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Es war in der ersten Hälfte des Oktober (1858), als ich in Gesellschaft eines lieben, längst dahingeschiedenen Freundes öfter einen Ausflug in die benachbarte Haide unternahm. Dieselbe trägt auf hügeligem Untergrunde von Kiefern und Laubholz untermischte Bestände, wird von mehreren ziemlich lebhaften Fahrstraßen durchschnitten, von den hiesigen Insektensammlern und Waldläufern gern besucht und in neuerer Zeit mehr und mehr der Ort, welchen sich die, in erschreckendem Maße überhandnehmenden Lebensmüden zu ihren selbstmörderischen Studien auserkoren haben.
Kaum hatten wir an einzelnen höher gelegenen, nur mit sparsamem Buschwerke bestandenen Blößen einigermaßen Fuß gefaßt, so rief mir mein Begleiter zu: »Hier bleibe ich nicht, da sind schon wieder die ekelhaften Fliegen,« und zugleich drückte er die Fingerspitze auf eine Stelle seines Gesichtes oder Rockes, um das ihm lästige Thier festzuhalten bis ich käme, es zu fangen und zu spießen. Er drängte dann weiter; denn das Gefühl, ein solch wanzenartiges Geschöpf sich im Gesicht sitzen und da umherkrabbeln zu wissen, mochte ein zu unangenehmes sein, um dem sonst eifrigen Sammler wenigstens an dieser Stelle in Ruhe die Fortsetzung seiner Thätigkeit zu erlauben. Bis zum Stechen ließ er es nie kommen, was jedenfalls geschehen wäre, wenn er den ungebetenen Gast nicht sogleich an dieser Thätigkeit gehindert hätte. An mich flogen die Bestien niemals an, welchen Umstand wir trotz aller Anstrengung unseres Scharfsinns nicht erklären konnten. Jedenfalls müssen diese Wesen, die mit dem Menschen eigentlich nichts zu schaffen haben, ebenso, wie man es bei dem ihm näher stehenden Ungeziefer und sonst lästig fallenden Insekten beobachten kann, gewissen Persönlichkeiten aus uns unbekannten Gründen den Vorzug geben. Hautausdünstung oder Farbe der Kleidung mögen für manche derselben maßgebend sein.
Das häßliche Thier, um welches es sich hier handelt, ist breitgedrückt und etwa so groß, wie eine Bettwanze, aber mit einem, die Brust an Breite nicht erreichenden Hinterleibe versehen. Am eng dem Mittelleibe anschließenden Kopfe trägt es eine etwas gebogene, schnabelartige Rüsselscheide, aus der eine fast doppelt so lange, ebenfalls gebogene Borste, der eigentliche Rüssel, hervorschiebbar ist, in eine Grube eingesenkte, daher schwer zu erkennende Fühler, glänzende Netzaugen, so wie in einem schwarzen Scheitelfleckchen Nebenaugen. Die Form der Beine und die zwei schwarzglänzenden, etwas ungleichen Krallen, mit denen sie bewaffnet sind, so wie ein kleines Polster mit schmalem, lichtem Hautläppchen zwischen ihnen, läßt unsere Fig. a erkennen. Der ganze Körper ist glänzend, horngelblich gefärbt und lederartig in seiner Bedeckung. Die langen Flügel haben nur die erste und dritte Längsader deutlich, alle übrigen sind sehr blaß und wie verwischt; sie sitzen nicht eben fest und fallen leicht aus. Die eben beschriebene Fliege ist das Männchen. Sein Weibchen, welches man in der Regel mit abgebrochenen Flügeln antrifft, hat einen wesentlich breiteren, dunkleren Hinterleib, dessen erstes Glied auf der Rückenmitte ausgeschnitten ist, so daß es zwei Bogen von hellerer Farbe bildet. Die Art ist vielfach verkannt und verschiedenartig benannt worden. Meigen nahm an, daß sie auf Vögeln lebe, nannte sie Ornithobia pallida und stellte das Weibchen zur Latreille'schen Gattung Melophagus. Nitzsch gründete auf sie die Gattung Lipotena, und wir halten den Namen L. cervi, Hirschfliege, fest. In Gegenden, wo das Elenn noch zu Hause ist, nennt man sie Elennsfliege. Daß die Art nicht blos auf den beiden Thieren lebt, von denen sie benannt worden ist, geht aus ihrem Vorkommen in unserer Haide hervor, wo keine Hirsche, sondern nur wenige Rehe leben. Sie ist mir seit jener Zeit hier nie wieder begegnet, dagegen öfter im Harze, wo es an Hochwild nicht fehlt. Ihr Schmarotzerleben auf Vögeln wird neuerdings bezweifelt. Hier kommen andere, allerdings sehr ähnliche Arten vor, und Verwechselungen liegen daher nahe.
Kirby erzählt, daß er auf einer Reise im nördlichen Holland (21. Juli 1815) in einem offenen Wagen von der Vogel-Lausfliege ( Ornithomyia avicularia) gequält worden sei, die sich ihm auf den Kopf gesetzt und ihren Rüssel in die Haut eingebohrt hätte. Man meint, daß sie nach dem Absterben des von ihnen eigentlich bewohnten Vogels diesen verließen, sich auf das erste beste, ihnen in den Wurf kommende lebende Geschöpf niedersetzten, zwar wieder davon flögen, wenn es kein ihnen genehmer Vogel sei, aber doch erst einmal fein Blut kosteten.
Sie ist auf den ersten Blick der vorigen sehr ähnlich, jedoch etwas kräftiger und im Verlaufe des Flügelgeäders wesentlich verschieden. Man erkennt hier nämlich fünf gleich starke Längsadern, von denen die erste doppelt ist und zwei von einander abgesetzte Queradern, während bei voriger Art diese beiden einen einzigen flachen und verwischten Bogen darstellen.
Sehr ähnlich in Bau und Größe, nur etwas breiter und leicht an ihren schmalen, sichelförmigen Flügeln kenntlich, ist die an den Schwalben lebende Schwalben-Lausfliege Fig. b. Sie findet sich in deren Nestern oft in größerer Anzahl und versteigt sich, wenn jene über den Fenstern menschlicher Wohnungen angeklebt sind, sogar bis in diese. Eine hatte den Weg in das Bett des Herrn Sheppard gefunden, wo sie erst mehrere Nächte hindurch einen seiner Freunde beunruhigte und zuletzt ihn selbst, ohne daß sie als Uebelthäter entdeckt werden konnte. Schließlich fand man sie zwischen den Falten des Betttuchs, aus denen sie allnächtlich hervorgekommen war, um sich mit Menschenblut zu mästen. Wie verderblich die Art durch ihr Blutsaugen für den gequälten Vogel werden kann, beweist der Umstand, daß sich vor einigen Jahren im Juni eine Mauerschwalbe ( Cypselus apus), welche ermattet auf der Erde lag, aufgreifen ließ. Bei näherer Untersuchung wurden mehrere Dutzend Lausfliegen der genannten Art abgelesen, lauter Weibchen, deren Hinterleib durch die stark entwickelte Brut gewaltig angeschwellt war.
Etwas kräftiger und breiter in ihrer Figur, dabei kurzflügeliger als die vorigen und dadurch charakterisirt, daß sich die dritte Längsader ungefähr in der Flügelmitte von der zweiten abzweigt, stellt sich die den Pferden und Rindern in manchen Gegenden oft recht lästige Pferdelausfliege ( Hippobosca equina) dar. Sie sitzt gern an den weniger behaarten Theilen dieser Thiere und saugt daselbst Blut. Inzwischen läuft sie seit- und rückwärts, klammert sich mit ihren weit ausgespreizten Beinen, an denen je zwei lange und noch zwei kürzere Krallen sitzen, nebst einem langen Ballenläppchen fest und bringt so durch Stich und Krabbeln an den empfindlichern Theilen den geplagten Thieren ein Jucken hervor, welches die geduldigsten zur Wuth reizen kann. Aufgescheucht, kehrt sie gleich wieder zurück und beginnt ihre Quälereien von neuem. In Färbung sind diese Fliegen den vorigen ebenfalls sehr ähnlich, Gelbbraun, hie und da von dunkleren Fleckchen verdrängt, herrscht vor; die rostgelben Beine sind schwarz geringelt.
Noch mehr spinnenartig, besonders wegen des Mangels der Flügel und des, das Bruststuck an Breite übertreffenden, etwas eckigen Hinterleibes sind die schmutzigbraunen, durchweg stark behaarten Schaflausfliegen, Schafzecken, Teken, für diese Thiere eine ähnliche Plage, wie die eben genannten für Pferde und Rinder. Von der flügellos gewordenen Hirschfliege unterscheidet sich diese Art durch das wesentlich dichtere Borstenkleid des Körpers, durch die sehr schmalen Netzaugen, den Mangel der Punktaugen und jeglicher Flügelspur.
Das Sonderbarste, was man in dieser Hinsicht sehen kann, viel eher einer langbeinigen Spinne als einer Fliege gleichend, sind die verschiedenen auf Fledermäusen lebenden Schmarotzer. In ihrer Körpermasse bleiben sie alle bedeutend hinter den bisher betrachteten Blutsaugern zurück, während die ungewöhnlich hoch am Rumpfe angewachsenen Beine verhältnißmäßig bedeutend länger erscheinen. Bewundernswerth ist die Schnelligkeit, mit der sie jetzt hier, im nächsten Augenblicke am entgegengesetzten Ende der Fledermaus erscheinen. Steckt man mehrere in ein Gläschen, an dessen Wänden sie nicht haften können, so suchen sie sich an einander zu halten und zappeln so lebhaft, daß es den Eindruck macht, als flögen sie im Kreise umher.
Das Maß der verschiedenen schon erwähnten Sonderbarkeiten füllt ein Thierchen, dessen ich hier noch beiläufig gedenke, weil es seiner Entwickelungsweise nach gleichfalls hierher gehört. Es lebt als Parasit auf dem Rücken der Honigbiene und heißt darum
Bienenlaus (
Braula coeca, nicht zu verwechseln mit der ersten Larve der Maiwürmer, denen man früher denselben deutschen Namen beigelegt hatte). Sein Kopf ist deutlich vom Bruststück getrennt, senkrecht, dreieckig, mit feinen, gelblichen Börstchen bedeckt, ohne jede Art von Augen. Untergesicht von der Stirne durch eine dunklere, wenig erhabene Kante getrennt, in der Mitte mit einer schwachen Linie bezeichnet, unten tief ausgeschnitten. Hier liegt das hornige, halbmondförmige Kopfschild, beiderseits, etwas nach unten die kurzen, kolbigen Taster und zwischen denselben der kurze, häutige Rüssel. Genau da, wo bei andern Fliegen die Augen liegen, sind in große Gruben die dreigliedrigen Fühler so versenkt, daß nur die Rückenhälfte des zweiten und das beinahe kugelige, dritte Glied hervorragt. Jenes trägt auf dein Rücken ein Borstenhaar, dieses eine zweigliedrige Rückenborste. Bruststück wenig schmäler als der Kopf, kurz, ohne Schildchen und ohne Flügel. Die sechs Beine sind unter sich wenig verschieden, borstig, ihre Schenkel dick, die Schienen etwas gebogen mit je fünf Fußgliedern, deren letztes stark erweitert, flach und am breiten Rande mit 30-32 ziemlich gleichen Kammzähnchen besetzt. Diese Zähne können vom Thiers eingeschlagen werden, wenn es an glatten Gegenständen kriechen will. Vor ihnen, also an der Außenseite des letzten Fußgliedes sitzen noch je zwei dünngestielte, kolbige Hautlappen mit Drüsenhärchen; sie dienen bei umgeschlagenen Klauen zum Anheften an die glattesten Körper. Der Hinterleib endlich ist hochgewölbt, eiförmig, in der Mitte breiter als der Kopf, fünfgliedrig, oben mit nach hinten immer länger werdenden, dunklen Borsten, am Bauche mit feinen, gelblichen Härchen besetzt. Der ganze Körper glänzend rothbraun, hart und noch nicht 2 mm. lang.
Die Bienenlaus findet sich vorzüglich in alten volkreichen Stöcken,
eine in der Regel auf dem Rückenschilde einer Biene, von wo sie nicht abgestreift werden kann, es sei denn, daß sie, wenn sie einmal lockerer sitzt, durch das gedrängte Durcheinanderkriechen der vielen Bewohner des Stockes unfreiwillig auf eine andere versetzt wird; in solchem Falle können auch mehrere eine Biene bewohnen, welche sich dann am Schildchen, an der Flügelwurzel oder an einer Hüfte aufhalten. Trifft eine dieser überzähligen indeß eine noch unbewohnte Biene, so siedelt sie behende auf sie über. Auf dem Rückenschild angekommen, stellt sie ihre Füße so nahe wie möglich zusammen, fährt damit in die Haare und drückt sie mit der vereinten Kraft ihrer sechs Kämme auseinander, so daß sie auf dein
nackten Rückenschilde anlangt und sich daselbst ansaugt. Hat sie ihren Appetit gestillt, so erhebt sie sich auch wieder und geht zwischen und aus den Haaren mit großer Gewandtheit spazieren, stets vorwärts, nicht wie die vorerwähnten Parasiten der warmblütigen Thiere rück- und seitwärts. Eine todte Biene verlassen sie schnell und sterben nach wenigen Stunden unter Krämpfen, wenn man sie von einer lebenden weggenommen hat. Von
einer Laus geht die Biene gerade nicht zu Grunde, finden sich dieselben aber zahlreich in einem Stocke, so erwächst ihm jedenfalls Nachtheil daraus; denn die damit behafteten Bienen geben unzweifelhafte Zeichen ihres Unbehagens zu erkennen, und unter
großen Massen muß die allgemeine Thätigkeit des Stockes leiden. Um die Bienen von dieser Plage zu befreien, wird gerathen, ihnen beim Eingehen in das Flugloch vom Kopfe nach hinten mit der schmalen Seite einer Federfahne die Laus abzustreifen. Herr Canonicus
Stern, der dieses Mittel vorschlägt, hatte durch dasselbe einst in nicht vollen zwei Stunden 94 Stück der Quälgeister getödtet.
Merkwürdiger als alles bisher von diesen Schmarotzern Erzählte bleibt nun aber ihre Fortpflanzung. Réaumur verschloß am 18. September eine auffallend dicke Pferde-Lausfliege. Schon nach wenigen Minuten kam aus ihr ein weißes Gebilde von der Größe des Hinterleibes hervor; vorn war es ein wenig verdünnt, an der entgegengesetzten Seite etwas ausgerandet und mit zwei Höckern versehen, so daß es an gewisse Samenkörner erinnerte. Ein Ei konnte es schon darum unmöglich sein, weil kein anderes Insekt auch nur im entferntesten so große Eier legt. Um dieses Korn gleichmäßig warm zu halten, legte er es mit Watte in ein Gläschen und trug es bei Tage unter seiner Achsel mit sich herum, des Nachts legte er es unter das Kopfkissen. Nach vier Stunden hatte es sich braun gefärbt, nach zwanzig schwarz und glänzte, wie polirt. Schon das Ansehen, mehr aber noch das Gefühl ergaben eine sehr feste Schale. Am 17. Oktober, also nach vier Wochen, öffnete es sich und eine vollkommen fertige Fliege kam zum Vorscheine. Die Mutter hatte mithin eine Puppe gelegt, so meinte Réaumur und so glaubten alle folgenden Forscher, welche nicht nur an der genannten, sondern an jeder der erwähnten und noch einigen verwandten Arten dieselben Beobachtungen bestätigt fanden, und nannten diese Fliegen darum auch puppengebärende, Puppenleger, pupipara. Herr Leuckart hat an der anatomischen Untersuchung der Schafzecke zuerst nachgewiesen, daß die abgelegte puppenartige Brut noch Larve ist und sich erst nach einiger Zeit, selbstverständlich ohne äußere Veränderung, in die Puppe verwandelt. Der Eierstock aller Wanzenfliegen entwickelt in längeren Zwischenräumen nach einander nur wenige Eier. Die dem Eie entschlüpfte Larve ernährt sich im Mutterleibe an zwei Drüsen, die man Milchdrüsen genannt hat, bis zu ziemlicher Reife, gelangt dann, in ihre rasch erhärtende Haut eingeschlossen, ins Freie, wo im Innern die Verwandlung in eine Puppe erfolgt.