Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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17
Eduard Burton an Mortimer

Bondly.

Mein Brief hat Sie gewiß recht sehr erschreckt; auch Sie müssen trübe und melancholisch sein, da auch Sie sein Freund waren. – Jetzt bin ich etwas mehr gesammelt, ich habe ihn gesprochen, und ich zwinge mich ruhiger zu sein.

Ich ging auf sein Zimmer, er war finster und in sich verschlossen, er wollte mich nicht ansehen. – So mußt ich ihn nach so langer Zeit wiederfinden!

Lovell! rief ich unwillkürlich aus. –

Was verlangen Sie, sagte er schwer und mit einem unterdrückten Tone.

Es fiel eine dichte Scheidemauer zwischen uns. Ich hatte ihn nicht so erwartet. Er war mir plötzlich ganz fremd geworden, und ich konnte unmöglich darauf kommen, ihn um seine Absichten zu fragen, und um die Gründe seiner Verkleidung oder Niederträchtigkeit.

Dies ist also der Mensch, in welchem mein Geist den Bruder ehemals zu entdecken glaubte; diesem wollt ich mein ganzes Leben widmen?

Er hat sich außerordentlich verändert, er ist bleich und entstellt, sein Auge unruhig, sein Blick starr, ganz das Bild eines Menschen, der mit sich selber zerfallen ist.

Willys Tod ist ruchtbar geworden, und ich muß ihn noch in dieser Nacht fortzuschaffen suchen, um ihn den Gerichten und dem Gefängnisse zu entziehen.

Wär es zu verwundern, wenn ich in dieser Situation alle Besinnung verlöre? – Ach, ich sagte Ihnen, ich wäre ruhiger, ich bin bloß noch verwirrter, und das hat meinen scharfen Schmerz etwas abgestumpft.

So ist meine Jugend wiedergekehrt – so sind meine Träume in Erfüllung gegangen! Er sollte hier nahe bei mir in Waterhall wohnen, wir wollten uns täglich sehen, wir wollten nur ein Leben genießen, und gleichsam mit einer Seele haushalten, und nun! – Warum hat das Schicksal alles so umgeändert, und mir nichts, gar nichts übriggelassen? – Wenn meine Augen noch weinen könnten, würd ich unaufhörlich weinen.

 

18
Eduard Burton an Mortimer

Bondly.

Er ist fort; es ist Nacht, und ich will Ihnen noch schreiben, weil ich doch nicht schlafen kann.

Die Erde kömmt mir vor wie ein dunkles Reich von Schatten, wie ein Traumland, worin nichts wesentlich, nichts beständig ist; der Schein des Tages ist ein betrügerisches Licht, nur das Dunkel der Nacht ist die wahre Farbe dieser düstern Kugel. – Wir sehen dunkle Schatten in der Ferne stehen, und nennen sie Freundschaft und Liebe, als Fremdlinge ziehen sie vorüber, und ein schwärzeres Dunkel folgt ihnen nach. Die Menschen sehen in dieser schwarzen Nacht nur aus wie eine dichtere Finsternis, kein Strahl in ihrem Herzen, ach! kein Funke in ihrer Brust. Dies Gefühl, das mich jetzt durchdringt, hatten gewiß die Einsiedler, die sich in schwarzen einsamen Wäldern anbauten, und mit Felsen und Bäumen die Gesellschaft der Menschen vertauschten. – Die stillste Einsamkeit ist mir jetzt erwünscht, der ferne Gesang der Nachtigall stört mein Gemüt, das Rauschen der Bäume tönt mir zu froh und heiter. Ich glaube nicht, daß ich ihn wiedersehe, und wenn ich seine Briefe noch einmal überlese, so scheint es wie ein goldener Traum in meine Seele hinein. – Alles Schöne und Poetische in der Natur ist plötzlich für mich untergesunken, ich sehe nur Tod und Verwesung, ich kann an keinen Edelsinn mehr glauben, ja ich kann meinem eigenen Herzen nicht vertrauen. Die Blumen und Kräuter, die Pflanzen, von denen sich der Mensch nährt, kommen mir vor wie verführerische Winke, wie bunte Nichtswürdigkeiten, die aus der finstern kalten Erde ein boshafter Dämon emporstreckt, um uns wie Kinder zutraulich zu machen; wir folgen nach, argwöhnen nichts, und werden so in unser schwarzes, enges Grab gelockt.

Um Mitternacht eröffnete ich Lovells verschlossenes Zimmer. Es war alles still im Hause, die Bedienten schliefen, ich hatte die Schlüssel zu mir gesteckt, und eine Laterne angezündet. Ich sagte ihm, er solle mir folgen, weil er in meinem Hause nicht mehr sicher sei. Er antwortete nichts, sondern betrachtete mich mit einem düstern Blicke und stand auf.

Wir gingen über die schallenden Gänge, und ich sah mich zuweilen nach ihm um; ein bleicher Schein meines Lichtes fiel auf sein Gesicht, und entstellte es auf eine wunderbare Weise. Ich schloß das Haus auf, und wieder hinter mir zu. Der Himmel war dick und schwarz rundumher bezogen.

Wie im Traume ging ich mit ihm fort, keiner von uns ließ einen Laut vernehmen, wie zwei Gespenster schlichen wir durch den Garten. Es war mir wunderbar, als wir den Lauben und den Bänken vorübergingen, wo ich so oft mit ihm gesessen hatte; die Bäume neigten sich wehmütig, als wir unter ihren Wipfeln hinweggingen. – Arm in Arm war ich sonst hier mit Lovell auf und ab gegangen, hier hatte sich uns mit Entzücken die Welt Shakespeares aufgeschlossen, hier hatte ich ihn am Morgen zuerst gesucht, und noch der Abend traf uns in diesen Gebüschen, wenn die übrigen schon längst zu den Zimmern zurückgekehrt waren – hier hatte er mir sein ganzes Herz enthüllt, und ich ihm das meinige; – oh! und nun gingen wir mit dicht verschleierten Seelen nebeneinander; kein Mund öffnete sich, keine Hand streckte sich nach einem Drucke aus.

Wir kamen an das Gartentor, und ich benutzte diesen Stillstand, um ihm einige Wechsel in die Hand zu geben. Ich hatte zum Glück eine große Summe in meinem Besitz; ich hoffe, sie beträgt mehr als der Wert seiner Güter. Er sagte nichts, sondern steckte die Brieftasche mechanisch ein. – Stillschweigend gingen wir nun wieder den Fußsteig im Walde hinab, die Laterne schoß nur einzelne bleiche Strahlen durch die schwarze Nacht des Forstes, alle Bäume sahen seltsam aus. In einzelnen Momenten grauste mir vor der Einsamkeit, mein Herz zitterte, wenn ich mir wiederholte, daß die Gestalt, die neben mir gehe, Lovell sei.

So waren wir an die Grenze von Bondly gekommen. Ich stand still, er ebenfalls. Ich konnte ihn nicht ansehen und nicht sprechen; und doch schien er es zu erwarten, daß ich ihm etwas sagen sollte. Im Herzen arbeiteten tausend Empfindungen durcheinander, und ich wartete nur auf einen Laut von ihm, ach! um ihm um den Hals zu fallen, um zu weinen und ihm alles zu vergeben. – Aber er blieb stumm, und jedes Wort blieb in meiner Brust zurückgedrängt. – Wir standen immer noch still, und die Zeit schien mit uns stillzustehen, und nur auf den ersten Ausbruch der Angst zu warten, um alles in einem rascheren Laufe wieder einzuholen.

Hier muß ich zurückgehen, sagte ich endlich mit schwacher Stimme, und wandte mich um. Es war als wenn sich die ganze Welt und mein eignes Herz von mir abwendete, und ich stand wieder und sah nach dem stummen, tief in sich versunkenen Lovell hin. Der Bruder des Missetäters kann in der Stunde der Hinrichtung nicht mehr empfinden als ich jetzt fühlte.

Er redete immer nicht, und es ging plötzlich wie ein eiskalter Wind durch das Innerste meines Herzens; ich haßte ihn jetzt nicht, aber ich wendete mich gleichgültig um, und ging einige Schritte in den Wald zurück. – Das Licht war heruntergebrannt, und die Laterne erlosch; – ich hörte seinen Fußtritt, der sich von mir entfernte. – Dickes Dunkel war umher und der glimmende Docht beleuchtete nur auf einen Augenblick noch eine kleine grüne Stelle auf dem Boden.

Oh! jetzt hätt ich ihn gegenüber haben mögen! ich hätte ihn mit Tränen und Küssen erstickt. – Sein Schritt tönte schon viel schwächer – ach! ich sehe ihn nicht wieder, sagte ich zu mir selber, und die Tränen rannen heiß und dichtgedrängt über meine Wangen. – Ich sehe ihn nicht wieder, und es ist Lovell! – Ich wollte ihm nach und stieß an einen Baum, ich sank zur Erde, und rief so laut als ich konnte, von gewaltigem Schluchzen unterbrochen: Lebe wohl, recht wohl! – Ich weiß nicht, ob er mich gehört, ob er es verstanden hat.

Ich lag auf der feuchten Erde und streckte mich ganz aus, ich verbarg mein heißes Gesicht in dem nassen Grase.

Kalt und ohne Besinnung suchte ich dann den Rückweg. Wie ein großes eisernes Gefängnis hing der dunkle Himmel um mich her.

In meinem Zimmer sitze ich nun hier, und die Morgenröte bricht schon hervor. Lovell sieht sie jetzt auch, und unsere trüben Gedanken begegnen sich vielleicht.

Ach Freund, mich quält eine gewaltige Unruhe; – habe ich nicht dem Armen zu viel getan? – Bin ich nicht verführt worden, schon seinen letzten Brief an mich zu ernsthaft zu nehmen? – Warum habe ich ihn nicht so wie die vorigen beantwortet? Alles wäre dann vielleicht anders geworden. – Oh! es war unrecht, es war schlecht, Mortimer, wenn Sie aufrichtig sind. – Ich bin nun schuld an Lovells Verzweiflung und an seinem Unglücke; ich verdiene seinen Haß und seine Verachtung, und das war es auch, warum er nicht mit mir sprechen wollte. – Oh! wenn ich nur einen Händedruck von ihm mitgenommen hätte: so könnte ich mich doch zufriedengeben.

Jetzt geht er nun einsam auf dem kalten Felde, und weicht den Menschengesichtern aus, und ich bin die Ursache, daß er sich vor ihnen fürchtet! – Sein Eduard, der Freund seiner Kindheit, ist von ihm abgefallen, jedes Menschen Auge kündiget ihm nun Krieg an. – Wohin soll ich mich vor mir selbst verbergen? –

Wenn er nur gesagt hätte: Eduard, lebe wohl, oh! so hätt ich doch die Hoffnung, daß er mir vielleicht vergeben habe. – Aber ich scheuchte ihn mit meiner Hartherzigkeit zurück.

Wie soll ich künftig einem fühlenden Menschen unter die Augen treten? – Ach wie sehr bin ich in mir selber gedemütiget! – Ich kann nicht weiter, mein Körper zittert – ich will mich schlafen legen. – Leben Sie recht wohl, lieber Mortimer, verachten Sie mich nicht, und stoßen Sie mich nicht zurück; ich will besser werden, ich verspreche es Ihnen.

 

19
Eduard Burton an Mortimer

Bondly.

Sie werden von meinen Briefen bestürmt, lieber Mortimer. – Man weckt mich eben mit einer schrecklichen Nachricht auf: – Emilie wird vermißt!

Ein Schlag trifft nach dem andern mein Herz. – Wo kann sie sein? – Sie wird allenthalben gesucht, und ich sitze hier und zittre in banger Erwartung. –

Noch keine Nachricht! noch keine Spur! Man geht auf dem Gange. Nein! Sie ist es nicht. – Gott! wo kann sie sein! – Sie kann nicht fort sein, und doch ist sie nicht da, und es ist schon spät nach Mittag. –

Ich will sie selbst suchen. – Aber vielleicht ist sie nur im Garten spazierengegangen; – vielleicht hat sie im Dorfe eine arme Familie besucht. –

Willy wird soeben begraben; wenn sie nur von dem ganzen Vorfalle nichts erfahren hat!

Wie mein Herz klopft! – Mein Blut drängt sich gewaltig nach meinen Augen.

Noch keine Nachricht! Sie ist nicht im Garten, sie ist nicht im Dorfe. – – – –

Ich bin auf ihrem Zimmer gewesen, und das Rätsel hat sich nun auf eine schreckliche Art aufgelöst. – In eben dieser Nacht, in der ich um Lovell klagte, ist sie entflohn und mit ihm entflohn. – Können Sie es glauben, können Sie's nur denken? Alle Begriffe in meinem Kopfe verwirren sich. – Beide waren einverstanden. – O Lovell! Nun hast du meinem Herzen den letzten Stoß gegeben. –

Ich lege Ihnen den unvollendeten Brief bei, den sie an ihre Freundin geschrieben hat. – Sie tun wohl am besten, ihn Ihrer Gattin nicht in die Hände zu geben. – Hätt ich ihn selber nicht gelesen! –

Oh! ich beschwöre Sie, eilen Sie, wenn sie irgend etwas von meiner unglücklichen Schwester hören; eilen Sie, sie zu retten.

Nun bin ich ganz einsam, nun ist mir nichts übriggeblieben, und ich habe nun wenigstens den Trost, daß ich nichts mehr verlieren kann.

 

20
Einlage des vorigen Briefes
Emilie Burton an Amalie

Bondly.

Endlich, endlich muß ich es Ihnen bekennen, daß jener Unbekannte, von dem ich sprach, Lovell ist. – Sie werden erschrecken, Sie werden bei dem Namen zittern. Oh! Amalie, Sie haben ihn nie gekannt, Sie haben sein Herz nie genug gewürdiget. – Wie wäre es möglich gewesen, daß ich seinen Tränen, seinen Klagen hätte widerstehen können? Sein Jammer hat mein Herz getroffen, und, nein, Amalie, ich kann mir keine Vorwürfe darüber machen.

Ach der Arme! er ist von der ganzen Welt verstoßen und höhnisch von jedem Herzen zurückgewiesen, er sieht sich um, ob sich nicht noch irgendwo ihm eine Seele wohlwollend entgegenneigt, und nirgends, nirgends. – Ohne Freunde, ohne Liebe muß er seinen Kummer tragen; ja, ich habe mein Glück dem seinigen aufgeopfert, ich will ihm folgen, und seine harten Schicksale mit ihm teilen. – Mein Bruder hat kein Herz, da er ihn so unbarmherzig verstoßen kann; ich bin die einzige in der Welt, die ihn liebt, die einzige, die ihn wieder mit der Welt und den Menschen versöhnen wird. Ist mein ganzes Leben nicht verdienstlich genug, wenn ich diese eine Seele von der Verzweiflung gerettet habe?

In dieser Nacht fliehe ich mit ihm fort, ich folge ihm, wohin er mich führt. – Der Wagen hält eine Meile von hier im Walde, um ein Uhr bin ich dort. Ich kann von meinem Bruder nicht Abschied nehmen.

Meinetwegen war er hier in Bondly ungekannt, gleich am zweiten Tage entdeckte er sich mir. Er gehört mir nur einzig an, und niemand weiter in der Welt, so wie ich allein die Seinige bin.

Und wenn ich ihn auch nicht liebte, so würd ich ihm doch folgen, so innig hat er mich erschüttert, so sehr bin ich von seinen schweren Leiden durchdrungen. Ich würde ihm meine Gegenliebe heucheln, bloß um ihn wieder zu trösten, mit Freuden würde ich mein eigenes Herz aufopfern, bloß um das seinige zu retten.

Sie werden mich eine Schwärmerin nennen, aber glauben Sie mir, ich kann nicht anders. – Wenn er fort ist, was sollt ich dann noch hier bei meinem Bruder im einsamen Schlosse? – Nein, ich muß ihm folgen, auch wenn ich nicht wollte.

Grüßen Sie Ihren Bruder. – Ich weiß nicht, was er sagen wird, aber ich kann meinem Schicksale nicht entgegenhandeln. – Jeder muß nach seiner Überzeugung leben, und ich fühle in mir, daß ich recht tue. – Ich fürchte Karls Hitze, suchen Sie ihn daher zu beruhigen, wenn es irgend möglich ist. – Er hat mich nie recht herzlich geliebt, das habe ich immer sehr deutlich empfunden, so wenig wie ich ihn lieben konnte. –

Wie in der Zukunft alles werden wird, kann ich jetzt nicht wissen, aber in diesem Augenblicke kümmert es mich wenig.

Ich hätte Ihnen noch mehr zu sagen, aber die Zeit wird zu kurz; grüßen Sie Mortimer – entschuldigen Sie mich bei den harten Menschen, die mich verdammen, und bleiben Sie immer meine Freundin.

Ihrem Bruder sagen Sie: er soll mich vergessen und es wird auch geschehen. Sie selbst, liebste Freundin –


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