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Karl Wilmont an Mortimer
Bondly.
Ich muß Dir endlich schreiben und sollte auch mein ganzer Brief nichts als die Wiederholung der Phrase enthalten, daß ich Dir nichts zu schreiben weiß. Ich schäme mich meiner Nachlässigkeit und meine ungelenkigen Finger haben das Schreiben indes verlernt; oratorische Wendungen, Tropen, Metaphern und alle Arten von Figuren hab ich rein vergessen, und ich selber spiele hier an meinem Schreibpulte eine höchst armselige Figur, indem ich die Feder beiße und mir mit der linken Hand in den Kopf kratze, um mich zu besinnen, was ich Dir wohl zu sagen haben könnte. Ich möchte den Brief gar gern ins Feuer werfen, aber es reut mich dann, daß ich ihn einmal angefangen habe, und einen Brief mußt Du doch irgendeinmal von mir bekommen, daher will ich nur einen dreisten Trott fortreiten, ohne mich um die Künste eines Schulpferdes zu bekümmern. Wenn es nur Worte sind, so hab ich die Rechnung bezahlt, und ich habe mir einmal vorgenommen, daß das, was ich hier angefangen habe, ein Brief werden soll, und nun soll er auch wahrhaftig zustande kommen, und sollt ich mich genötigt sehn, einige rührende Betrachtungen über die Entfernung zweier Freunde mit einfließen zu lassen.
Ich fange an, mir hier in Bondly zum Teil weniger, zum Teil besser als ehedem zu gefallen. Der gänzliche Müßiggang behagt mir nicht recht, und doch würd es mir schwer werden, ihn aufzuheben. Der Mensch ist ein wahres Kind, er weiß nie recht, was er eigentlich will, er schreit und heult, und eine blecherne Klapper kann ihn zufrieden und glücklich machen; im folgenden Augenblicke wird sie wieder weggeworfen, und er sieht sich um, was er denn nun wohl wünschen könne. Glücklich ist dabei noch immer der, der einer Klapper oder einer Rosine habhaft werden kann: mischt sich aber die liebe Langeweile ins Spiel und ein gewisses nüchternes Gefühl, das einem im Leben so oft zur Last fällt, kann man keine Hoffnung und keinen Wunsch in seinem Gedächtnisse auftreiben; ist das Steckenpferd lahm, oder gar zu Tode geritten – o wehe dir dann, armer Sterblicher! entweder mußt du dann ein Philosoph werden, oder dich aufhängen. Diese Langeweile hat schon mehr Unglück in die Welt gebracht, als alle Leidenschaften zusammengenommen. Die Seele schrumpft dabei wie eine gedörrte Pflaume zusammen, der Verstand wächst nach und nach zu, und ist so unbrauchbar wie eine vernagelte Kanone; alles Spirituöse verfliegt – da sitzt man denn nun hinter dem Ofen und zählt an den Fingern ab, wann das Abendessen erscheinen wird; die Stunden sind einem solchen Manne länger, als dem, den man am Pranger mit Äpfeln wirft; man mag nichts denken, denn man weiß vorher, daß nur dummes Zeug daraus wird; man mag nicht aufstehn, man weiß, daß man sich gleich wieder niedersetzt, das drückende Gefühl geht mit, wie das Haus mit der Schnecke. – O Mortimer, Linsen durch ein Nadelöhr zu werfen, ist dagegen eine geistreiche Beschäftigung – und wie viele Menschen vergähnen auf dieser Erde nicht so ihr Leben? – Die magnetische Anziehungskraft erlahmt ohne Übung, ungeschlagen springt kein Funke aus dem Stahle, ungerieben zeigt sich keine Elektrizität an der Glasscheibe – kein Verstand, kein Gefühl am Menschen ohne Tätigkeit, Mitteilung und Freunde. Diese sind der Konduktor, welche einen Funken nach dem andern in die Flasche leiten, bis dann endlich ein großer leuchtender Funken schreiend herausspringt – dann kommt Don Quixote oder ein verlornes Paradies zum Vorschein, u. s. w. ad libitum.
Weil ich aber in so kläglichen Tönen wimmre, so glaube darum von mir noch nicht, daß ich schmachtend und hungernd in einer solchen Löwengrube sitze, oder daß ich ganz und gar an Freuden bankerott gemacht habe – daß ich zu jenen dumm unbefangenen Menschen gehöre, die es selber nicht ergründen können, wie ihnen zumute ist, oder die so über und über mit einer bleiernen Unbehaglichkeit behangen sind, daß man sie auf den ersten Blick nicht vom Elefanten mit dem Turm unterscheiden kann; die sich mit dem kältesten Blute ersäufen könnten, weil es gerade Donnerstag ist: – nein, lieber Mortimer, halt mich meines Geschwätzes ohngeachtet immer noch für einen Menschen, der seine fünf Sinne, im ganzen genommen, behalten hat; der zur Not, wenn ihn die Langeweile plagt, auf die Jagd geht, oder nach der nächsten Stadt reitet, oder Whist spielt, oder Romane liest, oder Dir einen Brief schreibt, wie das zum Beispiel itzt eben der Fall ist; dann freilich bin ich etwas verdrüßlich und übelgelaunt.
Ach, lieber Freund, was für herrliche Sachen ließen sich nicht über die Allmacht der Liebe sagen, über jenen kleinen Jungen, der mit verbundenen Augen durch die Welt stolpert und mit seinen goldenen Pfeilen alle Leute wie Hasen zusammenschießt. – Ja Freund, hier oder nirgends in meinem Leben ist es angebracht, Dir zu zeigen, daß ich meinen Ovid und Horaz mit Nutzen gelesen habe; hier wäre es die schönste Gelegenheit, mich durch ein hoch lyrisches Gedicht bei Dir in eine Art von Achtung zu setzen. – Aber, Mortimer, genau betrachtet würde nichts weiter herauskommen, als daß ich ein Narr bin, und da ich Dir das in Prosa fast ebenso deutlich machen kann, so wollen wir's auch dabei nur bewenden lassen.
Du lachst schon im voraus. Du freust Dich, daß Deine neuliche Prophezeiung so genau eingetroffen ist; – aber doch nicht so sehr, als Du nun vielleicht glaubst. Ja, die Einsamkeit, der Mangel an Beschäftigung, o hundert Ursachen, nach denen man gar nicht fragen sollte, denn die Erscheinung ist so natürlich, als der Tag wenn die Sonne am Himmel steht – alle diese machen es, daß ich itzt nach und nach verliebt werde. – Ich bemerke es recht gut, und das eben kränkt mich – und doch kann ich's nicht ändern. Meine Lustigkeit hat abgenommen und steht itzt sogar im letzten Viertel; ich fange an so gesetzt zu werden, wie ein Mann, der zum Parlamentsgliede gewählt ist; ich werde so empfindsam, wie ein Mädchen, das den ersten Roman mit Verstand liest. – Wenn man nun alle diese herrlichen Progressen an sich selber bemerkt, sollen einem da nicht die Haare zu Berge stehn? Doch, man muß sich in den Willen des Schicksals ergeben, und ich bin itzt überzeugt, daß man das Verlieben mit vollem Rechte inevitabile fatum nennen kann.
Ich muß ihr oft vorlesen, nämlich der Emilie Burton (das ist unter uns Liebhabern nun einmal Sprachgebrauch, daß wir die Namen weglassen) und das Vorlesen, besonders empfindsamer und rührender Sachen, ist gewiß die gefährlichste Angel, die nach einem Menschen ausgeworfen werden kann. – Ich habe dabei einigemal mit einem Pathos deklamiert, daß ich nachher selber erschrocken bin. – Daß ich aber zur Fahne jener seufzeraushauchenden und träneneintrinkenden Toren schwören werde, die nur zu leben scheinen, um über ihr Leben zu klagen – das wirst Du nicht von mir glauben. – Ich werde mich nie auf lange aus dem gemäßigten Klima entfernen. – Emilie selbst ist ein liebes sanftes Geschöpf, die mit ungekünsteltem Gefühle sich freut und trauert, so wie es gerade die Umstände fordern; ich mag weder eine Arria, noch eine Ninon, noch eine Clementine lieben. – Doch, damit ich Dir nicht ein Gemälde von ihr entwerfe, muß ich nur von etwas anderm sprechen; denn ich merke, daß ich eben in Versuchung war, Dir damit Langeweile zu machen.
Ich werde also vielleicht meine Liebe bald aufgeben müssen; hintergehn mag ich den Vater nicht; sie von ihm geschenkt haben, ebensowenig – ja, ich würde mich selbst bedenken, sie von ihm auf irgendeine Art zu verdienen. Er ist ein gemeiner Mensch. – Ich mache mir oft einen Vorwurf daraus, daß ich noch hier und noch so oft in seiner Gesellschaft bin. – Manche Menschen, die alles entweder aus einem guten oder schlechten Gesichtspunkte ansehn müssen, könnten es gar für die niedrigste, schleichendste Art von Schmeichelei halten; doch, diese Insekten müssen einen im Leben nie viel bekümmern, am wenigsten muß man sich ihretwegen genieren. Der Sohn, der der edelste junge Mann ist, kennt mich, er ist mein inniger Freund geworden und er ist itzt die größte von allen Ursachen, die mich noch hier in Bondly zurückhalten. Ich glaube, daß Emilie mich nicht haßt.
Du wirst vielleicht schon wissen, daß der alte Burton auch mit dem Vater Deines jungen Freundes einen Prozeß angefangen hat; es tut mir weh, die Sachen scheinen nicht zum besten zu stehn. Sein Sohn ist selbst darüber sehr betrübt. –
Itzt lebe wohl, denn in der Eil wüßt ich Dir nun nichts mehr zu sagen, so wenig ich Dir auch überhaupt gesagt haben mag. –
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William Lovell an seinen Vater
Paris.
Ihr Brief hat mich sehr betrübt, zärtlichster Vater – o ich möchte zurückeilen, um Sie zu sehn, wenn ich nicht Ihr Verbot und Ihren Unwillen fürchtete. Sie sind krank, und ich soll Sie nicht verpflegen? Traurig, und ich soll Sie nicht trösten? Sie selbst verlangen, daß ich die Pflichten des Sohnes nicht erfüllen soll? Sie wünschen mir Glück, und ich kann mir itzt kein anderes Glück denken. Sie in Gefahr und ich fern von Ihnen! Bis ich wieder einen Brief von Ihnen, mit der Nachricht Ihrer Besserung erhalte, gibt es keine Freude, ja keine andre Vorstellung für mich; ich sehe Sie nur schmachtend auf Ihrem Krankenlager, ich höre Ihre Seufzer, und ein Verbrecher würd ich mir scheinen, wenn ich jetzt fröhlich sein könnte. O ich beschwöre Sie, mir sogleich, mit jeder Post, wieder Nachrichten zukommen zu lassen. Mit zitternden Händen werde ich den nächsten Brief von Ihnen, noch eher als den meines Freundes, erbrechen.
Neuigkeiten werden Sie von mir nicht erwarten; ich bin wohl, soweit man es beim Bewußtsein sein kann, daß ein geliebter Vater leidet. In einigen Wochen werd ich Paris verlassen; – ich habe hier einen Freund gefunden, einen Jüngling von vortrefflichem Herzen, Balder, einen Deutschen. Er wird mit mir die Reise nach Italien machen. Sein Sie unbesorgt, diesem darf ich trauen, auch Mortimer schätzt ihn. – Ein Italiener, Rosa, wird uns auch begleiten; seine Bekanntschaft wird mir in Italien manche Vorteile verschaffen, er hat viel Verstand und feine Welt, aber mein Freund wird er nicht leicht werden können. – Ich hoffe in Ihrem nächsten Briefe zu erfahren, daß Sie gänzlich wiederhergestellt sind; bis dahin werde ich in beständiger Furcht leben.
Nachschrift. Der alte Willy ist über Ihre Krankheit sehr traurig, er hat durchaus ein Blatt an Sie einlegen wollen, und ich habe es dem alten ehrlichen Manne nicht abschlagen mögen.
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Willy an den Herrn Walter Lovell
Paris.
Daß Sie noch auf Ihre alten Tage Krankheiten auszustehen haben, hat mich wahrlich herzlich gejammert; doch freilich kommen sie dann am liebsten, denn dann hat der Mensch nicht mehr so viele Kräfte sich gesund zu machen. Ich möchte Sie gar gerne trösten und Ihnen noch viel lieber helfen; aber wenn Gott bei solchen Gelegenheiten nicht das Beste tut, so will die menschliche Hülfe wenig sagen. Es ist aber schade, daß ein so guter christlicher Herr, wie Ihre Gnaden doch in dem vollsten Maße sind, was auch Ihre Feinde nicht von Ihnen ableugnen können, so viel Unglück und Leiden in dieser Welt erdulden soll; wenn das nicht nachher, wenn das Leben hier ausgegangen ist, wieder gutgemacht wird, so ist das nicht ganz recht und billig. Ich wollte, ich könnte Ihnen nur etwas von meiner überflüssigen Gesundheit abgeben, denn ich bin hier immer, seit ich auf die Reisen gehe, ganz frisch und gesund, und das ist mein Herr William, Ihren Sohn mein ich, auch immer. – Trösten Sie sich aber nur, es wird gewiß bald besser werden; so alt ich bin, so möcht ich doch zu Fuße bis nach London gehn, um Sie einmal wiederzusehn; nur sind mir die Füße schwach, und es ist der See dazwischen, den die Franzosen aus Spaß, (wie sie denn bei allen Sachen dummes Zeug machen) einen Kanal nennen; wenn viel solche Kanäle bei uns in England wären, so würde von dem Lande eben nicht außerordentlich viel übrigbleiben. – Bleiben Sie ja gesund, mein liebster, gnädiger Herr, daß ich Sie mit meinen alten, schwachen Augen noch einmal wiedersehn kann. Ich würde viel weinen, wenn ich einmal wieder die Türme von London sähe und Sie wären dann in der ganzen weiten Gegend umher nicht zu finden, als auf dem Kirchhofe, und auch da nur tot – es wäre ein Jammer für mich und jeden andern ehrlichen Mann, besonders aber auch außerdem für meinen Herrn; wenn Sie können, so bleiben Sie gesund, wie ich.
Ihr Willy.