Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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15
Die Comtesse Blainville an Rosa

Paris.

Da Sie mich itzt nur so selten besuchen, so seh ich mich genötigt, mich schriftlich mit Ihnen zu unterhalten, so ungern ich es auch tue, denn ganz Ihrem Umgange zu entsagen, wäre eine zu harte Buße für mich.

Seit Ihrem neulichen Besuche haben sich einige nicht unwichtige Vorfälle ereignet. Der Graf wird immer freundlicher und höflicher, er ist schon zehnmal im Begriffe gewesen, mir durch Umwege einen Heiratsvorschlag zu tun, aber immer ist ihm noch sein böser Genius wieder in den Zügel gefallen. Solche Leute werden sehr langweilig, wenn sie nachher in einer Art von Verlegenheit einen andern Weg einlenken; sie sind gestolpert und haben im Schrecken die Steigbügel verloren.

Doch, Sie kennen ja den Grafen, daß er sich pikiert gerade dann am geistreichsten zu sein, wenn er die Gegenwart des Geistes am meisten vermißt. Ein Hinkender wird aber erst am meisten lächerlich, wenn er seinen Fehler verbergen will; dies Stottern, dies Jagen nach Wortspielen und Verdrehungen des Sinnes – oh, es gibt nichts Häßlicheres, wenn man soeben etwas Vernünftiges gesprochen hat.

Lovell ist mit seiner Naivität allerliebst, der Galimathias, den er zuweilen spricht, kleidet ihn recht gut, und ich habe itzt die Manier gefunden, ihn zu attachieren. Er ist eigensinnig genug, nicht durch gewöhnliche Aufmerksamkeit gefesselt zu werden; ein Franzose würde über die Art der Rolle lachen, die ich itzt spiele. Freilich sind die Weiber verdammt, immer nur Rollen auswendig herzusagen, vielleicht auch viele Männer; aber meine itzige liegt mir so entfernt, daß ich auf meine Merkworte sehr aufmerksam sein muß, wenn ich nicht zuweilen das ganze Stück verderben will. Ich bin so empfindsam, wie Rousseaus Julie, ein wenig melancholisch, eine kleine Teinture aus Young und eine so langweilige Vernunft- und Moralschwätzerin, als die Heldinnen der englischen Romane. Sie würden mich hassen, wenn Sie mich in dieser Tragödienlaune sähen; aber Lovell ist davon bezaubert; er hält mich in Gedanken für ein Ideal Richardsons, für ein himmlisches und überirdisches Geschöpf. Wir empfinden so sehr ins Feine hinein, daß mir schon oft ein Gähnen angewandelt ist, das ich nur mit Mühe verbissen habe; durch hundert Vorfälle ist es nun endlich dahin gekommen, daß er wirklich verliebt ist; er will sich zwar dies Gefühl selbst nicht gestehn, aber ich mache mich jeden Tag auf eine sehr pathetische Erklärung gefaßt; er ist schon oft auf dem Wege gewesen, aber jedesmal muß ihn noch das Bild seiner Geliebten zurückgehalten haben. –

Gestern ging er melancholisch im Garten auf und nieder, ich begegnete ihm, wie von ohngefähr. Er freute sich und erschrak zu gleicher Zeit, meine Gegenwart war ihm lieb, aber es war ihm unangenehm, selbst durch mich in seinen Träumen gestört zu werden; er geriet in eine Art von Verlegenheit. Es war ein schöner Abend, wir waren allein, ich hörte wenig von dem, was er sagte, seine Bildung, sein schöner Wuchs, sein feuriges Auge zerstreuten meine Aufmerksamkeit: er ist einer der schönsten Männer, die ich bis itzt gesehn habe. Wir kamen zu einer Laube und setzten uns. Der Abend und die Einsamkeit luden zu mancherlei Träumen ein; ich sah es, wie Lovell schwer seufzte und ein Geheimnis auf dem Herzen hatte.

»An diese Abende«, fing er endlich an, »ich ahnde es, werd ich in der Zukunft oft mit Schmerzen zurückdenken.«

»Mit Schmerzen? – Sie verlassen uns also ungern?«

»Und Sie können noch fragen?«

»Sie werden neue Freunde und schönere Gegenden finden, und über die letzteren die ersteren vergessen.«

»Sie quälen mich«, rief er nach einer kleinen Pause etwas unwillig.

»Ich habe Ursache zu klagen«; fuhr ich leise fort, um nicht in eine Art von Zank zu fallen, der so leicht langweilig und widrig, selbst für beide Parteien, werden kann, wenn man einer sehr zärtlichen Aussöhnung nicht äußerst gewiß ist; und dies war hier nicht der Fall: – »Ich habe Ursache zu klagen«, sagt ich, »denn ich bleibe hier in dieser öden langweiligen Welt zurück, ich verliere einen Freund, der mir in so kurzer Zeit sehr viel wert geworden ist.«

Er küßte mir sehr feurig die Hand. – »Comtesse!« rief er aus – »wollen Sie mich nicht vergessen?«

»Vergessen?« seufzt ich ganz leise. – Meine Rolle ward mir hier äußerst natürlich, und ich spielte sie mit einer täuschenden Leichtigkeit. Er rührte mich, denn, wahrlich, er ist mir nicht gleichgültig. – Meine Hand lag in der seinigen, ich drückte sie ganz leise, er erwiderte es mit Heftigkeit, unsre Lippen begegneten sich –

Ich stand auf, wie erzürnt, er suchte mich zu versöhnen. – Wir fingen bald wieder ein melancholisch empfindsames Gespräch an, und so ward der Streit darüber vergessen. – Als wir zur Gesellschaft zurückkamen, stand er oft in Gedanken. –

Beim Abschiede drückte er auf meine Hand einen sehr feurigen Kuß. Itzt ist in seinem Herzen die entscheidende Epoche; indes versprech ich mir über meine unbekannte Nebenbuhlerin den Sieg. –

 

16
William Lovell an Balder

Paris.

Ich bin die ganze Stadt durchstrichen, ohne Dich zu finden, der Abend ist so schön, ich hätte Dir so gern alles gesagt, was ich auf dem Herzen habe; ich schreibe Dir daher, weil ich Dich doch wahrscheinlich heut nicht mehr sehn werde. Antworte mir noch heut, wenigstens morgen früh, wenn Du mich nicht selbst besuchen solltest.

O Balder, könnte doch meine Seele ohne Worte zu der Deinigen reden – und so alles, alles Dir ganz glühend hingeben, was in meinem Busen brennt, und mich mit Martern und Seligkeiten quält.

Ja, Freund, itzt fühl ich es, wie sehr Rosa recht behält, wenn er sagt: Der Busen des fühlenden Menschen hat für tausend Empfindungen Raum, warum will der Mensch seiner eigenen Wonne zu enge Schranken setzen? Des Toren, der da schwört, daß er nie wieder lieben wolle! Kann er seine Seele zurücklassen?

Du weißt von Amalien. Soll ich Dir sagen, daß ich ihr treulos bin? Treulos? das Wort hat keinen Sinn, sie ist meinem Herzen so unentbehrlich wie je. Aber kann ich denn diesem nämlichen Herzen widerstehn, welches mich zur Blainville reißt. Soll ich blind sein, und ihre Schönheit nicht sehen? Welche Macht ist es, die uns zueinander führt?

Es war ein schöner Abend, ich war mit ihr im Garten des Grafen Melun, wir gingen lange einsam auf und ab. Balder, sie ist das edelste weibliche Geschöpf, das ich bis itzt gekannt habe! so viel Natur und Herzensgüte! Ich saß im stummen Entzücken in einer dämmernden Laube neben ihr; die Blumen dufteten Liebe, die Vögel sangen der Göttin Lieder, sie wandelte im Hauche des Zephirs durch den Garten und gaukelte in den Lindenblüten: mir war's, als könnt ich unter den goldenen Schimmern des Firmaments den rosengekränzten Engel sehn, der den tausendfachen Segen über die Natur ausgießt; wie sich die ganze lebende und leblose Natur kindlich zu ihm drängt, um zu empfangen und sich zu freuen – o es war eine der wonnevollsten Stunden meines Lebens.

Ich war hundertmal im Begriffe, ihr meine Empfindungen zu gestehn, sie in einer blinden Begeisterung an mein Herz zu drücken, mich kühn zu ihrer Hoheit emporzureißen – aber Amaliens Andenken hielt mich grausam ernst zurück. – Aber ich will, ich muß ihr gestehn, was ich empfinde, ohne Mitteilung zersprengt dies Gefühl meinen Busen.

Begeh ich dadurch eine Sünde an Amalien? – Antworte mir hierauf, ich glaub es nicht, ich liebe sie, ich werde sie lieben; aber soll mir diese Liebe ein Gesetz sein, gegen jede Vortrefflichkeit unempfindlich zu sein? – Liebe erhöht die Empfindungen, veredelt sie, sonst würd ich wünschen, nie geliebt zu haben. –

 

17
Balder an William Lovell

Paris.

Ich möchte Dir so gern nicht antworten – da komm ich mit hundert schwermütigen Träumen, mit tausend lästigen Gefühlen aus der nüchternen Welt nach Hause – und finde nun noch Dein Billet; – ich will noch einige Zeit anwenden, Dir zu antworten, besuchen mag ich Dich in meiner itzigen Stimmung nicht, wir würden nur streiten und morgen hab ich eine Menge lästiger Geschäfte: kurz, ich will Dir schreiben, nur laß mich nachher nicht öfter darüber sprechen, denn wir werden nie einig werden.

Die ganze Welt erscheint mir oft als ein nichtswürdiges, fades Marionettenspiel, der Haufe täuscht sich beim anscheinenden Leben und freut sich; sieht man aber den Draht, der die hölzernen Figuren in Bewegung setzt, so wird man oft so betrübt, daß man über die Menge, die hintergangen wird und sich gern hintergehen läßt, weinen möchte. Wir adeln aus einem törichten Stolze alle unsre Gefühle, wir bewundern die Seele und den erhabenen Geist unsrer Empfindungen und wollen durchaus nicht hinter den Vorhang sehn, wo uns ein flüchtiger Blick das verächtliche Spiel der Maschinen enträtseln würde. – Ich sehe in Deiner neuen Liebe nichts, als Sinnlichkeit, Deine Phantasie bedarf beständig eines reizenden Spiels und Du wirst es auch allenthalben sehr bald finden; jenes hohe, einzige Gefühl der Liebe, das sich weder beschreiben noch zum zweiten Male empfinden läßt, hat Deine irdische Brust nie besucht, bei Dir stirbt die Liebe mit der Gegenwart der Geliebten. – Warum willst Du das hohe Wort entweihen?

Ich erinnere mich lebhaft aus den wenigen goldenen Tagen meines Lebens, wie meine ganze Seele nur ein einziges Gefühl der Liebe ward, wie jeder andre Gedanke, jede andre Empfindung für mich in der Welt abgestorben war; in die finstern Gewölbe eines romantischen Haines war ich so tief verirrt, daß nur noch Dämmerung mich umschwebte, daß kein Ton der übrigen Welt an mein Ohr gelangte. Die ganze Natur wies auf meine Liebe hin, aus jedem Klange sprang mir der Geliebten holder Gruß entgegen. Sie starb – und wie Meteore gingen alle meine Seligkeiten auf ewig unter, sie versanken wie hinter einem finstern fernen Walde, kein Schimmer aus jener Zeit hat mir seitdem zurückgeleuchtet.

Und auch nie wird ein Strahl zu mir zurückkehren! Ich sitze auf dem Grabmale meiner Freuden und mag selbst kein Almosen aus der Hand des Vorübergehenden nehmen, mein Elend ist mein Trost. –

Ich fürchte, William, Du verstehst mich nicht, unser Gefühl widerspricht sich hier. Aber wenn Amalie Dich liebt, so ist sie durch Deine Liebe elend, denn Du wirst ihr dann nie zurückgeben, was sie Dir im vollen Maße ihrer Empfindungen schenkt. Sie seufzt um Dich, und Du vergissest sie, sie leidet, und Dich bewillkommnen neue Freuden – taufe Deinen Sinnenrausch nicht mit dem Namen Liebe, Du beleidigst diese hohe Gottheit: denn ist nicht Liebe eben dadurch Liebe, daß sie gänzlich unsern Busen füllt? Unsre Seele ist zu eng, um zwei Wesen mit demselben starken Gefühl zu umfangen, und wer es kann, der ist an Herzensgefühl arm geworden.


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