Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Einlage des vorigen Briefes

Ich erwarte Deine Zurückkunft, Lovell, und bis dahin will ich für Dich diese Aufsätze schreiben, damit Du endlich die so sehnlich gewünschte Erklärung erhältst. Du hast recht, wenn Du glaubst, daß es nicht möglich sei, immer unter Träumen umherzugehn, daß der Geist endlich nach einer trocknen Überzeugung schmachtet, und diese soll Dir auch jetzt werden. – Ich habe alle Deine Briefe an Rosa gelesen und alles hat mich in meiner Meinung von Dir bestätigt; ich habe Dich jetzt kennen lernen und Du sollst nun auch erfahren, soviel es möglich ist, wie ich beschaffen bin.

Du wirst aber alle meine Gedanken vielleicht zu ernsthaft nehmen und sie eben darum weniger verstehn: es ist sehr Deine Sache, aus allzugroßer Heftigkeit in einem Gedanken etwas ganz anders zu finden, als der andere gemeint hat. Du gehörst zu jenen Lesern, die in allen Büchern nur sich selber suchen, und nicht die Fähigkeit besitzen, sich in fremde Wesen hineinzudenken. – Ich hoffe, Du sollst durch einige Nachrichten erschüttert, durch manche Gedanken sollst Du klüger werden, und wenn beides geschieht, will ich meine Zeit und Mühe nicht bereuen. – Meine Krankheit zwingt mich zu irgendeiner Beschäftigung; ich will Dir also diese Papiere als ein Denkmal von mir zurücklassen, als ein Testament, als die Erbschaft selbst, die Du von mir erwarten kannst.

 

Meine Jugend

So wisse denn, daß ich Waterloo heiße und ein Engländer bin. Ich bin mit Deinem Freunde Burton nahe verwandt, denn ich bin der Oheim seines Vaters, Du kennst durch Deinen Vater vielleicht schon meinen Namen, ja Du mußt sogar oft mein Gemälde gesehn haben, welches in einem von euern Zimmern hängt.

Ich habe schon seit lange darauf gedacht, meine Geschichte kurz niederzuschreiben, nur habe ich noch nie eine gelegene Zeit dazu finden können: jetzt, da ich nichts zu tun habe, da alle meine Bekannten mich verlassen, will ich mir die Vergangenheit zurückrufen, um mit ihr und mit mir selber zu tändeln, so wie ich bisher mit den Menschen spielte. –

Mein Vater war ein rauher und strenger Mann, ich war sein einziges Kind. Er hatte sein Vermögen in der englischen Revolution verloren, er lebte daher auf dem Lande äußerst sparsam und eingezogen, die Eitelkeit und die Pracht der Welt kannte ich nur vom Hörensagen. In einem einsamen Tale wuchs ich auf, und fast immer mir selbst überlassen, entwickelten sich in meiner Seele wunderbare Träume, die ich für die Wirklichkeit ansah. Frömmigkeit erfüllte mein Herz, ich war in einem beständigen andächtigen Taumel, es verging alles vor meinen Sinnen und Gedanken, wenn ich mir Gott und die Unsterblichkeit vorzustellen suchte. Heilige Stimmen liefen oft durch den Wald, wenn ich allein dort lag, alle Wipfel vereinigten sich dann zu einem leise brausenden Chor, und der Gesang der Vögel erschallte munter dazwischen, wie ein Weltgesang der weltlichen Freuden mit dem Segen des Himmels. Ich schlummerte oft ein und faßte dann die größten und frömmsten Entschließungen: dann hob ich meine Hände kindlich zum Himmel empor, und alle Gefühle zerrannen in meinem Herzen und vereinigten sich in einen Punkt. Tränen stürzten dann aus meinen Augen und endigten so meinen hohen Taumel. Ich hatte von der großen Liebe Gottes zu den Menschen gehört, und dies Gefühl hielt ich für diese Liebe, denn es war, als wenn mein Herz ein magnetischer Mittelpunkt wäre, der vom Himmel unwiderstehlich angezogen würde und den die körperliche Hülle kaum noch auf der Erde zurückhielte. Mein Vater war selbst im Alter fromm geworden, und seine Gespräche dienten sehr dazu, meine Phantasie noch mehr zu erhitzen. Ich kann sagen, daß ich in den überirdischen Regionen so einheimisch wurde, wie in unserm Garten, daß mir die seltsamsten Träumereien so geläufig wurden, wie meine Kinderspiele, und daß ich mich mit der ruhigsten Sicherheit für die frömmste und auserwählte Seele hielt, die dem höchsten Engel nur die Hand bieten durfte, um gleich mit ihm in Brüderschaft zu treten.

 

Enthusiasmus

Ich hielt mich in meinem Sinne, wenn ich die Geschichte, oder andre Bücher über Menschen las, für einen ganz vorzüglichen Geist. Ich traute keiner andern Brust die Empfindungen zu, die wie eine sanftwechselnde Musik in meinem Herzen auf- und niederstiegen. Diese Vorstellungen hoben mich über die ganze Welt hinaus, ich vergaß alle Dürftigkeiten des Lebens und war nur in reinen Strahlen einheimisch.

Fast jeden Menschen beherrscht in der Zeit, wenn er vom Kinde zum Jünglinge übergeht, ein hoher Enthusiasmus; der ist glücklich, der sehr schnell den Zirkel aller täuschenden Empfindungen durchläuft, um endlich, wenn er die Runde gemacht hat, sich selber anzutreffen. Die hohe Reizbarkeit dient dazu, uns in tausend Torheiten zu verwickeln, aber auch, uns über diese Torheiten zu belehren; je feinere Sinnlichkeit ein Mensch besitzt, um so eher ist es ihm möglich, recht früh klug zu werden.

Ich möchte den jugendlichen Enthusiasmus, so wie manches andre im Menschen, nichts als eine Anlage nennen, die sich zur Geschicklichkeit ausbilden läßt. Es ist eine Kunst, die man sich durch Übung erwirbt, keine von den Armseligkeiten zu erblicken, die uns in der spätern Zeit oft zurück und auf der Erde festhalten, wenn uns eben ein fliegender Taumel ergreifen will; wir stellen in der Jugend alles in einen dunkeln Hintergrund, was vor uns hin die schöne Aussicht verdecken könnte. Man nimmt sich nur vor, ein großer Mensch zu werden, solange man die Menschen und sich selber nicht kennt: es ist ein Spiel, das uns erhaben vorkömmt, weil wir uns so lange zwingen, bis wir es so finden. Dem kälteren Menschen erscheint der Enthusiasmus gerade so, wie derjenige, der kein Spiel versteht, denen zusieht, die sich mit vieler Aufmerksamkeit mit einem scharfsinnigen Kartenspiele beschäftigen.

Der Enthusiast meint, die ganze Welt sei nur darum da, um seine Entwürfe darin auszuführen, die Welt sei nur darum so sonderbar aus Übeln und Vortrefflichkeiten zusammengesetzt, damit er durch die Überwindung der Schwierigkeiten ein desto größeres Verdienst erringe. Er würde nicht mehr gut sein wollen, wenn es leicht wäre, gut zu sein, und wenn es alle Menschen mit ihm zugleich wären.

 

Liebe

Bei den meisten Menschen ist der Enthusiasmus für das Große und die Tugend nur eine Vorbereitung zur Liebe, es ist derselbe Trieb, der sich in die Allgemeinheit verliert und Ideen sucht, weil er keinen Gegenstand vor sich hat: die Liebe verarbeitet die Menschen eine Zeitlang und führt sie nachher zur Sinnlichkeit, einem Wege, auf dem sie verständiger, aber auch weit größere Toren als vorher werden können. Es ist der Kreuzweg, auf dem die meisten sich in verwickelten Irrgängen verlieren und umzukehren glauben, wenn sie immer tiefer in die Wildnis hineinrennen.

Mein Vater starb, als ich sechszehn Jahr alt war, ein tauber Schmerz erdrückte und verfinsterte meinen Geist, ich glaubte alles verloren zu haben; ein Irrtum, den jeder Mensch beim ersten Verluste begeht, weil er noch nicht in den Wechsel des Lebens eingelernt ist. – Ich trieb mich lange in der Einsamkeit herum, um meinem Schmerze nachzuhängen und aus ihm nach der ersten Betäubung eine Art von Kunstwerk zu bilden, in welchem ich mir wieder gefiel. Ich zog nach und nach meine vorigen Ideen in meinen jetzigen Zustand hinein, und so war es, als wenn sich ein sanfter Mondschimmer über mir bildete, in dessen melancholischer Dämmerung ich gerne wandelte.

Ich lernte eine Familie in der Nachbarschaft kennen, oder vielmehr, ich besuchte sie nur fleißig, weil mein Vormund mich dort eingeführt hatte. Antonie, die einzige Tochter des Hauses, lenkte nach kurzer Zeit alle meine Aufmerksamkeit auf sich; die Dämmerung um mich her ward immer traulicher, und ich hatte am Ende meinen Schmerz vergessen, indem ich immer noch sehr unglücklich zu sein glaubte.

Mein ganzes Leben bekam einen neuen Schwung und es ward mir auf eine andere Art lieb. Alle meine großen Entwürfe fielen zusammen, meine große heroische Biographie kroch in einen Seufzer ein, ein einziger holdseliger Blick erfüllte alle meine Wünsche.

In dieser Zeit ist man von allen Frauenzimmern gern gesehn, weil man sie verehrt und für göttliche Wesen hält; sie sind immer in der Gesellschaft eines jungen unerfahrnen Menschen glücklich und unbefangen; je blöder, je verlegener er sich nimmt, je lieber ist er ihnen, wenn sie ihn öffentlich auch noch so sehr verspotten. Als ich in mehrern Familien bekannt ward, war ich bei allen Frauenzimmern eine ordentliche Modeware; alle bildeten sich ein, daß sie mich erziehn wollten, um mich zu einem ganz vorzüglichen Menschen zu machen, jede entdeckte in mir Talente, die sich unter ihrem hohen Schutze gewiß vortrefflich in mir entwickeln würden. Es ward nun an mir so fein erzogen, daß ich es sogar in meiner damaligen Verstandesblödigkeit bemerkte, man wandte alles an, um mich eitel und verkehrt zu machen, meine Erzieher arbeiteten recht mühsam dahin, daß ich sie verachten mußte, weil sie eine noch höhere Verehrung von mir erzwingen wollten.

Antonie war das einzige Mädchen, das sich nicht um mich zu kümmern schien. Ich hörte so oft mit Verachtung von ihr sprechen, daß ich mir selbst am Ende einbildete, sie wäre mir verächtlich; man sagte von ihr, daß sie keinen Verstand besitze, und so schien es auch, denn sie sprach nur selten und sehr furchtsam mit, wenn die übrigen ihre feinen Gedanken auf eine glänzende Art entwickelten. Wenn ich allein bei ihr war, fühlte ich mich aber auf eine unbegreifliche Art zu ihr hingezogen, im einfältigen, fast kindischen Gespräche wurde mir dann der Verstand aller übrigen weit zurückgerückt, sie interessierten mich dann nicht, ich konnte sie selbst in der Erinnerung nicht achten. Ich wunderte mich oft über diese seltsamen Widersprüche, ich überlegte in der Einsamkeit, wodurch ich so wunderbar gestimmt werden könne, daß ich immer die entgegengesetzte Seite fände und sie jedesmal für die wahre hielte. In kurzer Zeit ward dieser Widerspruch in mir gehoben, denn ich gab mich gegen meine Überzeugung Antonien ganz hin, die Gesellschaft aller übrigen Menschen war mir schal und ermüdend, ich lebte nur für sie, ich dachte nur sie, ich träumte nur von ihr. – Selbst jetzt in der Erinnerung könnt ich mir, ein achtzigjähriger Greis, jene schöne Zeit zurückwünschen.

Meinem Ohre gab die ganze Natur jetzt nur einen einzigen Ton an, es war als wenn die Poesie mit himmelbreiten Flügeln über die Welt hinrauschte, und Sonne, Mond und Sterne anrührte, daß sie tönten: alles Volk stand unten und staunte aufwärts, vom neuen Glanz, von der nie gehörten Harmonie betäubt und verzaubert.

Ohne daß ich oft vernahm, was sie sagte, konnte mich der bloße Ton ihrer Stimme in Entzücken versetzen, alle meine Gedanken schliefen gleichsam in Blumen und in süßen Tönen, meine Seele ruhte in der ihrigen aus, und in einem Elemente, das für den Menschen zu fein ist, schwamm und spielte ich umher.

Meine übrigen Freundinnen sahen nun mit Hohngelächter auf mich hinab; sie gaben mich verloren und meinten, ich werde nun ebenso einfältig bleiben, als es meine Geliebte sei.

Ich wünschte tausendmal, für Antonien sterben zu können, für sie irgendein Verdienst zu erringen. Ich wünschte sie arm und in Unglück, um sie zu retten, in Todesgefahr, ich flehte, daß wenn sie mich nicht lieben könne, so wie ich sie liebte, der Himmel sie möchte sterben lassen, damit ich dann Ruhe hätte, damit ich auf ihrem Grabhügel so lange weinen könnte, bis ich ihr nachstürbe. – Der Mensch kann nie in irgend etwas groß sein, ohne zugleich ein Tor zu sein.

Ich bemerkte nur zu bald, daß sie mich nicht liebte; sie war zwar immer freundlich gegen mich und mehr, wie gegen manchen andern, allein sie war mit mir nie in Verlegenheit: sie erriet mich und doch kam sie mir nicht entgegen, in jedem Worte, das sie sprach, fühlte ich es innig, daß sie mich nicht liebe. Alle meine Empfindungen peinigten mich mit Folterschmerzen, ich wußte nicht, was ich wollte, ich begriff nicht, was ich dachte, alles war im Widerspruche mit sich selber, die Natur umher ward wieder stumm, die dürre Wirklichkeit kroch wieder langsam und träge aus ihrem Winkel hervor, in den sie sich versteckt hatte: es war, als würde das Instrument mit allen seinen klingenden Saiten in tausend Stücken geschlagen.

In einer recht vertraulichen Stunde gestand sie mir nun selbst, daß sie mich nicht lieben könne, weil sie schon an einen reichen jungen Menschen versprochen sei, dem sie ihr ganzes Herz hingegeben habe.

Alles in mir löste sich auf. Ein tauber Schmerz saß in meinem Herzen und dehnte sich immer weiter und weiter aus, als wenn er das Herz und die Brust zersprengen wollte, und doch kam ich mir zugleich albern und abgeschmackt vor. Ich verachtete meine Tränen und Seufzer, ich hielt alles in mir für Affektation, alle lebendige Poesie flog weit von mir weg, alle Empfindungen zogen vorüber wie etwas Fremdes, das mir nicht zugehörte. –

Der Liebhaber kam, um sie abzuholen. Sie reiste ab, und dachte nicht daran, in welcher Einsamkeit sie mich zurückließ: ich hatte ihr noch selber alles zur Reise einpacken helfen. Die Zimmer waren ausgeleert, und in der Mitternachtstunde ging ich dem öden Hause vorüber, und hörte nur noch drinnen eine Wanduhr, die ewig und langweilig ihre wiederkehrenden Schwingungen abmaß. Es war mir, als hörte ich den Takt, der kalt und empfindungslos das menschliche Leben abmißt: ich ahndete im voraus den Gang der Zeit und alle die trüben Veränderungen, die sich träge in der Einförmigkeit ablösen und gähnend wiederkehren.


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