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Um vier Uhr hatte Jane ihren Brief weggeschickt, um halb acht – sie zog sich gerade um – klingelte das Telephon. Sie wußte, noch ehe sie den Hörer aufnahm, daß es John Madden war. Wie ein Befehl war dieses Läuten in ihren Ohren. Ehe sie sich besann, lief sie schon durch das Zimmer auf den Apparat zu, halb ausgezogen, die Kleider mit der Hand festhaltend. Britton sprach vom unteren Apparat aus. »Ein Herr wünscht die gnädige Frau zu sprechen.«
Britton schien gekränkt, weil »der Herr« seinen Namen nicht nennen wollte.
»Verbinden Sie!« sagte sie.
Es gab einen schnarrenden Ton im Apparat, dann hörte sie John Maddens Stimme.
»Sind Sie es?«
»Ja.«
Es war unvernünftig und doch so selbstverständlich. Schon ignorierten sie beide die Förmlichkeiten, mit denen man sich am Telephon meldet. Es war eine Kleinigkeit und schien doch so vielsagend.
»Woher wußten Sie, daß die Rosen von mir sind?« war seine nächste Frage.
»Ich könnte es Ihnen einfach nicht erklären«, antwortete sie. »Nicht etwa, weil ich nicht wollte. Ich wußte es ganz einfach. Und dabei senden mir so viele Leute Blumen –« sie konnte dem Drang nicht widerstehen, ihm das mitzuteilen.
»Ich weiß es. Neulich abends habe ich Ihr Zimmer gesehen.«
»Nun, vielleicht haben Ihre Blumen mich an die Rosen auf dem Tisch erinnert. Wenn eine Schachtel dagestanden hätte mit einem grünen Kleid, hätte es mich auch nicht überrascht. Ich glaube, ich habe irgend etwas erwartet. Ich war zum Lunch eingeladen. Ich trage Ihr Irland schon überall mit mir herum. Wissen Sie, mir ist manchmal zumute wie einer Frau, die unvorsichtigerweise irgendeinem jungen, netten Menschen auf der Straße einen gnadenvollen Blick geschenkt hat und nun dafür büßen muß, weil der junge Mann ihr nachgeht.«
Ihr gegenüber war ein großer goldgerahmter Louis-Seize-Spiegel an der Wand. Sie sah sich auf dem Bette sitzen, in der graziösen Unordnung ihrer Kleider. Sie warf ihrem Spiegelbild einen schmeichelnden Blick zu.
»Und Sie sind natürlich entsprechend entrüstet über die Ihnen auferlegte Buße«, meinte er.
Sie lachte. Er schloß seine Augen, als dieses Lachen das Wunder ihrer Stimme beinahe zu nah an ihn herantrug.
»Das kann ich nicht unbedingt sagen«, wandte sie ein. »Es hat einen prickelnden Reiz, verfolgt zu werden.«
»Und möchten Sie, daß man Sie fängt?«
Eine Pause. Sie dauerte nur einen Augenblick, aber sie war so voll von besonderer Bedeutung, wie ein Sonnenstrahl von tanzenden Stäubchen. Sie beeilte sich, dieser Stille ein Ende zu machen. – Als gebe dieses Schweigen zu viel preis!
»Sind die Frauen in Irland,« fragte sie, »vielleicht anders als alle anderen Frauen in der Welt? Oder tun Sie so, als wüßten Sie nichts von Frauen? Ich kann Ihnen versichern, daß diese geheuchelte Unschuld Ihnen nicht gut steht. Man merkt, daß sie geborgt ist. Ich habe den ersten Schritt getan und gehöre schon zu den Verschwörern. Ich habe Anthony Draper gesprochen.«
Sie hörte, wie er drüben am Apparat scharf die Luft einzog. Er sagte: »Wann?«
Es war nur ein einziges Wort, aber es enthielt mehr Fragen, als sie auf einmal beantworten konnte. Tatsächlich hatte sie so gut wie nichts getan, und doch schien er schon bereit, mit seinen Händen – seinen weißen Händen – den Lorbeerkranz auf ihren Kopf zu drücken.
»Nicht so hitzig!« lachte sie. »Sie sind wie ein Kind! Ich fürchte, Sie sehen schon, wie die ›Candida‹ aus dem New Yorker Hafen ausläuft. Was für einen bemitleidenswerten schwachen Eindruck würden Sie auf Mr. Draper aus Amerika machen, der ein kaum behauener Steinblock ist, wenn Sie mit Ihrem jugendlichen Enthusiasmus ihm über den Hals kommen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Er ist wie Stein – ist Fels. Was er braucht, ist, behauen zu werden. Ihre Leute haben ihn falsch behandelt. Sie sind mit Dynamit an ihn herangegangen, statt mit dem Meißel. Er hat Sympathien für eure Sache – jedenfalls hatte er sie.«
»Sie sind wundervoll!« sagte seine Stimme. Aber innerlich wies sie die Huldigung zurück. Sie fühlte, daß das wenige, was sie bis jetzt getan hatte, nichts war im Vergleich zu dem, was noch geschehen mußte. Wenn man Anthony Draper dazu bringen wollte, seine Yacht mit Konterbande vollzuladen und zur Rettung Irlands seinen eigenen Kopf zu riskieren, genügte es nicht, ihn darum zu bitten. Draper hätte jeden ausgelacht, der mit einer solchen Bitte zu ihm kam.
Eine neue, große Sicherheit war in ihr. Es gab etwas, das sie für diese Kinder tun konnte. Sie brauchten Jane Carroll! Der Gedanke rührte stürmisch an ihr Herz. Sie hörte, wie Madden sagte: »Sie sind wundervoll!« und legte die Hand auf ihre entblößte Brust, als müsse sie dieses stürmisch schlagende Herz beruhigen.
»Er haßt euren de Valera«, fuhr sie fort. »Er sagte es nicht mit Worten. Im Gegenteil, er nannte ihn einen großen Mann, aber ich würde niemand um die Größe beneiden, die ihm Mr. Draper aus Amerika auf diese Weise attestiert. Anscheinend hat de Valera die Gastfreundschaft in den Vereinigten Staaten etwas übermäßig in Anspruch genommen. Er hat so seinen besonderen Standpunkt, Ihr Mr. Draper, und ich bilde mir ein, sein Standpunkt ist so ziemlich der Standpunkt von ganz Amerika.«
»Aber was ist vorgegangen?«
»Vorgegangen ist nichts – und doch viel. Ich bin für morgen mit Herrn Draper zum Lunch im Savoy verabredet.«
»Wann kann ich Sie also sprechen? Heute abend?«
»Nicht heute abend. Ich bin eingeladen.«
»Sind Sie denn nie frei?«
Sie sah jetzt selbst, was ihr Leben war. Einen Augenblick empfand sie den Wunsch, all das in Scherben zu schlagen.
»Ich werde morgen abend mit Ihnen essen und erzähle Ihnen dann, was vorgeht«, sagte sie. »Auch morgen bin ich eingeladen, aber ich werde absagen. Aber heute muß ich gehen. Stephen zieht sich bereits um, ich selbst bin halb ausgezogen. Ich sitze hier auf meinem Bett – ja – ich sitze hier auf meinem Bett. Bitte, hängen Sie ab. Es ist bereits schrecklich spät, aber ich könnte noch stundenlang weitersprechen. Bitte, hängen Sie ab.«
»Ich bring' es nicht fertig«, sagte er.
Mit einer unwillkürlichen Bewegung legte sie den Hörer weg und spürte, wie ihr Herz mit raschen Stößen gegen ihre Brust hämmerte.