Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23
William Lovell an Balder

Paris.

Balder, ich schreibe Dir noch einmal, ich darf Dir schreiben, denn Du selber wirst meinen Gefühlen recht geben. O Freund, ich bin aus einer düstern Grabnacht entstanden, ein flammendes Morgenrot zieht am Himmel herauf und spiegelt mir feurig ins Angesicht. Louise ist mein, ewig mein, sie hat sich mir mit dem heißesten Kusse der Liebe versichert. Ich trotze Deiner Verachtung, der Verachtung einer Welt; unauflöslich mit glänzenden Fesseln an die Liebe gekettet, wagt sich kein kleinliches Gefühl der Sterblichkeit in den Umkreis meines Paradieses, mit einem flammenden Schwerte steht mein Schutzgeist an der Grenze und geißelt jede unheilige Empfindung hinweg, der siegjauchzende Gesang der Liebe übertönt im hohen Rauschen des Triumphs jeden Klang des irdischen Getümmels.

Ich fürchte, daß ich Dir Wahnsinn spreche, aber ich muß mein Gefühl mitteilen; sei bloßer Freund, wenn Du mir zuhörst – nachher magst Du mich tadeln: aber ich bedaure den, der mich tadelt, ohne mich zu beneiden; ich bedaure die Toren, die ewig von der Verächtlichkeit der Sinnlichkeit schwatzen, in einer kläglichen Blindheit opfern sie einer ohnmächtigen Gottheit, deren Gaben kein Herz befriedigen; sie klettern mühsam über dürre Felsen, um Blumen zu suchen, und gehen betört der blühenden Wiese vorüber. Nein, ich habe zum Dienste jener höheren Gottheit geschworen, vor der sich ehrerbietig die ganze lebende Natur neigt, die in sich jede abgesonderte Empfindung des Herzens vereinigt, die alles ist, Wollust, Liebe, für die die Sprache keine Worte, die Zunge keine Töne findet. – – Erst in Louisens Armen hab ich die Liebe kennen lernen, die Erinnerung an Amalien erscheint mir wie in einer nächtlichen neblichten Ferne; ich habe sie nie geliebt.

Ich hatt ihr Liebe zugeschworen,
    Ich Tor, mit Liebe unbekannt
Zu keiner Seligkeit erkoren,
In irdscher Nichtigkeit verloren,
    Am schwarzgebrannten Felsenstrand.

In schwerer Dumpfheit tief versunken
    Lag um mich her die leere Nacht:
Da grüßte mich ein goldner Funken –
Ha! rief ich töricht wonnetrunken,
    Dort flammt mir Phöbus' Götterpracht.

Doch alle Ketten sind gesprungen –
    Aus Osten sprüht ein Feuerglanz;
Der große Kampf ist ausgerungen,
Mir ist der schönste Sieg gelungen –
    Herakles trägt den Götterkranz!

Ha, mögen nun mit Feuerschwingen
    Sich Blitze dicht an Blitze reihn,
Mag Donner hinter Donner springen,
Ich will mit Tod und Schicksal ringen,
    Bleibt sie, bleibt sie nur ewig mein! –

Am folgenden Morgen

Ich erwache – und erschrecke, Balder, indem ich dies noch einmal überlese. – Wie ein Schwindel befällt mich die Erinnerung an gestern – Amaliens Andenken kömmt in der ganzen Heiligkeit der Unschuld auf mich zu, mit herzdurchschneidender Wehmut – o Balder, ich möchte vor mir selber entfliehen. – Was ist die Stärke des Menschen? – Ich bin ein Elender, tröste mich, wenn Du kannst. –

O ich muß fort, fort von Paris – ich muß! – Mir ist, als wollten die Häuser über mich zusammenstürzen, der Himmel hängt tief und trübe auf mich herab. – Wir wollen aufbrechen und nicht mehr säumen. – O Balder, Du hast recht, ich bin ein Nichtswürdiger, mein Herz ist zu klein für jene Götterempfindungen – verachte, verlaß mich nicht – und zerreiß dies Papier nicht, bewahr es, und wenn Du mich im Begriffe siehst, Amalien und meine Schwüre zu vergessen, dann reiche mir es heimlich und schweigend, und mir wird sein, als wenn ein Donnerkeil vor mir niederfiele. –

 

24
Amalie Wilmont an William Lovell

London.

Warum hab ich seit so langer Zeit keinen Brief von Ihnen erhalten? Ich bin darin wie ein Kind, daß mir immer gleich tausend Übel beifallen, die Ihnen zugestoßen sein könnten; reißen Sie mich bald aus meiner Unruhe. – Ich bin oft einsam und beschäftige mich in meinen Träumereien mit Ihrem Andenken, oft durchbohrt der Gedanke mein Herz: er hat dich vielleicht schon vergessen! und dann wein ich – und werfe mir dann wieder das Unrecht vor, das ich Ihnen tue, und bitte Ihrem kleinen Gemälde, das Sie mir hiergelassen haben, meine Übereilung ab. – O schreiben Sie mir, selbst wenn Sie krank sein sollten; seitdem ich keinen Brief von Ihnen erhalten habe, seh ich nichts als Räuber und Banditen, die Sie überfallen und ermorden, ich sehe Sie ohnmächtig gegen die Wellen kämpfen – oder höre Sie in einem brennenden Hause vergebens nach Rettung rufen – o schreiben Sie mir ja sogleich, mir treten oft kalte Tränen des Entsetzens in die Augen. – Ihr Vater ist itzt wieder besser, aber er ist mit dem Baron Burton in einen Prozeß verwickelt, der ihm viel Zeit kostet und Verdruß verursacht. Es scheint, es gibt mehr schlimme Menschen in der Welt, als ich glauben konnte. Doch Sie sind ja mein Freund, mein Wunsch; nur zu Ihnen will ich alle meine zagenden Gedanken senden. Nur bald wieder einige Worte von Ihnen und ich bin froh und glücklich.

 

25
William Lovell an Amalie Wilmont

Paris.

Wie wohl und wehe Ihre zärtlichen Besorgnisse meinem Herzen tun! – ich sollte Sie vergessen? – Nimmermehr! – Nein, halten Sie mein Herz nicht für so armselig, daß es je die Gefühle verlieren könnte, die es Ihnen zu danken hat, nein, im Innersten meiner Seele liegen sie aufbewahrt, als ein Unterpfand meines Wertes. O Amalie, ich hoffe mit Sehnsucht auf die Zeit meiner Rückkehr, mit Sehnsucht auf den Augenblick, in dem ich Sie wiedersehe; dies Glück nach einer so langen Trennung wird mich berauschen, der lange leere Zwischenraum wird mich dann diese Freude desto lebhafter empfinden lassen. – Ich denke oft mit Traurigkeit an meinen grausam zärtlichen Vater – oh, die Liebe mag mir diesen Frevel verzeihen – Ihretwegen wünsch ich oft, daß er mich weniger liebte, dann hätt ich ein größeres Recht, ein ungehorsamer Sohn zu sein. – Aber itzt! – Doch wer weiß, welche Freuden mir noch die karge Zukunft aufbewahrt, um mich durch ihre allmäligen Wohltaten glücklich zu machen! Die Hoffnung soll meine Freundin sein; eben die Liebe meines Vaters ist mein Trost, er gönnt mir jede Freude des Lebens, er wird mir die nicht mißgönnen, die die Grundlage meiner Existenz ist, an die sich jedes andre Glück nur reihen kann; sehn Sie, wie ich mir aus meinem Leiden selbst eine Freude heraussuche; denn bei der Gewißheit meines Glücks, ohne diese Hoffnung, würde mich die Trennung noch länger dünken. – Sein Sie heiter, auch ich will es sein, verzeihen Sie dem Freunde eine Nachlässigkeit, durch die er Ihren Zorn verdient hat. Ich wollte stets meine schönsten Stunden wählen, Ihnen zu schreiben; bald aber machte mir diese, bald eine andre Ursache böse Laune und so ward alles Schreiben aufgeschoben. – O teuerste, teuerste Amalie – es gereuen mich die Worte, die ich niedergeschrieben habe; tote Zeichen können nie die Empfindungen meines Herzens ausdrücken, alles ist kalt und ohne Sinn; lassen Sie die Liebe diesen Brief lesen, lesen Sie ihn mit der Sehnsucht, mit der trüben fröhlichen Melancholie, mit der ich ihn schrieb, dann werden Sie fühlen, wie Ihr Herz klopft, wie eine unerklärbare Bangigkeit Ihren Busen zusammenpreßt, wie die Pulse rascher schlagen, wie der Geist die Hülle des Körpers zu durchbrechen strebt, um in die Umarmung des verwandten Genius zu fliegen – o dann werden Sie empfinden, wie ich – dann zerreißen Sie das Papier und unsre Geister besprechen sich unmittelbar in einer hohen entzückenden Begeisterung.

 

26
William Lovell an Eduard Burton

Lyon.

Wir haben endlich Paris verlassen und mir ist besser. Die Reise hieher hat mich wieder heiter gemacht, die schöne Natur hat die finstern Phantasieen verscheucht, die mich marterten, ich denke wieder freudig an Dich und an Amalien, ich habe mit meiner Seele einen Frieden geschlossen. – Ach, Eduard, es ist eine traurige Bemerkung für mich, daß die gepriesene Stärke des Menschen so wenig Konsistenz hat; ohne Versuchung traut man sich die Kräfte eines Herkules zu – aber wie bald erliegt der Held im Kampfe. – In Louisens Armen vergaß ich Dich und Amalien; errötend schreibt es der Freund dem Freunde nieder, ja ich schämte mich des Andenkens an euch, weil es mich peinigte, ich suchte ihm zu entfliehen; – aber vergebens. – Doch kamen meine schönern Gefühle bald zu mir zurück, ich söhnte mich bald mit meinen teuersten Schätzen aus, der Rausch der Sinne sank itzt zu jener Verächtlichkeit hinab, in welche er meine reinern Empfindungen des Herzens warf. – Und so, Eduard, reich ich Dir nun, wie zu einem neuen Bunde, die Hand; vergib mir, vergiß meine Schwäche, itzt soll mich der äußere Schein und eine elende Heuchelei nicht wieder so leicht hintergehn; in Louise Blainville hab ich mich geirrt, aber mir wird kein zweiter Irrtum begegnen; es lebt nur eine Amalie, es gibt nur ein Glück für mich. – Ich muß der Außenseite der Menschen weniger trauen, ihr Betrug wird ihnen sonst zu leicht gemacht, ich will Vorsicht lernen, ohne sie wieder zu erkaufen.

Balder und Rosa, von denen ich Dir geschrieben habe, begleiten mich nach Italien. Rosa ist mir itzt schon viel lieber als vorher; man muß manche Menschen nur erst so genau kennenlernen, daß das Fremde bei ihnen verschwindet, und man findet sie ganz anders, als anfangs; eben diese Erfahrung hab ich auch bei Mortimer gemacht, dessen Laune mich itzt sehr oft unterhält. – Ja, Eduard, ich verspreche Dir klüger zu werden, mich nicht so oft von dunkeln Gefühlen überraschen zu lassen, sondern mehr zu denken und mit freiem Willen zu handeln. – Balder ist ein sehr liebenswürdiger Jüngling; nur macht ihn seine Melancholie sehr unglücklich. – Lebe wohl, Du erhältst nächstens noch einen Brief von mir, ehe ich von Dir eine Antwort haben kann.

 

27
Walter Lovell an seinen Sohn

London.

Der Onkel Deines Freundes Mortimer liegt auf dem Sterbebette und wünscht nichts sehnlicher, als seinen Neffen vor seinem Tode zu sehn: Du wirst Dich also wahrscheinlich von ihm trennen müssen und Deine Reise ohne ihn fortsetzen. – Ich weiß, daß Du keinen Aufseher brauchst, und da Dich zwei andere Freunde nach Italien begleiten werden, so wirst Du ihn weniger vermissen. Ich wünsche nicht, daß er sich durch Gewissenhaftigkeit, oder eine Idee von Verbindlichkeit gegen Dich zurückhalten ließe, denn ihn scheint hier in London ein Prozeß zu erwarten, der ihm vielleicht, wenn er nicht selbst gegenwärtig wäre, in Ansehung der Erbschaft manche Schwierigkeit machen könnte; darum sage ihm nur, daß er sich selbst keine eingebildeten Hindernisse in den Weg legen soll, abzureisen. –

Meine Gesundheit scheint itzt fester zu stehn, als jemals, aber mein Prozeß mit Burton macht mir viele Unruhe. Er leugnet, daß die Summe für die beiden Güter Orfield und Bosring jemals bezahlt sei, er produziert Schriften seines Großvaters, die es zu beweisen scheinen: mein unglückliches Gedächtnis, die Reise hieher und meine neuen Einrichtungen machen, daß ich jene Dokumente nicht finden kann, die ihn des Gegenteils überführen würden; sein Advokat ist der verschlagenste in London. – Ich hoffe aber, daß ich dennoch die Sache gut durchführen werde, denn viele Umstände vereinigen sich gegen Burton.

Um alle Bedenklichkeiten Mortimers zu heben, hab ich einen Brief an ihn beigelegt. –

 

28
Mortimer an Karl Wilmont

Lyon.

Mein Onkel will durchaus sterben und ich soll durchaus nach England zurückkommen. – Der arme alte Mann hat mich in einem Briefe sehr gerührt, er wünscht mich noch zu sehen, er kann durchaus nicht eher ruhig sein. Itzt reut mich der Leichtsinn sehr, mit welchem ich ihn oft behandelt habe, er ließ mich aber auch nie von seiner Liebe gegen mich etwas merken, wenigstens nicht mehr, als man von jedem, nur mittelmäßigem Onkel mit Recht verlangen kann. – Ich grüße also bald wieder meinen vaterländischen Boden, und dann, Karl, will ich ganz das wilde, unstete Leben aufgeben, das ich bis itzt geführt habe. Ich habe mir schon einen sehr schönen Plan ersonnen, ich will mich in einer reizenden Gegend anbauen, dort mir selber und meiner Phantasie leben, Du bleibst dann bei mir, solange es Dir in meiner Gesellschaft gefällt; wir lesen, schwatzen, reiten, jagen miteinander. – Die Einsamkeit hat sehr viel Reizendes, wenn man vorher die Welt gesehn und genossen hat, man zieht sich dann einen engen Kreis um die Existenz, den man immer ganz mit einem Blicke übersehn kann, man lernt alles umher in seinen genauesten Verhältnissen kennen. – Um mich in dieser Lebensart einzurichten, muß ich aber erst vorher ein Mädchen finden, das diesen Genuß mit mir teilen will. Ob ich sie finden werde, ist die große Frage, denn bis itzt hab ich noch keine kennen lernen, bei der mir nicht jeder Gedanke an Verheiratung einen Schrecken verursacht hätte.

Suche es doch so zu veranstalten, daß ich Dich in London treffe, auch Deine Eltern würden sich sehr freuen, Dich wiederzusehn. Wenn Dich also nicht Burtons Schwester zurückhält, so eile nach London; bist Du aber verliebt, so will ich Dich nicht einladen, denn das hieße einen Kirchenraub begehn.

William Lovell lasse ich nun in der Gesellschaft Rosas und Balders weiterreisen. Er ist weit munterer und menschlicher als ehedem, er fängt etwas mehr an, aus den unnatürlichen Regionen der Phantasie herauszutreten und sich zu den Menschen herabzulassen; ich hoffe ihn einst als einen recht gescheiten Mann in England wiederzusehn, und Rosa ist gerade der Gesellschafter, der ihn dazu machen kann.

Der alte Willy ist über meine Abreise am meisten betrübt, er ist überhaupt auf der Reise melancholisch geworden, und hat mir aus einem Traume beweisen wollen, daß für mich und Lovell ein Unglück daraus entstehn würde, daß ich ihn jetzt verlasse.

Lebe wohl, entweder ich sehe Dich in London, oder Du erhältst von dort einen Brief von mir.

 

29
William Lovell an Eduard Burton

Chambery.

Ich gehe itzt schon den Örtern entgegen, wo mich so hohe Entzückungen erwarten. – Mortimer hat mich in Lyon verlassen und ist nach England zurückgegangen, sein Onkel ruft ihn dahin, Rosa und Balder sind meine Gefährten. So ungleich sich auch ihre Charaktere sind, so liebe ich sie doch itzt beide fast gleich stark; ich fange an, mich mit Empfindungen und ihren Äußerungen zu versöhnen, die ich sonst haßte, ich schätze am Menschen die Talente, ohne seine Fehler zu übersehn, es überrascht mich nur selten mein ehemaliges Vorurteil, daß ein einziger Fehler mir einen Menschen durchaus verhaßt macht.

Die Reise bis hieher hat mir außerordentlich viel Vergnügen gemacht, so viele frohe Gesichter, so viele Feste in den Dörfern, ich habe mit Innigkeit an die Jahre meiner Kindheit bei manchen ländlichen Spielen der Dorfjugend zurückgedacht. – Allenthalben die schönste Natur, die keine trübe oder menschenfeindliche Empfindung duldet; schönes Klima, Sonnenschein – alles hatte mich in eine wollüstige Trunkenheit versetzt, in der ich mich oft ganz vergaß, und wie ein Kind der Natur bloß die frohe Empfindung eines erquickenden Daseins fühlte.

Wie oft hab ich Dich an meine Seite gewünscht! Allein zu genießen und einsam zu trauern ist gleich lästig; Balder ist zu melancholisch, zu stumpf für den Eindruck der Freude, Rosas Empfindung zu flüchtig und keiner eigentlichen Begeisterung fähig; – o Eduard, Du fehlst mir sehr oft, diese brüderliche Seele hat mich noch nirgends wieder begrüßt, ich werde sie vergebens suchen. – Könnt ich doch Dich und Amalien an mein schlagendes Herz drücken; in einer unaufhörlichen Erinnerung an eure Liebe habe ich mein Verbrechen gegen Amalien abgebüßt, ich bin itzt wieder ihrer würdig.

Dein nächster Brief wird mich in Genua treffen. Lebe wohl.


 << zurück weiter >>