Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Balder an William Lovell

Neapel.

Ich will Worte schreiben, William, Worte – das, was die Menschen sagen und denken, Freundschaft und Haß, Unsterblichkeit und Tod – sind auch nur Worte. – Wir leben jeder einsam für sich, und keiner vernimmt den andern, antwortet aber wieder Zeichen aus sich heraus, die der Fragende ebensowenig versteht; – aber so wie unser ganzes Leben ein unnützes Treiben und Drängen ist, das elendeste und verächtlichste Possenspiel, ohne Sinn und Bedeutung, so will ich Dir in einer schwermütig lustigen Stimmung einen Brief schreiben, über den Du lachen sollst.

Ich weiß selbst nicht, warum ich schreibe – aber ebensowenig weiß ich, warum ich Atem schöpfe. – Es ist alles nur um die Zeit auszufüllen und etwas zu tun, die elende Sucht, das Leben mit sogenannten Geschäften auszufüllen – Länder erobern, Menschen bekehren, oder Seifenblasen machen, eine Sucht, die bei der Geburt unserer Seele eingeimpft ist – denn sonst würde schon der Knabe die Augen zumachen, sich vom langweiligen Schauspiel entfernen und sterben; diese Wut also etwas zu tun, macht, daß ich Papier und Feder nehme, und Gedanken schreiben will – das Unsinnigste, was der Mensch sich vorsetzen kann.

Ich wette, Du lachst schon jetzt, so wie ich über den Anfang meines Briefes gelacht habe, daß mich die Brust schmerzt. – Du liesest den ganzen Brief nämlich nur aus Dir heraus, und ich schreibe Dir im Grunde keinen Buchstaben. Aber mag's sein. Bin ich doch auch wohl ehedem ein Tor gewesen, ganze Bücher mit Vergnügen durchzulesen, und mir einzubilden, daß ich den Geist des Verfassers dicht vor meinen Augen habe. Mein Bedienter ist gutwillig genug und so geschäftig, mir Papier, Dinte, Feder und alles übrige zu besorgen, als wenn von diesem meinem Schreiben das Heil ganzer Länder abhinge. Daß es noch Menschen gibt, die das, was man Geschäfte nennt, ernsthaft treiben können, ist das Wunderbarste in der Welt: – oder, ob sie noch gar nicht darauf gefallen sind, sich selbst und andre näher zu betrachten, wie lächerlich, possenhaft und weinerlich alles, alles, selbst Sterben und Verwesen ist? –

Manche von den Menschen, die mich besuchen, geben sich viele Mühe, sich zu meinem kranken Verstande herabzulassen, wenn sie von ihren wichtigen Armseligkeiten sprechen. Sie glauben, ich verstehe sie nicht, wenn ich über dem düstern Abgrunde meiner Seele brüte, und setzen mir dann auf eine ekelhafte Art ihre Zwerggedanken auseinander. Ich höre sie in meiner Spannung zuweilen wie aus einer tiefen Ferne in meine Seele hineinreden, wie ein unartikulierter Wasserfall, der gegen die Ufer schlägt, ich antworte ihnen mit Worten, ohne sie zu überlegen, und sie verlassen mich mit tiefem Bedauern und halten mich für höchst unglückselig, weil ich ihre tiefe Ideen nicht verstehe.

Neulich war ich in einer Gesellschaft von einigen Menschen, die sich untereinander Freunde nannten. Es waren Künstler, und zwei darunter hielten sich für Dichter. Man hatte mich aus Mitleid gebeten, um mich zu zerstreuen und meinen trüben Geist aufzuheitern. Ich saß wie eine Statue unter ihnen, und hörte dabei jedes Wort, das sie sprachen. Man machte sich gegenseitige Komplimente, einer sprach von den ungeheuern Talenten des andern, ließ aber dabei doch seinen Neid ziemlich deutlich hervorblicken. Der eine sprach von seinen Idyllen, die einer seiner Feinde in einer gelehrten Schrift heruntergesetzt habe, weil er ihm seinen großen Ruhm beneide; er bat den andern Dichter, eine Satire auf diese Zurücksetzung zu schreiben, und man sprach mit einem Eifer und Feuer von der ganzen Kinderei, als wenn das Wohl der Welt darauf beruhe. Der Dichter sprach immer langsam und akzentuierte jedes Wort hart und feierlich; der andere bildete sich wieder ein, lebhafter zu sein, und schrie und sprach schneller, jeder hielt es für notwendig, irgend etwas Charakteristisches an sich zu haben, damit nicht die großen Seelen so leicht miteinander verwechselt würden. Ach das Brausen von Mühlrädern ist verständiger und angenehmer als das Klappern der menschlichen Kinnbacken; der Mensch steht unter dem Affen, eben deswegen, weil er die Sprache hat, denn sie ist die kläglichste und unsinnigste Spielerei: mir gingen hundert wilde Gedanken mit harten Tritten durch den Kopf, alle diese Menschen wurden plötzlich so weit von mir weggerückt, daß ich sie nur noch wie Larven in einem fernen Nebel dämmern sah, daß ich ihr Gekreisch wie Sumsen von Grillen hörte; ich stand in einer fernen Welt und gebot herrschend über die niedrigen Schwatztiere, tief unter mir. – Ich ward begeistert und stand prophetisch auf, und rief den Fleischmassen zu: »O ihr Armseligen! – ihr Verblendeten! – Merkt ihr denn nicht auf eure Nichtigkeit und bedenkt nicht, was ihr seid? – Klumpen von toter Erde, die über kurzem wieder in Staub verwehen; deren Andenken wie Schatten von Wolken vorüberfliegen – euer Leben fährt wie ein Rauch dahin und euer Ruhm ist eine halbe Stunde, in der ein müßiger Schwätzer von euch spricht und euch verachtet. Und ihr steht, als wenn ihr Erde und Himmel beherrschtet; du hältst dich für Gott und betest dich selber an, weil du jämmerliche Verse gezimmert hast! – Ihr werdet sterben, sterben: – die Verwesung empfängt euch und fragt nicht nach eurem überirdischen Genie! die Hunde wühlen einst eure Gebeine aus, und fragen nicht darnach, ob das derselbe Kopf war, der einst Stanzen schrieb! – O Eitelkeit, du nichtswürdigster Teil des Menschen! – Tiere und Bäume sind in ihrer Unschuld verehrungswürdiger, als die verächtliche Sammlung von Staub, die wir Mensch nennen!«

Ich kann mich nicht erinnern, was ich ohngefähr weiter gesagt haben mag; aber ich verachtete sie so tief, daß ich sie mit den Füßen hätte zertreten können, daß ich es für eine Wohltat an ihnen selbst hielt, sie zu vernichten. – Als ich zum gewöhnlichen Leben zurückkehrte, fand ich mich von ihren Armen festgehalten, man hatte meine Wut gefürchtet, und man schaffte den überlästigen Redner nach Hause.

Könnt ich nur Worte finden, um die Verachtung zu bezeichnen, in der mir alles erscheint, was Mensch heißt! – mein Arzt ist sehr für meine Gesundheit besorgt, weil es sein Gewerbe mit sich bringt. Wenn ich nicht gern vom Wetter mit ihm spreche, findet er meine Umstände bedenklicher, will es mich aber nie merken lassen, daß er mich für wahnsinnig erklärt. Er gibt mir viele kühlende Mittel, und behandelt mich wie eine tote Maschine, ob er mir gleich selber so erscheint. Er schüttelt zu allen meinen verwirrten Gedanken den Kopf, weil er sie nicht in seinen Büchern gefunden hat, und im Grunde bin ich wahnsinnig, weil ich nicht dumm und phlegmatisch bin. Daß Gewohnheit und Dummheit die Menschen so wie ein dicker Nebel umgeben kann, aus dem sie nie herauszuschreiten vermögen! Lag es nicht von Jugend auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir selbst mit Armseligkeiten verdeckte, und mir log, ich sei froh? Kündigte sich nicht oft der innerste dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich eigensinnig mein Ohr verstopfte? – Ich verstelle mich nicht mehr und bin wahnsinnig! – Wie vernünftig die Menschen doch sind!

O ich muß fort, fort, ich will in wilden Wäldern die Seelen suchen, die mich mehr verstehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir sympathisieren: es ist nur nicht Mode so zu denken, wie ich, weil es nicht einträglich ist.

Ich spiele mit den Menschen, die zu mir kommen, wie mit bunten Bildern. Ich gab mir neulich die Mühe, mich zu dem dummen Geschwätze meines Arztes herunterzulassen; wir sprachen über Stadtneuigkeiten, über Anekdoten, die er ungemein lächerlich fand; ich lieh ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er fand, daß ich mich ungemein bessere. Mit Selbstzufriedenheit verließ er mich, und ich konnt es nicht unterlassen, ihm nach unsrer feierlichen Unterhaltung ein so lautes Gelächter nachzuschicken, daß er sich erblassend umsah, und wieder alle Hoffnung verloren gab.

Ich habe ehedem einen Menschen gekannt, der taub, stumm und blind war. Keine Seele schien sich in ihm zu offenbaren, und er war vielleicht der Weiseste unter den Sterblichen.

Rosa hält sich für sehr klug, und sieht mich immer mit Mitleid an, und ich möchte nicht er sein; ein Narr, den jeder Blick eines Mädchens entzückt, der immer, wenn er spricht, Epigramme drechselt und seine Worte nur für ein dankbares Lächeln verkauft; dessen Lebenslauf kleine Zirkel sind, die er unaufhörlich von neuem durchläuft. Wenn er stirbt, wird ihm die Scham gewiß am meisten weh tun, daß er ordentlich verwesen muß.

Ich wohne jetzt in einem Garten vor dem Tore. Wie auf der See treiben meine Gedanken ungestüm hin und wider, ich fürchte mich vor dem blauen gewölbten Himmel über mir, der dort gebogen wie ein Schild über der Erde steht, unter welchem wir Gewürme wie gefangene Mücken sumsen, und nichts sehen und nichts kennen und fühlen. – Ich mag auch gar nichts mehr denken und ersinnen. – Es geht ein Sturm durch die Wölbung und die fernen Wälder zittern rauschend, die See fürchtet sich und murmelt leise und verdrossen, es donnert fernab im Himmel, als wenn ein Gewitter zurechtgelegt wird, und der Werkmeister unachtsam den Donner zu früh aus der Hand fallen läßt. – –

Ich schreibe beim heftigsten Gewitter. – Es braust mit Hagel und Regengüssen und der Sturmwind und Donner stimmen sich, und einer singt dem andern den tobenden Wechselgesang nach. Wie fliehende Heere jagen Wolken Wolken, und die Sonne flimmert bleich auf fernen Inseln, die ganz weit weg wie goldene Kinderjahre in der Sturmfinsternis dastehen; das Meer schlägt hohe Wogen und donnert in seinem eigentümlichen Ton. – Ich lache und wünsche das Wetter immer lauter und lauter, und schreie dazwischen und schelte den Donner furchtsam: – brause du und stürme wirbelnd, und reiße die Erde und ihre Gebilde zusammen, damit ein andres Geschlecht aus ihren Ruinen hervorgehe!! –

Die Alltäglichkeit kömmt wieder, und das Wetter fliegt weiter. Wie eine reisende Komödiantentruppe spielen die Wolken in einer andern Gegend nun dasselbe Schauspiel; dort zittern andre Menschen jetzt, wie vor kurzem hier viele bebten – und alles verfliegt und verschwindet und kehrt wieder, ohne Absicht und Zusammenhang –

Ich fürchte mich des Nachts nicht mehr. – Als ich neulich allein um Mitternacht in meinem Zimmer stand und aus dem Fenster den Zug der trüben Wolken sah, und mir alles wie Menschengedanken und Empfindungen am Himmel dahinzog, als ich sichtbarlich in Dunstgestalt manche Erinnerung vor mir fliegen sah – und ich zu ruhen und zu sterben wünschte – da drehte ich mich plötzlich leise um, wie wenn mich ein Wind anders stellte. Und alle meine Vorfahren saßen still und in Mänteln eingehüllt an meinem Tische, sie bemerkten mich nicht und aßen mit den nackten Gebissen von den Speisen, heimlich reckten sie die dürren Totenarme aus den schwarzen Gewändern hervor, um kein Geräusch zu machen, und nickten gegenseitig mit den Schädeln. Ich kannte sie alle, aber ich weiß nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vielen Verdruß ich ihm gemacht hätte, mußte ich weinen, daß er jetzt so abgehärmt und jämmerlich aussah, und verschämt das nackte Gerippe mehr verdeckte als die andern. Sie hörten mich schluchzen und gingen still, wie mit bösem Gewissen zur Tür hinaus, aber doch so langsam und gesetzt, daß sie glauben mußten, ich hätte sie nicht bemerkt. – Wenn wir ohne Schauder unter unsern Möbeln sitzen, warum wollen wir uns denn vor Totengerippen fürchten? Aus den Knochen der Tiere arbeiten sich die Menschen Putz heraus, und entsetzen sich vor den näher verwandten Gebeinen.

Ich durchstrich noch in derselben Mitternacht das tote Gefilde, und rief alle Gespenster herbei und gab ihnen Gewalt über mich. Ich rief es in alle Winde, aber ich ward nicht gehört. – Die Glocken schlugen aus der Ferne, und sprachen so langsam und feierlich wie betende Priester; Wälder und Winde sangen Grabgesang, und prophezeiten allem, was da lebt, den unausbleiblichen Tod, aber alle Geschöpfe schliefen fest und hörten nichts davon, der Mond sah weinend in die verschleierte Welt hinein; – es gibt nichts mehr, das mich entsetzt; und das macht mich betrübt. Der menschliche Geist kann alle Ideen sehr schnell erschöpfen, weil er nur wenige fassen kann. Er hat wie ein Monochord nur sehr wenige Töne.

Lebe wohl, wenn es in dieser Welt möglich ist; sei recht glücklich, mag ich nicht hinzufügen, weil es kein Glück gibt, als zu sterben, und ich weiß, daß Du den Tod fürchtest. – Ich habe schon oft heimliche Verwünschungen ausgestoßen und gräßliche Sprüche versucht, um die Gegenstände um mich her in andre zu verwandeln. Aber noch hat sich mir kein Geheimnis enthüllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberungen geantwortet: es ist gräßlich, nichts mehr zu lernen, und keine neue Erfahrung zu machen, ich muß fort – in die Wildnisse der Apenninen und Pyrenäen hinein – oder einen noch kürzern Weg in das kalte würmervolle Grab.

 

6
William Lovell an Rosa

Rom.

Die kleinen Bitterkeiten in Ihrem Briefe habe ich recht gut verstanden, und ich gebe zu, daß Sie im ganzen recht haben mögen. Der Scherz eines Freundes kann auf keine Weise beleidigen.

Balder hat mitten in den Ausbrüchen seines Wahnsinns einen Brief an mich geschrieben, in dem mir manche Ideen dunkel sind; er ist entweder seiner Heilung nahe, oder gefährlicher krank als je. Was ich in seinem Briefe verstanden habe, hat mich betrübt. Lassen Sie doch ja etwas Acht auf ihn geben, er scheint die Idee zu haben, sich von Neapel zu entfernen. Er gewinnt freilich wenig, wenn man ihm das Leben erhält, aber es sollte mir leid um ihn tun, wenn er ganz zugrunde ginge. –

 

7
Rosa an William Lovell

Neapel.

Balder ist fort, niemand weiß wohin. Ob er entflohen ist, ob er sich ermordet hat, alles ist ungewiß. – Er ist in den letzten Tagen zuweilen bis auf die höchste Stufe der Raserei gekommen; in einer Gesellschaft von Fremden hat er neulich alle mit den verächtlichsten Reden beschimpft, geschmäht und endlich bewußtlos mit dem Messer nach ihnen gestochen. – Er ist zu beklagen, sein Tod wäre Gewinn für ihn. – Grüßen Sie Bianca und Ihre übrigen schönen Freundinnen von mir, nur keine von den spröden Tugendhaften, die uns so oft zur Last gefallen sind. Leben Sie recht wohl, und suchen Sie den Unglücklichen zu vergessen.


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