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Balder an William Lovell
Neapel.
Ich versprach mir manche Freuden von dieser Reise und itzt bin ich verdrüßlich, daß ich Rom verlassen habe: ja fast bin ich unzufrieden, daß ich mich je über den kleinen unbekannten Winkel meines Vaterlandes hinauswünschte. Der Geist dürstet nach Neuem, ein Gegenstand soll den andern drängen – wie süß träumt man sich die Reise durch das schöne Italien – ach und was ist es nun am Ende weiter, als das langweilige Wiederholen einer und eben der Sache? was war es nun, daß ich zwischen Rom und Neapel, Berge, Meere und blauen Himmel sah? – Alles gleitet vor meiner Seele kalt und freudenleer vorüber.
Warum ist doch der Mensch dazu bestimmt, keine Ruhe in sich selber zu finden? – Itzt denke ich es mir so erquickend, in einer kleinen Hütte am Saume eines einsamen Waldes zu leben, die ganze Welt vergessend und auf ewig von ihr vergessen, nur mit der Erde bekannt, so weit mein Auge sieht, von keinem Menschen aufgefunden, nur vom Morgenwinde und dem Säuseln der Gesträuche begrüßt – eine kleine Herde, ein kleines Feld – was braucht der Mensch zu seinem Glücke weiter? – Und doch, wenn mich eine Gottheit nun plötzlich dorthin versetzte, würd ich nicht wieder nach der Ferne jammern? Würde sich mein Blick nicht wieder wie ehemals an des Abends goldenes Gewölk hängen, um mit ihm unterzusinken und zauberreiche, mir unbekannte Fluren zu besuchen? Würd ich nicht unter der Last einer dumpfen Einsamkeit erliegen und nach Mitteilung, nach Liebe, nach dem Händedruck eines Freundes schmachten? – Das Leben liegt wie ein langer verwickelter Faden vor mir, den auseinanderzuknüpfen mich ein boshaftes Schicksal zwingt; hundertmal werf ich die lästige Arbeit aus der Hand, hundertmal beginn ich sie von neuem, ohne weiterzukommen; o wenn mich doch ein mitleidiger Schlaf überraschte! –
Ein Fieber hat mir die Reise hieher völlig verdorben, Rosa ist mir zur Last, ich selber bin mir unerträglich. – In der Einsamkeit, unter abenteuerlichen Phantomen, schrecklichen Gemälden meiner Phantasie und trübseligen Ideen ist mir noch am besten – aber wenn ich an einen Ort komme, wo Menschen stehn und sich freuen! – wo vielleicht Musik ist und getanzt wird! – o William, es will mir die Seele zerschneiden. Ich darf nur einen verlornen Blick unter den jauchzenden Haufen fallen lassen, und er findet in allen sogleich die nackten Gerippe heraus, die Beute der Vernichtung. – Ich komme mir vor wie ein verlarvtes Gespenst, das ungekannt und düster, still und verschlossen durch die Menschen hingeht: sie sind mir ein fremdes Geschlecht.
Antworte mir, wenn Du mich noch nicht ganz vergessen hast, wenn Du nicht zu jenen Menschen gehörst, die sich wie die Schnecke ganz in sich selber zurückziehn, unbekümmert um das Wohl oder Weh ihres Bruders. – Doch weiß ich nicht, daß ihr alle Egoisten seid und sein müßt? –
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William Lovell an Balder
Rom.
Der Schluß Deines Briefes zwingt mich zu dieser Antwort, ob ich Dir gleich dadurch unmöglich beweisen kann, daß ich nicht zu jenen Egoisten gehöre, von denen Du sprichst. Dieser Beweis dürfte bei Dir schwer zu führen sein, so wie der, daß Du alles in der Welt aus einem unrichtigen Gesichtspunkte betrachtest und daher nichts als Elend und Jammer findest. Deinetwegen wünscht ich ein tiefsinniger Philosoph zu sein, um Dich zu überzeugen. – Ich kann Dir freilich nichts sagen, was Du nicht schon ebensogut wüßtest – aber lieber Balder, laß doch jene Grübeleien fahren, die Deinen Körper und Geist verderben; genieße und sei froh. – Das heißt, wirst Du antworten, so viel, als wenn Du zum Blinden sagen wolltest: tue die Augen auf und sieh! – Aber Du hast mich noch nie überführt, daß der Wille über diesen Zustand nicht alles vermöchte; ich halte ihn für keine physische Krankheit allein, und selbst diese wäre gewiß zu heilen. – Wenn Du aufrichtig sein willst, so wirst Du eingestehn, daß es jene unbegreifliche heimliche Wollust ist, die Dich unter Schaudern und Grausen so freundlich grüßt; jene wilde Freude, jene Entzückungen des Wahnsinns, die Dich in Deinen unterirdischen Wohnungen so fest halten. – Wenn Du dies zugibst, so sind wir beide wenigstens gleich große Egoisten. – Aber laß diese Genüsse der abenteuerlichen Phantasie fahren, die Dich zugrunde richten, kehre zur Welt und zu den Menschen zurück, vereinige Dich mit dem brüderlichen Kreise und nimm die Blumen, die Dir die mütterliche Natur mit freundlichem Lächeln hinreicht. – O könnt ich den bösen Geist beschwören, der in Dir wohnt, damit nach wenigen Wochen der glückliche Lovell den glücklichen Balder wieder in seine Arme schließen könnte.
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Balder an William Lovell
Neapel.
Meine Lage hat sich seit meinem neulichen Briefe sehr geändert. Mein Fieber nimmt mit jedem Tage zu, so wie mein Widerwille gegen die ganze Welt. – Unter allen Menschen, die ich bisher habe kennen lernen, hat noch keiner meine Erwartungen befriedigt; auch über Dich, William, kann ich mich mit Recht beklagen, aber doch entsprichst Du noch dem, was ich von einem Menschen und meinem Freunde fordre, am meisten: darum höre itzt die Bitte Deines kranken Freundes, und erfülle Dein halb im Scherze gegebenes Versprechen, mich hier in Neapel zu besuchen. Auf eine wunderbare Weise fühl ich mich einsam, ein Schatten, ein Laut kann mich erschrecken, die Fibern meines Körpers erzittern bei jedem Anstoße auf eine schmerzhafte Art; ich weiß nicht, welches seltsame Grausen mich umgibt, meine Brust ist beklemmt, wie von fremden unsichtbaren Wesen umgeben fühl ich mich fürchterlich beschränkt; komm, vielleicht kannst Du mich trösten. – Wenn ich nach und nach der Welt wie ein verdorrter Baum absterbe, so möcht ich gern in den Armen eines Freundes verscheiden; wenn Du der bist, so laß mich nicht zu lange nach Deiner Gegenwart schmachten.
Shakespeares Hamlet ist meine tägliche Lektüre; hier finde ich mich wieder, hier ist es gesagt, wie nüchtern, arm und unersprießlich das Leben sei, wie Wahnsinn und Vernunft ineinandergehn und sich einander vernichten, wie der nackte Schädel endlich über sich selber grinset und hohnlacht, und von aller Schönheit und Lust, von allem Ernst und aller Affektation nichts mehr als diese weiße widerwärtige Kugel übrigbleibt. – O meine Phantasie sieht Gestalten! –
Oder war es mehr als Phantasie, was mich in der gestrigen Mitternacht so sehr erschreckte? – Wenn es etwas mehr wäre! – Und doch kann es nicht sein. – Doch welcher Sterbliche wagt es, die Grenze zu ziehn, wo die Wirklichkeit aufhören soll? Wir vertrauen unserm aus Staube gebildeten Gehirne zu viel, wenn wir nach eben den Maßen, die wir hier unten gebrauchen, auch eine Welt messen wollen, die mit der hiesigen keine Ähnlichkeit hat – voll Scham über seine Anmaßung sinkt einst der Geist vielleicht zu Boden, wenn die körperliche Hülle von ihm genommen wird.
Es war gegen Mitternacht, mein Bedienter schlief und das Nachtlicht warf nur matte Strahlen durch das Zimmer; alles war still, eine Grille zirpte im Kamine ihre einförmige Melodie ununterbrochen fort. – Ein wunderbares Ideenspiel begann in meinem Kopfe als ich zu lesen anfing.
Ich sah die abenteuerliche Nacht, den Stern oben, der durch den Wipfel eines Baumes flimmerte, große Schatten vom Palaste her, und Lichter in der Ferne, Horatio in der Spannung, der der seltsamen Erzählung seines Freundes zuhört – und nun tritt plötzlich der Geist auf, langsam und leise schwebt er her, ein schwarzer Schatten, um den ein bleicher Schimmer fließt, matt wie das blaue Licht einer auslöschenden Lampe. – Ich fühlte, wie mir ein Grauen mit kalter Hand über den Nacken hinab zum Rücken fuhr, die Stille um mich her ward immer toter, ich selber ging immer weiter in meinem Innern zurück, und betrachtete in meiner innersten Phantasie mit grauendem Wohlbehagen die Erscheinung, aus der umgebenden Welt verloren.
Plötzlich hört ich einen langen, leise gezogenen Schritt durch das Zimmer, ich blickte wieder auf – und ein Mann ging hinter mir, nach der Tür meines Schlafzimmers zu, sein Auge begegnete mir, als ich mich umsah; ein unwillkürlicher Ausruf entfuhr mir – er ging unbefangen in mein Schlafzimmer, ich sah ganz deutlich die weißen Haare auf seinem Kopfe; der Schatten an der Wand folgte ihm nach, auf eine fürchterliche Art verzogen. –
Es ist mir selber unbegreiflich, warum ich im ganzen so kalt und fast ruhig blieb, da ich doch einen Schauder in meinen innersten Gebeinen fühlte; in dem Entsetzen lag eine Art von wütender Freude, ein Genuß, der vielleicht außerhalb den Grenzen des Menschen liegt. – Ich kann mir nichts Fürchterlicheres denken, als diese Erscheinung zum zweiten Male zu sehn; und doch wiederhol ich mir vorsätzlich den Schreck, das starrende Grausen dieses Augenblicks. –
Ich rief meinen Bedienten; er hatte nichts gehört, in der Kammer war keine Spur, ich hatte sogar den Schlüssel noch auf dem Tische liegen, und sie war verschlossen. Ich ließ Rosa kommen, er kannte mich nicht wieder, er blieb bei mir, ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, stets sah ich den fremden Mann mit dem leisen bedächtlichen Schritte durch das Zimmer schleichen.
Wenn es nicht Phantasie war – und mein Bewußtsein kämpft gegen diese Meinung – was war es denn? – War dies keine Wirklichkeit, so steh ich im Begriffe, alle Erscheinungen der Dinge außer mir für Täuschung meiner Sinne zu erklären; und fällt dann nicht alles zusammen? Wunder und Alltäglichkeit? – und wer bin ich dann?
Dann sitz ich hier in einer weiten milden ausgestorbenen Leere, bilde mir ein, einen Brief zu schreiben, an ein Wesen, das sich nur meine Phantasie erschaffen hat – o ich muß aufhören, auf diesem Wege kann man wahnsinnig werden; – und wenn ich es würde? Vielleicht wäre dann die Schranke durchbrochen, die meinen Geist jetzt noch von allem trennt, was ihm unbegreiflich ist. –
21
William Lovell an Rosa
Rom.
Balder hat mir geschrieben und ein merkwürdiges Beispiel gegeben, wie weit ein Mensch sich verirren könne, wenn er einer kranken Phantasie die Zügel seiner selbst überläßt. Von Phantomen seiner Einbildungskraft erschreckt, von einer Krankheit gelähmt, ist er jetzt im Begriffe, an seiner eigenen Existenz zu zweifeln; der sonderbarste und widersinnigste Widerspruch, den sich ein moralisches Wesen nur erlauben darf.
Aber ich kenne den Gang, den die Phantasie bei Balder genommen hat; auch ich war einst dieser unglückseligen Stimmung nahe. Wenn es noch irgend möglich ist, Rosa, so suchen Sie ihn zu heilen, söhnen Sie ihn mit dem Leben wieder aus und schieben Sie ihm statt des ernsten Shakespeare den jugendlichen mutwilligen Boccaz unter; die Farben sind von dem Gemälde abgesprungen, darum sieht es so finster und widrig aus; machen Sie die Probe, neue aufzutragen, und es wird so hell und frisch werden, wie ehedem. – Wenn er erwacht ist, wird er die Zeit bedauern, die er so unangenehm verträumt hat.
Freilich kann ich mich nicht verbürgen, ob die äußern Dinge wirklich so sind, wie sie meinen Augen erscheinen: – aber genug, daß ich selbst bin; mag alles umher dasein, auf welche Art es will, tausend Schätze sind über die Natur ausgestreut uns zu vergnügen, wir können nicht die wahre Gestalt der Dinge erkennen, oder könnten wir es, so ginge vielleicht das Vergnügen der Sinne darüber verloren – ich gebe also diese Wahrheit auf, denn die Täuschung ist mir erfreulicher. – Was ich selbst für ein Wesen sei, kann und will ich nicht untersuchen, meine Existenz ist die einzige Überzeugung, die mir notwendig ist, und diese kann mir durch nichts genommen werden. – An dies Leben hänge ich alle meine Freuden und Hoffnungen – jenseits – mag es sein, wie es will, ich mag für keinen Traum gewisse Güter verloren geben.
Ihr zärtlicher Freund.
22
Rosa an William Lovell
Neapel.
Wie sehr haben Sie in Ihrem Briefe aus meinem Herzen gesprochen! – Ach Freund, wie wenig Menschen verstehen es zu leben, sie ziehn an ihrem Dasein wie an einer Kette, und zählen mühsam und gähnend die Ringe bis zum letzten. – Wir, William, wollen an Blumen ziehen und auch noch bei der letzten lächeln und uns von ihrem Dufte erquicken lassen.
Mögen die Dinge außer mir sein, wie sie wollen; ein buntes Gewühl wird mir vorübergezogen, ich greife mit dreister Hand hinein und behalte mir, was mir gefällt, ehe der glückliche Augenblick vorüber ist. –
Ja, Lovell, lassen Sie uns das Leben so genießen, wie man die letzten schönen Tage des Herbstes genießt; keiner kömmt zurück, man darf keinem folgenden vertrauen. Ist der nicht ein Tor, der in seinem dunkeln Zimmer sitzen bleibt und Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit berechnet? Der Sonnenschein spielt mutwillig vor seinem Fenster, die Lerche singt durch den blauen Himmel – aber er hört nur seine Philosophie, er sieht nur die kahlen Wände seiner engen Behausung.
Wer ist die Gestalt, die in dem frohen Taumel uns in die Zügel des fliehenden Rosses fällt? – die Wahrheit – die Tugend: – ein Schatten, ein Nebelphantom, dessen Schimmer mit der Sonne untergehn. – Aus dem Wege mit dem jämmerlichen Bilde! Es gehört keine Kraft, nur ein gesunder Blick gehört dazu, um dieses Märchen zu verachten.
Ja, Lovell, ich folge diesem Gedanken weiter nach. Wohin wird er mich führen? – Zur größten, schönsten Freiheit, zur uneingeschränkten Willkür eines Gottes.
Alle unsre Gedanken und Vorstellungen haben einen gemeinschaftlichen Quell – die Erfahrung. In den Wahrnehmungen der Sinnenwelt liegen zugleich die Regeln meines Verstandes und die Gesetze des moralischen Menschen, die er sich durch die Vernunft gibt. – Alles aber, was die Sprache des Menschen Ordnung und Harmonie, den Widerschein des ewigen Geistes nennt, alles was sie von der leblosen Natur auf den geistigen Menschen überträgt; – was sind diese Worte mehr als Worte? – Unser Verstand findet allenthalben in der Natur die Spuren des göttlichen Fingers, allenthalben Ordnung, und die Elemente freundlich nebeneinander – er versuche es doch einmal, die Unordnung und das Chaos zu denken, oder in der Zerstörung nur den Ruin zu finden! – Es ist ihm unmöglich. Unser Geist ist an diese Bedingung geknüpft; in unserm Gehirne regiert der Gedanke der Ordnung, und wir finden sie auch außer uns allenthalben: ein Licht, das durch die Laterne den Kerzenschimmer in die finstere Nacht hineinwirft.
Es ist Mitternacht und vom Turme her schlägt es zwölfe. Wenn ich mir diese Uhr beseelt und verständig vorstelle, so müßte sie notwendig in der Zeit, die sie nach willkürlichen Abteilungen mißt, diese Abteilungen wiederfinden, und nicht ahnden, daß es ein großer, göttlicher, ungemessener Strom ist, der vorübersaust, kühn und herrlich und auch nicht eine Spur der kläglichen Einteilung trägt.
Willkommen denn wüstes, wildes, erfreuliches Chaos! – Du machst mich groß und frei, wenn ich in der geordneten Welt nur als ein Sklave einherschreite.
Sie sehn, Lovell, ich fange an, mit Ihnen zu phantasieren: ich hoffe aber nicht, daß meine Phantasieen so wild und ungeordnet sind, daß sie der Freund nicht verstehen sollte. – O wenn mich nur Balder verstände oder verstehen wollte!