Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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14
Balder an William Lovell

Heut scheint die Sonne freundlich und ich denke an Deinen Namen, denn er ist wie blauer Himmel. Da war mir, als hört ich Deinen Gang hinter mir in den Gebüschen und ich sah mich um. Aber der Wind kletterte nur in den Bäumen umher, und pflückte einige reife Blätter, die er der Erde, seiner Mutter, zum Verzehren hinlegte. Nun hab ich noch in meiner Schreibtafel ein Blatt Papier und ich will es nehmen, und jetzt mit Dir sprechen: vielleicht findet sich einst ein Mann, der es zu Dir hinüberträgt.

    Wechselnd gehn des Baches Wogen
    Und er fließet immerzu,
    Ohne Rast und ohne Ruh,
    Fühlt er sich hinabgezogen,
    Seinem dunkeln Abgrund zu.

Also auch des Menschen Leben,
Liebe, Tanz und Saft der Reben,
Sind die Wellenmelodie,
Sie verstummt spät oder früh.

    Ewig gehn die Sterne unter,
    Ewig geht die Sonne auf,
    Taucht sich rot ins Meer herunter,
    Rot beginnt ihr Tageslauf.

Nicht also des Menschen Leben,
Seine Freuden bleiben aus,
Denn dem Tode übergeben
Bleibt er dort im dunkeln Haus. –

So werd ich jetzt gezwungen, nach einem gewissen Klange zu reden, der wie ein Wasserfall in meiner Seele auf- und niedersteigt. Mich besuchen oft Leute in meiner einsamen Waldwohnung, und sagen es ganz laut, so daß ich es höre, ich sei ein Prophet von Gott gesandt. Die guten Leute meinen es aber in ihrem Sinne recht gut, nur schieben sie das meiste auf meinen Bart, der mir wider meinen Willen so lang gewachsen ist.

Die Sonne spielt fröhlich zwischen den dunkelgrünen Zweigen herab und ich sehe, wie jedes Tier sich in ihr goldnes Netz so gern und willig fängt. Die ganze Natur ist begeistert und die Waldvögel singen lange und schöne Lieder, und die Bäume stimmen drein mit lautem ehrwürdigem Rauschen und wie Harfensaiten zittert und klingt alles um mich her, und ich singe innerlich Gesänge, ohne daß ich es weiß.

Alte graue Helden treten
So vertraulich zu mir her,
Ehrfurchtsvolle Priester beten,
Und es rauscht das griechsche Meer.
Circes Weberstühle sausen,
Die Charybdis strudelt wild,
Pan erwacht, die Wälder brausen,
Jäger fliehn zusamt dem Wild.
Lanzenkämpfer tummeln rüstig
Sich auf Rossen hin und her,
Und Ariost ersinnet listig
Seine wundervolle Mär,
Singt Orland' und Rodomant; –
Wie er sich in Liedern sonnt,
Bricht verstummend plötzlich ab,
Ihn verschlingt das offne Grab.
Ach und keine Reime sprechen
Sanften Trost dem Armen zu,
Alle Harfensaiten brechen,
Um ihn furchtbar dumpfe Ruh.

Ich denke noch daran, daß wir oft über alles sprachen, was ich jetzt immer wirklich vor mir sehe.

Alle diese Leute sind nicht tot, sondern nur verdunkelt; sie kommen, wenn ich sie rufe, und vertragen sich brüderlich mit mir.

Denkst Du noch zuweilen an mich, wie ich an Dich und Deine Torheiten denke? Es ist mir jetzt ein neues ruhiges Leben aufgegangen, ich weiß es nicht zu sagen, wie sehr ich innerlich froh bin. Eine andere stillere Seele ist in mich eingezogen, und die hat über mich eine bessere Herrschaft gewonnen.

Ich weiß nicht, in welchem Waldgebirge ich wohne, denn ich erkundige mich nie mehr nach Namen. Es sieht um meine Wohnung wunderlich und doch schön aus. Felsen stehn hoch und ernsthaft da, und Ulmen und Pappeln, und an den senkrechten Wänden hängt der Efeu dick wie Riesenlocken herunter. Es ist alles hier um mich lebendig und voll Freundschaft; die Bäume grüßen mich, wenn ich aufwache, der Himmel zieht purpurrot über meinen Kopf weg und seine bunten Lichter spielen um mich herum und necken mich. – Ach Freund, wenn man die Blumen und Pflanzen näher kennenlernt, was sie dann anders sind, als man gewöhnlich glaubt, sie sind klüger als die Leute denken, und haben auch mehr Gewalt, als man meint. Die Menschenwissenschaft kennt nur einen Teil ihrer geheimen Kraft.

Blumen sind uns nah befreundet,
Pflanzen unserm Blut verwandt,
Und sie werden angefeindet,
Und wir tun so unbekannt.

    Unser Kopf lenkt sich zum Denken
    Und die Blume nach dem Licht,
    Und wenn Nacht und Tau einbricht
    Sieht man sich die Blätter senken.
    Wie der Mensch zum Schlaf einnickt,
    Schlummert sie in sich gebückt.

    Schmetterlinge fahren nieder,
    Summen hier und summen dort,
    Summen ihre träge Lieder,
    Kommen her und schwirren fort.

Und wenn Morgenrot den Himmel säumt,
Wacht die Blum und sagt, sie hat geträumt,
Weiß es nicht, daß voll von Schmetterlingen,
Alle Blätter ihres Kopfes hingen.

O was würden die Menschen in der Nacht erblicken, wenn sie plötzlich in ihren Träumen aufwachen könnten. Der Traum steht vor ihnen und weiß, wenn der Mensch nicht mehr schläft, der gewöhnliche Betrug gibt auf den ersten Wink acht und rennt wieder an seine Stelle. – Aber ich war einmal krank und sah alles mit Augen, und griff es mit diesen Händen, mit denen ich jetzt schreibe, ich weiß selbst nicht, warum; da hielt ein jedes Wunder ordentlich stand und ich lachte über die andern Menschen.

Auch die Vögel und die Tiere, die Berge und die Felsen sind anders, als die Menschen sich einbilden wollen, es zu wissen. Es ist nur zu weitläuftig, sonst könnt ich hier viel davon schreiben und es würde doch weder Dir noch einem andern Menschen nützen, denn wer's nicht schon vorher weiß, kann mich doch nicht verstehn. So geht es mit allem Guten.

Da hab ich hier in einem Felsen einen Menschen gefunden, der alles so sehn kann, wie ich. Daß sich die Klugen doch so gern aus der Welt zurückziehn! Aber in der Einsamkeit denkt und fühlt die Seele anders, sie wird nicht durch das unordentliche Gezwitscher und Gepolter unterbrochen. In der freien Natur ist alles mit der Seele verwandt und auf einen Ton gestimmt, in jedes Lied stimmt sie freiwillig ein und ist das Echo und ebensooft der Vorsänger von allem, was ich denke: ein kleiner Vogel kann mir vielen Verstand in meinen Kopf hereinlocken. Der Mensch ist taub und kann mich nicht reden hören; aber wozu brauchen Menschen die Sprache? Sie ist unnütz und eine seltsame Erfindung. Sie ist erfunden, um zu lügen, nicht um die Wahrheit zu reden, denn sonst wäre sie besser und verständlicher; ein boshafter Lügner weiß alles damit zu machen, dem Verständigen fällt sie zur Last.

Wir leben wie Brüder beieinander und er hat gar kluge Einfälle. Uns beiden kommt die Welt anders vor, wie den übrigen Leuten, und doch ist die Kunst nur so klein und einfach.

Ich halte mir auch Tauben, die ganz zahm geworden sind und doch ihren natürlichen Mut und Verstand behalten haben. Ich habe sehr viel von ihnen gelernt, wenn sie manchmal so unter sich mit dem Kopfe nickten und girrten und sich ihre Zeichen machten, mit denen sie manchmal über den Menschen spotten. Diese und die Lämmer, die mit mir essen, sind die unschuldigsten und besten Geschöpfe von der Welt, und wenn sie Dich kennten, würden sie Dich grüßen lassen. Es ist nur um die Reise zu tun, so könntest Du hier mit mir leben.

Von den großen Dingen, die ich weiß, kann und darf ich Dir nichts schreiben. Es ist bloß darum ein Geheimnis, weil Du es nicht verstehen würdest.

Den Namen Gottes denen nennen,
Die ihn nicht mit dem Herzen kennen,
Ist Missetat.
Es hängen um mich Geisterchöre,
Und sprechen laut, daß ich es höre; –
Sie halten Rat.
»Laß Mensch jetzt deine Zunge schweigen,
Bis sich die runden Jahre neigen«,
So tönt's herab;
»Was willst du vor der Zeit enthüllen?
Den Durst nach dieser Weisheit stillen
Ja Tod und Grab!«

Und so will ich denn lieber enden, um mir kein Mißfallen zuzuziehn.

Lebe wohl, William, so schreibe ich hier in meinen Bergen. – Die Stauden winken mir, zu ihnen zu kommen, und ein Wort mit ihnen zu sprechen, denn sie halten alle viel von mir; meinen Rosen muß ich noch Wasser zu trinken geben, und dann muß ich die kranke Pappel besuchen, die der Wind eingeknickt hat. Es ist ganz mein freier Wille, aber ich habe es mir selbst zum Gesetze gemacht; ich helfe ihnen in vielen Sachen, und die Blumen und Bäume hier würden sich sehr grämen, wenn ich einmal fortzöge.

Die Lämmer wundern sich weil ich schreibe, was sie von mir noch nicht gesehn haben. Die unschuldigen Tiere können nur auf ihre Art sprechen, und es ist auch eben so gut.

Lebe recht wohl, ich will das Blatt einem fremden Manne geben.

 

15
William Lovell an Rosa

Rom.

Wohin soll ich mich mit meinen Gedanken und Empfindungen wenden? Überall bin ich mir fremd, und überall find ich mit meinen Ideen einen wundervollen Zusammenhang. Der höchste Klang des Schmerzes und der Qual fließt wieder in den sanften Wohllaut der Freude ein, das Verächtliche steht erhaben und die Erhabenheit fällt zu Boden, wie im Abgrunde der See Geschmeide und Kostbarkeiten unter Schlamm und neben verweseten Gerippen glänzen.

    Es funkelt Gold in wilden Trümmern,
        Tief im verborgenen Gestein,
    Ich sehe ferne Schätze schimmern,
        Mich lockt der rätselhafte Schein.

    Und hinter mir fällt es zusammen,
        Ha! um mich her ein enges Grab,
    Die Welt, der Tag entflieht, die Flammen
        Der Kerzen sinken, sterben ab.

    Die Hand klopft zitternd an die Wände,
        Der unterirdsche Wandrer schaut
    Nach Licht und Rettung, ohne Ende
        Das Dunkel! – Ihn erquickt kein Laut.

    Er hämmert in den Felsgemächern
        Mit einer dumpfen Lebensgier,
    Gefangen von den dunkeln Rächern,
        Zur Strafe seiner Wißbegier.

    Da äugelt aus der fernsten Ritze
        Ein blaues Lichtchen nach mir hin,
    Ich krieche zu der schroffen Spitze,
        Und taste mit entzücktem Sinn.

    Und ach, es ist das Goldgestein,
        Das mich zuerst hieher versucht,
    Nun labt mich nicht der Flimmerschein,
        Der boshaft mich zuerst versucht.

    Es sehnt der Geist sich nach dem Bande,
        Das ihn mit zarter Fessel hielt,
    Als er sich wie im Vaterlande
        In seiner stillen Brust gefühlt.

    Fern liegt das heimische Gestade,
        Am wilden Taurien verirrt,
    Kniet er umsonst und flehet Gnade,
        Das blutge Opfermesser klirrt!

    Doch Blumen blühn in diesem Schrecken,
        Die hell mit rotem Purpur glühn,
    Die Todesschatten, die ihn decken,
        Sie lassen prächtge Funken sprühn.

    Liegt alles nur im Sinnenglücke?
        Vereint sich jeder Ton zum Chor?
    Für tausend Ströme eine Brücke?
        Gehn alle Pilger durch dies Tor?

    So öffnet mir die dunkeln Reiche,
        Daß ich ein Wandrer drinnen geh,
    Daß ich nur einst das Ziel erreiche
        Und jedes Wunder schnell versteh.

    Eröffnet mir die finstern Pforten,
        An denen schwarze Wächter stehn,
    Laßt alle gräßlichen Kohorten,
        Mit mir durch jene Pfade gehn!

    Je wildre Schrecken mich ergreifen,
        Je höher mich der Wahnsinn hebt,
    So lauter alle Stürme pfeifen,
        Je ängstlicher mein Busen bebt,

    So inniger heiß ich willkommen,
        Was gräßlich sich mir näher schleift,
    Dem irdschen Leben abgenommen,
        Zum Geisterumgang nun gereift.

Alles Wilde, was ich je gedacht,
Alle Schrecken, die ich je empfunden,
Rückerinnrung aus der trübsten Nacht,
Grauen meiner schwärzsten Stunden,
O vereinigt euch mit meinen Freuden,
Stürmet alle um mich her,
Schlinget euch an alle meine Leiden,
Flutet um mich gleich dem wilden Meer,
Daß das Morgenrot sich in dem Abgrund spiegle,
Graun und Schrecken meine Heimat sei,
Daß der Wahnsinn immer rascher mich beflügle,
Und zum dunkeln Tor der Hölle zügle,
Nur Erinnyen! gebt mich von den Zweifeln frei!

Lesen Sie doch aufmerksam Balders wunderbaren Brief, der wie der Gesang eines fremden, verirrten Vogels zu uns herübertönt.


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