Ludwig Tieck
William Lovell
Ludwig Tieck

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Rosa an Andrea Cosimo

Tivoli.

Daß meine Reise hieher eine Art von Verbannung ist, fällt mir immer schwerer auf das Herz, je mehrere Tage ich von Rom entfernt bin. Daß ich gerade in diesem Zeitpunkte Deinen Umgang entbehren muß! Zu einer Zeit, wo ich mich immer mehr zu Dir hingedrängt fühle, wo sich gleichsam die Flügel meiner Seele voneinanderfalten, um mich desto inniger an Dein Herz zu schließen. Du hast mich seit einiger Zeit mit neuen Ideen und Gefühlen überschüttet und eine neue Welt hat sich in mir eröffnet, eine Schaubühne, die unaufhörlich mit den wunderbarsten Szenen wechselt. Ich betrachtete mein Leben seit jenem merkwürdigen Abende als ein neues, es hat sich mir ein Weg zu Deiner Seele gebahnt, den ich weiter zu verfolgen brenne. Aber warum verwirfst Du mich und würdigst mich nicht Deines fernern Vertrauens? Darf ich den Argwohn schöpfen, daß Du Dich dem jugendlichen Lovell inniger hingibst? Was kannst Du jetzt noch ferner mit ihm wollen, da sein Vater tot ist? Ist es mir überhaupt erlaubt, zuweilen über Deine Plane im stillen nachzugrübeln, und manchmal einen wirklichen Eigensinn und weitläuftige, mir unnütz scheinende Maschinerie anzutreffen? Doch ich will schweigen, um mir nicht Dein Mißfallen zuzuziehn.

 

7
Andrea Cosimo an Rosa

Rom.

Es kann und soll nicht anders sein als es ist, überlaß es mir, meine Plane zu ersinnen und zu regieren, wenn sie Dir gleich noch wunderlicher erscheinen sollten. Was kümmert es Dich, wenn ich mir ein seltsames Spielwerk erlese, das mir die Zeit ausfüllt und auf meine eigene Art meinen Geist beschäftigt? Wenn ich bemerke, auf welche sonderbare Art die eine Seele auf die andere wirken kann? Du hast wohl mehrere Nächte unter Karten und Würfeln hingebracht; so vergönne mir, daß ich mir aus Menschen ein Glücksspiel und ernsthaft lächerliches Lotto bilde, daß ich ihre Seelen gleichsam entkörpert vor mir spielen lasse, und ihre Vernunft und ihr Gefühl wie Affen an Ketten hinter mir führe, und danke dann mir, daß ich Dich als Freund und nicht als Spielzeug gebrauche.

 

8
William Lovell an Rosa

Rom.

Sie fragen mich: wie ich lebe. Ich bin seit langer Zeit in einer Verfassung, daß ich nicht ohne Sie leben kann. Ich habe Sie immer nötig, um jeden Gedanken und jedes Gefühl in Ihren Busen auszuschütten. – Mir ist jetzt oft zumute, als wären Flügel an meine Brust gewachsen, die mich immer höher und höher heben, und durch die ich bald die Erde mit ihren Armseligkeiten aus den Augen verlieren werde.

Ich sehe jetzt den alten Andrea täglich; ich habe noch nie einen Menschen mit dieser hohen Bewunderung betrachtet, ich habe aber auch noch nie eine Seele angetroffen, die alles, was sonst schon einzeln die Menschen vortrefflich macht, so in sich vereinigte. Die Erinnerung macht mir jetzt eine seltsame Empfindung, daß ich ehedem vor seiner Gestalt zurückschauderte; und doch will sich noch zuweilen ein quälendes dunkles Andenken in mir emporarbeiten. – O Rosa, könnte man sich doch in manchen Stunden vor sich selber verbergen! Ach was kann uns nicht betrüben, und uns mit scharfen Empfindungen anfallen, da wir alle so nackt und wehrlos sind? Je mehr man die Menschen lieben möchte, um so mehr wird man mißtrauisch sein, ob sie es auch verdienen; keiner kennt den andern, jede Gesinnung geht verlarvt durch unsern eigenen Busen: wer vermag es, das Edle vom Unedlen zu sondern?

Schon seit lange hatte mir Andrea versprochen, mich in eine Gesellschaft von Männern zu führen, die sich um ihn, wie um einen Mittelpunkt versammelt haben, und so gleichsam eine Schule bilden; ich brannte, um sie kennenzulernen. Gestern wurde ich dort eingeführt.

Mir war während der Zeit manches durch den Sinn gegangen; der Argwohn, als wenn Andrea das Haupt irgendeiner geheimen Gesellschaft sei, da man sagt, daß unser Zeitalter von der Wut besessen sei, auf diese Art seltsam und geheimnisvoll zu wirken. Ich hatte so manches von abenteuerlichen und unsinnigen Zeremonien sogar in Büchern gelesen, und alles war mir immer als äußerst abgeschmackt erschienen; ich machte mich daher gegen Gebräuche und Einweihungsfeierlichkeiten gleichsam fest, und als ich Andrea hinbegleitete, war mir das Gefühl sehr gegenwärtig, daß nichts auf mich wirken würde, was sonst unsre Phantasie so leicht in Aufruhr setzt. Ich erstaunte und schämte mich zu gleicher Zeit, als ich ohne weitere Umstände in ein Haus und dann in einen geräumigen Saal geführt ward, in welchem sich die Gesellschaft schon versammelt hatte. Ich hatte mich gegen Abenteuerlichkeiten gewaffnet und doch überlief mich nun ein feierliches Grauen, als mir jeder von ihnen auf eine einfache Art die Hand gab und mich als Freund und Bruder begrüßte. Ich stand versteinert unter ihnen wie damals, als ich das erste große Raffaelsche Gemälde betrachtete, denn noch nie habe ich so viele charaktervolle Köpfe nebeneinander gesehn, noch nie hab ich in einer großen Gesellschaft ein so ruhiges und gedankenreiches Gespräch gehört.

Als ich mich etwas genauer umsah, entdeckte ich bald mehrere Bekannte, die mit mir Nächte durchschwärmt, oder beim Spiele durchwacht hatten. Sie kennen ja auch den launigen Francesco, der uns mit seinen Einfällen so oft unterhalten hat, aber in dieser Gesellschaft war es mir nicht möglich, über ihn zu lachen, oder einen Spaß von ihm zu fordern, so ernst und ehrwürdig saß er unter den übrigen, von denen manche ihm aufmerksam zuhörten. Adriano, an dessen Einfalt wir uns so oft belustigt haben, hatte einen großen Zirkel um sich her versammelt und sprach mit großem Enthusiasmus und ebenso vielem Verstande; ich konnte nicht müde werden ihn anzuhören, und mich über meinen bisherigen Irrtum zu verwundern. Es war mir, als wäre ich plötzlich in die Gesellschaft von abgeschiedenen Geistern entrückt, die im Tode alles Irdische von sich werfen, und selbst ihren Brüdern unkenntlich sind. – Alle begegneten dem alten Andrea mit der ausgezeichnetsten Achtung, alle beugten sich vor ihm, wie vor einem höheren Wesen, und meine Ehrfurcht vor meinem alten Freunde ward dadurch nur um so größer.

Es ist, als wenn uns in der stillen Nacht tiefere Gedanken und ernstere Betrachtungen begrüßten, denn mit jeder Stunde ward die Gesellschaft feierlicher, der Gegenstand ihres Gesprächs erhabener. Ich habe nie mit dieser Andacht in einem Tempel gestanden, noch in keinem Buche habe ich diese Gedanken gefunden, die mich hier durchdrangen. In solchen Stunden vergißt man seine vorige Existenz gänzlich, und nur die Gegenwart ist deutlich in unserer Seele. Ich werde diese Nacht nie vergessen.

Wir gingen erst am Morgen auseinander. Ein glühendes Rot streckte sich am Horizont empor und färbte Dächer und Baumwipfel; die freie Morgenluft und der helle Himmel kontrastierten seltsam mit dem dunklen nächtlichen Zimmer. Scharen von Vögeln durchflatterten die Luft mit muntern Tönen, die Bewohner der Stadt schliefen fast noch alle und unsre Schritte hallten die Straßen hinab. – Der frische Morgen ist mir immer das Bild eines frohen und tätigen Lebens, die Luft ist gestärkt und teilt uns ihre Stärke mit, das wunderbare Morgenrot strömt eine Erinnerung der frühesten Kindheit herauf und fällt in unser Leben und unsere gewöhnlichen Empfindungen hinein, wie wenn ein roter Strahl an den eisernen Stäben eines Kerkers zittert, in dem ein Gefangener nach Freiheit seufzt.

 

9
William Lovell an Rosa

Rom.

Wenn ich Andrea oft betrachte und mich stumm in Gedanken verliere, so möcht ich ihn in manchen Stunden für ein fremdes, übermenschliches Wesen halten; ich habe mir im stillen manche wunderbare Träume ausgesponnen, die ich mich schämen würde, Ihnen mit so kaltem Blute niederzuschreiben, sosehr sie auch meine Phantasie gefangenhalten. Er begegnet oft auf eine unbegreifliche Weise meinen Schwärmereien mit einem einzigen Worte, das sie mir deutlicher macht, und in ein helleres Licht stellt.

Neulich war ich durch seine Reden in eine ungewöhnlich feierliche Stimmung versetzt, er sprach von meinem gestorbenen Vater und schilderte ihn genau nach seiner Gesichtsbildung und Sprache. Ich war gerührt und er fuhr fort, ja er sprach endlich ganz mit seinem Tone und sagte einige Worte, die sich mein Vater angewöhnt hatte, und die ich unendlich oft von ihm gehört habe. Ich fuhr auf, weil ich dachte, mein Vater sei wirklich zugegen, ich fragte ihn, ob er ihn gekannt habe und er beteuerte das Gegenteil; ich war in die Jahre meiner Kindheit entrückt und sah starr auf die Wand, um nicht in meiner Täuschung gestört zu werden. Plötzlich fuhr wie ein Blitz ein Schatten über die Wand hinweg, der ganz die Bildung meines Vaters hatte, ich erkannte ihn und er war verschwunden; seltsame Töne, wie ich sie nie gehört habe, klangen ihm nach, das ganze Gemach ward finster und der alte Andrea saß gleichgültig neben mir, als wenn er nichts bemerkt hätte.

Ein gewaltiger Schauder zog meine Seele heftig zusammen, alle meine Nerven zuckten mächtig, und mein ganzes Wesen krümmte sich erschrocken, als wenn ich unvorsichtig an die Tore einer fremden Welt geklopft hätte, und sich zu meiner Vernichtung die Flügel öffneten und tausend Gefühle auf mich einstürzten, die der gewöhnliche Mensch zu tragen zu schwach ist. – Andrea erscheint mir jetzt als ein Türhüter zu jenem unbekannten Hause, als ein Übergang alles Begreiflichen zum Unbegreiflichen. Vielleicht löst ein Aufschluß alle Rätsel in und außer uns, unser Gefühl und unsre Phantasie reichen vielleicht mit unendlichen Hebeln da hinein, wo unsre Vernunft scheu zurückzittert; am Ende verschwindet alle Täuschung, wenn wir auf einen Gipfel gelangen, der der übrigen Welt die höchste und unsinnigste Täuschung scheint. Balder kömmt mit seinen Erscheinungen in meine Seele zurück – o Rosa, was ist Unsinn und was Vernunft? Alles Sichtbare hängt wie Teppiche mit gaukelnden Farben und nachgeahmten Figuren um uns her; was dahinter liegt, wissen wir nicht, und wir nennen den Raum, den wir für leer halten, das Gebiet der Träume und der Schwärmerei, keiner wagt den dreisten Schritt näher, um die Tapeten wegzuheben, hinter die Kulissen zu blicken und das Kunstwerk der äußern Sinne so zu zerstören – aber wenn – o Rosa, nein ich schwindele, es ist mir innerlich alles so deutlich und ich kann keine Worte finden; aber ich mag sie auch nicht suchen. Sie werden ebenfalls diese Gefühle kennen und mir alles übrige erlassen.

 

10
Rosa an William Lovell

Tivoli.

Manche Ihrer Gedanken über Andrea sind mir aus der Seele geschrieben, in seiner Gegenwart fühle ich mich immer wie in der Nähe eines Überirdischen. Auch manches ist mir begegnet, was ich mir auf keine Art zu erklären weiß. Als ich neulich mit ihm hier in Tivoli war, waren wir fast täglich zusammen und unser Gespräch fiel vorzüglich auf den Aberglauben und die wunderbare Welt, vor der unser Geist so oft steht, und dringend Einlaß begehrt. Meine Phantasie ward mit jedem Tage mehr erhitzt, alle meine bisherigen Zweifel verloren immer mehr von ihrem Gewicht; Sie können sich vorstellen, welchen seltsamen Eindruck Ihre Briefe damals auf mich machen mußten, in denen Sie immer mit so vielem Eifer von Rosalinen sprachen. An einem schönen Abende schweiften wir vor den Toren umher, unsre Gespräche wurden immer ernsthafter und ich vergaß es darüber ganz, zur engen unangenehmen Stadt zurückzukehren. Es war indes dunkle Nacht geworden und wir trennten uns. Alle meine Begriffe waren verwirrt, die Finsternis ward noch dichter und ich näherte mich, wie es schien, immer noch nicht der Stadt. Ich versuchte einen neuen Weg, weil ich glaubte, ich habe mich verirrt, und so ward ich immer ungewisser. Die Einsamkeit und die Totenstille umher erregte mir eine gewisse Bangigkeit; ich strengte mein Auge noch mehr an, um ein Licht von der Stadt her zu entdecken, aber vergebens. Endlich bemerkt ich, daß ich einen Hügel hinanstiege und nach einiger Zeit befand ich mich oben, neben der Kirche des heiligen Georgs. Der Wind zitterte in den Fenstern und pfiff durch die gegenüberliegenden Ruinen, ich glaubte in der Kirche gehn zu hören und ich irrte mich nicht; mit hallenden Tritten kamen zwei unbekannte Männer aus dem Gewölbe und fragten mich, was ich suche. Ihre unbekannte Gestalt, der feierliche Ton ihrer Stimme und eine kleine Blendlaterne, die nur mich und den einen von ihnen beleuchtete, machte mich schaudern. Ich fragte furchtsam nach dem Wege zur Stadt, und der eine von ihnen erbot sich, mich bis an das Tor zu bringen, der andere versprach so lange bei der Kirche zu warten.

Die kleine Laterne erhellte sparsam unsern Weg und Bäume und Stauden glitten uns, mit einem durchsichtigen Grün bekleidet, vorüber, mein Begleiter war stumm und ich ging wie im Traume hinter ihm. Jetzt waren wir nahe am Tore und der Mann mit der Laterne stand still; wir nahmen mit wenigen Worten Abschied und ein breiter Schimmer fiel auf sein Gesicht. Ich fuhr zusammen, denn es war ganz das bleiche Antlitz einer Leiche, die Augen waren wie weit hervorgetrieben, die Lippen blaß und wie in einem Totenkrampfe verzerrt: ich glaubte ein Gespenst zu sehn, und erschrak nur noch inniger, als ich nach einigen Augenblicken die Züge Andreas erkannte. Jetzt wandte er sich um, und ging zurück, ich stand noch wie versteinert, und rief endlich laut und halb wahnsinnig: »Andrea!« – In demselben Augenblicke verschwand die Gestalt und das Licht, und betäubt und zitternd ging ich in die Stadt.

Aber wie fuhr ich zusammen, als mir Andrea vor meiner Wohnung entgegentrat und mich fragte, wo ich so lange geblieben sei. Ich konnte ihm nur wenige Worte sagen und die ganze Nacht hindurch lag ich in einem abwechselnden Fieber.

Und war es nicht eben die Gestalt unsers Andrea, mit Schrecken denke ich daran, die der unglückliche Balder so oft in den Exaltationen seiner Phantasie beschrieb? – Und doch hatte er ihn niemals gesehen. – Wer weiß, ob er mich nicht jetzt umgibt, indem ich diesen Brief schrieb, und jeden Gedanken kennt, den ich denke! –


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