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Nein, ich muß mir vor mir selber endlich Ruhe schaffen. – Soll mir alles nur dräuen und kein Wesen liebevoll die Hand nach mir ausstrecken? Ist für mich der Name Freundschaft und Wohlwollen tot? – Und wenn der Himmel noch lauter zürnte, so will ich mich dennoch nicht entsetzen. In einer noch höhern Wildheit, im stürmendsten Wahnsinne will ich einen Zufluchtsort suchen und mich dort gegen alles verschanzen! Ich will so lange trinken, bis mir Sinne, Atem und Bewußtsein entgehn, und so als ein taumelnder Schatten zum Orkus wandern, damit mir dort alles noch seltsamer und unbegreiflicher erscheine.
Hoch möcht ich mit den Stürmen durch des Himmels Wölbung fahren, mich in das schäumende Meer werfen und gegen die donnernden Wogen kämpfen, mit den Abgründen, mit den tiefen, undurchdringlichen Schachten der Erde will ich mich vertraut machen, und endlich, endlich irgendwo die Ruhe entdecken. –
Und warum will ich ruhig sein? Warum dies lächerliche Streben nach einer Empfindung, die an sich nichts ist? die nur aus einer Abwesenheit von Gefühlen entsteht? – Nein, ich will anfangen, in den Folterschmerzen, im Kampfe des Gewissens meine Freuden zu finden! – Alle Verbrecher, alle Bösewichter sollen leben! Der Tugend, der Gottheit zum Trotz sollen sie sich nicht elend fühlen! ich will es so, und ich hab es mir selber zugeschworen.
Mit meinen jämmerlichen Gesellen ist nichts anzufangen, sie trinken und spielen nicht. Raub und Mord und Mord und Raub ist ihr einziges Beginnen, und wenn sie spielen, ist man in Gefahr, von ihnen umgebracht zu werden.
Wie mir der Kopf, wie mir alle Sinne schwindeln. Es gibt nichts Höheres im Menschen, als den Zustand der Bewußtlosigkeit; dann ist er glücklich, dann kann er sagen, er sei zufrieden. Und so wird er im Tode sein. Dumpfe Nacht liegt dann über mir, kein Stern leuchtet zu mir in den finstern Abgrund hinein, kein Schall aus der Oberwelt findet den Weg dahin, unauflöslich an gänzliche Vergessenheit gebunden, lieg ich dann da und bin nicht mehr ich selbst, ich kenne mich nicht mehr und die Steine umher sind meine Brüder – nun, warum sollt ich mich denn also vor dem Tode fürchten? Er ist nichts, er hebt die Furcht auf, er ist die letzte Spitze, in der alle menschliche Gefühle und Besorgnisse zusammenlaufen und in nichts zerschmelzen.
Wohl mir, wenn der Tod erst mein Gehirn und Herz zertreten hat, wenn Steine über mir liegen und Gewürme von meinem Leichname zehren! –
Der Mensch ist nichts als ein alberner Possenreißer, der den Kopf hervorsteckt, um Fratzen zu ziehn, dann drückt er sich wieder zurück in eine schwarze Öffnung der Erde, und man hört nichts weiter von ihm.
Mein Blut läuft schmerzhaft schnell durch meine Adern. Aber es wird einst stillestehn, kein Wein wird es dann schneller herumtreiben und nach dem Gehirne jagen, es wird stehn und verwesen. –
Wo die Menschen bleiben! – Wenigstens mag ich noch jetzt nicht allein sein, dazu habe ich im Tode noch Zeit genug.
Reisen Sie ja nicht hieher, Rosa, glauben Sie mir, wir würden Sie ohne alle Barmherzigkeit rechtschaffen plündern, denn hier gilt keine Freundschaft, keine Ausnahme der Person. Ja, wir schonen nicht einmal andrer Diebe, so strenge halten wir auf Gerechtigkeit. –
O Freund, was kann der Mensch denken und niederschreiben, wenn er ohne Besinnung ist! Jetzt, da ich nüchtern bin, schäme ich mich vor mir selber, ich wache in mir selbst auf, und alles wird zunichte, was schon in sich selbst so nichtig war. Seit ich hier bin, ist mein Herz mehr zerrissen als je, ich habe mich nie vorher mit diesen Augen betrachtet. In der düstern Einsamkeit reißen sich alle Sophismen, alle Truggestalten mit Gewalt von mir los, ich fühle mich von allen jenen Kräften verlassen, die mir sonst so willig zu Gebote standen. Eine schreckliche Nüchternheit befällt mich, wenn ich an mich selbst denke, ich fühle meine ganze Nichtswürdigkeit, wie jetzt nichts in mir zusammenhängt, wie ich so gar nichts bin, nichts, wenn ich aufrichtig mit mir verfahre. O es ist schrecklich, Rosa! sich selbst in seinem Innern nicht beherbergen zu können, leer an jenen Stellen, auf denen man sonst mit vorzüglicher Liebe verweilte, alles wüst durcheinandergeworfen, was ich sonst nach einer schönen und zwanglosen Regel dachte und empfand: von den niedrigsten Leidenschaften hingerissen, die ich verachte und die mich dennoch auf ewig zu ihrem Sklaven gemacht haben. Ohne Genuß umhergetrieben, rastlos von diesem Gegenstand zu jenem geworfen, in einer unaufhörlichen Spannung, stets ohne Befriedigung, lüstern mit einer verdorbenen, in sich selbst verwesten Phantasie, ohne frische Lebenskraft, von einem zerstörten Körper zu einer drückenden Melancholie gezwungen, die mir unaufhörlich die große Rechnung meiner Sünden vorhält: – nein, Rosa, ich kann mich selber nicht mehr ertragen. Wäre Andrea nicht, so würde ich wünschen, ewig ein Kind geblieben zu sein, der Dümmste zu sein, den Sie nicht eines Wortes, nicht Ihres Anblicks würdigen, ach, ich wäre zufrieden auch mit Ihrer Verachtung, ich würde von keiner andern Heimat wissen und mich in der dunkeln, beschränkten Hütte glücklich fühlen. Aber ich weiß, daß noch nicht alles verloren ist, die größere und bessere Hälfte meines Lebens ist noch zurück. Andrea hat den Schlüssel zu meiner Existenz, und er wird mir wieder ein freieres Dasein aufschließen: er wird mich in eine höhere Welt hinüberziehn und ich werde dann die Harmonie in meinem Innern wieder antreffen. So muß es sein, oder es gibt für mich keinen Trost auf dieser weiten Erde, keinen Trost im Grabe, vielleicht keinen Trost in einer Unsterblichkeit. Glauben Sie nicht, Rosa, daß ich in einer trüben Laune übertreibe, daß ich mich mit Beschuldigungen überlade, um mir nur die Entschuldigung wieder desto leichter zu machen: nein, ich habe dies in allen Stimmungen empfunden, selbst im Wahnsinne der Trunkenheit schwebte diese Überzeugung fürchterlich deutlich vor meinen Augen, nur habe ich sie mir selber abgeleugnet; ich kann jetzt mit diesen Lügen nicht weiterkommen, ein unbestechlicher, unsichtbarer Genius verdammt mich von innen heraus, und was mich am meisten zu Boden wirft, ist, daß ich mir nicht als ein Ungeheuer, sondern als ein verächtlicher, gemeiner Mensch erscheine. Wäre das erstere der Fall, so läge in der Vorstellung selbst ein Stolz und also auch ein Trost. – Oh, Sie glauben es nicht, wie abgeschmackt ich mir vorkomme, wenn ich irgendeinen Schluß machen, oder etwas Gescheites sagen will; alles erscheint mir dann so ohne Zusammenhang mit mir selber, so aus der Luft gerissen, so im Widerspruche mit dem jämmerlichen Lovell, daß ich wie ein Schulknabe erröten möchte.
Sie sehn, Rosa, ich muß zurück und Andrea muß mich von mir selbst erlösen.
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Ralph Blackstone an Mortimer
Bondly.
Es geht alles glücklich und über die Maßen wohl mit den Verbesserungen: ich halte es für meine Schuldigkeit, Ihnen einige summarische Nachrichten davon zu geben, weil Sie sich für den hiesigen Garten vorzüglich interessierten. Die alten Linden, die vertrocknet waren, sind abgehauen und ausgegraben, es fand sich der Name Ihrer Gemahlin in der einen, neben ihr stand Lovell eingeschnitten; man hat junge Birken dort gesetzt; der Teich ist ausgetrocknet, weil der Garten doch an Wasser Überfluß hat: einiges Nadelholz am Abhange des Berges ist fortgeschafft, weil es oben die schöne, herrliche Aussicht einschränkte. Manche kleine Verbesserungen werden Sie noch antreffen, wenn Sie sich wieder selbst einmal herbemühen wollen; der Garten kann sich nun bald vor jedem Kenner sehen lassen; manches freilich könnte besser sein, aber man muß nicht alles in der Welt auf die beste Art haben wollen, sonst bleibt es am Ende ganz schlecht. An mir liegt freilich nicht die Schuld, sondern immer nur an dem Gärtner Thomas, von dem ich Ihnen schon neulich schrieb, daß ich vielen Streit mit ihm hätte; ein Mensch, der seinen wahren und echten Geschmack gar nicht ausgebildet hat, und der nun doch immer in allen Sachen recht haben will. Nun ist das eine sehr große und fast unausstehliche Prätension, selbst von einem sehr gescheiten Menschen, und nun vollends von einem Manne, der nicht drei vernünftige Gärten zeit seines ganzen Lebens gesehn hat. Aber es ist ein schlimmer Umstand bei diesem Manne, er wird sehr gekränkt, wenn man ihm zu sehr widerspricht, oder ganz gegen seinen Willen handelt, er hat eine Art von empfindsamem Eigensinn, den man gar nicht brechen kann, ohne ihm selber das Herz zu brechen. Er war neulich heftig gerührt, als ich ein Blumenbeet angebracht hatte, von dem er nichts wußte. Er hielt mir das Unrecht, das ich ihm, als einem so alten Manne, tue, daß ich seinen Respekt bei den Gartenknechten vermindre, recht beweglich vor, und ich alter Narr ließ mich übertölpeln und wurde ordentlich mit gerührt. Seit der Zeit sind wir nun sehr gute Freunde, ich tue ihm sehr vieles zu Gefallen und er tut mir auch dagegen manches zu Gefallen: ich habe es mir überlegt, daß ich lieber den Garten und den guten Geschmack, als einen lebendigen Menschen etwas kränken will, und darum sehe ich jetzt durch die Finger, und lasse manchmal fünfe gerade sein.
Von der Jagd sind Sie ebensowenig, wie mein Schwiegersohn, ein großer Liebhaber, und darum will ich Ihnen von ihren Fortschritten lieber nichts erzählen. Mein Schwiegersohn ist willens, das benachbarte Gut Waterhall zu kaufen, und ich glaube, daß er vernünftig daran tut, denn es ist zu einem sehr billigen Preise zu haben. – Ich empfehle mich Ihrer fernern Gewogenheit und nenne mich
Ihren ergebensten Freund Ralph Blackstone. |
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William Lovell an Rosa
Nizza.
Wohin soll ich mich wenden? – Ein entsetzlicher Schreck hat mich bis hieher gejagt, und nun weiß ich nicht, ob ich hierbleiben, ob ich rückwärts oder vorwärts gehen soll.
Die Räuber waren endlich meines müßigen Lebens überdrüssig, sie forderten, daß auch ich ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden sollte. Man gab mir ein Pferd, und ich mußte an einem Morgen mit zwei andern ausreiten.
Wir lagen noch nicht lange am Wege, als ein Reiter in großer Eile vorübertrabte; wir lenkten auf einen verborgenen Fußsteg ein, so daß wir ihm entgegenkamen. Er schien uns nicht zu fürchten, denn er suchte nicht auszuweichen, wir stießen aufeinander – und o Himmel! nie werd ich diesen Augenblick vergessen – Karl Wilmonts Gesicht stand vor mir, bleich und entstellt. – Kaum erkannte er mich, als in seinen Augen ein höheres Feuer aufloderte. Ich sah es, wie er nach meinem Blute lechzte, er sprach den Namen Emilie aus und stürzte wie ein wildes Tier auf mich ein. Ich konnte seinen Blick nicht aushalten, er zwang mich unwiderstehlich zu entfliehn; ich hörte ihn hinter mir, indem er gräßliche Flüche ausstieß: mein Haar stand empor, das Pferd lief mir immer noch nicht schnell genug, eine unbeschreibliche Angst drängte mich vorwärts. – Meine beiden Gefährten waren weit zurück, und als ich mich nachher noch einmal umsah, war auch Wilmont verschwunden. –
Wo ist er geblieben? – Soll ich nun nach Rom kommen, soll ich nach Frankreich zurückkehren? Wo bin ich vor diesem Verzweifelten sicher? Aller Mut, der mir sonst zu Gebote steht, verläßt mich, wenn ich an ihn denke. Er kömmt, um mich zu suchen; – und wenn er mich findet? – Wie vermag ich's, ihm standzuhalten? –
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Karl Wilmont an Mortimer
Pisa.
Ich hatte ihn, bei meiner Seele, ich hatte ihn schon! Aber er ist mir wieder entkommen, der schändliche Bösewicht. – Von Räubern ward ich in den piemontesischen Alpen angefallen, und denke Dir, Mortimer, er war unter ihnen. Ich erkannte ihn sogleich, und er erkannte mich und flohe. – Mein lahmer Gaul kam nicht nach. Schon gegen mir über, daß ich ihn erreichen konnte, hatt ich ihn gehabt. Mein Pferd stürzte an einem hervorragenden Stein und brach den Schenkel, ich lag eine Weile ohne Besinnung; als ich wieder zu mir selbst kam, sah ich ihn nirgend. – Aber ich muß ihn finden! – Wüßt ich nur, wohin ich mich wenden sollte! – In welchen Schlupfwinkel hat sich der Elende jetzt vor meiner Wut verkrochen? – Aber darüber bin ich unbesorgt; endlich muß ich ihn treffen, Emiliens Geist wird meine ungewissen Schritte leiten: fand ich ihn doch da, wo ich ihn am wenigsten vermutet hatte.