Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Rosaline an Antonio

Du bist schon wieder fort, Lieber, und ich glaubte Dich so gewiß zu treffen. Ich ließ Dich gestern gern die Laute mitnehmen, und tat, als merkt ich es nicht, weil ich sie heut wieder abholen wollte. – Du böser Mensch! mich vergebens kommen zu lassen! – Dein Vater sieht immer so verdrießlich aus, ich glaube, es will ihm noch gar nicht bei uns gefallen: ich scheue mich vor ihm, weil er mich immer so ernsthaft ansieht. – Komm doch ja heut abend, ich will Dir ein neues Lied spielen, das ganz wie auf Dich gemacht ist. Komm ja und bleib hübsch lange. Die Abende sind jetzt so schön, und wir wollen denn noch miteinander singen. Aber Du mußt nicht wieder böse werden, ich will ja auch kein Wort wieder vom armen Pietro sprechen.

 

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Antonio an Rosaline

Nein, Liebe, sprich nicht wieder von ihm, denn sein Name geht mir immer wie ein Dolchstoß durchs Herz. Ich hoffe immer noch, daß er nie wieder zurückkommen wird; wer weiß, was ihm begegnet ist, da er gar keine Nachrichten von sich gibt. – Tut es mir nicht selber weh, daß ich so oft von Deiner Seite muß? Du hättest mich aber gewiß getroffen, wenn ich daran gedacht hätte, daß Du kommen könntest.

O Rosaline, laß die Gesänge, die den kranken Rest meines Herzens zerschmelzen, und meine Seele ganz mit sich nehmen. Leb ich nicht schon ganz bei Dir, nur allein in Deiner Gegenwart? Keine Arbeit will mir jetzt von der Hand gehn, da ich immer nach der Gegend hinsehe, in welcher Dein Haus steht. – Ach, wenn Du mich doch so lieben könntest, wie ich Dich liebe! o Rosaline, welche Aussicht würde sich mir eröffnen! – O ja, ja, singe das Liedchen, wenn es so wie auf mich gemacht ist, und wenn von einem weichherzigen Mädchen und einem erhörten Liebhaber darin die Rede ist, o so laß es auch denn noch auf mich passend werden. Ich sehe Dich gewiß heut abend, ich bleibe mit Dir vor der Türe sitzen – ach, könnt ich zeitlebens nur um Dich sein, könnt ich ewig den süßen Ton Deiner Stimme hören! Alles, was ich vernehme, klingt mir wie Dein Gesang, so tief bin ich in Träume versunken, ich fahre auf, wenn man meinen Namen nennt, wenn jemand mich ruft. – O glaub es, glaub es, teures Mädchen, daß ich nie ohne Dich würde leben können: daß ich für Dich alles, selbst das Gewagteste und Schrecklichste ausführen könnte.

 

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Rosaline an Antonio

Und warum wurdest Du denn nun doch so verdrießlich, als ich gestern das Liedchen sang? – Was willst Du von mir? – Seh ich Dich nicht gern kommen und ungern fortgehen? Denk ich nicht fleißig an Dich? Hab ich nicht gestern die versprochenen Küsse gewissenhaft abbezahlt, und sogar noch einige, ich weiß nicht wie viel, mehr gegeben? Was kannst Du denn noch verlangen? – Aber Du machst mich immer mit traurig, und ich weiß gar nicht, was ich Dir zu Gefallen tun kann; Dir ist nichts recht, und Du weißt gewiß selbst nicht, was Du willst. – Siehst Du, ich kann auch einmal böse werden, aber gewiß nur jetzt, nicht, wenn ich Dich vor mir sehe, dann hab ich alles vergessen, worüber ich klagen könnte.

Meine Mutter hat heute schon ein ernsthaftes Gespräch mit mir gehabt, ich soll nicht so viel bei Dir sein, hat sie gesagt. Ich seh aber nicht, warum. Sie ist alt und ein wenig eigensinnig, fast so ein Gemüt, wie Dein Vater; Du gefällst ihr nicht recht, denn Du bist ihr etwas zu leichtsinnig. Du mußt darüber nicht böse werden, sie ist schon alt, und das macht es, denn wer möchte Dich wohl sonst nicht gern leiden? Jeder Mensch, der Dich sieht, muß Dein Freund sein. Nur das ernsthafte, finstre Wesen kleidet Dich gar nicht, das kann ich Dich versichern, Du kömmst mir dann mit einemmal ganz fremd vor; schaff es ab.

Auch mit Deinem Vater bist Du nicht recht gut, der meint es mit seinen Ermahnungen doch gewiß sehr rechtschaffen. Mach es, wie ich, ich lasse meine Mutter oft lange reden, und tu, als hör ich ihr zu, und denke unterdessen an Dich.

Aber wie viel hab ich nun an Dir getadelt! Ach glaube nur nichts davon, das ist grade so, als wenn ich ein Lied von bösen Menschen singe, ich kann immer nicht daran glauben. Ich habe meine Altklugheit nur vom Hörensagen. – Noch eins, sei heut abend etwas artiger, als gestern, denn sonst werd ich noch den Hund abrichten, daß er Dich beißen soll. – Adieu, und komm hübsch früh. Wie schön, daß kluge Menschen die Erfindung gemacht haben, daß Du durch ein stummes Papier mit mir reden kannst, daß ich Dir kann Antwort geben. O ja, ein liebendes Herz ist der Zauberkunst nahe.

 

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William Lovell an Rosa

Rom.

O Rosa, warum bin ich nicht zufrieden und glücklich? Warum bleibt ein Wunsch nur so lange Wunsch, bis er erfüllt ist? Hab ich nicht alles, was ich verlangte? und dennoch werd ich immer weiter vorgedrängt, und auch im höchsten Genusse lauert gewiß schon eine neue Begierde, die sich selbst nicht kennt. Welcher böse Geist ist es, der uns so durch alle Freuden anwinkt? Er lockt uns von einem Tage zum andern hinüber, wir folgen betäubt, ohne zu wissen, wohin wir treten, und sinken so in einer verächtlichen Trunkenheit in unser Grab. Ich schwöre Ihnen, daß mir in manchen Momenten aller Genuß der Sinne verabscheuungswürdig erscheint, daß ich mich vor mir selber schäme, wenn ich diese holden Züge betrachte, diese Unschuld, die sich auf der weißen reinen Stirn abspiegelt; es ist mir manchmal, als wenn mich eine Gottheit durch ihre hellen Augen anschaute, und ich erröte dann wie ein Knabe.

Gestern war ich in der höchsten Verwirrung; sie wollte mir ein Lied singen, das, wie sie sagte, auf mich recht passend sei. Fühlen Sie, wie mir zumute ward, wie gedemütigt. Es war wirklich das Lied, welches mich zuerst auf die Idee meiner Verkleidung führte, und aus dem ich sogar meinen Namen Antonio entlehnt habe. Kann die bitterste Satire mich tiefer erniedrigen, als dieses kindliche, fromme, unschuldige Wesen? Nie hab ich vor einem Menschen so in aller Nacktheit gestanden, nie bin ich so durch und durch beschämt worden. Bei jedem andern Mädchen würd ich überzeugt sein, sie habe mich vollkommen erraten; allein ich schwöre Ihnen, daß es hier nicht der Fall ist.

Und was ist denn nun von einer andern Seite mein ganzes ängstliches Gefühl? Wozu alle diese seltsamen Windungen? Ich liebe sie, und sie liebt mich.

Sie haben nie ein Wesen, wie diese Rosaline, gekannt, und Sie kennen daher auch die schönste Blüte des Vergnügens nicht. Sie sollten sie sehn, wie sie mir entgegenläuft, und denn wieder stillesteht, und plötzlich tut, als habe sie nur irgendwas gesucht; die List, die sie bei aller frommen Unschuld hat, und die jedem Mädchen mit auf die Welt gegeben wird, und die, wenn ich so sagen darf, die Unschuldigen noch unschuldiger macht. Die Mutter schlief neulich in ihrem Lehnstuhle, und ich küßte sie, indem sie neben mir saß; von ohngefähr schallte der Kuß etwas stärker, und die Mutter wachte auf; in demselben Augenblicke aber hatte sie ihren kleinen Hund schon ein wenig gezwickt, so daß er schreien mußte, und die Mutter keinen Argwohn schöpfte.

Ja, ich mache sie selbst glücklich, wenn ich sie über ihr eignes Wesen aufkläre, sie wird sich selbst im Kelche der Wonne berauschen, und mir noch für mein höchstes Glück Dank sagen.

Werden Sie nicht bald nach Rom zurückkehren? Ich vermisse täglich Ihre Gesellschaft, vorzüglich, wenn ich nicht bei Rosalinen bin. In Rom fang ich an, allen Leuten fremd zu werden, ich mag niemand besuchen, ich mag nichts tun: schon seit lange ängstigt mich ein Brief, den ich an meinen Vater schreiben muß, ich kann nichts anders denken und sprechen. –

 

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Walter Lovell an seinen Sohn William

Kensea in Hampshire.

Ich bekomme keine Antwort auf meinen Brief, und ich werde mit jedem Tage schwächer. Der Arzt findet es jetzt bedenklich, und ich fühl es, daß die Uhr meines Lebens zu Ende gelaufen ist. – Alles wird mir gleichgültig, was mir sonst wichtig war, meine ehemaligen Plane habe ich völlig vergessen, komm also ohne alle Scheu nach England zurück, lieber Sohn, heirate, wenn Du durchaus willst, Amalien, ich will und kann nichts weiter dagegen einwenden, nur brich Dein Schweigen und komm. Ach, wenn Du willst, muß ich Dich freilich auch noch wegen einer meiner Briefe um Vergebung bitten, ich meinte es gut mit Dir, und damals war auch die Lage der Sachen anders.

Wenn der Wind hier durch den Wald bläst, und die losgegangenen Tapeten im Nebenzimmer rauschen und klatschen, o dann, lieber William, fühl ich mich so einsam, so heimatlos. Ich sehe trostlos dem trüben Beschluß eines trüben Lebens entgegen. Ich sehe keine Freunde, keine andre Gesichter, als die meiner Bedienten, alle haben sich von mir zurückgezogen, und ich befinde mich wohl dabei. Nur Dich wünsch ich bei Tage und in der Nacht zu mir her; ich war ein Tor, daß ich mühsam erst ein Gebäude meines Glückes aufführen wollte, und nicht die Freuden annahm, die mir das Schicksal an der Brust meines Sohnes, in den Armen einer guten Tochter, vielleicht in einem Zirkel von fröhlichen Enkeln anbot. Jetzt ist mir die Binde gelöst, und es ist vielleicht zu spät. – Doch nein, mein William gibt mir gewiß Freude und Trost zurück; wer weiß, welche einsamen Gegenden er schon durcheilt, um seinen alten kranken Vater noch wiederzusehn! Wo Du auch seist, Gott sei mit Dir!

 

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Rosaline an Antonio

Die ganze, ganze lange Nacht hab ich nicht schlafen können. Und daran bist bloß Du schuld! Immer war mir, als schliefest Du neben mir, ich hatte Dich in meinen Armen, und wachte von Deinen Küssen auf. Als der Mond durch eine Ritze der Fensterladen in meine Stube schien, und der Strahl sich so über den Boden goß und an der Decke schimmerte, hab ich recht herzlich geweint, weil ich mich zum erstenmal im Leben so einsam fühlte. O Du böser Mensch kannst die Not gar nicht verantworten, die Du mir machst. Mein Vater ist tot und meine Mutter stirbt auch vielleicht bald; wenn nun Pietro nicht zurückkömmt, so bist Du der einzige Mensch auf der Welt, der mir noch beistehn kann. Aber wenn Du alle meine Liebe nicht verdientest! Ach Antonio, Du hast Dich so oft über meine Lustigkeit gefreut, ich bin nur fröhlich, wenn ich Dich sehe, Du siehst, wie betrübt ich werde, wenn ich allein bin. Drum sollten wir uns gar nicht trennen, dann würden wir beide immer recht vergnügt sein.

Du bleibst jetzt oft viel länger weg, als anfangs. Du freust Dich nicht mehr wie sonst darüber, wenn ich Dir einen Kuß gebe; sage mir, was habe ich Dir getan, Du Unzufriedner? Oder ist es die Sitte in eurem Lande, daß man immer so ernst und verdrießlich ist?

 

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Antonio an Rosaline

Was Du mir getan hast, liebstes, bestes Mädchen? Nichts, als daß Du mich nicht ebensosehr liebst, wie ich Dich liebe. – Warum verläßt Du mich oft so plötzlich? Warum darf ich nicht in der Nacht bei Dir bleiben, wenn Du Dich ohne mich so einsam fühlst? Die wahre Liebe ist mit diesem Eigensinne unbekannt. Wenn Du mich nur hier sähest, wie oft ich in der Nacht nach Deinem Hause hinüberblicke, wie ich nicht schlafen kann, und mir schweigend Deine Lieder wiederhole, um mich nur etwas zu beruhigen, wie ich Dein Bild tausend und tausendmal küsse, das ich neulich bei Dir zeichnete! Das Papier ist von meinen Tränen naß; das Haus wird mir zu enge, und ich schweife im trüben Mondlichte dann zwischen den Ruinen umher, und Deine Gestalt begleitet mich allenthalben. O Rosaline, dieses Zagen, diese Angst kennst Du nicht, denn sonst würdest Du meinen Zustand mehr bemitleiden. Nein, Hartherzige! Du kennst die Liebe nicht, denn Du verhöhnst meine Empfindung. Undankbare! Du weidest Deine Eitelkeit an meinem Gram, und wirst Dich über meine Verzweiflung freuen! – Stand ich nicht gestern noch eine Stunde länger vor Deiner Türe, und Du kamst nicht wieder, wie Du mir versprochen hattest? Spieltest Du nicht, um mich zu kränken, dies verhaßte Lied von dem Antonio? – Nein, Du betrügst mich nur mit einem Schein von Liebe, Du freust Dich darüber, daß Du mich gedemütigt hast, und alle Deine Küsse, Deine Umarmungen sind Heuchelei. Labe Dich an meinem Anblicke, wenn Du mich wahnsinnig gemacht hast!

O vergib mir, Teure, wenn ich Dir Unrecht tue! Betrüben möcht ich Dich nicht.

 

40
Rosaline an Antonio

Du kannst das Lied vom Antonio nicht leiden? Mein liebstes Lied, weil es Deinen Namen führt? Ach, Lieber, wie unrecht tust Du mir! Dir zum Possen soll ich es singen, und ich will mich dadurch trösten, weil ich nicht wieder herausgehen konnte. Die Mutter war böse und hatte mir es streng verboten, und ich muß ihr doch gehorchen. Sie will nicht gern, daß ich so viel bei Dir bin. Nein, wenn es Dir nicht gefällt, will ich das Lied nie mehr spielen, sosehr ich es auch liebe. Ich Dich kränken! Ach, Antonio, wie sollt ich das können? – Wenn Du da bist, schäm ich mich nur immer zu sagen, wie gut ich Dir bin: man hat keine Worte dazu, ich müßte neue ausdenken. Aber wenn Du so weggegangen bist, und ich Dir nun nachsehe, oder wenn ich einen Deiner Briefe lese, sieh, so kehrt sich mir das ganze Herz um, und ich möchte Dir nachrennen, Dich vor der ganzen Welt in meine Arme drücken, Dein liebes Gesicht küssen, und in Tränen vergehn und rufen: Ja, Menschen seht es, Bäume und Berge hört es, so, so lieb ich ihn; was kümmert ihr mich alle, wenn er mir nur, der einzig Teure in der Welt, übrigbleibt? Sieh, wenn Du nichts nach mir fragtest; so könnt ich zu Deinen Füßen niederknien, und um Deine Liebe bitten; ich könnte meine Religion verlassen und nicht mehr zur göttlichen Madonne beten, wenn Du es wolltest: ich könnte mit Dir in fremde, wüste Länder ziehn, wo man andre Sprachen spricht, wo, wie man mir einst erzählt hat, Eis und Winter fast immer die Luft zusammenzieht; o ich könnte für Dich sterben – alles, alles, nur Dich nicht vergessen, nur nicht Deinen Tod, oder Deine Verachtung überleben. – Ach, kannst Du mich noch unempfindlich und undankbar schelten? Kannst Du noch auf mein liebes Lied böse sein?

 

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Antonio an Rosaline

Nein, ich will Dein Lied nicht mehr schelten, liebe Rosaline. Ich habe Dir und ihm Unrecht getan, und ich will es ihm abbitten: Schicke mir zur Versöhnung die Abschrift, die Du davon hast, ich will es zu Deinen Briefen, zu Deinem Bilde, zu Deiner Locke legen; mehr kann ich ihm zur Ehre doch nicht tun. – Wie hat mich Dein lieber Brief gerührt! Oh, ich habe ihn um Vergebung gebeten, und will es mündlich bei Dir wiederholen. Bin ich Dir wirklich so teuer, als Du da schreibst? Ich kann es nicht glauben, und glaub es doch so gern. Deine Stimme klingt mir, wie ein Ton aus einem Traume, der mir die Schätze der Erde verspricht, und dem die wirkliche Natur nicht Wort halten kann. Ach nein! die Liebe macht das Unmögliche leicht. Sie ersetzt uns jedes Glück der Erde. –


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