Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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3
Willy an seinen Bruder Thomas

Paris.

Da ich Dir nun einmal schreibe, so weiß ich doch wahrhaftig nicht, wo ich anfangen soll, so voll ist mir der Kopf von merkwürdigen Schreibereien, und ich möchte die Feder in beide Hände nehmen, um Dich nur recht viel erfahren zu lassen. – Daß der Herr William ein guter Mann ist, das wirst Du Dir wohl schon mit Deinem bißchen Verstande zusammenreimen können, aber daß er so gut mit mir umgeht, wie ein Vater mit seinem Kinde, das die Pocken hat, das wirst Du vielleicht nimmermehr glauben wollen.

Hast Du wohl schon ein ordentliches Puppenspiel mit lebendigen Personen gesehn? Solche sind hier viele und man hat besondre Häuser dazu für die Leute gebaut, die es auch mit ansehn wollen. Man sollte nicht glauben, daß so viele Leute eine solche Neugier in sich hätten. Es ist immer sehr hell bei solchen Gelegenheiten, von den vielen Lichtern nämlich, Thomas, mußt Du verstehn, die ringsum in dem ganzen Hause brennen, denn sonst würden die Leute, die es gern sehn wollen, wenig sehn, und bei Tage müssen sich doch wohl die Komödiantentruppen schämen, ihre Sachen vorzuspielen, ich wenigstens würde auch ebenfalls am Abende nicht mitspielen, und wenn sie mir selbst die vornehmste Rolle geben wollten. – Eine Art von Stücken gibt es, wo man immer weinen muß, ich habe es aber, bei aller Mühe, noch nicht dahin bringen können; die vornehmen Damen sind darin mehr geübt, aber der gute Herr William nimmt mich manchmal doch wieder mit: er hat auch noch kein einziges Mal darin geweint: ich denke, es macht, weil wir hier nur Fremde sind. –

In einem andern großen Hause lachen die Leute immer aus vollem Halse: es ist doch wirklich viel, daß das die Komödiantenleute nicht übelnehmen. Ich kann hier den jungen Italiener nicht leiden, der meinen Herrn manchmal besucht, er hat ein paarmal angefangen zu lachen, als ich mit meinem Herrn William eine ernsthafte Rede anfing; das Auslachen kann ich gar nicht leiden, Thomas, Du weißt noch, daß wir uns schon in einigen der ehemaligen Jugendjahre tüchtig ausschlugen, weil Du mich etlichemal hattest auslachen wollen, doch, das ist itzt vorbei, und ich hab es Dir vergeben. –

Wie ich Dir sagen wollte, so gefällt mir das Ding am besten, was sie hierzulande die Oper nennen, da braucht man nicht zu tun, als wenn man es verstünde, denn da wird einem jeden alles weitläuftig vorgesungen, und es ist ein recht vernünftiger Gedanke, daß wenn sie überdrüssig sind zu singen, so springen sie etliche Sätze herum. Die Musik ist Dir immer unter sehr viel Instrumente abgeteilt, damit der Lärm desto größer wird und die Komödiantensänger nicht die Herzhaftigkeit verlieren, denn das ist nicht ein geringer Spaß, wenn auf etliche darunter geschossen wird, oder manchmal werden sie auch ordentlich gestochen und sterben. – Herrlich sind dabei die Bilder, welche Häuser, oder Gärten, oder so etwas vorstellen, man möchte manchmal hineingehn, so natürlich scheint es in der Ferne auszusehn. Neulich war eine große Prügelei hier, ich glaube, es war eine Schlacht, die der berühmte Alexander machte. Sie war gut.

In Paris gibt es auch sehr viel arme Leute; Thomas, ich denke doch immer, daß die armen Franzosen auch meine Brüder sind, wenn ich auch im Grunde ein Engländer bin, ich habe manchem schon etwas von meinem Überflusse gegeben, und die bedanken sich dann immer so sehr, als wenn ich wunder was! getan hätte. – Wozu doch der liebe Gott wohl die so ganz armen Menschen in der Welt geschaffen haben mag? – Wenn ich erst einem etwas gebe, so kommen gleich eine Menge um mich herum, die mich so mit barmherzigen Augen ansehn, daß ich es gar nicht lassen kann, ihnen auch was zu geben; der eine drückt mir dann die Hand, der andre sieht nach dem Himmel, der dritte weint – oh, da hab ich oft mitgeweint und mich nicht dazu gezwungen, es kamen mir die Tränen ganz unverhofft – ach, es sind recht gute Leute, wenn sie nur ihr gehöriges Brot in der Welt hätten.

Die vornehmen Leute fahren hier in der Stadt sehr geschwinde, viel zu geschwinde, wie ein Jagdpferd. Es werden auch manchmal Leute übergefahren, und da machen sie sich nicht viel daraus, sie fahren über die Menschen ganz geruhig weg. – Thomas, auch darüber hab ich neulich geweint, wie sie so einen armen alten Mann überfuhren, der eben seinen kleinen Kindern Brot eingekauft hatte: es war gerade ein Fest, und er hatte sich weiß Brot gekauft, um sich doch auch eine Freude zu machen, und nun fuhren sie ihn gerade so unbarmherzig über, daß er schon am Abende starb. – Es ist nicht recht, Thomas, ich könnte nicht wieder recht ruhig schlafen, aber das ist hier nicht anders. Wir beide haben noch niemand übergefahren, denn wir sind immer zu Fuße gegangen, außer seit ich mit meinem Herrn auf Reisen bin. Übrigens bleibe mein Bruder, so wie ich bin

Dein guter Bruder Willy.

 

4
Thomas an seinen Bruder Willy

Bondly.

Ich habe Deinen Brief bekommen, Willy, und es freut mich, daß Du auch immer noch in der großen weiten Welt an Deinen Bruder denkst, das ist sehr brav von Dir. – Ich habe schon von solchem närrischen Zeuge und auch von solchen Greueltaten gehört, wie Du mir da schreiben willst, es ist in der Welt einmal nicht anders. Ich weiß nicht, ob Du schon davon gehört hast, daß ich itzt in Bondly wohne und in Diensten beim alten Lord Burton bin. Die Lady Buttler ist gestorben und da bin ich nun hierhergekommen. – Der alte Lord ist bei weitem nicht der Mann, der er sein könnte, wenn er ein recht guter Christ wäre – nun, Du wirst ihn ja kennen, aber der junge Herr ist auch ein desto lieberer Herr, wenn der erst einmal die Herrschaft kriegen wird, da werden sich die Untertanen recht freuen, zu denen ich doch itzt auch gehöre. Ich wünschte wohl, daß ich's noch erlebte, und daß Du, Willy, mich dann in Bondly besuchtest, oder gar hierbliebest, der junge Herr Burton nähme Dich gewiß gleich in Dienste, dann wollten wir unsre letzten Tage noch recht vergnügt zusammenleben. – Grüße doch Deinen Herrn von mir und sage ihm, er möchte mein guter Freund bleiben, so wie ich

der seinige. Thomas.

Nachschrift. Schreibe mir sooft Du kannst, Willy; nur muß ich Dir noch sagen, daß Deine Art zu schreiben gerade nicht die schönste ist, alles ist immer so dunkel, wenn man nicht selbst etwas Verstand hätte, so würde man Dich nimmermehr verstehn. – Demohnerachtet bin ich

Dein zärtlicher Bruder, Thomas.

 

5
Eduard Burton an William Lovell

Bondly.

Deine Briefe erfreuen mich um so mehr, um so heiterer und lebensmutiger sie sind. Ich teile Deine Sehnsucht nach einer entflohenen schönen alten Zeit; aber soll in dieser Sehnsucht nicht selbst ein Gewinn für uns liegen? Jener Lebensmut des Altertums ist uns wohl entwichen, aber es ist uns vielleicht vergönnt, Natur und Kunst mit mehr Inbrunst zu lieben und zu erfassen; denn gewiß muß der Geist der Menschheit, das Verständnis der Dinge, ebenfalls eine Geschichte haben, und in keiner Geschichte ist ein ununterbrochenes Rückschreiten möglich: jene Völker, die uns als Beispiel dienen könnten, haben eben auch ihre Geschichte verloren. Der Zustand tierischer Wildheit ist kein menschlicher Zustand mehr. Darum sind uns alle großen Erinnerungen alter Zeiten so wert, weil sie an sich selbst schon unser Gemüt erheben, und zugleich in uns den Vor- und Rückblick, die Ahndung einer wundersamen aber notwendigen Verkettung der Dinge, kurz, eine wahre Geistergeschichte zum Licht erheben. Darum wirst Du auch, wie die meisten Reisenden tun, den Erinnerungen und Denkmalen des sogenannten Mittel-Alters nicht gleichgültig aus dem Wege gehen, denn alles was die Neueren echte Kunst und Poesie nennen dürfen, scheint mir doch nur als die letzte Verwandelung dieser noch ziemlich unbekannten und unerkannten Jahrhunderte uns anzuglänzen. Den Griechen und Römern haben die Künste schwerlich so viel zu danken, als sie sich selbst immer schmeicheln möchten, und vielleicht ist in diese mehr Mißverständnis als Verständnis aus den klassischen Autoren gekommen. Mit der Philosophie und Wissenschaft ist es freilich ein ganz anderer Fall, und insoferne keine Zeit eine Kunst besitzen kann, die von der Wissenschaft keinen Einfluß erführe, haben Poesie und ihre Geschwister auch gewiß viel Gutes, aber aus der zweiten Hand, von jenen Alten bekommen.

Ich lebe hier im einsamen Bondly einförmig und ohne Freund. Am schlimmsten ist es, daß ich mich oft innerlich härme und quäle, wenn ich die menschenfeindliche Stimmung meines Vaters und jene traurige Verzweiflung in ihm wahrnehme, welche er Menschenkenntnis nennt.

Deine Tante in Waterhall ist gestorben, ihr Gut ist an Dich gefallen – William – darf ich mir eine schöne Zukunft denken, in welcher Du dort wohnst, so nahe bei mir? Ich verweise alle meine Wünsche in jene Zeit, aber eine boshafte Ahndung will es mir manchmal ableugnen, daß sie sich je erfüllen werden. –

 

6
William Lovell an Amalie Wilmont

Paris.

Oh, Amalie, dürft ich mit diesem Briefe zugleich nach meinem Vaterlande eilen, in Ihre Arme fliegen, o könnt ich Tage zurückzaubern und alle Seligkeiten von der Vergangenheit wiederfordern! Ich sitze nun hier und wünsche und sinne, und fühle so innig die Schmerzen der Trennung. Oh, wie dank ich dir, glücklicher Genius, der du zuerst das Mittel erfandest, Gedanken und Gefühle einer toten Masse mitzuteilen und so bis in ferne Länder zu sprechen; gewiß war es ein Liebender, ein Geliebter, der zuerst diese Zeichen zusammensetzte und so die Trennung hinterging. Aber doch, was kann ich Ihnen sagen? daß nur Sie mein Gedanke im Wachen, meine Traumgestalt im Schlafe sind? Daß sich meine Phantasie oft so sehr täuscht, daß ich Sie in fremden Gestalten wahrzunehmen glaube? daß ich zittre, wenn auch das fremdeste Wesen von ohngefähr den Namen: »Amalie« nennt? Mit welchen Worten soll ich die Gefühle ausdrücken, die mein Herz erweitern und zusammenziehn? Kein Zeichen entspricht der lebendigen Glut in meinem Innern; oh, der hat nur halb empfunden, der noch Worte suchte und Worte fand – ich kann, ich mag Ihnen nichts vorschwatzen – nur ein Wunsch, nur eine Bitte: vergessen Sie nicht Ihren aufrichtigen, zärtlichen William, der Sie ewig nicht vergessen kann.

 

7
Amalie Wilmont an William Lovell

London.

Mit einer innigen Wehmut setz ich mich nieder, um Ihnen zu schreiben; ich hätte Ihnen so manches zu sagen, so manche Antwort von Ihnen zu erbitten, und doch bin ich in Verlegenheit, wie ich es Ihnen sagen soll. So unerwartet ich Sie in London wiedersah, ebenso plötzlich sind Sie nun wieder abgereist; alle meine Empfindungen, frohe und traurige, wiegen mich in einen Traum, in welchem ich keinen Begriff, kein Gefühl fesseln, nachdenken und empfinden kann. Ach, William, in der kurzen Zeit, in welcher ich Sie kannte, hatt ich mich so frei, so kühn, und (ich weiß nicht, wie ich es nennen soll) so groß gefühlt, daß ich der Zukunft froh und ohne Scheu entgegensah – aber itzt beklemmt eine unnennbare Bangigkeit meine Brust, mein Mut verläßt mich, ich fühle mich einsam und verlassen, ich bin wieder ein Kind, wie ich vorher war. Ich weiß selbst nicht, was ich von mir will, die Zukunft und die ganze Welt liegt in einer finstern Ausdehnung vor mir, ich ahnde, daß die Freuden dieses Lebens vielleicht die zartesten Blumen sind; wehe dem Herzen, in welchem der Frühling zu früh aufgeht, ein einziger wiederkehrender Wintertag läßt alle Blüten ersterben, dann ruft sie kein Sonnenschein ins Leben zurück, keine herabfallende Träne erquickt sie wieder. William, wenn dieser ewige Winter meiner wartete? – Doch, lassen Sie uns abbrechen, wir können dem Schicksale nicht gebieten, aber Wünsche sind verzeihlich.

Ihr Vater ist von neuem unpäßlich geworden, er sieht sehr bleich aus, ich habe ihn neulich in London gesehn; doch sein Sie nicht betrübt darüber, etwas ist er indes schon besser geworden. Mit welcher Freude sprach er von Ihnen! Oh, wie liebt ich ihn um dieser Liebe willen! Ich fühlte mich in Ihrem Lobe so geehrt – und – ich weiß nicht, ob ich weiterschreiben soll – ach, William – und da sprach er von seinen Planen mit Ihnen, von gewissen Verbindungen, die so gut wie geschlossen wären, er nannte mehrmals den Namen der jungen Bentink – ich konnt ihn nicht mehr lieben, alle Freundlichkeit seines Gesichts ward für mich plötzlich ein furchtbarer Ernst.

Leben Sie wohl. Weiß ich doch, daß ich in Bondly mein schönstes Leben gefühlt und gelebt habe; diese Erinnerung bleibt mir ewig, und sie wird mein Glück sein, wenn ich in Zukunft vielleicht einmal alles verloren habe.


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