Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Karl Wilmont an Mortimer

Glasgow.

Ich bin nun ganz Schottland durchstrichen und ich glaube, ich könnte ebensogut noch nach Irland und Abyssinien reisen, ohne gescheiter zurückzukommen. – Alle meine Onkeln, Vettern, Basen, Muhmen, Tanten und Geschwisterkinder haben mich gar nicht wiedergekannt, sie hätten darauf geschworen, ich wäre ausgetauscht, so übel hat mir die Liebe mitgespielt; ich fange an, in der ganzen Welt meinen Ruf als Lustigmacher zu verlieren, die Empfindsamkeit hat alle meine Späße gar armselig zugerichtet. – Ach, Freund, itzt bin ich in der niedlichsten Stadt, die ich bis itzt auf dem weiten Erdboden habe kennen lernen, die Schotten sind so herrliche und gastfreie Leute – aber ihr Gast taugt wirklich gar zu wenig, und darum werd ich wohl mit der Zeit wieder zurückreisen müssen. Hast Du mir aber irgend etwas zu schreiben, so tue es ja, denn einige Wochen denk ich noch hierzubleiben.

Mortimer, mir ist eingefallen, daß wir uns beide den Spaß machen können, einander Elegieen zu dedizieren, und so unsre Namen auf die Nachwelt zu bringen, in der Poesie soll ja überdies ein Trost für alle möglichen Leiden liegen; statt uns die Haare auszuraufen, wollen wir dann Federn zerkäuen, statt an unsre Brust zu schlagen und zu seufzen, Verse an den Fingern abzählen; ich habe schon einige herrliche Gedanken dazu im Kopfe, wenn mir nicht ein Hagelschlag daruntergerät, kann das eine vortreffliche Ernte werden.

Sonst bin ich gesund, aber das Wetter wird unangenehm, ich wollte es wäre Frühling, und ich sähe Emilien wieder. – Sieh doch! und wäre mit ihr verheiratet und Vater von zehn Kindern – und – und – ich versichere Dich, daß ich jeden Satz, den ich anfange, mit Emilien endigen möchte. – Das weiß Gott, wie das mit mir werden soll. – Mit dem neuen Jahre hoff ich, soll es besser werden, das haben wir ja nun bald, und ich wünsche Dir und mir und allen Menschen, die vom neuen Jahre etwas wissen, alles mögliche Gute.

Ob sie wohl zuweilen an mich denkt? – Ich hoffe wohl. – Wie lebst Du in London, und fährst Du noch immer mehr fort, Dich in meine Schwester zu verlieben? – Ich möchte oft herzlich über uns beide lachen, ich fange auch wohl zuweilen an, aber es will nicht recht gelingen. – Bald komm ich zu Dir zurück, dann wollen wir wechselseitig unseren kranken Herzen Erleichterung schaffen.

 

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Mortimer an Karl Wilmont

London.

Mich freut es, daß der Ton in Deinem Briefe noch so ziemlich munter klingt; dies beweist, daß Deine Lage noch nicht so gefährlich ist, als Du sie gerne machen möchtest. Ich bin heut in großer Versuchung, sehr ernsthaft mit Dir zu sprechen; solltest Du also vielleicht bei gar zu fröhlicher Laune sein, so lege meinen Brief so lange beiseite, bis sie vorüber ist. Doch ich weiß, daß bei Dir Lachen und Ernst seine Zeit hat, daß Du nicht zu jenen Humoristen gehörst, die nichts lieber, als den Ton ihrer eigenen Zunge hören und sich mit ihrem eigenen Geschwätze betäuben. – Das Wetter wird sehr stürmisch, mir scheint es daher am vernünftigsten, Du kömmst bald nach London zurück, denn welches Vergnügen kannst Du itzt bei Deinem Herumstreifen haben?

Lovell fängt an ein nachlässiger Briefschreiber zu werden, er hat sehr lange nicht an Amalien geschrieben. Sie hat mir ihren Kummer darüber mit ihrer liebenswürdigen Offenherzigkeit geklagt, und ist es Leichtsinn, der Lovell abhält, so verdient er wirklich nicht die Betrübnis dieser schönen Seele.

Karl, ich mache mir unendlich oft Vorwürfe, daß ich sie so oft sehe, ich mache mir einen Vorwurf daraus, daß ich durch meine Zuneigung Lovell beleidige, und dann wieder – darf er je die Einwilligung seines Vaters zu dieser Verbindung hoffen? und liebt er sie auch wirklich? Hat er sie nicht vielleicht schon vergessen? – Wenn dies der Fall wäre, vielleicht daß sie dann ihre Liebe nach und nach zu mir übertrüge. – Dann, Karl, hab ich mir einen schönen Plan ausgedacht: glaube mir, daß man erst als Hausvater ein eigentlicher Bürger dieser Erde wird. Sie würde dann mein Weib; ich habe mir schon einen stillen reizenden Ort ausgesucht, wo ich mich anbauen will. Ich habe mir keinen poetischen und empfindsamen Plan entworfen, ich habe alles genau gegeneinander berechnet, ich weiß so ziemlich, welche Freuden man von dieser Welt zu erwarten hat, und meine Foderungen sind also nicht zu hoch gespannt; ich habe mir das Vergnügen gemacht, mir meine Einrichtung bis auf die kleinsten Umstände auszudenken, nur schade, daß ich noch auf die Hauptsache so wenig rechnen darf. Die Freuden des Herzens sind gewiß die reinsten und edelsten in dieser Welt, und jeder kann sie genießen, wenn er sie nur nicht selbst verachtet. – Ich erwarte Dich also nächstens wieder in London. Lebe wohl.

 

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Der Graf Melun an Mortimer

Paris.

Sie verließen, lieber Freund, Paris, als ich eben Anstalten zur Hochzeit mit der Comtesse Blainville traf; da Sie sich stets für mein Schicksal interessiert haben, so halte ich es für meine Pflicht, Ihnen einige nähere Nachrichten von dem Erfolge dieser Narrheit zu geben.

Sie würden itzt mein Haus in Paris nicht wiederkennen, so sehr ist alles durcheinandergeworfen und verändert und modernisiert; ich bin so eingeschränkt, daß ich weniger Freiheiten habe, als meine Bedienten; alle meine vormaligen Freunde fliehen mein Haus und eine Schar von Zugvögeln gewöhnt sich nach und nach herein, die von der Freigebigkeit, oder vielmehr von der Verschwendung meiner Gebieterin leben; – ach Mortimer, ich sehe noch in meinem Alter einer drückenden Armut entgegen. So hart ist die Torheit eines alten Mannes bestraft, der nach so vielen Jahren von Erfahrung noch die närrische Foderung machte, ein Herz zu finden, das ihn um sein selbstwillen liebte. Ich wollte die letzte Periode meines Lebens recht schön beschließen, ich wollte mir gleichsam so manches verlorne Jahr zurückerkaufen, und ich habe eine Hölle um mich her versammelt. Die Comtesse hat mich durch ihre Verstellung betrogen, ich traute ihr ein Herz zu, aber sie lacht über diesen altfränkischen Galimathias, sie freut sich meines Kummers und wünscht meinen Untergang. Schon nach einigen Wochen meiner Heirat resignierte ich auf eine eigentlich glückliche Ehe, aber ich glaubte doch nicht so vielen Kummer erdulden zu müssen. Es gibt keine Kränkung, die ich nicht erleide, ja man macht sich ein Vergnügen daraus, recht öffentlich zu verfahren; mein Vermögen wird auf die unsinnigste Art verschwendet, sie hat ihren erklärten Liebhaber, einen Elenden, den sie bereichert, und der weder Witz noch Verstand hat, um andern zu gefallen. Eine Auszehrung scheint meinem Leiden ein Ende machen zu wollen, denn mit jedem Tage fühle ich mich matter. Dies ist nun der trübe Beschluß eines meist langweiligen Lebens, das ich fast ganz einer albernen Konvenienz zum Opfer brachte. – Bedauern Sie ihren Freund und geraten Sie nie in ein Unglück, das dem meinigen ähnlich ist.

 

14
Walter Lovell an Eduard Burton

London.

Ich schreibe Ihnen in einer großen Verlegenheit, selbst Traurigkeit, in welche mich das lange Stillschweigen meines Sohnes versetzt. Ich kann mir die Ursache nicht erklären, wenn er nicht gefährlich krank ist, und diese Erklärung vermehrt nur meinen Kummer. Sollte er Ihnen etwa in dieser Zeit Nachrichten von sich gegeben haben, so ersuche ich Sie um die Gefälligkeit, mir diese mitzuteilen; Sie werden dadurch den Kummer eines Vaters lindern, dem tausend Bilder, eins trüber und schrecklicher als das vorige, vor der Seele schweben. Ich bitte Sie also, mir bald zu antworten, denn ich weiß, daß Sie stets mit meinem Sohne korrespondiert haben; er hat vielleicht den Freund weniger als den Vater vernachlässigt.

 

15
Amalie Wilmont an Emilie Burton

London.

Was ich mache, meine liebste Freundin? Ich weiß es selbst nicht genau, ich bin nicht krank, und doch auch nicht wohl. Wenn ich zu Ihnen nach Bondly kommen könnte, würde ich einmal wieder recht vergnügt sein, so vergnügt, wie damals, als Lovell bei Ihnen war. – Ich weiß nicht, wie der böse Mensch seinen Vater und uns alle so ängstigen kann, er hat seit langer Zeit nicht geschrieben, und man fürchtet nun, er sei tot. Sollte es bloße Nachlässigkeit sein, so wäre sie unverzeihlich. – Sagen Sie mir, was Sie denken, ich wollte lieber, wir könnten so freundschaftlich und vertraut wie ehemals darüber sprechen. – Sie waren stets so gütig gegen mich, wir waren immer so froh miteinander, vielleicht könnten Sie mich itzt etwas erheitern; die Munterkeit ist mir wirklich nötig, ich fühle es, wie ein beständiger Schmerz an meinem Herzen nagt. Mortimer tut alles mögliche, um mich vergnügt zu machen, aber wenn ich auch zuweilen lache, so denke ich doch indes an Lovell, und weine innerlich, und Lovell – Gott! wenn er tot wäre – oder – o meine Emilie, was sagen Sie? Ist es möglich? Warum sollten mir vom Schicksale so große Leiden zugedacht sein, da ich nichts verbrochen habe? oder war mein Glück, waren meine Hoffnungen Sünde? –

 

16
William Lovell an Rosa

Tivoli.

Sie haben recht, Rosa, ich fange erst itzt an, Sie zu verstehn. Was mir seit unsrer Bekanntschaft dunkel und rätselhaft war, tritt nun wie aus einem Nebel allgemach hervor; die Täler, die zwischen den Bergen liegen, werden sichtbar, mein Blick umfängt die ganze Landschaft. – Ihr Geist zieht den meinigen zu sich hinüber; eben da, wo ich mich einst mit einer zu jugendlichen Voreiligkeit (ich darf es Ihnen nun wohl gestehn) über Ihnen erhaben fühlte, seh ich mich itzt um so mehr gedemütigt.

Was machen Sie und Balder in Neapel? Seit Ihrer Abreise fühl ich mich hier einsam und verlassen; es scheint, als wenn mir stets ein Freund zur Unterstützung notwendig wäre. Kommen Sie bald zurück!

Aber dennoch hab ich Ihnen, nur Ihnen allein jene Selbstständigkeit zu danken, die mir noch vor kurzem so fremd war. Sie haben mich aus jenen Wesen hervorgehoben, die in einer bejammernswürdigen Feigheit ihr Leben nicht zu genießen wagen, die sich von unaufhörlichen Zweifeln tyrannisieren lassen und wie Tantalus mitten im Überflusse schmachten; oder die sich von den Schätzen der lebendigen Natur mit Verachtung hinwegwenden, um eine dürre Klippe zu besteigen, wo sie sich dem Himmel näher dünken. Aber dort oben stehn sie verlassen; Felsenwände, die kein sterblicher Arm hinwegrücken wird, begrenzen ihre Aussicht; – um den Göttern ähnlich zu werden, sterben sie, ohne gelebt zu haben. – Nein, Rosa, hinweg mit diesem trostlosen Stolze! – Ich begnüge mich mit der Empfindung, ein Mensch zu sein; rasch entflieht das Leben, wehe dem, der vom irdischen Schlafe erwacht, ohne angenehm geträumt zu haben, denn wüste und dunkel ist die Zukunft.

Seit ich an diesem Glauben hange, lacht mir der Himmel freundlicher, jede Blume duftet mir süßer, jeder Ton klingt melodischer; die ganze Welt betrachte ich als mein Eigentum, jede Schönheit gehört mir, indem ich sie verstehe. So muß der freie Mensch durch die Natur wandeln, ein König der Schöpfung, das edelste geschaffene Wesen, indem er am edelsten zu genießen weiß. – Ich höre auf, nach Weisheit zu ringen, der sich kein Sterblicher nähern kann – warum läßt Sisyphus seinen boshaften Stein nicht endlich liegen? Warum werden die Danaiden ihrer unglückseligen Arbeit nicht überdrüssig? – Warum schaffen sich Tausende aus dieser schönen Welt freiwillig eine Hölle? –

Gönnen Sie mir diesen poetischen Enthusiasmus, denn in einer schönen Stunde schreibe ich Ihnen, in dem Garten, der schon oft die Szene unsrer Freuden war. Die Luft ist durch ein Gewitter abgekühlt, und die schwarzen Wolken ziehn itzt hinweg, ein schmaler Strahl bricht aus der Dunkelheit hervor und wirft einen roten Streif über die grüne Wiese, golden stehn die Spitzen der Hügel da, wie elysäische Inseln in einem trüben Ozean, in der Ferne wandelt ein Regenbogen durch den grünen Wald, die Natur ist wieder frisch, die Wiesen duften; nur Ihre Freundschaft fehlt dem glücklichen Lovell.

 

17
Rosa an William Lovell

Neapel.

Seitdem ich Ihren Brief erhalten habe, tut es mir mehr leid als je, daß ich mit dem melancholischen Balder hiehergereist bin; ich werde so schnell als möglich zurückkommen. Er wird mit jedem Tage finsterer und verschlossener, eine seltsame Art von Schwärmerei scheint seinen Geist in einer unaufhörlichen Spannung zu erhalten. Sie werden wissen, daß bei ihm die gewöhnlichen Zerstreuungen und Freuden des Lebens übel angebracht sind, sie dienen nur, seiner Laune einen noch finstrern Anstrich zu geben. – Ist es nicht kindisch, sich selbst und der ganzen Natur deswegen zu fluchen, weil nicht alles so ist, wie wir es mit unsern beschränkten Sinnen fordern? – Aber ich kenne auch die Reize, die diese Schwärmerei uns anfangs gewährt, wir ahnden eine Vertraulichkeit mit Geistern, die uns entzückt, die Seele badet sich im reinsten Glanze des Äthers und vergißt zur Erde zurückzukehren; aber die Kraft, die die Welt nach dem innern Bilde der erhitzten Phantasie umwandelt, stirbt bald, die Sinnlichkeit, (denn was ist ein solcher Zustand anders) ist auf einen so hohen Grad exaltiert, daß sie die wirkliche Welt leer und nüchtern findet; je weniger Nahrung sie von außen erhält, je mehr erglüht sie in sich selbst; sie erschafft sich neue Welten und läßt sie wieder untergehn: bis endlich der zu sehr gespannte Bogen bricht und eine völlige Schlaffheit den Geist lähmt und uns für alle Freuden unempfänglich macht; alles verdorrt, ein ewiger Winter umgibt uns. Welche Gottheit soll dann den Frühling zurückbringen? –

Wohl Ihnen, daß Sie diesem Zustande entflohen sind! – Sie wissen es itzt, welche Forderungen Sie an das Leben zu machen haben. Der Schwärmer kennt sich selbst und seine dunkeln Wünsche nicht, er verlangt Genüsse aus einer fremden Welt, Gefühle, für die er keine Sinne hat, Sonne und Mond sind ihm zu irdisch: – wir, William, wollen hier unten bleiben, nicht nach Wolken und Nebeldünsten haschen, Mond und Sterne hoch über uns sollen uns nicht kümmern – und so rasch mit dem Wagen ins Leben hinein, fort über die Berge und durch die Täler mit den unermüdeten Rossen, bis wir endlich angehalten werden und aussteigen müssen. – Bald bin ich wieder in Rom; leben Sie wohl.

Rosa.


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