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Der gewesene Hauslehrer X. hatte sich aus dem geräuschvollen Treiben der Welt in sein Studierzimmer zurückgezogen, wozu er ein ruhiges Stäbchen, bei einem Bäckermeister, wenn mir recht ist, oder in dessen unmittelbarer Nähe ausgewählt hatte. In seiner bisherigen Stellung mußte er seine Zeit am Tage der Erziehung und Beaufsichtigung der ihm anvertrauten Jugend, des Abends der Unterhaltung und dem geselligen Umgange mit seiner Prinzipalität widmen, zu seiner weitern Fortbildung und vor allem zur Vorbereitung auf das Examen blieb ihm also so gut wie keine Zeit übrig. Darum hatte er den energischen Entschluß gefaßt, die Stelle aufzugeben, so lieb sie ihm auch war, um in stiller Zurückgezogenheit seine Studien fortzusetzen.
Wir finden ihn jetzt in der Stadt, in der Absicht, den bevorstehenden Sommer zur Vorbereitung auf die erste theologische Prüfung zu benutzen, nebenbei aber sich die nöthigen Mittel zu seinem Unterhalte zu verschaffen. Auf die Abende rechnete er ganz besonders, sie sollten ungestört ihm und seinen Arbeiten allein gehören. Der Hauptsache nach ging alles nach Wunsch und unser Candidat in spe war ganz zufrieden mit der Anlage seiner Pläne, als mit einem Male Störungen ganz eigener Art und von einer Seite her eintraten, von welcher sie nicht erwartet worden waren. Gar bald ließ sich des Abends, wenn er in die Arbeit vertieft war, ein Heimchen mit seinem melancholischen Gezirp vernehmen. Das eine hätte sich allenfalls ertragen lassen, es kam aber ein zweites, ein drittes und wer weiß wie viele noch dazu, so daß diese ungebetenen und unsichtbaren Musikanten zuletzt ungemein lästig wurden. Beschwerden, welche er beim Hauswirthe darüber anbrachte, konnten nichts helfen, dieser vertröstete auf den Winter, während welches die Sänger Ruhe halten würden, rieth dazu, die schönen Abende lieber im Freien zu verbringen, dann würde man müde und könne doch schlafen, ungeachtet der Heimchen, und was dergleichen Dinge mehr waren, welche die unangenehme Lage unseres jungen Freundes um nichts bessern konnten. Je langweiliger einzelne Partien waren, welche er sich mit Widerstreben einzuprägen hatte, desto unausstehlicher schienen ihm seine ungebetenen Lärmmacher, desto weniger ließen sie ihn durch Schlaf Ruhe und Erholung finden. Schließlich sah er sich genöthigt – auszuziehen und die wenigen Thaler, welche er sich als Nothpfennig früher erspart hatte, für eine Miethe aufzuwenden, welche der Wirth ohne Entschädigung nicht freigeben wollte, weil er es der ungelegenen Zeit wegen nicht brauchte. Die Heimchen trieben also hier einen unglücklichen Aspiranten auf eine theologische Candidatur buchstäblich aus dem Hause hinaus.
Eine andere, aber traurige Geschichte erzählt der Hofdiakonus Göze »Nützliches Allerley aus der Natur und dem gemeinen Leben für allerley Leser von Johann August Ephraim Göze« etc. 3. Band. Leipzig 1788. 8°. S. 141 u. f. aus seinem Leben. In einem Kaufmannshause zu Q. hatte sich ein Heimchen einquartiert und ließ sich des Abends, auch wohl die ganze Nacht hindurch recht lustig hören. Anfänglich wurde nichts daraus gemacht, aber bald fing man an, die Sache ernsthafter zu nehmen. Die alte Kindermuhme hatte einen Wink gegeben und einige geheimnißvolle Bedenken geäußert, welche darauf hinausliefen, daß in dem Hause bald einer sterben werde, wo sich dies Thierchen hören ließe. Dies fuhr allen durchs Herz, denn der Aberglaube steckt an wie ein Lauffeuer. Alles Gesinde wurde furchtsam, selbst die Herrschaft, ohne sich es merken zu lassen, unruhig. Ein jeder glaubte, daß es auf ihn abgesehen sei. Die alte Kindermuhme sang beständig Bußlieder und strafte den Bedienten aus Gottes Wort, wenn er mit ihr scherzen wollte, welches sie doch sonst aus verjährter Erfahrung wohl leiden mochte. Endlich nahm die Sache eine andere Wendung. Die Muhme sagte einmal zu dem Gesinde: »Gebt nur Acht, ob es nicht unserer Frau gilt; seht sie nur an, wie elend sie schon aussieht.« Dies mochte der guten Frau zu Ohren gekommen sein, die eben noch nicht allen aus ihrer Erziehung mitgebrachten Aberglauben abgelegt hatte. Kurz die Frau wurde krank – starb an einem Faulfieber. »Da habt Ihr's,« sagte die Kindermuhme mit großem Triumph, und betrübte sich nicht so sehr über den Tod ihrer Frau, als sie sich über den Sieg ihres Aberglaubens freute. Alles wurde nun desto mehr in dem Wahne bestärkt, das Heimchen habe die Frau zu Grabe gesungen.
Der geistliche Herr bemüht sich hierauf, das Abgeschmackte dieses Aberglaubens nachzuweisen, was man mir hier erlassen wird, einmal, damit nicht die schon an sich lange Einleitung noch länger werde, und zweitens, weil in unseren heutigen Tagen doch wohl nicht mehr nöthig ist, gegen solche Sorte von Aberglauben zu Felde zu ziehen.
Nach dergleichen Geschichten dürften wir neugierig werden, das dem Namen und wahrscheinlich auch den Umrissen nach uns schon längst bekannte Thier auch im Uebrigen etwas näher kennen zu lernen und vor allem zu erfahren, was es für eine Bewandtniß mit seinem verhängnißvollen Stimmwerkzeuge habe.
Das schon früher einmal erwähnte alte Pfarrhaus der Großältern, bei denen ich so glückliche Tage meiner Jugend verlebt habe, bot mir bequeme Gelegenheit, auch diese Thiere zu beobachten, welche millionenweise die düstere Küche bewohnten und deren Untergrund im Laufe der Jahre fast untergraben haben mochten. Durch dieselbe nahm ich dann und wann mit der Großmutter den Weg, ehe wir uns zur Ruhe legten; denn die gute Frau hatte ein großes Interesse an all dergleichen Dingen und wollte auch das Enkelkind durch eigene Anschauung mit dem Treiben unserer Mitbewohner bekannt machen, welche schon mindestens eine Stunde lang als unsichtbare Musikanten uns in der benachbarten Wohnstube unterhalten hatten, ohne gerade unsere traulichen Gespräche zu stören. In besagter Küche lümmelten sich diese kleinen Wesen in Schaaren, manche noch nicht so groß wie eine Stubenfliege – die winzigeren übersah man – und bis zu der in obiger Abbildung dargestellten waren alle zwischenliegenden Größen vertreten. Da meine Beobachtungen in den Monat Juli fielen, so möchte ich die in Büchern zu lesende Behauptung, die Eier würden nur in dem genannten und in dem darauf folgenden Monate abgesetzt, einigermaßen bezweifeln und glauben, daß während der ganzen Zeit, in der sich das lebhafte Gezirp vernehmen läßt, auch Grund zu neuer Brut gelegt werde. Eins hängt, wie wir bald sehen werden, mit dem andern genau zusammen.
Die Heimchen erinnern in ihrem geselligen Beisammensein, in den nächtlichen Ausbrüchen aus ihren Verstecken, in dem Aufsuchen der Wärme und auch derselben Nahrungsmittel lebhaft an die Küchenschaben, in deren Gesellschaft sie sich nicht selten vorfinden. Bäckerhäuser, Mühlen, Brauereien, Kasernen, wo sie mitunter als »kleine Krebse« die langen Brühen der Suppe würzen, Hospitäler und andere ähnliche Oertlichkeiten suchen sie deshalb der Nahrung oder Wärme halber gern auf. Wir kehren zur Pfarrküche zurück.
Aus allen Winkeln zirpte es, hier füllte ein dicker Kopf mit seinen langen Fühlfäden ein Loch in der Mauer aus und zog sich bei unserer Annäherung scheu zurück, dort spazierte eine Heerde Junger, nach Nahrung suchend, keck umher, verrieth aber bald, daß Furchtsamkeit und Vorsicht ihnen angeboren. Mit der Hand eins der drei umherschweifenden Thiers zu erhaschen, war so ziemlich ein Ding der Unmöglichkeit, und gelang es ja, so war der blinde Zufall dabei im Spiele, welcher bei der großen Menge einmal eins zwischen die ausspähenden Finger trieb, auf welches es nicht abgesehen gewesen war. Sie schützt in dieser Hinsicht mehr ihre große Gewandtheit und Schnelligkeit im Laufen als ihr Springvermögen, welches sie natürlich auch zu Hilfe nehmen, wobei man ihnen aber ansieht, daß der feiste Körper nicht recht fort will und größere Sätze ihnen schwer fallen. Eine Stelle hatte ich ermittelt, oder vielmehr die Großmutter zeigte sie mir, wo der Fang keine großen Schwierigkeiten darbot. Im Herde war nämlich ein großer, kupferner Kessel eingemauert und mit einem Holzdeckel, welcher seine Oeffnung schlecht verschloß, zugedeckt. Wenn zu irgend welchen wirtschaftlichen Zwecken hier einmal Wasser heiß gemacht worden war, von welchem immer auf dem Boden eine Wenigkeit zurückblieb, so wie eine behagliche Wärme in der ganzen Umgebung, so saßen die Thiere in solchen Mengen im Grunde des Kessels, in welchem sie natürlich umkommen mußten, daß man sie händeweise greifen konnte. Ich bereitete mir manchmal das Vergnügen und sperrte sie über Nacht in ein Zuckerglas, dessen Mündung mit Papier überbunden wurde. Am andern Morgen war eine unbeschädigte Grille eine Seltenheit. Beine, Fühler fehlten mehr oder weniger, theilweise oder ganz, ja selbst Stücke aus dem Leibe einer oder der andern. Die Springbeine, welche sich die Heuschrecken gern abstrampeln, und die sonstigen Glieder lagen aber nicht etwa im Glase umher, sondern sie waren verschwunden. In ihrer Gefräßigkeit und aus Aerger über die Gefangenschaft hatten sie sich einander angenagt. Hätte ich damals gewußt, was ich erst später erfahren, so hätte ich selbst die Behauptung anderer prüfen können. Die Heimchen sollen nämlich, wie z. B. die Krebse, beschädigte oder ganz fehlende Gliedmaßen wieder aus sich heraus ersetzen können, »Reproduktivkraft« besitzen. Wenn man einem ein Hinterbein abnimmt, wächst dasselbe bei gutem Futter (etwa geschabten Mohrrüben) innerhalb vier Wochen wieder nach. Der Versuch, welcher ohne Zweifel nur an den Larven gelingt, ist für denjenigen leicht zu wiederholen, dem Heimchen zu Gebote stehen, mir sind sie später fern geblieben und ich konnte ihn nicht anstellen damals trug ich sie den Hühnern auf den Hof und bereitete diesen ein Festmahl.
Vor allen müssen wir uns die größten, vollkommen entwickelten Thiere etwas genauer besehen, und da fallen uns hinten an ihrem Leibesende eine Menge von Anhängseln sogleich in die Augen, bei einigen immer mehr als bei andern. An den Seiten bemerken wir zunächst zwei lange Schwanzborsten, an beiden Figuren unseres Bildes sichtbar, welche bei der Küchenschabe, aber in anderer Form, ebenfalls vorhanden sind, wie bei vielen andern verwandten Kerfen. Man hat diese gegliederten Anhängsel Raife genannt, ohne ihre Bedeutung zu kennen. Zwischen ihnen in der Mitte ragt eine dritte, an ihrer Spitze schwach nach unten gebogene Borste hervor, welche bisweilen, wie auch hier zweitheilig erscheint, es sind nämlich die eng beisammen liegenden, grätenartigen Vorderränder der beiden Hinterflügel. Diese, länger als die vordern oder die Flügeldecken, falten sich außerordentlich schmal zusammen und legen sich unter ihren schmalen Vorderrand. Die eben erwähnten drei oder, wenn wir wollen, vier Spitzen stehen bei allen vollkommen entwickelten Heimchen über den runden Hinterleib hinaus, bei den Weibchen kommt dazu nun noch eine etwas in die Höhe gerichtete Legröhre, an der man sie leicht von ihren Männchen unterscheiden kann.
Bei beiden Geschlechtern zählen alle Füße nur drei Glieder, deren mittelstes am kürzesten ist. Von der übrigen Gestalt des gedrungenen, feisten Körpers füge ich nichts weiter hinzu, denn sie ist aus den Figuren ersichtlich. Was die Farbe anlangt, so bildet ein bleiches, unreines Gelb den Grund, auf dem einige dunklere, braune Strichel und Flecken ohne besondere Ordnung aufgetragen sind.
Nun aber das Zirpen! Durch meine fleißigen Abendbesuche eignete ich mir bald die Vorsicht an, welche zur genauen Beobachtung der Thierchen nöthig ist, vielleicht lernten sie mich auch allmählich als ihren Freund kennen, der ihnen gutes Futter brachte, denn ich streute hie und da etwas aus und fand sie immer weniger furchtsam, mindestens so dreist, daß ich meine Zwecke vollkommen erreichte. Oefter belauschte ich einzelne, wie sie mit etwas gehobenen Flügeldecken dasaßen und dieselben mit außerordentlicher Schnelligkeit übereinander hin und herrieben, mit andern Worten, wie sie es anfingen, um zu – – zirpen. Immer nur waren es Heimchen ohne Legröhre, also Männchen; von den Weibchen wollte ich's auch gern sehen, aber vergeblich. Gar bald ward ich gewahr, daß diese dazu unvermögend, aber wohl im Stande waren den Lockruf des Männchens zu hören, denn bald naht sich ein Weibchen, stößt das Männchen mit seinen langen Fühlern an, damit es seine Gegenwart merke, dieses schweigt dann, erwiedert wohl das Kompliment, duckt sich, streckt und dreht den Kopf hin und her.
Vergleicht man die Flügeldecke beider Geschlechter etwas genauer mit einander, so findet man in ihrem Baue auch einige Unterschiede. Im allgemeinen erscheinen die weiblichen glatter und regelmäßiger geädert als die männlichen, welche von ihrer Mitte nach der Spitze zu größere, unregelmäßigere Felder zeigen und von kräftigeren Adern durchzogen sind. Letztere werden an einander gerieben, vorzugsweise an der hinteren Flügelhälfte und erregen den kreischenden Ton, welcher durch die gespannte, feine Haut der Felder, wie durch einen Resonanzboden, eine Verstärkung erleidet. Ich muß noch bemerken, daß die Flügeldecken beim Männchen ziemlich bis zum Ende des Leibes reichen, beim Weibchen aber noch etwas länger sind.
Mittels der Legröhre bringt das Letztere seine länglichen, gelblichen Eier im Schutte, Kehrichte oder in dem lockeren Erdreiche innerhalb seiner Verstecke unter. Schon nach 10 bis 12 Tagen schlüpfen die Jungen aus, häuten sich nach 8 Tagen zum ersten Male, später noch einmal und erhalten nach der dritten Häutung die Flügelscheiden und die weibliche Larve eine kurze Legröhre. In einem Alter von 6 Wochen legen sie ihr Kleid zum vierten und letzten Male ab und vertauschen es mit dem Gewande des vollkommenen Insekts, welches anfangs ungemein zart und durchsichtig aussieht. Man nimmt an, daß die Grillen, die verschiedenen Entwicklungsstufen eingerechnet, ihr Alter nicht höher bringen als auf ein Jahr.
Eine zweite und größere Art, die schwarz gefärbte Feldgrille ( G. campestris) hält sich bei uns im Freien auf, und das Männchen belebt vom späten Frühjahre an bis in den Sommer hinein die Fluren und Wälder, namentlich trockne und sonnige Stellen mit seinem bekannten Gezirpe.