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Der Nachweis des innigen Zusammenhanges, in welchem der Körperbau eines Thieres zu seiner Lebensweise steht, bildet eine der Hauptaufgaben der Zoologie, wenn dieselbe als Wissenschaft gelten will. Nicht alle Thiere nehmen der Lösung dieser Aufgabe gegenüber eine gleiche Stellung ein: die einen erschweren dieselbe, andere dagegen erleichtern sie in verschiedenen Graden, Zu den letzteren gehört eine kleine Gruppe von Kerfen, die uns an der Hand einer ihrer Arten jetzt etwas näher beschäftigen soll.
Wir sehen hier ein schlankes, langbeiniges Thier von grüner Farbe, welche nach dem Tode meist etwas ausbleicht. Der Kopf steht, lose eingelenkt, schief nach unten und hinten, erscheint in der Vorderansicht dreieckig und endigt in mäßig große, aber entschieden zum Beißen eingerichtete Zangen. Die Augen quellen mächtig hervor, sind groß und übersehen daher ein weites Feld. Der ungewöhnlich lange und schmale Vorderbrustring ist ein freier und in ähnlicher Weise entwickelt, wie bei der früher betrachteten Kamelhalsfliege (S. 459). Somit ist diesen beiden vordersten Körpertheilen eine ungemeine Beweglichkeit und mit ihr die Herrschaft über einen verhältnißmäßig großen Raum verliehen, ohne daß der übrige Körper seinen Platz zu verändern braucht. Das beherrschte Gebiet erweitert sich noch mehr infolge der langen, weitausstreckbaren, vor der Mitte des Vorderbrustringes eingelenkten Vorderbeine, in denen eine zweite Eigenthümlichkeit dieser Geschöpfe zur Geltung kommt. Das kantige Grundglied ist die ungewöhnlich lange Hüfte, das kleine lanzettförmige, von außen über das Gelenk sich legende Stückchen der Schenkelring (Trochanter), dann folgt der längste und dickste Theil, der Schenkel, welcher an seiner Spitzenhälfte flach und an den Seitenkanten mit je einer Reihe scharfer Dornen bewehrt ist. Das Schienbein, trotz seines sichelförmigen Endstachels doch nur die halbe Länge des Schenkels erreichend, ist gleichfalls stachelig und legt sich an jene an, wie die Schneide eines Taschenmessers in seinen Stiel. Seitlich von der Schienenspitze geht ein unbedeutendes Anhängsel, der dünne, fünfgliedrige Fuß ab, dessen erstes Glied länger als alle andern zusammen einschließlich der Kralle ist. Derartig gebildete Beine kommen nur als Vorderbeine – auch bei einigen Wanzen – vor und heißen Fang- oder Raubbeine, weil sie entschieden dazu bestimmt sind, andere Insekten zu ergreifen und sie als Nahrung den Freßwerkzeugen zuzuführen.
Als nahe Verwandte der Heuschrecken hat man die in den wesentlichen Punkten mit dem Bauplane des vorliegenden Geschöpfes übereinstimmenden Kerfe Fangschrecken, Mantodea, genannt. Der wissenschaftliche Familienname ist von der ursprünglichen, neuerdings in mehrere Gattungen zerspaltenen Gattung Mantis abgeleitet.
Bei den Griechen bezeichnete Griech. Wort fehlt einen Seher, Propheten; sie gebrauchten dasselbe Wort aber auch im weiblichen Geschlechte und verstanden unter ???? ìÜíôéò die oben abgebildete Gottesanbeterin ( Mantis religiosa). Es fehlt keineswegs an Vermuthungen, aus welchen Gründen man dieses Thier so getauft haben könne. Moefetus giebt in seinem 1634 erschienenen, heutigen Tages selten gewordenen Werke (» Insectorum sive Minimorum Animalium Theatrum«) deren drei an. Die Thiere seien Verkünder des Frühlings; denn sie seien die ersten von allen. Der Engländer Mouset, der aus eigner Anschauung eine Fangschrecke schwerlich gekannt hat, beruft sich auf den Dichter Anakreon und irrt sich mit demselben, wie wir aus der nachher mitzuteilenden Lebensweise des Insektes erkennen werden. Sodann sollen nach Caelius und der Scholastiker Weisheit die Thiere Hungersnoth verkündigen. Diese Ansicht beruht entschieden auf einer Verwechselung unserer Fangschrecke mit den Pflanzen vernichtenden Heuschrecken, deren massenhaftes Auftreten schon theure Zeiten zur Folge haben kann. Eher läßt sich die dritte Erklärungsweise hören, welche auch dem deutschen Namen » Gottesanbeterin«, der Bezeichnung der provencalischen Bauern » préga diou« (Verstümmelung von pre-dieu) dem Louva-dios der Spanier zu Grunde liegt: das Thier streckt die Vorderbeine wie der Bittende die Hände vor, nach Art der Propheten, welche in solcher Stellung Gott ihre Gebete vorzutragen pflegen.
Die Mantis soll nach Moufets Ansicht aber nicht blos durch solche Stellung an den Seher erinnern, sondern auch durch ihr Verhalten überhaupt; denn sie spiele nicht, wie andere, springe nicht, sei nicht muthwillig, sondern zeige in ihrem langsamen Gange Mäßigung und eine gewisse würdevolle Reise. Sie werde bis zu dem« Grade für weissagend ( divina) gehalten, daß sie einem nach dem Wege fragenden Knaben durch Ausstrecken des einen oder des andern Vorderbeines den richtigen zeige und selten oder niemals täusche.
Anschauungsweisen, wie die zuletzt ausgesprochenen, konnten nur zu einer Zeit und unter Völkern entstehen, wo man alles Gewicht auf den äußern Schein legte und denjenigen für fromm und brav hielt, der solches Wesen zur Schau trägt. Bei unserer Mantis lauert hinter jener Stellung, welche bei einem Menschen Andacht bedeuten kann, nur Tücke und Verrath. Grün von Farbe, wie die Blätter, zwischen denen sie sich auf Buschwerk aufhält, sitzt sie stundenlang ohne Regung in der angegebenen Stellung, den langen Hals aufgerichtet und die Fangbeine erhoben und vorgestreckt, eben so viel Ausdauer wie List hierbei entwickelnd. Kommt eine arglose Fliege, ein Käferchen oder ein anderes Insekt, dem sie sich gewachsen fühlt, in ihre Nähe, so verfolgt sie dasselbe, den Kopf hin und her drehend, mit dem Blicke, schleicht wohl auch mit größter Vorsicht nach Katzenart heran und weiß den richtigen Zeitpunkt abzupassen, in welchem sie der Gebrauch ihrer Werkzeuge zum gewünschten Ziele führt. Das unglückliche Schlachtopfer ist zwischen den Stacheln eines der Fangarme eingeklemmt, der zweite greift zu und verdoppelt die Haft, so daß an ein Entrinnen nicht gedacht werden kann. Durch Einziehen der Arme wird der Raub nun den Freßzangen zugeführt und in aller Gemächlichkeit verzehrt. Ist dies geschehen, so reinigt die Mantis ihre Fangarme mit dem Maule, zieht die Fühler zwischen jenen durch, mit einem Worte, »sie putzt sich« und nimmt in Erwartung neuer Beute die frühere Stellung wieder an.
In den letzten Tagen des August (1873) fand ich die Mantis religiosa ziemlich häufig, theilweise noch als Larve, auf dem an allerlei Insekten reichen Calvarienberge bei Botzen. Sie trieb sich auf den zahlreichen Gebüschen, welche in der Nähe der Kirche wachsen, namentlich auch in dichtem Brombeergestrüpp umher und klammerte sich, wenn ich ein und die andere ergriff, mit ihren Fangarmen so fest an die Finger an, daß es mit einigen Schwierigkeiten verbunden war, sie los zu bekommen, ohne einen Theil ihres sonst zarten Körpers zu verletzen; denn wie eine Klette an den Kleidern, faßte der gelöste Theil immer wieder an einer andern Stelle zu, ohne eigentliche Schmerzen zu veranlassen.
Unsere Art kommt im ganzen südlichen Europa und in Afrika vor; sie wurde bei Freiburg i. B. und bei Frankfurt a. M. beobachtet, und gelten diese beiden Punkte, wie weiterhin nach Osten, Mähren als die nördlichste Grenze ihrer Verbreitung. Die wärmeren Striche Amerika's und Asiens, sowie Afrika's ernähren noch viele Arten, welche sich durch die Bildung ihrer Flügel, von welchen sie verhältnißmäßig wenig Gebrauch machen, und durch die Form des Halses in erster Linie von einander unterscheiden.
Von der Wildheit und Gefräßigkeit der Fangschrecken haben sich verschiedene Beobachter überzeugt. Rösel, welcher sich durch seine »monatlich herausgegebene Insektenbelustigung« (Nürnberg 1746-1761) unsterblich gemacht hat, ließ aus Frankfurt a. M. einige Mantis religiosa kommen. Er brachte dieselben paarweise in Gefäße, welche mit wildem Beifuße und andern Pflanzen ausgeschmückt waren, mußte sie aber bald wieder trennen. Anfangs saßen sie steif und bewegungslos einander gegenüber, wie Kampfhähne, erhoben aber plötzlich ihre Flügel, hieben blitzschnell und voller Wuth mit den Fangarmen auf einander ein und bissen sich unbarmherzig. Kollar war Zeuge, wie ein Weibchen sein Männchen verspeiste und später noch ein zweites, welches zu ihm gebracht worden war.
Herr Hudson saß, wie Burmeister berichtete, am Abend zwischen 8 und 9 Uhr vor der Thüre seines Hauses nahe bei Buenos-Aires, als plötzlich das laute Gekreisch eines Vögelchens von einem benachbarten Baume her seine Aufmerksamkeit auf letzteren lenkte. Er trat näher heran und bemerkte zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß der Vogel an einen Zweig angeklebt zu sein schien und heftig mit den Flügeln flatterte. Um bei der Entfernung und bei der bereits vorgeschrittenen Dunkelheit der sonderbaren Erscheinung auf den Grund zu kommen, hatte Herr H. eine Leiter herbeigeholt und sah nun, wie sich eine Fangschrecke mit ihren vier hintern Beinen fest an den Zweig angeklammert und mit den vordersten das Vögelchen so fest umarmt hatte, daß Kopf an Kopf saß. Die Haut des letzteren war beim Vogel in Fetzen gerissen und die Hirnschale bereits angenagt. Hiervon überzeugte sich Burmeister selbst, dem am andern Morgen beide Thiere sammt dem Berichte überbracht worden waren. Das Vögelchen gehörte zu den Finken ( Serpophaga subcristata) und die Fangschrecke beschrieb Burmeister in beiden Geschlechtern – die Vogelmörderin war ein Weibchen – als neu und nannte sie Mantis argentina. Berliner entomol. Zeitschr. (1865). S. 234 etc.
Die Fruchtbarkeit der Fangschrecken ist ziemlich bedeutend und die Art, wie das Weibchen seine sehr langgestreckten Eier in kleinere oder größere Packete an einen Stengel oder an einen Stein absetzt, höchst eigentümlich. Die Eier werden nämlich ziemlich regelmäßig reihenweise neben einander gestellt und durch eine schleimige Absonderung unter sich verbunden; jene erhärtet theils schaumig, theils blätterig. Indem das Weibchen ungefähr 6-8 Eier in eine Querreihe aneinander stellt und, von unten nach oben fortschreitend, eine zweite, dritte und folgende Querreihe hinzufügt, bis deren 18 bis 25 vereinigt sind, so entsteht ein Packet von Eiern, die sämmtlich mit ihren Kopfenden nach oben oder wenigstens nach außen gerichtet sind, und die in dem verbindenden Schleime wie in einem Fachwerke stecken. Die mehr schuppige Außenseite zeigt seichte Längsfurchen und kennzeichnet hierdurch die Kopfenden der Eierreihen. Dergleichen Vereinigungen nehmen an der ebenen Fläche eines Steines eine mehr platte, an dem runden Stengel einer Pflanze eine gewölbte Oberfläche an, wie unsere Abbildung zeigt.
Daß ein Weibchen nicht blos ein Packet ablegt, ließ sich eigentlich nach dem Vorgange anderer Insekten vermuthen, welche gehäufte Eier legen, es ist aber auch von Herrn Zimmermann an der Mantis carolina in Nordamerika beobachtet worden. Der Genannte erhielt die Fangschrecke am 2. Oktober, setzte sie in ein großes Glas und ließ es ihr nicht an Futter fehlen. Am folgenden Tage legte sie Eier, starb aber nicht, wie Zimmermann erwartet hatte, sondern verzehrte nach wie vor täglich einige Dutzend Fliegen, zuweilen auch große Heuschrecken, einige junge Frösche und sogar eine Eidechse, welche dreimal so lang wie sie selbst war. Was sie einmal beim Fressen verlassen hatte, das nahm sie wegen mangelnden Lebens nicht mehr an.
Bald schwoll der Hinterleib merklich und am 24. Oktober wurde ein zweites, jedoch wesentlich kleineres Eipacket abgelegt. Nach Beendigung dieses Werkes, welches mehrere Stunden in Anspruch nahm, fing das Thier von neuem an zu schmausen, was ihm nur Lebendiges vorgeworfen wurde. Wiederum schwoll der Leib und stellte eine dritte Portion in Aussicht. Die kalten Novembernächte schienen das Ereigniß erst zu verzögern, dann zu verhindern; denn ohne daß es eingetreten war, starb die Fangschrecke am 27. December.
Den 26. Mai krochen die Eier des ersten Packets und schon am 29. die des zweiten, drei Wochen jüngeren, aus.
Vor mehreren Jahren hatte mir ein Freund ein Eipacket der Gottesanbeterin aus Spanien mitgebracht, und als Ende Juni, Anfangs Juli einige Junge zum Vorschein kamen, war ich nicht wenig erstaunt, da ich an nichts weniger als an die Entwickelungsfähigkeit dieser Eier gedacht hatte. Mit diesen Jungen erging es mir wie es weiland Rösel ergangen war: sie bissen sich unter einander, wollten aber die kleinen Fliegen, welche ich für sie herbeigeschafft hatte, eben so wenig ergreifen, wie andere nach eigener Wahl, als ich sie später frei auf der Fensterbrüstung umherlaufen ließ, und starben nach Verlauf von einer Woche, nachdem sie durch ihre possirlichen Bewegungen, durch ihre Munterkeit, durch ihr Furcht und Keckheit zugleich verrathendes Wesen, alle Beobachter belustigt hatten. Herrn Pagenstecher gelang es wenigstens, seine Larven bis zum August mit Blattläusen zu ernähren und einige Häutungen an denselben zu beobachten. Die erste ist leicht zu übersehen, weil sie, wie bei der Küchenschabe, während des Verlassens der Eischale erfolgt; vierzehn Tage später fand die zweite und nach gleicher Frist die dritte statt und man meint, daß deren nach und nach sieben zu bestehen seien. Durch diese Häutungen mehren sich die Fühlerglieder, die drei Nebenaugen treten aus einer gewissen Altersstufe ein und ebenso die Flügelansätze, welche sich bei jeder folgenden Häutung vergrößern, bis die Schrecken mit der letzten und mit der Geschlechtsreife vollkommen geworden sind.