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An Baumstämmen, an den Wänden ländlicher Wohnungen oder auch auf Gebüsch sitzen manchmal, in der Weise wie die obere Figur b. darstellt, höchst sonderbare Thiere, welche sich ein gar grimmiges Ansehen geben können. Sie zeigen sich bisweilen schon Ende April, dann werden sie häufiger bis in die Mitte des Sommers, kommen aber immer nur vereinzelt, nie gesellig vor. Leute, welche sich eben nicht viel mit Insekten abgeben, werden kaum wagen diese anzufassen, und selbst der Entomolog könnte sich vor ihnen fürchten, wenn sie gefangen, den langen Hals und breiten Kopf überall hinwendend, wüthend um sich beißen, mit der Hinterleibsspitze umherfühlen, als wollten sie stechen, mit den Beinen strampeln, kurz alle möglichen Bewegungen vornehmen, um ihrem Gegner glauben zu machen, sie wären die grimmigsten Bestien von der Welt, welche Mutter Natur nicht umsonst mit dem so fabelhaften Aeußern ausgestattet hätte. Mögen sie es auch böse meinen, so ist doch keine Gefahr vorhanden; denn mit ihren derben Zangen können sie die Fingerspitze nicht fassen, sie können nicht stechen, obschon die Weibchen eine hakige Legröhre führen, sie geben keinen übelriechenden Speichel von sich, wie manche Käfer, Raupen u. a., mit einem Worte, sie sind vollständig ohmnächtig gegen die sie fesselnden Fingerspitzen, und man könnte sie sich in aller Muße genau besehen, wenn sie nur still halten wollten.
Ich wage es nicht zu entscheiden: war ihr unliebenswürdiges Benehmen, ihr gefahrdrohendes Auftreten, ihr vereinzeltes Vorkommen, das einfache Kleid oder was sonst daran Schuld, daß man bis zum ersten Viertel dieses Jahrhunderts nur zwei Arten von ihnen beschrieben findet? Weiterhin, wenn auch noch einige neue hinzu kamen, blieb die Auskunft über diese Thiere noch mangelhaft, und Verwechslungen im Namen und andere Ungenauigkeiten schlichen sich dabei ein. Dem Eifer schlesischer Entomologen, die Insekten ihres engern Vaterlandes kennen zu lernen und genauer zu erforschen, haben wir's zu verdanken, daß die Wissenschaft heut zu Tage acht bis neun heimische Arten unterscheidet T. E. Schummel, Versuch einer genauen Beschreibung der in Schlesien einheimischen Arten der Gattung Rhaphidia L. Bresl. 1832. 8º und G. Th. Schneider, Monographia generis Rhaphidiae Linnaei. Vratislaviae 1843. 4º sind die Titel der beiden in Schlesien erschienenen, und nebst Rambur, Histôire naturelle des insectes Neuroptères. Paris 1842. 8º und Fr. Brauer, Neuroptera austriaca. Wien 1857. 8º, die specielleren Werke, welche uns über diese sonderbar geformten Thiere näheren und genügenderen Aufschluß geben als alle früheren. Darnach dürften mit Sicherheit folgende Arten unterschieden werden: I. Scheitel mit drei Nebenaugen: Rhaphidia L., II. Kopf quadratisch, ohne Nebenaugen: Inocellia Schneid. – I. A, Kopf verkehrt eiförmig, hinten verschmälert: a. Die gefärbte Stelle vor den Spitzen der Flügel, sonst Mal, hier Pterostigma genannt, mit zwei Zellen. Larve schlank und schmal. 1) R. ophiopsis Schumm. Kopf fast dreieckig, Pterostigma braun; Mai bis Juni. Larve hauptsächlich unter Kiefernrinde. 2) R. xanthostigma Schumm. Pterostigma langgezogen, blaßgelb: April, Mai. Larve hinter Rinde des Birnbaums. Die kleinste Art, 3) R. baetica Ramb. Pterostigma blaß, nach innen dunkler, Beine einfarbig braungelb. 4) R. Schneideri Ratzeb. Pterostigma röthlich- oder blaßbraun, Schenkel schwarz, Schienen und Fußglieder braungelb; Juni bis September. 5) R. affinis Schneid. Pterostigma bleich scherbengelb, an der Wurzel braun, Beine einfarbig ockergelb; von Mitte Mai an. Larve unter Fichtenrinde.– b. Pterostigma aus drei Zellen gebildet, 6) R. media Brm. Pterostigma lang, braun, ebenso die sämmtlichen Adern, die der Randzellen alle gabelig getheilt; Ende Mai. Larve unter Rinde des Birnbaums. – B. Kopf breit, fast quadratisch: 7) R. major Brm. Scheitel mit breit fuchsrother Strieme, Pterostigma blaßbräunlich, drei- oder vierzellig, nebst der folgenden die größte Art. 8) R. notata F. II. Inocellia crassicornis Schumm. Pterostigma dunkel rothbraun, einzellig; Juni. Larve unter Eichen und Kiefernrinde. und von den meisten die vollständige Entwicklungsgeschichte erzählt. Die hier abgebildete ist die bei uns nicht seltene dickfühlerige, der Gattung Inocellia angehörig (s. die Anmerkung 57); sie war durch ein Versehen statt der kenntlichen, von welcher hier weiter erzählt wird, zum Zeichnen abgeliefert und kann so gut wie jede andere als Holzschnitt den Charakter der Kamelhalsfliegen vergegenwärtigen. Die kenntliche Kamelhalsfliege ist nicht nur nach den bisherigen, allerdings noch lückenhaften Erfahrungen, am weitesten verbreitet, indem sie in Lappland, auf der ganzen skandinavischen Halbinsel, in Großbritannien, Frankreich, überall in Deutschland, Kärnthen und Oberitalien beobachtet worden, sondern findet sich auch häufig genug, um, – schon ihrer bedeutenderen Größe wegen – von dem Laien auf seinen Spaziergängen und sonstigen Streifzügen bemerkt zu werden. Die Form sämmtlicher Arten ist zu eigenthümlich und aus der Figur kenntlich, um die Kamelhalsfliegen hier noch näher zu charakterisiren, zumal eine dazu nöthige Beschreibung des Aderverlaufes in den Flügeln wegen der mancherlei erst zu erläuternden Ausdrücke viel zu umständlich sein würde; wir wollen daher nur unsere Art möglichst genau beschreiben, um sie von andern, sehr ähnlichen richtig unterscheiden zu können.
Der wenig convexe, fast quadratische, höckerige Kopf glänzt beinahe metallisch schwarz und bildet mit seinen vorquellenden Augen entschieden den breitesten Theil der ganzen Körpermasse. Zwischen letzteren, nahe ihrem vordern Rande sitzen, weit von einander abstehend, die vielgliedrigen, fadenförmigen Fühler von brauner Farbe außer der Unterseite und Spitze des ersten, dem ganzen zweiten und der Wurzel des dritten Gliedes, welche gelb sind. Mitten auf dem Scheitel bilden drei sehr unscheinbare Nebenaugen ein gleichseitiges Dreieck (der abgebildeten Gattung Inocellia fehlen dieselben). Von den heller oder dunkler braunen Mundtheilen sind nur die Oberkiefer außer ihren Spitzen gelb und die Lippen vorn fein weißgerandet. Ueber den hinten gewölbteren Scheitel und das Hinterhaupt zieht eine glänzende, bisweilen etwas heller gefärbte Strieme. Das wie ein Zapfen verengerte Kopfende bildet eine Art Hals und so den Uebergang zu dem wenig breiteren, walzigen, nach hinten kaum erweiterten Vorderbruststücke, welches auf der chitinharten und runzelig punktirten Rückenfläche braunschwarz gefärbt ist mit Ausnahme des bleicheren breiteren Seiten- und sehr schmalen Vorderrandes, auf der Unterseite dagegen schwarz und wie bereift. Diesen, bei nur noch wenig andern Insekten in demselben Verhältnisse verlängerten Körpertheil pflegt die Fliege emporzurichten, den Kopf dagegen nach unten. Der schlanke Hals hätte an den Schwan erinnern können, zu einem Vergleiche mit diesem war aber das Thier zu häßlich und darum jedenfalls hat das weniger edelgestaltete Kamel herhalten müssen. Die beiden folgenden, ebenfalls deutlich von einander getrennten, unter sich gleichen Brustringe sind bedeutend breiter, zusammen aber noch nicht so lang wie der vorderste und in ihrer Bedeckung wie der Hinterleib viel weniger hart, sondern häutig, schwarz gefärbt und nur in ihrer Mitte ockergelb. Gleiche Grundfarbe hat der neungliedrige schwach niedergedrückte Hinterleib, eine Doppelreihe von Seitenflecken und je ein Mittelfleck am Hinterrande der einzelnen Glieder sind gelb. Die braune Bauchseite ist durch schmal gelbe Hinterränder der Glieder unterbrochen; an dem vorletzten derselben entspringt beim Weibe eine schwarze, am Ende wie ein Haken umgebogene Legröhre, etwa von der Länge des Hinterleibes. Die vier glashellen, an der Wurzel gelblichen, ziemlich gleichen Flügel werden durch braune Adern in eine bedeutende Menge unregelmäßige Zellen getheilt, deren größte die Mittelfläche jedes Flügels einnehmen, und tragen gegen ihre Spitze ein bräunliches, trapezoidisches Fleckchen (Mal, Pterostigma) drei, seltener vier Zellen umfassend. Die Beine sind im allgemeinen schmutziggelb, nur die Schenkel der hintersten schwarzbraun, die der vordern oben mit solcher Längslinie oder blosem Flecke; der Fuß besteht aus drei deutlichen, braunen Gliedern, deren drittes, herzförmiges die Klauen trägt.
Die kräftigen Freßzangen, Beweglichkeit des Kopfes und der Vorderbrust, sowie das schon erwähnte wilde Gebahren dieser Thiere lassen auf ihre räuberische Natur schließen. Sie nähren sich von Fliegen, kleinen Raupen und überhaupt weicheren Kerfen, gleichviel, ob sie dieselben todt antreffen oder erst erbeuten müssen. Bemerkt die Raphidie ein Mückchen in ihrer Nähe, so richtet sie die Vorderbrust in die Höhe, den Kopf nach unten und wagt mit ihren Zangen in dieser grimmigen Stellung einen Angriff. Bewegt sich die zum Schlachtopfer ausersehene, so prallt sie wohl auch erst einmal zurück, ehe sie zupackt. Dann bohrt sie ihre Zähne gierig ein und saugt, zieht sie dann und wann wieder heraus, bewegt sie rasch gegen einander, als wenn sie dieselben wetzen wollte, und fährt in ihrer Arbeit fort, bis nichts oder nur die Haut und härteren Theile noch übrig sind. Hält man ihrer zwei in einem Gefäße gefangen, so weichen sie sich anfänglich aus, bald aber beißen sie sich und zuletzt frißt die stärkere die schwächere auf, wenn man nicht für andere Kost gesorgt hat; denn – Hunger thut weh! Uebrigens können sie in der Gefangenschaft ein paar Wochen fasten.
Die Schwierigkeiten nehmen entschieden zu, wenn es sich darum handelt, eine Larve der Kamelhalsfliege ausfindig zu machen. Diese lebt in gleichen räuberischen Absichten verborgen zwischen den Rissen der Eichenrinde oder unterhalb derselben; in seltenen Fällen hat man sie auch an Pappeln angetroffen. Aus Fig. a erhellt ihre Gestalt. Den quadratischen Kopf und die ebenso geformte Vorderbrust deckt nebst den Beinen ein Chitinüberzug, alles andere bleibt weich, etwas derber, lederartig auf der Rücken- als an der Bauchseite. Die Oberfläche des ganzen Rumpfes ist schwarzbraun gefärbt mit Ausnahme gelber Seitenflecke vom Mittelbruststück an und einer Reihe eben solcher Mittelfleckchen über den Hinterleib, der weiche Theil der Unterseite, also vom zweiten Brustringe an, zeigt sich heller als der Rücken, besonders in einer mittleren Längslinie. Die Beine sind schmutziggelb, die mittleren und hintersten bräunlich geringelt, gelbbräunlich sehen auch die Mundtheile aus.
Wenn nicht gerade sehr schnell in ihrem Laufe, so ist die Larve doch außerordentlich beweglich, geht ebenso gut rück- wie vorwärts in schlangenartigen Windungen und stemmt, wie das schon vom Ameisenlöwen erwähnt wurde, ihre Hinterleibsspitze beim Kriechen auf, so daß sie ihr als siebenter Fuß dient. Wird sie gereizt und verfolgt, so vermag sie sich sogar fortzuschnellen, besonders im noch jugendlichen Alter, wenn ihr nicht gelingt, was sie immer lieber thut, in einer Ritze oder in einem sonstigen Verstecke den Nachstellungen zu entgehen. In letzterem Falle ist ihr kein Raum zu eng, so außerordentlich kann sie sich zusammendrücken, und eher würde man sie in Stücke zerreißen, als sie aus dem Verstecke hervorziehen können. Die Larve ist entschieden gefräßiger als das geschlechtsreife Insekt, dabei aber, wie es scheint, feiger und stets zu dem Rückzuge in ihren Hinterhalt bereit.
Vom Juni an treibt sie ihr Wesen und kommt am ersten noch unter Mittag bei günstiger Witterung an die Oberfläche der Bäume, wenn sie nicht gerade unter der Rinde ihr Standquartier aufgeschlagen hat, wo sie an Larven und allerlei Thierchen, die an günstigen Stellen ja zu Hunderten daselbst anzutreffen sind, reichliche Nahrung findet. In der Regel bewohnt nur eine einen Stamm. An einer Larve hat Schneider eine zweimalige Häutung beobachtet, vermuthet aber, daß sich solche drei oder gar vier Mal wiederhole. Einige Tage vor der Häutung verbleichen die Farben, und an einzelnen Stellen, besonders den Ecken des Körpers, läßt das abzulegende Kleid als gelöste, gelbe Haut das neue durchblicken. Durch allerlei Windungen, mit den Zangen irgendwo festgebissen, sucht das Thier nun mehr und mehr die Ablösung zu beschleunigen und kriecht endlich, nicht ohne lange Anstrengungen, aus der alten Hülle heraus, wenn diese erst am Kopfe eine Längsspalte erhalten hat. Schneider hat die höchst interessante Beobachtung angestellt, daß eine Larve, welche durch Bisse einer andern ein Fuß- und Fühlerglied verloren hatte, dieselben bei der letzten Häutung wieder bekam. Im Herbste, bevor sie ihren Winterschlaf beginnt, ist die Larve erwachsen, und im nächsten Frühjahre erweitern sich nun auch die drei ersten Hinterleibsglieder etwas, um den Puppenstand vorzubereiten.
In der Regel gegen Ende des März, je nach den Witterungsverhältnissen etwas früher oder später, erwacht sie aus ihrem Schlafe und beginnt für einige Wochen ihr Treiben, wie sie es vorher gelassen, sucht unter der Rinde Leckerbissen oder spaziert an der Außenseite des Stammes zwischen den Rissen der Borke und den jenem anhangenden Flechten auf und nieder. Endlich, nach gewöhnlichen Witterungsverhältnissen Ausgangs April, ist ihre Zeit gekommen, wo sie zum letzten Male ihr Kleid ablegt, aber nicht, um ein gleiches anzuthun, sondern in vollkommenerem Zustande, als Puppe auf etwa zwei Wochen zu erscheinen, bis die letzte Umwandlung das vollendete Wesen für kurzes Dasein und geringe Freuden zur Welt gebiert.
Die Puppe entsteht nach gleichen Kraftanstrengungen, wie die neugeborne Larve bei jeder Häutung, liegt etwas nach vorn gekrümmt und unterscheidet sich von der vollkommenen Fliege nur durch ihre Ruhe und die noch unentwickelten Flügel. Bei der weiblichen Puppe biegt sich der Legstachel um und schmiegt sich mit seiner größern, obern Hälfte ebenso auf den Rücken, wie die untere dem Bauche anliegt.
Durch die Ruhe, hieß es eben, unterscheide sie sich von der vollkommenen Fliege, dies ist richtig für die Zeit, wo sie sich allmählich ausfärbt. Am elften oder dreizehnten Tage aber ist dies geschehen, dann ist's, als wenn sie aufwachte. Die vorher angezogenen Füße strecken sich, fangen an zu zappeln und schließlich stellt sich die Nymphe auf dieselben und – läuft davon. Wo aber läuft sie hin? Nicht weit. Sie sucht das Freie, strebt nach dem Tageslichte und findet es, mag die Wanderung auch länger als einen Tag dauern. Jetzt setzt sie sich fest, und verharrt in dieser Stellung viele Stunden lang (6-8), gleichsam als wollte sie Kräfte sammeln zu ihrem letzten, dem Befreiungskampfe. Derselbe beginnt endlich. Mit Hinterleib und den schon vorher vom Körper mehr abstehenden Flügelscheiden stemmt sie sich an ihre Unterlage, dreht und wendet den Kopf und die Vorderbrust, die beiden Theile, die nun einmal bei ihr die Hauptrolle spielen, bewegt, wie beißend, die Kinnbacken, um – ihrem bedrängten Herzen Luft zu verschaffen. Diese kommt auch endlich. Die zarte Nymphenhülle kann dem Drängen und sehnlichen Wünschen ihres Insassen nicht länger widerstehen, der übliche Riß im Nacken erfolgt, und unsere Fliege arbeitet sich hervor, entwickelt ihre Flügel in der kürzesten Zeit, bekommt gleichzeitig mit den ausgebildeten Farben Festigkeit in ihre Glieder, kurz alles gerade so, wie bei jedem andern Kerfe.