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Erstes Buch

Erstes Kapitel

Niemand nannte sie Mrs. Carroll. Vielleicht war das schon bezeichnend. Vielleicht war es nur eine Angewohnheit. Für viele Freunde ihres Mannes und für beinahe alle Frauen, die sie kannte, war sie – Jane.

Sie gehörte zu jener Schicht in London, in der intim miteinander bekannt sein ein graziöser Schmuck ist, unter dem sich metallene Indifferenz verbirgt. Es ist damit, wie mit den in Seide gehüllten Figürchen, die neben dem Bett einer Dame die Falten ihrer Krinoline über das Telephon breiten. Nimmt man sie hoch, so enthüllen sie einen kulturlosen Bedarfsartikel moderner Zivilisation.

Für ihre intimen Freunde war sie – Jane. Für die Unzähligen, die sie flüchtig kannte, und für das Publikum im allgemeinen war sie Jane Carroll. Wenn man im Auge behält, daß Stephen Carroll einer der glänzendsten Geschichtsschreiber seiner Generation war, bedeutete es nicht wenig, wenn Jane Carroll in den Augen der Umwelt nicht einfach die Gattin des bekannten Historikers blieb, sondern eine Persönlichkeit war von eigenem Ruf und Wert, die die Reklame seiner Berühmtheit hätte entbehren können.

Schönheit – nichts als Schönheit – hätte ihr einen solchen Platz nicht gesichert. Selbst ihre Art von Schönheit nicht. Und doch gibt es in jeder Generation nur ein oder zwei Frauen, die begnadet sind wie Jane Carroll. Ihr Gatte wußte das. Wenn er auch ausgefüllt war von den Jahrhunderten, deren Inhalt sich in ungezählten Zellen und Kammern seines Hirns stapelte, so erkannte er doch, als er zum erstenmal mit Jane Howarth zusammentraf, diese Schönheit von Ewigkeitswert, deren sich Helena von Troja, Phryne, Beatrice und auch Schottlands rothaarige Königin rühmen durften. Jane war jene Schönheit zuteil geworden, an die keines Mannes kritischer Gedanke zu tasten wagt.

»Sie machen Geschichte«, sagte er zu ihr, gleich im Beginn seiner Werbung um sie, dieser so seltsamen Werbung. »Sie machen Geschichte, ich schreibe bloß Geschichte.«

Im Munde eines Gelehrten ein fast anstößiges Aperçu. Aber in jenen Monaten, wo er Jane Howarth in Minne diente – wie man in den Zeiten zu sagen pflegte, über die Stephen Carroll schrieb – sagte er Dinge, die manchmal sogar ihn selbst überraschten. Im übrigen wußte er vielleicht selbst, daß er nichts aussprach als die schlichte Wahrheit.

Es ist hier nicht der Ort, von diesem Minnedienst zu reden, dessen Schauplatz das kleine Dorf Charmouth in Dorsetshire war. Es ist genug gesagt, wenn man feststellt, daß Jane, noch ehe sie Zeit gehabt hatte, in eine Welt hinauszutreten, die nur zu gern bereit war, ihr zu bezeugen, wie schön sie war, sich mit einem Manne verheiratet sah, der wesentlich älter war als sie selbst.

All die aufzuzählen, die sich nach ihrer Heirat in sie verliebten, wäre sinnloses Beginnen. Nichts von alledem ist so wesentlich für den, der die Geschichte von Jane Carrolls Leidenschaft erzählen will, als jener Tag in der ersten Hälfte des Jahres 1921, an dem ihr Mann ihr mitteilte, daß sie am Abend in ihrer Wohnung am St.-James-Square Gäste zu Tisch haben würden.

Sie sagte: »Aber wir hatten doch eine Verabredung mit allen möglichen Leuten und wollten dann ins Theater gehen?«

»Uns mitgerechnet, werden im ganzen fünf Männer da sein.« Wenn ihn innerlich etwas stark beschäftigte, pflegte er solche seltsamen Dinge zu sagen.

Sie fragte, wer die Gäste seien.

Drei Namen kannte sie so gut, daß jede weitere Frage überflüssig erschien. Einer war Mitglied des Kabinetts, ein anderer sein Geheimsekretär. Der dritte war ein Politiker aus Ulster, Mitglied des Parlaments; selbst die gerissensten Journalisten hatten noch nicht herausbekommen, daß er zur Zeit in London war. Der vierte Name war ihr fremd.

»Bin ich verpflichtet, John Madden zu kennen?« fragte sie.

»Nein«, sagte er. »Du wirst nichts von ihm wissen. Er wird heute abend hier bei uns essen, und wahrscheinlich wirst du ihn nie wieder zu Gesicht bekommen. Es ist nicht gerade nötig, daß sein Name in Hörweite der Dienstboten genannt wird. Wenn ein Zufall will, daß es doch geschieht, so läßt es sich eben nicht ändern. Es spielt keine Rolle. Sie würden doch nicht wissen, was der Name bedeutet. Er kommt pünktlich um ein Viertel vor acht Uhr. Ich werde dafür sorgen, daß ich in der Diele bin. Wenn Britton ihm die Türe öffnet, werde ich bereitstehen, so daß er niemand seinen Namen nennen muß. Mach' keine großen Umstände mit dem Essen! Je weniger die Dienstboten merken, daß es sich um etwas Besonderes handelt, desto besser!«

All das war vielleicht nicht alltäglich, aber es paßte gut zu der Atmosphäre, die in Stephens Haus in jenen Tagen herrschte; für Jane war es nichts Besonderes mehr. Seit dem blutigen Aufruhr von 1916 in Dublin hatte sie bemerken können, daß das Interesse ihres Mannes – ein akademisches Interesse – immer mehr von den Problemen der irischen Politik angezogen worden war. Das bewiesen allein die verschiedenartigen Leute, die an ihrem Tische am St.-James-Square gesessen hatten. Sie hatte wenig gefragt, sie hatte beobachtet und zugehört. Man sprach bei solchen Gelegenheiten von »Geschichte, die in der Entwicklung ist« und unter dieser Verkleidung über irische Politik, bis der Morgen graute.

Carroll war Irländer. Schon in jungen Jahren, noch auf der Universität, hatte er sich als Historiker einen Namen gemacht. Aber seine Familie hatte Interessen in Spanien, die ihre Übersiedlung nach Barcelona nötig machten. Er hatte sich dort gefühlt wie der einzige Lebende in einem toten Land. Drei Jahre später war er zurückgekehrt, aber nicht nach Irland. In den achtziger Jahren hatte er sich, damals ein junger Mann von achtundzwanzig Jahren, in London niedergelassen.

Soviel genügt für den Augenblick, um zu erklären, warum er solches Interesse daran nahm, als in den Straßen von Dublin Leidenschaften und begeisterte Träume in einer gewaltigen Lohe aufflammten. Es war eine Zeit, als England von dem Weltbrand auf dem Kontinent zu sehr in Anspruch genommen war, um die kleineren Brandherde zu beachten, die unmittelbar vor seiner eigenen Tür schwelten.

Der Aufstand war unterdrückt worden, und von dem Augenblick an war, bis zum Kriegsende, jedes Gespräch über Irland zum Schweigen gebracht. In den Jahren 1916 bis 1918 war es, als wäre Irland das verschollene und versunkene Atlantis irgendwo im Ozean, so wenig Raum nahm es in der Beachtung des Durchschnittsengländers ein. Aber selbst in diesen Jahren pochte, wenn auch freilich nur sehr selten und gelegentlich, allerlei merkwürdiges Volk an Stephen Carrolls Tür auf dem St.-James-Square.

Es ist nicht anzunehmen, daß damals oder in der Folgezeit Carroll sich aktiv an der irischen Bewegung beteiligte. Er kann nicht zu den irischen Patrioten gerechnet werden. Wenn überhaupt in ihm eine Leidenschaft brannte, so war es die kalte, beherrschte Leidenschaft des Historikers.

»Lädst du eigentlich diese Leute zu dir ein?« fragte Jane eines Tages, als eben ein irischer Priester sich von ihnen verabschiedet hatte, »oder tauchen sie bloß zufällig bei uns auf?«

Vater Hanrahan hatte die Manieren eines Pächters vom Lande. Er hatte in Janes Salon Tee getrunken, als säße er in der Küche eines Bauernhofs. Er hatte seine Stiefel angestarrt, als bemerke er selbst, wie plump und häßlich sie auf Janes Teppich wirkten. Seine abgetragene schwarze Soutane war grünlich verschossen. Er wirkte wie ein Mann, der in einem fremden Lande vom Wege abgekommen ist. Sein Auge hatte einen stumpfen, erloschenen Ausdruck. Nur einmal, als er von früheren Tagen in Cork zu reden anfing – er und Stephen waren damals befreundet und beide waren jung – belebte sich sein Blick und flackerte in einer beredten Flamme auf. Solange sie am Teetisch saßen – solange, bis er endlich mit Stephen ins Arbeitszimmer hinüberging – betrachtete er Jane, die in ihrer wundervollen Haltung und in ihrer Schönheit vor ihm saß, als wäre sie eine Buhlerin, die zu reinigen selbst das Sakrament der Ehe nicht vermochte. Sein Auge hatte ihren Blick gemieden, als er das Zimmer verließ, und er war nicht zurückgekehrt, um sich auch von ihr zu verabschieden.

»Sie tauchen einfach hier auf«, hatte Stephen auf Janes Frage geantwortet. »Wenn du in Irland gelebt hättest und dich dann eines Tages an dieser Stätte der Gottlosen, genannt London, wiederfinden würdest, so wäre dein erster Gedanke und deine erste Hoffnung, wenn du hier ankommst, jemand aufzutreiben, der aus deiner Heimat stammt. Weiß der Himmel, Auswanderung im üblichen Sinne gibt es in Irland nicht, dort gibt's nur unfreiwillige Verbannung. Bei uns drüben wirst du überall in den Bergen, wohin du auch kommst, kleine Steinhaufen finden. Das sind die Grabhügel, unter denen das Herz derjenigen liegt, deren Körper Irland hinter sich lassen mußte.«

Es gab noch andere Besucher von der Art Vater Hanrahans, bevor der Waffenstillstand geschlossen wurde. Den ganzen Winter des Jahres 1918 hindurch erschienen sie, und in der Folgezeit nahm ihre Zahl immer mehr zu. Stephen hatte die Eigentümlichkeit, bei seinen Verabredungen unpünktlich zu sein; so war es für Jane nichts Ungewöhnliches, daß irgendwelche seltsamen, verschroben aussehenden Geschöpfe in den Kreis der Intimen hineinstolperten, die nachmittags zu Jane heraufkamen, wie man in eine Galerie schlendert, um einen Blick auf ein besonders schönes Bild zu werfen. Sie mußte sie empfangen. In der Konversation, deren Geklingel ihren Salon erfüllte, wirkten solche Eindringlinge wie grobes Zinngeschirr, das zwischen zarte Gläser hineingestoßen wird. Und doch gab es Augenblicke, in denen Jane wahrnahm, daß irgendwie, wenn auch gebrochen, ein unbekanntes Licht von diesen Leuten ausging. Nicht das grelle Glitzern des Lichts, in dem Janes' Leben sich abspielte, aber ein merkwürdiges Glimmen unter der toten Oberfläche, wie wenn kostbares Metall unter Rost und Schmutz begraben liegt.

Jane, die nicht mehr Interesse für Irland besaß, als man bei jemand voraussetzen kann, der in England auf dem Lande groß geworden ist, wurde sich mehr und mehr bewußt, daß es hier ein Volk gab, das sich fremd fühlte unter den Leuten, mit denen es zusammenzuleben hatte. Es war eine verschollene Nation. Jeder einzelne kam in das Haus am St.-James-Square wie ein Mann, der weite Einöden durchmessen hat, um Kunde zu bringen von einem fernen Stamm. Wie Läufer waren sie. Etwas wie Atemlosigkeit umgab sie. Ein Blick wie Botschaft war in ihren Augen. Jedoch wenn sie vor Jane standen, war ihr Mund meistens verschlossen. Janes behender Witz war nicht ihr Witz. Sie betrachteten Stephen grübelnd und verwundert; wie hatte der Bursche, mit dem sie einst durch die holprigen Straßen von Cork gezogen waren, es zuwege gebracht, den »Angelsachsen« diese Schönheit wegzuschnappen? Sie hielten viel von ihm, weil ihm die kühne Tat gelungen war; soviel war ihnen anzumerken. Daß sie viel von ihr hielten, konnte Jane nie mit voller Sicherheit behaupten.

»Worüber reden sie eigentlich, wenn du mit ihnen allein in deinem Arbeitszimmer zusammen bist?« hatte sie einmal gefragt. Und die Antwort, die sie erhielt, wirkte auf sie wie eine Ausflucht. Es war das erstemal, daß sie an Stephen etwas Ähnliches bemerkte. Gewöhnlich war er offen wie ein Kind. Er erzählte es ihr jedesmal getreulich, wenn die Frauen ihres Kreises, dieses Kreises der Intimen, verstohlen ihre Angel nach ihm auswarfen. Er sprach mit ihr über seine Arbeit als Historiker mit naiver Gründlichkeit wie ein Kind, das mit allen seinen Anliegen zur Mutter gelaufen kommt.

Aber bei dieser Frage hatte er die Augen halb geschlossen und sie verstohlen gemustert. Er hatte sie betrachtet, als wäre er sich nicht darüber klar, ob sie – sogar sie – alt und weise genug sei, um dieses Geheimnis mit ihm zu teilen.

»Oh – sie reden von alten Zeiten«, sagte er.

»Was für alte Zeiten? Du hast mir nie etwas davon erzählt.«

»Nicht der Rede wert. Zusammenkünfte in Dalys Billardsalon, im ersten Stock über einem Wirtshaus in Patrickstreet. Es war eine ganz ruhige und friedliche Angelegenheit, außer wenn Wahlen waren. Es sah damals nicht aus, als steckte besonders viel dahinter. Just, daß ein paar Hitzköpfe sich zusammenfanden. Und so fing alles an.«

»Was fing an?«

Da hatte er sie wieder verstohlen angesehen, und dann hatten sich seine Lippen fest geschlossen. Die Antwort, die er ihr gegeben hatte, war von so komischer Bedeutungslosigkeit, daß sie lachend davongegangen war. Mochte er sein Geheimnis mit sich herumschleppen, wenn ihm das Freude machte.

Aber bei solchen Essen am St.-James-Square kehrten ihre Gedanken oft zu Stephens Geheimnistuerei zurück. Wenn sie an Carrolls Tisch tranken und ihre Zungen sich lösten und von den alten Tagen geredet wurde, hörte sie immer wieder von den Gesellschaften der »Geeinten irischen Liga«, vom »Ehrwürdigen Orden der Hibernier«, von der »Irisch-Republikanischen Loge«. In der ersten Zeit waren es für sie nichts als Namen, die ihr nicht mehr bedeuteten als der der Freimaurer oder einer anderen Brüderschaft. Seit ihrer Heirat hatte sie gelernt, daß es eine Eigenheit der Männer war, noch immer gewissen Hordeninstinkten zu gehorchen. So ging auch Stephen hier und da in Gesellschaft einiger Busenfreunde – es waren sehr wenige und dazu Leute, die von ihren eigenen Angelegenheiten zu sehr in Anspruch genommen waren, um nach Janes Geschmack zu sein – auf eine Erholungsreise. Außerdem hatte er seine Klubs. Er gab seine Herrenessen, zu denen er aus irgendeinem kindlichen Beweggrund – es schien nichts anderes zu sein als sein Stolz auf sie – bisweilen Jane als einzige Frau einlud.

Die schwere Niederlage, die die Sinnfeiner 1918 den Nationalisten beibrachten, erregte vorübergehend Jane Carrolls Interesse. Sie dachte an die Männer und Frauen, die von Zeit zu Zeit aus dem Nichts aufgetaucht waren, eine Botschaft in den Augen. Sie dachte an Vater Hanrahan und den düsteren, anklagenden Blick, der sie in ihrer Schönheit maß wie eine Buhlerin.

Sie sagte zu Stephen: »Wie ich gelesen habe, sind eure Nationalisten von den Sinnfeinern gehörig verprügelt worden?«

Sie hatte eben die fettgedruckte Überschrift in einer Zeitung gelesen. Er nahm an, daß nur dies die Frage veranlaßt hatte. Sie stand vor ihm, die großen Augen weit geöffnet in Erwartung seiner Antwort – wenn er eine zu geben bereit war – und fragte mit jenem Klang in ihrer Stimme und dem drolligen Zug um die Lippen, was schon mancher faszinierend gefunden hatte, lange ehe Stephen Carroll den Mut aufbrachte, sich in sie zu verlieben.

Er nickte mit dem Kopf. Eine Antwort gab er nicht. Sie versuchte es noch einmal.

»Glaubst du, daß Vater Hanrahan dabei die Finger im Spiel gehabt hat?« fragte sie.

»Wie kommt's, daß du dich gerade an Vater Hanrahan erinnerst?«

»Des Blickes wegen, der damals in seinen Augen war.«

»Was für ein Blick?«

»Der große Bannstrahlblick, den alle eure irischen Priester an sich haben, wenn sie wollen. So etwas gibt es hier bei uns gar nicht. In England gibt es keinen Papst.«

Sie hatte große Freude daran, solche Dinge zu sagen. Die Tatsache, daß sie in diesem protestantischen Lande selbst katholisch war, sah sie wie eine seltene Orchidee an, die in fremden Boden gepflanzt ist. Sie trug ihren Katholizismus wie eine prachtvolle Blüte an der Brust. Bei alledem trieb er aus einer Wurzel, die in ihrem Herzen saß.

Nach dem irischen Aufruhr von 1916 (auf einen Engländer hatten die Nachrichten darüber ungefähr so gewirkt, wie eine Meldung von einer Pockenepidemie im hohen Norden; es war viel zu weit weg, man brauchte nicht an irgendwelche Schutzmaßnahmen zu denken) kam immer öfter Besuch, irische Frauen und Männer.

»Steckst du deine Finger in irische Politik?« hatte sie einmal Stephen gefragt.

»Man kann Geschichte nicht anfassen, solange die Massen noch glühend und im Fluß sind«, hatte er geantwortet, und sie hatte sofort das bestimmte Gefühl, daß er es dennoch tat. An jenem Maitag des Jahres 1921, an dem er sie gebeten hatte, ein einfaches Essen anrichten zu lassen, zu dem ein Mitglied des Kabinetts, ein Parlamentarier aus Ulster, und dieser John Madden erscheinen sollten, war sie ihrer Sache so gut wie sicher.

John Madden. So viele Namen waren an ihren Ohren vorbeigegangen: de Valera, Michael Collins, Griffiths, Cashel Brugha, Mulcahy – warum hörte sie gerade diesen Namen heute zum erstenmal?

Sie gab ihre Anordnungen für ein einfaches Essen und ging, um Blumen zu besorgen, dorthin, wo sie sie immer kaufte und wo man ihr übrigens die Blumen mit tausend Freuden umsonst gegeben hätte, bloß um das Vergnügen zu haben, sie zu sehen.

»Können Sie mir heute abend vier Dutzend rote Rosen schicken?« sagte sie, »frische Rosen!«

Sie wußte selbst nicht, woher ihr der Einfall kam.

Später sagte sie: »Ihr war't lauter Männer, mir war, als hätte ich die Rosen als Gesellschaft nötig.«

Am Abend in ihrem Schlafzimmer brauchte sie fast eine Stunde, um unter ihren Kleidern zu wählen. Sie schickte ihre Zofe hinaus, weil sie allein sein wollte, rief sie zurück, um ihre Ansicht zu hören und vergaß es ganz und gar, sie danach zu fragen.

Vielleicht haben Frauen einen sechsten Sinn. Sie ahnen den Augenblick, der sie dem Kern des Lebens entgegenführt. Sie sind wie die Blinden, die fühlen, daß vor ihnen ein Hindernis sich aufrichtet, bevor sie es ertasten – die spüren, wo die Stufe ist, die abwärts führt, ehe sie sie noch erreicht haben.

Dreimal legte sie an diesem Abend von neuem ihr Haar in die schweren Flechten rechts und links, die ihre besondere Note waren. Kurz geschnittenes Haar kam immer mehr in Mode. Sie hatte es nicht nötig, sich dem Gebot zu beugen. Sie selbst zu sein, war der Kultus, den sie trieb. Es wäre eine Sünde gewesen, dies schwere, dunkle Haar abzuschneiden. Ihre Kleider wußten nichts von Mode, die Stoffe, die sie aussuchte, flossen an ihr herab. Sie gehörte keiner Epoche an. Gewiß nicht der, in der sie lebte.

Irgendwo in einer Londoner Mansarde saß eine kleine Schneiderin, die für sie arbeitete. Sie gab ihr Leben für Jane Carroll. Das taten Frauen, das taten Männer. Dank ihrer eigenen Geschicklichkeit und dank Janes Einfluß wäre es ihr möglich gewesen, sich immer weiter in die Höhe zu arbeiten, aber sie wünschte nichts Besseres. Ihre Augen brannten, wenn Jane in ihre Mansarde hinaufkam.

An diesem Abend im Mai 1921 trug Jane Carroll ein grünes Gewand, das bis dahin niemals zu einer ihrer Stimmungen hatte passen wollen.

Warum sie es jetzt wählte, hätte sie nicht sagen können. Es war kein irisches Grün, aber das Grün von Irland war darin. Ein Grün, in dem Purpur schimmerte. Aus den sanften Nebeln über dem Sumpfland von Connemara heben sich bewaldete Berge, um die dieses purpurne Grün liegt, das auszukosten englische Nerven zu stumpf sind. Es schien, als hätte Jane bis dahin nie gewußt, weshalb der Stoff ihr gefiel und sie ihn kaufte. Das Kleid hing schon lange unter den anderen in ihrem Schrank. Ihr Blick war darauf gefallen, als die Zofe die Tür öffnete.

»Das Kleid da!« sagte sie.

Die Zofe hatte es mit einiger Überraschung aus dem Schrank genommen.

»Ich meine immer, gnädige Frau sehen in diesem Kleid so schwermütig aus«, erlaubte sie sich zu sagen.

»Ist es häßlich, wenn man schwermütig aussieht?« fragte Jane.

Darauf zu antworten ging über Louises Verstand. Sie zog das grüne Kleid über die weiße Rundung von Janes Schultern und verlor kein Wort mehr.

Um ein Viertel vor acht Uhr trat Jane Carroll aus ihrem Zimmer. Oben, am Beginn der Treppe, hing ein Spiegel an der Wand. Sie blieb davor stehen. Es war mehr, als blicke ihr Spiegelbild sie an, als daß sie es betrachtete. Sie sah sich nicht. Rings um sie, über den Stufen und über der Diele unten lag gedämpftes Licht. Hinter ihrem Ebenbild im Spiegel konnte sie die Stufen sehen, die hinunterführten. Unten, der Treppe gegenüber, im weichen Schatten, lag die Haustür.

Es klingelte. Weit hinten im Hause hörte sie die Glocke anschlagen, sie hörte sie noch einmal – näher, weit näher – in einem Winkel ihres Hirns, der auf diesen Ton gewartet hatte. Da vibrierte er weiter. Doch äußerlich blieb sie unbewegt. In dem Queen-Anne-Spiegel sah sie Brittons kahlen Kopf aufglänzen, als er zur Tür schritt, um zu öffnen. Ein Gefühl sagte ihr, daß drüben im tieferen Schatten, jenseits der Eßzimmertür, ihr Mann stand und wartete. Die Haustür wurde geöffnet. Ein unbestimmter Umriß hob sich dunkel gegen das glanzlose Licht, das über den Gartenanlagen des Platzes draußen lag. Als Stephen aus der Dunkelheit auftauchte, wandte sie sich vom Spiegel weg und betrat die Treppe.

John Madden zog seinen Mantel aus. Er schob die Schultern zurück und warf den Kopf in den Nacken, als er sie sah, die Geste eines Mannes, der ungern einen Druck auf seinen Schultern spürt. Sie schritt die letzten Stufen der Treppe hinunter, betrat die Diele, stand vor ihm. Sie ging sicher und ohne Zögern. Sie spürte: sie schritt in sein Leben hinein, an einen Platz, der ihrer geharrt hatte.

»Meine Frau!« sagte Stephen.

Sie reichte ihm die Hand. Er nahm sie. Nicht flüchtig. Er nahm die ganze Hand. Seine Finger schlossen sich über den ihren. Und als er sie losließ, fiel die Hand gegen die grünen Falten ihres Kleides.


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