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Der Mai ist da. Eine Schaar munterer Knaben hat sich unter den Pflaumenbäumen nahe der Stadt oder ihrer ländlichen Heimath versammelt, auch die Anpflanzungen der städtischen Promenaden locken sie rottenweise zusammen – wo die Polizei dergleichen Unfug duldet – und keiner der im jugendlichen Schmucke prangenden Bäume bleibt unangefochten. Diejenigen, welche sich schütteln lassen, bekommen unvermeidliche Rippenstöße, und die Kronen der stärkeren bluten unter dem Steinhagel, welchen die Rohesten der kleinen Bande unbarmherzig auf sie regnen lassen. Daß hier nicht bloser Muthwille, die der Jugend eigenthümliche Zerstörungssucht zu Grunde liege, leuchtet ein; vielmehr werden die Bäume bestürmt, ihre friedlichen Bewohner – die Maikäfer auszuliefern. Es sei zur Ehre der Buben angenommen, daß sie durch ausgesuchte Quälereien der Käfer ihrer Menschenwürde nicht zu nahe treten, obgleich jenen nicht zu trauen, welche kriegerische Geschosse barbarischer Zeiten in Anwendung brachten. Sie seien ausgenommen von der leider noch immer großen Masse ihrer Altersgenossen, deren natürliche Rohheit die Schule noch nicht zu bändigen vermocht hat, sie höchstens in Fesseln schlägt, so lange die milde, aber ernste Persönlichkeit des wahrhaft berufenen Lehrers ihnen gegenüber steht.
In munterem Treiben sucht jeder dem andern zuvorzukommen; Dieser rühmt sich, laut die Stückzahl ausrufend, der reicheren Beute, jener hängt traurig den Kopf, weil er weniger glücklich war. Der Jubel ist groß, wenn ein »Kaiser, König, Rothtürke«, oder ein »Müller« aufgehoben wird. Für vier Stecknadeln – die übliche Münze bei dergleichen Handelsverträgen – ist er nicht feil. Hier hat sich eine Gruppe gelagert und läßt die Gefangenen in Reihe und Glied aufmarschiren, ihre Flieglust stets in Schranken haltend. Dort stehen andere zusammen und singen ihr »Flieg, Käfer, flieg, dein Vater ist im Krieg« u. s. w., wobei das nach Freiheit ringende Thier taktmäßig den Kopf vor- und rückwärts stößt, die Schnurren halb öffnet, den Finger entlang läuft und in seiner Herzensangst immer noch nicht von demselben loskommen kann. Auf dessen äußerste Spitze angelangt, hebt er mehr und mehr die schwerfälligen Flügeldecken und schnurrt endlich davon, um sogleich wieder niedergeschlagen zu werden. Glückt es ihm ja, einen der nächsten Bäume zu erreichen, so kommt er durch einen unvermutheten Stoß außer Fassung und abermals zu Falle, noch ehe er seine Schwingen wieder in Ordnung gelegt hat. Abermals fühlt er sich in den Händen seiner Quäler. Ein anderer fängt es besser an, sucht das Weite und scheint vor seinen zudringlichen Freunden nun sicher zu sein, doch wehe! Der kühne Flug bringt ihm – den Tod! Der lungernde Landstreicher Spatz wirft sich vom nächsten Dache auf ihn, faßt ihn beim Kragen, bringt ihn zurück auf die Erde und weidet ihn aus. So treibt man das Spiel in wilder Lust bis zum Ueberdrusse, und geht nun aus einander, der Eine mit leeren Händen, der Andere mit gefüllten Taschen selbst errungener oder eingetauschter Waare, schließlich ein fetter Bissen für die Hühner des heimathlichen Hofes. Mitunter stachelt auch der jugendliche Uebermuth dazu an, ein paar Maikäfer aufzuheben, sie am andern Morgen mit nach der Schule zu bringen und im geeigneten Augenblicke möglichst heimlich loszulassen; denn es ist doch gar angenehm, durch den Ausruf »da fliegt ein Maikäfer!« und das, was sich daran weiter anknüpfen dürfte, in den langweiligen Unterricht einige Würze und Abwechselung hineinzubringen.
So bei Tage; nun aber erst des Abends, wenn die Käfer lebendig werden und mit Geschnurr lustig hin und her sausen, die Bäume umschwirren, wo jeder das beste Plätzchen für seine nächtlichen Orgien sucht! Da wird die Jagd auf sie wild, unbändig und theilweise – bedenklich. Die Jugend von unten her, bewaffnet mit Spießen und Fahnen und alten Besen als Schwertern, schlägt wild dazwischen, doch ist es dabei mehr auf das tobende Kriegsgeschrei, als auf die Gefangennahme des befreundeten Feindes abgesehen, sie thut also den geringsten Schaden. Mit den kleinen Brummern zugleich wurden aber noch andere Wesen wach, die keinen Lärm verursachen, auch fliegen können und eben so wie jene Hunger empfinden. Mit ihrem unsteten Fluge durchblitzt jetzt die Fledermaus dieselben Luftschichten, die den Maikäfer tragen. Jedes Kerf, welches sie da antrifft, ist ihr ein willkommener Fraß; verschmäht doch selbst die Eule dergleichen Bissen nicht. Da giebt es ein Morden bis in die Nacht hinein, ein Morden ohne Unterlaß!
Bisher können wir den armen Maikäfern nur unser Mitleid zollen, und mancher Knabe, bedächte er, daß diese Geschöpfe vier Jahre lang unter der Erde gewohnt haben, dann Monate brauchten, um sich dem festen Kerker zu entwinden, und bisweilen mehr als Fuß tief Zoll um Zoll mühsam sich aufwärts zu arbeiten haben, bis sie das Tageslicht erblicken: er würde wahrlich nicht dazu beitragen, ihnen die kurzen Freuden des geflügelten Daseins durch Quälerei zu verkümmern! Wie wird uns aber dann zu Muthe, wenn wir ihnen in Feld und Wald begegnen, sie an den Kornähren und Rübsenstengeln ebenso hängen sehen, wie an jedem Strauche, jedem Baume, wenn sie unsere Pflaumenbäume entlaubt haben, in Klumpen zu vieren und noch mehr über einander an den Eichen umherkrabbeln und am hellen, lichten Tage uns in die Ohren brummen, gierig nach den wenigen, noch übrigen Blättern suchend, oder unter den Bäumen in wilder Wuth und Lust zusammengeknäult sich balgend; wenn sie durch ihren ekelhaften Koth die Luft verpesten und einer oder der andere uns ankriecht und seine scharfen Klauen fühlen läßt? Mit dem Mitleiden ist es dann zu Ende, Ekel und Entsetzen treten an seine Stelle. Wir, die »Herren der Schöpfung«, treten ihnen jetzt mit aller Macht entgegen, schaffen sie uns möglichst vom Halse, jedoch – – ohne Barbarei. Unter den mancherlei hierzu vorgeschlagenen Mitteln bleibt das Abschütteln derselben von den Bäumen des Morgens, oder an kühlen Tagen, zu welchen Zeiten sie immer ruhig sitzen und leicht herunterfallen, so wie das Einstampfen oder Verbrühen, sei es nur, um sie todt zu wissen, sei es, um einen weitern Gebrauch
Daß die Maikäfer eine gute Mast für Schweine, Enten und Hühner abgeben, welche alle sie auch leidenschaftlich gern verzehren, ist bekannt; warum sollten sie nicht auch für den Menschen sehr nährend sein? So mögen jene gefolgert haben, welche in neuerer Zeit die treffliche, aus ihnen bereitete Suppe rühmten. Nun ja, wurden sie doch vor Zeiten wie gebrannte Mandeln in Zucker gesotten und als Leckerbissen von gewissen Leuten gepriesen, und giebt es doch noch heutigen Tages manchen Jungen, der sie mit Haut und Haar und großem Behagen,
ohne Zucker verschlingt und versichert, sie schmeckten wie Nuß. Die Suppe davon soll wie die von Krebsen schmecken. Wer von meinen Lesern Lust hat, sie selbst zu probiren, dem erlaube ich mir das Recept hier mitzutheilen: die frischgefangenen Käfer, deren man 30 auf eine Portion rechnet, werden gewaschen, geköpft, der Flügeldecken beraubt, in einem Mörser gestoßen, sodann in heißer Butter härtlich geröstet und in dünner Fleischbrühe oder auch in Wasser abgesotten; die Brühe sodann durch ein feines Haarsieb über geröstete Semmelscheibchen gegossen, und die Suppe ist fertig. Für Hospitäler und Lazarethe, da sie sehr entkräfteten Reconvalescenten außerordentliche Dienste leisten soll, wird sie ganz besonders empfohlen; ihr Geruch ist dabei angenehm und ihre Farbe (braun wie die Flügeldecken der Thiere) verheißt ihre Kraft. – Ein französischer Naturforscher hielt einst einen lehrreichen Vortrag über das Insekt als Nahrungsmittel, und als er am Ende seiner Mittheilungen die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf das Höchste gespannt hatte, ergriff er einige auf den Tisch dazu bereit gelegte, dem Ackerbaue am meisten nachtheilige Insekten – ob Maikäfer dabei gewesen, wird nicht erzählt – und verzehrte sie unter der ernsthaftesten Miene von der Welt mit den Worten: »Sie haben
uns gegessen, essen wir
sie.« Das sind Geschmackssachen, und hierin muß man einem jeden seinen Weg gehen lassen, der für den Vorurtheilsfreien ein ganz anderer ist, als für den von Vorurteilen Befangenen.
In Massen getrocknete und pulverisirte, oder frisch mit dünnen Kalklagen geschichtete Maikäfer liefern einen sehr guten Dünger. In eisernen oder irdenen Gefäßen, die unten eine Ausflußöffnung haben müssen, ausgebraten, geben sie ein Oel, welches sich als Wagenschmiere bewährt hat und auch ein sehr sparsames Beleuchtungsmaterial sein soll. Ferner hat man feine braune Farbe aus ihnen gewonnen, mit Potasche und Eisenhammerschlag geglüht, sie in Blutlauge verwandelt und wer weiß zu welchen Zwecken sonst noch verwendet. von ihnen zu machen, das wirksamste.
Beim Hinblicke auf vorstehende Abbildung wird, um unserem Gedächtnisse in Hinsicht auf die äußere Erscheinung des Maikäfers zu Hilfe zu kommen, genügen, daran zu erinnern, daß der Leib in einen griffelartigen Schwanz nach unten ausläuft, daß der Fächer Der Maikäfer gehört einer außerordentlich artenreichen Familie an, die man infolge der übereinstimmenden Fühlerbildung Blätterhörner, Fächerhörner,( Lamellicornia) genannt hat. Die einen leben wie die Maikäfer von grünen Blättern, andere, zu denen prachtvoll glänzende heißer Erdstriche gehören, von süßen Säften und allenfalls von Blumenblättern und Staubblüten, noch andere von verwesenden Pflanzenstoffen, welche durch den Darm der behuften Säugethiere gegangen sind. Wir finden unter dieser Familie die Riesenkäfer, wie die Namen Goliath, Herkuleskäfer, Elefant u. a. andeuten sollen, und unter gewissen von ihnen einen so wesentlichen Unterschied zwischen beiden Geschlechtern ein und derselben Art, wie er bei andern Kerfen nur selten wieder angetroffen wird. der männlichen Fühler (Schnurren) länger ist als bei den weiblichen, und daß die Krallen an allen fünfzehigen Füßen unter einander gleich und am Grunde mit je einem Zahne versehen sind, welch letztes Kennzeichen bei andern nahe stehenden Laubkäfern nicht zutrifft. Was die vorher erwähnten Titulaturen betrifft, so sei noch bemerkt, daß die in so hohem Ansehen und Preise stehenden » Kaiser, Könige, Rothtürken« unserer Jugend Stücke des gemeinen Maikäfers sind, deren Rückenschild ausnahmsweise durch irgend welche äußerliche Zufälligkeiten roth gefärbt erscheinen. Unter den » Müllern« dagegen scheint man entweder besonders bestäubte und unabgeriebene Stücke desselben, oder eine zweite sehr ähnliche Art zu verstehen, welche zwischen dem gemeinen vorkommt, im nördlichen Deutschland ihn bisweilen an Zahl sogar übertrifft (so z. B. im Jahre 1849 bei Naumburg a. d. S.). Er ist etwas kleiner als jener, stärker behaart und bereift, vor allem aber ist seine Hinterleibsspitze bedeutend kürzer, schneller und feiner gespitzt und am äußersten Ende meist wieder etwas erweitert, Kopf, Brustschild und Beine sind bei ihm der Regel nach röthlich und nur ausnahmsweise in einer Spielart schwarz gefärbt. Diese Art findet sich Vorzugsweise nur in Wäldern und heißt Roßkastanien-Laubkäfer (Roßkastanien-Maikäfer, Melolontha Hippocastani).
Nach jenen widerlichen, vorher geschilderten Katzbalgereien sucht sich das Weibchen ein geeignetes Plätzchen, lockern Kalk-, Mergel oder Sandboden zieht es allem übrigen vor, offene Plätze den bewachsenen, wenn es die Auswahl hat, gräbt nach der Beschaffenheit desselben sich einige Zoll tief ein, um der Mutter Erde die Keime seiner Nachkommenschaft, die Eier, anzuvertrauen. Dieselben sind schmutzig weiß, beinahe kugelrund und von ansehnlicher Größe (3 mm. im längsten Durchmesser). Der Eierstock birgt ihrer etwa dreißig an Zahl, die nicht auf einen Haufen, sondern etwas zerstreut und auf einem sehr beschränkten Verbreitungsgebiete abgelegt werden. Wenn die Arbeit des Eingrabens und das Eierlegen dem Weibchen besondere Kraftanstrengungen gekostet hatte, so dürfte es nicht wieder zum Vorscheine kommen und unter der Erde verenden. Unter Umständen, wie etwa bei sehr lockerem Boden, bei besonders günstigen Witterungsverhältnissen kriecht es aber auch wieder heraus, treibt sich noch einige Zeit umher und stirbt in irgend einem Winkel eines natürlichen Todes, wenn es nicht von einem Würger (Dorndreher, Neuntödter) ergriffen und aufgespießt wurde, sonst einem seiner gefiederten Feinde anheimfiel, oder seine an sich schon geschwächten Lebenskräfte unter den tödtlichen Bissen der Ameisen vollends hergeben mußte.
Vier bis sechs Wochen später durchbrechen die kleinen Larven die Eierschalen, der Engerling (Inger, Glime, Quatte) ist geboren. Begleiten wir einen auf seinem Lebenswege unter der Voraussetzung, daß die Witterungsverhältnisse nichts Außergewöhnliches darbieten, ihm kein Maulwurf oder sonstiger Unfall begegne und seiner naturgemäßen Entwicklung bis zum gepanzerten Käfer irgend welches Hinderniß bereite. Um kurz bei den Zeitbestimmungen sein zu können, setzen wir beispielsweise seinen Geburtstag auf den 10. Juli fest. – Er ist klein, sehr klein und da er größer werden will und soll, so verdenken wir ihm keineswegs, daß er nach den zarten Wurzeln seiner Umgebung ausschaut; hat er jetzt schon, oder später einmal die Wahl, so hält er sich am liebsten an die des Salats, Kohles, Hanfes, Flachses, Getreides, der Erdbeeren, Bohnen u. s. w., und daß er der Kartoffeln nicht schont, ist ebenfalls bekannt; übrigens nimmt er zeitweilig und vielleicht besonders in der zarten Jugend auch mit vegetabilisch-humoser Erde fürlieb. Die scharfen Freßzangen, in Form von Meiseln und gehandhabt mit der gewaltigen Muskelkraft, die ihm bei seinen fortwährenden Wühlereien durch den ganzen Körper von Nöthen ist, lassen ihn nie im Stiche. Endlich erscheint der unduldsame Winter. Der Frost desselben treibt ihn nach der Tiefe, und die allgemeine Erstarrung in der Natur theilt sich auch ihm mit; seine Lebensthätigkeit erschlafft, er krümmt sich noch mehr zusammen, als er für gewöhnlich zu thun pflegt, und hält seinen Winterschlaf. Beiläufig erwähnt, hat man mitunter Larven gefunden, die von zu strenger Kälte überrascht und so steif gefroren waren, daß man sie hätte zerbrechen können; trotzdem sind sie nicht zu Grunde gegangen, sondern nach dem Aufthauen (im Freien – ein künstliches in der Stube würde sie einem zu schroffen und daher schädlichen Temperaturwechsel ausgesetzt haben) wieder aufgelebt.
Wenn im Frühlinge neues Leben erwacht, so steht auch der Engerling auf, geht in gewohnter Weise seiner Nahrung nach, bleibt indeß dabei immer noch schlank und dünn. Mitte Mai ungefähr gräbt er sich etwas tiefer unten eine Höhlung, sein Krankenlager, auf welchem er das ihm zu eng gewordene Kleid abstreift und mit einem weiteren, sonst dem ersten ganz gleichen vertauscht. Der Häutungsvorgang, seine Krankheit nämlich, hält vier bis sechs Tage an. Als Neugeborner kommt er dann der Oberfläche wieder näher und weidet mit doppelt und dreifacher Gier die Wurzeln ab, muß er doch die aufgewandten Kräfte wieder ersetzen. Bis zu seinem zweiten Geburtstage, dem 10. Juli, hat er nicht nur in Länge, sondern nach der Breite hin zugenommen und sich gesellig zu seinen Altersgenossen gehalten. Nun aber fühlt er sich mehr und mehr, ist zu größerer Selbständigkeit gelangt, und die kleine Heerde geht auseinander; übrigens muß man nicht glauben, daß er während seines ganzen thatenreichen Lebens weitere Wanderungen vornehme, er beschränkt sich vielmehr auf kleinere Räumlichkeiten, welche die mütterliche Fürsorge schon so gewählt hatte, daß sie seinen Anforderungen entsprechen. Der zweite Winter vergeht ihm in gleicher Schlafsucht wie der erste, und sollte ihm das nächste Frühjahr eine Ueberschwemmung bringen, so kann diese zwar seine Entwicklung aufhalten, ihn aber nicht tödten, wie die Erfahrung gelehrt hat. Nach abermaliger Häutung erlebt er den 10. Juli, seinen dritten Geburtstag, und zeigt in seiner Figur nun schon Anlage zu einiger Beleibtheit. Darum eben wird nun aber sein Leben gefährdeter, in dieser Größe findet er mehr Beachtung, und nun erst weiß der Landmann, wenn er beim Umpflügen des Bodens die glänzenden, weißlichen Würmer mit dem bläulichen, kolbigen Hinterleibsende herauswirft, daß er den »Engerling« in seinem Acker hat. Die Krähe weiß es auch, wenn sie ehrsam hinter dem Pfluge herwandelt und den fetten Bissen erfaßt, ehe er sich wieder unsichtbar machen kann. Jetzt findet ihn der Gärtner leicht und erkennt ihn als den Missethäter, wenn er eine vergilbte Pflanze erfaßt und dabei auch schon in der Hand fühlt; denn jener hat die Gewohnheit, die Wurzel von unten bis zum Stocke zu vertilgen, und da liegt er denn in der Regel, wenn dieser abgehoben wird. Mit seiner Größe wächst natürlich auch der Verbrauch der Nahrungsmittel, und man sollte kaum glauben, daß der Engerling daumenstarke Fichtenwurzeln verspeisen könnte.
Unter allerlei Anfechtungen, deren größte nächst dem Menschen von Seiten des Maulwurfes, der ihn für sein Leben gern, sich ihn aber auch zum Eckel frißt, dem Engerlinge bereitet werden, wirkt er im Geheimen unter gleichen Verhältnissen, wie früher, noch ein drittes Lebensjahr und hat endlich an seinem vierten Geburtstage (mit drei Jahren) seine volle Größe erreicht. Ist er endlich gesättigt und hat das Leben satt, so denkt er daran, sein eigenes Grab auszumauern – das Graben muß er nun wohl gründlich verstehen. – Mitte September begiebt er sich zwei, drei Fuß tief in den kühlen Schooß der Erde hinab, arbeitet eine bequeme Höhle aus und glättet deren Wände säuberlich, wozu er seinen eigenen, von lange her aufgesparten Koth als Mörtel und Tapete zugleich verwendet. Ist alles fertig, so legt er sich zurecht, wagrecht, senkrecht oder schräg gilt ihm gleich, und schrumpft ein: endlich streift er unter Krümmen und Winden die im Nacken geborstene Haut, das letzte äußere Zeichen seiner Engerlingschaft, ab und wird zu einer anfangs weißlichen, allmählich sich röthlichgelb färbenden Puppe, die der Auferstehung entgegenharrt. Sie braucht auch nicht lange zu warten, wenigstens auf die Vorfeier ihres Frühlings, der aber mit dem Winter der Menschenkinder oben auf der Erde zusammenfällt. Nach vier bis sechs Wochen nämlich, also am 1. November, ist unser Engerling – – ein Maikäfer, ein blasses, weiches Wesen, das ruhig in seiner Wiege bis zum Februar liegen bleibt, nur nach und nach erhärtend und dunkler werdend. In diesem Monate beginnt die saure Arbeit des Emporkriechens, der letzte und Hauptakt der Auferstehung. Der Käfer ist mit einem Male ein vollendeter Mechaniker; aus sich selbst, aus seinem ganzen Körper macht er einen Hebel. Das hintere Ende mit dem Griffel ist ein starker Stützpunkt, der Kopf stemmt und bohrt von vorn, und die Beine, besonders die vordersten mit ihren scharfen Zähnchen bilden die seitlichen Stützen. Man schließe nur einen Käfer in die hohle Hand ein, um zu fühlen, wie er das Drängen und Bohren versteht. Von der Beschaffenheit des Bodens, vor allem aber von der Witterung wird es abhängen, wann er die oberste Schicht durchbricht. Im allgemeinen nimmt man an, daß er im März nur noch sechs bis acht Zoll von derselben entfernt sei und im Laufe des Mai, am liebsten nach einem warmen Regen Abends hervorbreche, um während des genannten Monats sein Wesen zu treiben. Daher sein Name »Maikäfer«.
Beim Umstürzen der Aecker oder beim Umgraben der Gartenbeete im Spätherbste werden häufig Maikäfer zu Tage gefördert und unter Mitwirkung gewöhnlich milder Witterung zu außergewöhnlichem Erscheinen veranlaßt. So kam im December (1854?) ein Maikäfer in das Sitzungszimmer des »naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen in Halle« zu einem offenen Fenster hereingeflogen. Ein anderes Mal, es mochte inmitten der vierziger Jahre sein, verflog sich einer am 17. Februar in eine Berliner Droschke. In einem Maikäferjahre für den nordwestlichen Rand des Oberharzes (1848) fand ich einzelne Käfer schon am 1. April auf und beobachtete andere noch in der zweiten Junihälfte. Im heißen Sommer 1859 überschickte mir ein Freund am Bartholomäustage (24. August) einen vollkommen entwickelten Käfer und eine Puppe, statt deren drei Tage später ebenfalls der vollkommene Kerf in der Schachtel saß; es gefiel ihnen aber noch nicht in den oberirdischen Regionen, denn sie gruben sich beide in dargebotene Erde ein. Später im Herbste bekam man nicht selten Maikäfer in den Händen der Kinder zu sehen. Diese Erscheinungen waren die Vorboten der Schrecken erregenden Massen, in welchen sie bei uns im Jahre 1860 auftraten.
Ein auch anderweit vielfach verdienstvoller Fabrikant und Landwirth aus hiesiger Gegend hatte in öffentlichen Blättern 8 Sgr. für den Scheffel Käfer geboten, wenn man ihm solche behufs anzustellender Düngungsversuche einliefern würde. Man tödtete die Thiere durch Dämpfe und maß sie dann. Die Aufzeichnungen, in welche man mir mit größter Bereitwilligkeit Einblick verstattete, beginnen mit dem 9. Mai und schließen mit dem 30. gleichen Monats. In dieser Zeit sind abgeliefert worden 47 Wispel 10 Scheffel 8 Metzen. Man hat die Stückzahl, welche auf die Metze kommt, im Durchschnitt auf 1200 ausgezählt und somit etwa 21 Millionen 850 200 Käfer unschädlich gemacht. Am 14., 15. und 16. Mai kamen allein 24 Wispel 23 Scheffel ein, besonders dadurch, daß Zufuhren aus ferneren Gegenden anlangten. Die Gesammtmasse hätte leicht eine doppelte sein können, wenn das Einsammeln nicht ausschließlich von der Landbevölkerung vorgenommen worden wäre, auf welche zu derselben Zeit außerdem wichtige Feldarbeiten warteten, wenn sich gewisse Klassen der städtischen Bewohner und die Schuljugend auf den Dörfern der Angelegenheit mehr angenommen haben würden. Wir glauben das sehr gern; denn Mitte Juni waren die Käfer noch in solchen Mengen in der benachbarten Haide anzutreffen, daß noch jetzt ihr Einsammeln gelohnt haben würde; und die ältesten Eichen standen in einzelnen Distrikten vollkommen blattlos da; ja, Mitte Juli fanden sich noch so viele, wie in andern Jahren bisweilen nur während ihrer eigentlichen Flugzeit.
Seitdem in landwirtschaftlichen Kreisen dem Ungeziefer aus der Insektenwelt mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird, als in früheren Jahren der Fall war, und nachdem einfache Rechenexempel die kolossalen Verluste durch Insektenschäden in Zahlen vor Augen geführt haben, ist den Feinden der Landwirtschaft auch mit mehr Entschiedenheit der Krieg erklärt worden, als sonst. Einer der gefährlichsten von diesen aber ist der Maikäfer. In richtiger Würdigung dieses Umstandes hat man im Jahre 1864 im Leipziger Kreisdirektionsbezirke (nach dem sächs. Wochenblatte) 7960 Scheffel und 643 Ctr. Maikäfer eingesammelt und getödtet. Da nun 18 lebende Maikäfer zu einem Loth im Gewichte befunden worden, also auf den Centner 54 000 Stück gehen und der Scheffel zu 80 Pfund oder 43 200 Stück berechnet ist, so würde diese Schlacht eine Gesammtzahl von 378 Millionen 594 000 an Todten ergeben.
Im nächsten Flugjahre (1868) hatte der Sekretär des landwirthschaftlichen Centralvereins der Provinz Sachsen, welcher Anhalt mit in sich schließt, den zahlreichen Zuckerfabriken, Rittergütern, städtischen Magistraten etc. gedruckte Formulare zugehen lassen, in welchem die Ergebnisse des Einsammelns, der Kaufpreis, die Art des Tödtens, der Verbrauch, der getödteten Käfer eingetragen werden sollten, nachdem er durch ein voraufgegangenes Flugblatt die dringende Mahnung zum Sammeln begründet hatte. Die ausgefüllten Listen weisen die außerordentliche Höhe von 27 709 Centnern nach, die durch nachträgliche Einsendungen einzelner Landrathsämter bis auf 30 000 Centner steigt. Diese Zahlen sind amtlich festgestellt, dürften aber von der Gesammtmasse der getödteten Käfer, die meist mit Kalk geschichtet als Düngemittel verwendet worden sind, nicht unerheblich noch übertroffen worden sein. Hält man sich nur an die gegebene Zahl, so entspricht sie einer Menge von 1,590 Millionen Käfern, wie wiederholt vorgenommene Auszählungen festgestellt haben. Die Arbeit hatte Früchte getragen; denn das nächste Flugjahr (1872) erschien für jene Landstriche nicht als solches, indem sich die Maikäfer nur in sehr beschränkter Zahl wie – alljährlich zeigten.
Wie aber, wird man fragen, ist es möglich, die Naturgeschichte eines Geschöpfes während einer Reihe von Jahren zu verfolgen, das sich durch eine unterirdische Lebensweise so vollständig unsern Blicken entzieht? Wir müssen durch künstliche Zucht, wobei die natürlichen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen sind und manche vergebliche Versuche immer wieder zu neuen Erfindungen und sinnreichen Veranstaltungen anspornen, statt uns die Geduld ausgehen zu lassen, das sehen, was auf dem gewöhnlichen Wege zu beobachten uns versagt ist. Langjährige Versuche älterer Forscher haben die oben niedergelegten Erfahrungen geliefert. Außerdem kommt uns beim Maikäfer sein außerordentlich zahlreiches Vorkommen in gewissen Jahren und Gegenden zu Statten; denn man schließt mit Recht, daß, wenn dies Thier, welches alljährlich überall anzutreffen, periodisch in einer Gegend massenhaft erscheint, es die dazwischen liegenden Jahre zu seiner Entwickelung bedürfe. In Franken nun hat man 1805, 1809, 1813, 1817 auffallend viele Maikäfer gefunden; bei Berlin (Friedrichsfelde) waren 1828, 1832, 1836 sogenannte Maikäferjahre, in Neustadt-Eberswalde 1832, 1836, 1840, 1844, 1848, 1852, 1856, 1860. Wie die oben angeführten Beispiele zeigen, fallen in Sachsen und Thüringen die Flugjahre des Maikäfers gleichfalls mit den Schaltjahren unserer Zeitrechnung zusammen. Diesen und noch einigen andern Erfahrungen gemäß ist eine vierjährige Brut angenommen worden. Dem widersprechen andere, ebenso genaue Beobachtungen, welche in Frankreich, in der Schweiz und im südwestlichen Deutschland angestellt wurden und eine dreijährige Entwickelung ergeben haben. In der Schweiz unterscheidet man ein Berner (1834, 1837, 1840), Urner (1835, 1838, 1841) und Baseler (1833, 1836, 1839) Flugjahr, am Rhein waren 1836, 1839, 1842, bei Frankfurt a. M. 1850, 53, 56, u. s. w. für den gemeinen, dagegen 1850, 54, 58 für den Roßkastanien-Maikäfer Flugjahre. An der Weser flog jener in den Jahren 1864, 67, 70 u. s. w., 1838, 1841, 1844 in Vorarlberg.
Faßt man die angeführten Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich für gewisse Gegenden eine dreijährige, für andere eine vierjährige Entwickelungszeit des Maikäfers. Die kürzere hängt wahrscheinlich mit den offeneren, der Sonne mehr ausgesetzten Stellen bei sonst gleichem Nahrungsvorrathe zusammen, an denen die Engerlinge leben. Hierfür würde die längere Entwickelungsdauer des Roßkastanien-Laubkäfers bei Frankfurt sprechen, hierfür die zahlreichen Maikäfer, welche bei uns zu Lande in dem sogenannten »Vorflugjahre« erscheinen und sich durch die günstiger gelegene Brutstätte früher entwickelt haben, als ihre weniger begünstigten Brüder.