war heruntergelassen; durch eine Lücke an der Seite konnte der Detektiv aber bemerken, wie Jane eine große Summe Geldes auf den Tisch zählte; es waren mindestens fünfhundert Dollar, welche Rachel dann einstrich und in die Tasche steckte.

»Also von Jane erhält das Frauenzimmer regelmäßig große Summen,« murmelte Rider vor sich; »ihrem Gesichtsausdrucke nach zu urteilen, muß Miß Palmer eine große Furcht vor dieser Person haben. Dies ist ein neues Rätsel, für das ich keine Erklärung habe.«

In seinem Amtszimmer angekommen, fand Franklin einen Bericht seines Kameraden vor, der mit der Ueberwachung des Officedieners beauftragt war; es war jede Minute seines Aufenthaltes in der Nacht, während deren das Verbrechen geschehen, ermittelt, außer die Zeit für ein Viertel nach ein Uhr; damit war ein weiterer Umstandsbeweis gegen Gibbs gefunden, da Palmer in der Zeit zwischen zwölf und ein Uhr ermordet worden war. Rider hätte ihn sofort verhaften lassen können, aber er hielt es für besser, damit noch zu warten und noch weitere Nachforschungen anzustellen.

Der nächste Schritt, welchen der Detektiv für nötig hielt, war eine Durchsuchung von Tibald's Zimmer. Infolge dessen begab er sich gegen Abend am nächsten Tage, wissend, daß Gibbs ausgegangen war, nach dessen Logirhaus; dort erklärte er der Hauswirtin, den Zweck seines Besuches verheimlichend, er wünsche seinen Freund zu sprechen.

»Mr. Gibbs ist ausgegangen,« antwortete ihm die Frau.

»Dann werde ich auf ihn warten, denn wir haben eine Verabredung getroffen, und er sagte mir, wenn ich kommen sollte, ehe er zurück sei, möchte ich nur in seinem Zimmer auf ihn warten.«

»Thun Sie, wie sie wünschen; die zweite Thür rechts in der zweiten Etage führt nach seinem Gelaß.«

Rider eilte hinauf und trat in das ihm bezeichnete Gemach. In demselben stand ein Koffer, den er ohne Säumen mit einem seinem Vorrat entnommenen Schlüssel öffnete; aber es befand sich nichts für ihn Wichtiges darin. Darauf untersuchte er sämmtliche Schubladen und den Kleiderschrank; in einer Ecke des letzteren fand er einen leeren Geldsack von Hanf, wie er auf der Münze zum Verpacken größerer Beträge in Gold verwendet wird. Auf dem Sacke war mit Tinte der Name »Melville Palmer« eingezeichnet.

Er verließ darauf wieder das Zimmer und eilte nach unten; der Hauswirtin sagte er, Gibbs bleibe ihm zu lange fort, er wolle ihn daher in seinem Speisehause aufsuchen.

Neben der Untersuchung des Palmer'schen Raubmordes hatte Rider noch eine andere Angelegenheit zu untersuchen, welche ihn an einem der nächsten Abende nach einer der verdächtigen Straßen an der Ostseite der Stadt, nahe an dem East River, führte. Er befand sich in sorgfältiger Verkleidung, denn unter den Verbrecher-Elementen in diesen düsteren Schlupfwinkel war er zu sehr bekannt und hatte er zu viel bittere Feinde, als daß er sich allein, ohne sich unkenntlich gemacht zu haben, bei Abend in diese Gegend hätte wagen dürfen.

Während er die schwach erleuchtete Straße kreuzte, kam eine weibliche Gestalt aus einer Seitenstraße und ging dicht vor ihm mit beschleunigten Schritten dahin. Die Gestalt kam ihm bekannt vor, und mit einigen schnellen Schritten war er an ihrer Seite; sie hatte einen Schleier über das Gesicht gezogen, aber es war windig und derselbe lüftete sich ein wenig. Ein Blick genügte um sie zu erkennen: es war Jane Palmer.

Rider war erstaunt, das Mädchen hier zu finden, aber sein Spürsinn veranlaßte ihn, in die nächste Straße abzubiegen und ihr dann unerkannt zu folgen.

Einige Straßenviertel weiter blieb Jane vor einem unscheinbaren Hause stehen und schien dort Jemanden zu erwarten.

Der Geheimpolizist schlich sich in die neben dem Hause ausmündende Seitengasse und beobachtete die weiteren Vorgänge.

Miß Palmer hatte nur wenige Minuten gewartet, als sich von der andern Seite der Straße ein Mann an dieselbe heranschlich und endlich neben sie trat. Jane reichte ihm beide Hände entgegen und schien ihn herzlich zu begrüßen; dann betraten sie zusammen das Haus und schlossen die Thür hinter sich.

Rider hielt es für geraten, nicht zu folgen, sondern wartete lieber, bis die Beiden wieder herauskamen, und es dauerte auch kaum eine halbe Stunde, so erschienen Jane und ihr Begleiter an der Thür. Die Lampe im Hausflur war inzwischen angezündet worden, und bei dem Schein derselben konnte Franklin einen vollen Blick auf das Antlitz des Mannes werfen. Der Bart war wahrscheinlich falsch oder gefärbt, aber die Narbe über dem linken Auge offenbar echt, und seine sonstige Erscheinung stimmte so genau mit der von Hicks gelieferten Beschreibung seines nächtlichen Reisebegleiters überein, daß er nicht mehr zweifelte, dieser Mann war Powel, der Mörder von Jane's Vater.

Miß Palmer und ihr Begleiter schritten zusammen bis zur nächsten Straßenecke, an der sie sich trennten.

»Jetzt muß ich meinen Mann fassen!« sagte Rider zu sich, und ehe der Verdächtige sich dessen versah, hatte er ihn mit fester Hand am Kragen gepackt.

Aber wie der Blitz fuhr der Mann herum und versetzte seinem Angreifer einen so heftigen Faustschlag zwischen die Augen, daß der Letztere strauchelte und fast zu Boden stürzte.

Der Detektiv erholte sich zwar schnell und folgte dem. Fliehenden, aber es war zu spät; der Andere verschwand in einem engen Gange zwischen zwei Häusern.

Aergerlich über sich selbst, daß er keine größere Vorsicht geübt hatte, lenkte Rider nunmehr seine Schritte zurück und beschloß, Jane Palmer ins Gebet zu nehmen. Er traf vor deren Wohnung mit ihr zusammen, als sie eben von der Unterredung mit dem Fremden zurückkam. Er hatte, sich zu einem entschiedenen Auftreten entschlossen, und indem er seine Hand auf ihren Arm legte, fragte er in bestimmtem Tone: »Miß Palmer, wer war der Mann, mit dem sie vor einer halben Stunde in jenes Haus an der Ostseite traten und eine Unterredung hatten?«

Mit einem Ausdrucke des Schreckens sah das Mädchen den Detektiv an, den sie in seiner Verkleidung nicht erkannte, und rief: »Was wollen Sie von mir, Herr?«

»Ich bin Ihr Freund und bemüht, den Mörder Ihres Vaters ausfindig zu machen; sagen Sie mir, wer jener Mann war!«

Jane lehnte sich zitternd an die Thür und schien keine Antwort finden zu können.

»Wollen Sie mir nicht antworten?« rief nun Rider, ungeduldig werdend.

Miß Palmer schwieg noch immer.

»So will ich es Ihnen sagen,« fuhr der Geheimpolizist fort; »es war Roger Warren, und ich selbst bin Franklin Rider, der Detektiv, welcher überzeugt ist, daß jener Mann Ihres Vaters Mörder ist.«

Er hatte geglaubt, mit einem plötzlichen Vorhalten seiner Entdeckungen einen vernichtenden Eindruck auf das Mädchen zu machen und sie auf diese Weise zu einem Geständnis zu bringen; aber Jane hatte sich schnell gesammelt und blickte den vor ihr Stehenden nur erstaunt an.

»Miß Palmer, ich warne Sie!« fuhr Rider fort. »Es ist die höchste Zeit, daß Sie Ihr rätselhaftes Verhalten aufklären; Sie begeben sich selbst leichtsinnig in eine große Gefahr und können darin stecken bleiben.«

»Und darf ich fragen, was Sie in meinem Verhalten rätselhaft finden?«

»Die nächtliche Zusammenkunft, sowie die Thatsache, wiederholt größere Beträge an Rachel Gibbs ausgezahlt zu haben, und endlich die so bestimmte Versicherung, daß David Hicks unschuldig ist, ohne daß Sie die Gründe dafür angeben.«

»Sie thun mir schweres Unrecht, Mr. Rider,« entgegnete Jane; »aber das Andenken meines Vaters verlangt, daß ich so handle, wie ich es thue. Dringen Sie nicht weiter in mich; aber ich will Ihnen schwören, daß Roger Warren ebenso unschuldig an der Ermordung meines Vaters ist, wie David Hicks.«

Nach diesen Worten öffnete sie die Hausthür und trat ein.

Der Detektiv hielt sie nicht zurück, obwohl er jetzt noch weniger klar sah als vorher.

In ihrem Zimmer angekommen, warf sich Jane auf das Sopha, und unter heftigem Schluchzen rief sie:

»Wie soll dies enden? Ich erkenne jetzt, daß ich einen unseligen Irrtum begangen habe; aber nachdem ich mich einmal auf diesen Weg begeben, kann ich nicht mehr umkehren, wenigstens jetzt noch nicht und nicht früher, als bis ich sehe, daß das Leben eines unschuldigen Menschen auf keine andere Weise zu retten ist.«

Rider machte noch an demselben Abend noch einen Rundgang durch die Trödlerläden der unteren Stadt, wo man mit Waffen und ähnlichen Dingen handelt. Ueberall zeigte er die Kugel vor, welche Palmer den Tod gegeben und die eine außergewöhnliche Form und ein übergroßes Kaliber hatte.

Nach mehrfachen vergeblichen Erkundigungen, ob die betreffenden Händler einmal eine derartige Waffe gekauft oder verkauft hätten, zu welcher die Kugel passen konnte, kam er zu einem solchen, der die Kugel sofort wiedererkannte.

»Ja,« sagte dieser, »die eigentümliche Art der Pistole und Ladung machte meine Neugier rege, und ich habe mir die Kugeln sehr genau angesehen, ehe ich die Waffe verkaufte; es waren außer der in der Waffe befindlichen Ladung noch eine Anzahl Kugeln vorhanden, die der Käufer ebenfalls erhielt.«

»Können Sie mir den Namen des Käufers sagen?« fragte Rider gespannt.

»In diesem Falle werde ich wohl dazu imstande sein, da der Herr, welcher dieselbe kaufte, sie nach seiner Wohnung schicken ließ und seine Adresse in mein Buch einschrieb.«

Darauf blätterte der Händler das Buch durch. »Hier steht es!« rief er dann.

Der Detektiv beugte sich hinab und las: »Melville Palmer, Wall Street; Luftpistole; acht Dollars.«

Dies war eine neue Ueberraschung für Rider. Der Ermordete war also mit seiner eigenen Waffe erschossen worden, vermutlich einer von denen, die er in seiner Waffensammlung in dem kleinen Geldschrank aufbewahrt hatte. In diesem Falle mußte er erst beraubt und dann erschossen worden sein.

»Dies ist wieder ein neues Rätsel!« sprach er vor sich hin, als er den Trödlerladen verließ.


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