Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

271 XIX.

Seit 1882 bringe ich jährlich vier Sommerwochen in Karlsbad zu, richtiger: begleite ich meine Leber dahin, die ich so sehr verehre und die mir dafür durch allerlei Launen und üble Gewohnheiten mit Undank lohnt. Ich habe indeß trotzdem Karlsbad so liebgewonnen, daß es mich fast mit meiner Leber ausgesöhnt hat, wenigstens bin ich ihr weniger gram, als wenn sie mich zwänge, alljährlich einen langweiligen Badeort aufzusuchen. Ich nehme es darum auch den Eberharts, in deren »Erzherzogin Sophie« ich immer wohne, durchaus nicht übel, wenn sie mir regelmäßig zum neuen Jahr gratuliren und dazu Wunsch und Hoffnung, mich als ihren Gast wiederzusehen, aussprechen. Das heißt ja eigentlich mit anderen Worten: »Der liebe Gott erhalte Ihnen Ihre werthe Leber in dem Zustand, der Sie zwingt, sie mit heißem Wasser zu bändigen!« Aber, wie gesagt, ich lobe dies Karlsbad trotz des eben bezeichneten Getränks und der 272 verfassungsmäßigen Diät, und ich glaube, daß ich, wenn meine Leber endlich wieder vernünftig würde und einen körpergefälligen Lebenswandel einschlüge, mir einredete, dies sei Heuchelei und daß ich wiederum mich aufmachte, in der »Erzherzogin« gegenüber der Hlavaczekbrücke abstiege und wieder vier Wochen in dem Wunderkurort bei Wasser und Brod absäße.

Die Frage, worin denn eigentlich, wenigstens für mich, der Reiz Karlsbads liegt, läßt sich nicht mit einem einzigen Wort beantworten. Weder die landschaftlichen Schönheiten, noch der Aufenthalt und die Unterhaltungen in der Stadt sind so originell, daß man sie nicht auch anderswo finden könnte. Ich habe sie auch schon anderswo gefunden und dennoch mich nicht so mächtig von ihnen angezogen gefühlt, wie gerade von Karlsbad. Auch die Heilkraft der Quellen zieht mich allein nicht an, dazu bin ich nicht genug gewerbsmäßiger Kranker und fehlt mir die Ueberzeugung, daß sich ein wirkliches Leiden mit Wasser wegwaschen ließe. Es gehört auch zum Patientsein ein Talent, das ich nicht besitze, und das manchen Kranken mit der gewiß wohlthätigen Ueberzeugung erfüllt, irgend eines seiner entgleisten Organe werde sicher wieder auf die Schienen kommen. Ich beneide solch' einen Kranken um seine Zuversicht, aber ich halte das fortwährende Sorgen um ein Leiden gleichfalls für eine Krankheit, und ich glaube, 273 an einer genug zu haben. Es ist die Gesellschaft, die mir Karlsbad besonders lieb macht, und der intime Verkehr mit derselben, zu welchem das Karlsbader Kurleben die fast unabweisbare Gelegenheit bietet, während es zugleich leicht ist, sich ihr fernzuhalten. Karlsbad kann Salon und Einsiedelei sein, je nach dem Geschmack des Kurgastes, der, besonders wenn er sich von dem Hokuspokus des Arztes unabhängig erklärt hat, welcher nach Mephistopheles zum Wohlgedeihen des Saftes nöthig erscheint, sich in Karlsbad ungemein heimisch fühlen und das Ende der Kur mit Bedauern nahen sehen wird. Wer nicht mit einem sehr ernsthaften Leiden nach Karlsbad kommt, wird sich bald von den Ukasen des Arztes emancipiren, die mehr im Interesse des Honorars als des Kurgastes erlassen werden, und sich dann, wenn er kein Griesgram oder Philister ist, höchst vortrefflich in die Rolle des Wassertrinkers hineinfinden.

Etliche Quellen Karlsbads sind für dessen ältere Gäste Quellen des Humors, indem sie sich des nach meiner Meinung sehr ungerechtfertigten Ruhmes erfreuen, unfehlbarer als die anderen zu sein. Aber indem sie, die Töchter eines und desselben Vaters, des Sprudels, nun einmal einen berühmteren Namen haben, so thun die Aerzte ihren Patienten den Gefallen, sie an diese Quellen zu verweisen, und hieraus entstehen diese unendlichen und noch unendlicher 274 langweiligen und ermüdenden Gänsemärsche zum Mühlbrunnen, zur Felsenquelle u. s. w., während die anderen Brunnen und Quellen, denen aus der gleichen unterirdischen Hexenküche das heiße Wasser gereicht wird, nur von den wenigen Kurgästen aufgesucht werden, die sich überhaupt weder von Vorurtheilen beherrschen, noch von den Aerzten beliebig an irgend einer heißen Quelle kaltstellen lassen. Die Brunnenverwaltung ist so vernünftig, die bestbeleumundeten Quellen ruhig bevorzugen zu lassen, so lange das ohne Störung der Morgenordnung geschehen kann. Werden aber die Reihen der Trinker zu lang, so erhalten die Aerzte den Auftrag, den neu ankommenden Patienten bis auf Weiteres eine der Quellen mit weniger berühmtem Namen als ganz besonders zum Wunderheilen geeignet zu verschreiben, und plötzlich belebt sich dann der Platz um diese Wasserstätten, die bis dahin nur von wenigen unabhängigen Kurgästen aufgesucht worden waren.

Die aus allen Weltgegenden in Karlsbad zusammenströmende Gesellschaft giebt mehr als jede andere den ergiebigsten Stoff zu heiteren Beobachtungen. Die mit zweifellos gesundheitsstörendem Eifer dreimal täglich die Toilette wechselnden Damen, die armen Patienten, die dem Schicksal durch ermüdendes und schädliches Rennen und Steigen die Heilung förmlich abtrotzen wollen, die folgsamen Kurgäste, 275 die sich durch eine grausam kasteiende Diät mehr schadeten als nützten, wenn diese glücklicherweise nicht durch die Leichtfertigkeit der Restaurationen unwirksam gemacht würde, die Abenteuerjäger, die Colporteure alter Anekdoten, die den Kampf um's Dasein mitmachenden Schlachtenbummler, die sich nur amüsiren wollen und Jeden, der in ihre Nähe kommt, langweilen: das sind überaus lustige Figuren in dem Karlsbader Lustspiel.

Dem Kreise, in welchem ich in Karlsbad zu verkehren pflege, verdanke ich die freundlichsten Stunden und somit ganz gewiß einen beträchtlichen Theil des Wohlbefindens, mit welchem ich alljährlich heimzukehren pflege. Ich habe mich an diesen Kreis so gewöhnt, daß ich mir Karlsbad ohne ihn nicht denken kann oder mag. Fehlte mir der Wiener Schriftsteller Karlweis, so würde mir der aus der heißen Bernhardsquelle gefüllte Becher gewiß nicht den Nutzen bringen, den ich mit so viel Vertrauen von ihm erwarte. Karlweis ist ein Vertreter des heiteren, gemüthstiefen und enthusiastischen Wien. Wer ihn aus seinen Romanen und dramatischen Werken kennt, in denen er mit so viel Liebe das Leben seines Volks schildert, wird ihn als Schriftsteller schätzen, mir ist der allzeit anregende treue Kamerad nicht minder sympathisch. In Karlsbad ist er mein wackerer Stubennachbar, wir öffnen die Thür und bewohnen 276 nun zusammen einen »Salon«. Hier giebt es immer mehr zu lachen, als den angrenzenden Hausbewohnern, die auch am Tag schlafen wollen, angenehm zu sein pflegt. Uns aber stören wir dadurch selbst beim Arbeiten nicht, das im Gegentheil dadurch gefördert wird. Karlweis ist der Fleißigste, er hat entweder ein Romankapitel, oder ein Scenarium zu schaffen, ich habe selten einen Schriftsteller kennen gelernt, der, wie er, immer, auch beim Spazierengehen, mit seiner Arbeit beschäftigt ist und dabei in der muntersten und witzigsten Weise zu plaudern weiß. Hierbei kommt ihm wie allen Wiener Humoristen – ich habe dies auch bei Chiavacci, Pötzl und Schlögl gefunden – der jedem Ohr so vertraulich klingende Wiener Dialekt zu Hülfe, der das Komische komischer gestaltet. Dem norddeutschen Humoristen fehlt diese wesentliche Unterstützung.

Ebenso wie Karlweis finde ich alljährlich eines der Mitglieder der Regierung der »Neuen Freien Presse« in Karlsbad, meinen alten lieben Freund Dr. Bacher, einen Mann, dessen gemüthlicher und behäbiger freundlicher Erscheinung man auf den ersten Blick die bedeutende Stellung nicht anmerkt, die er als Leiter des in der Literatur und Politik einflußreichsten und wichtigsten Blattes einnimmt. Fast absichtlich weicht Bacher allen Prärogativen seiner bedeutenden Stellung aus, und er spricht auch niemals 277 von deren Lasten und Pflichten. In Karlsbad ist er keinen Augenblick Chefredakteur, lebt er nur der nöthigen Erholung, immer an der Seite seiner liebenswürdigen Gattin und von seinen Freunden umgeben. Gewiß verfolgen ihn die Redaktionsgeschäfte des großen journalistischen Getriebes auch in das »Steinerne Haus«, in dem er zu wohnen pflegt, aber sie verderben ihm die gute Laune nicht, mit der er aus dem reichen Schatz seiner politischen und schriftstellerischen Erlebnisse das Interessanteste witzig und lebendig mitzutheilen weiß. Dabei ist er einer der dankbarsten Zuhörer, die ich kenne, und hat das seltene Talent, durch sein Lachen die heiterste Stimmung zu wecken. Mir hat dies stets besonders gefallen, da ich weiß, wie unerbittlich ernst er in seinen Leitartikeln sein kann.

Gleichzeitig mit Bacher pflegen auch mehrere Mitglieder seiner Redaktion in Karlsbad zu erscheinen. Unter diesen ist es Hanslick, der berühmte Künstler der Kritik und einer der besten Stylisten des deutschen Feuilletons, mit dem zu verkehren mir eine große Freude bereitet. Er liebt die Abgeschiedenheit, am liebsten ist er in der Gesellschaft seiner Frau, und es ist daher nicht nur schwer, seiner habhaft zu werden, sondern eine ganz aparte Auszeichnung, von ihm aufgesucht zu werden. Der Vorsichtige wartet dies auch ab, und ich bin vorsichtig, besonders bei Vielbegehrten 278 wie Hanslick. Regelmäßig nach dessen Eintreffen finde ich aber seine Karte an dem Schlüsselbrett der »Erzherzogin« mit der Bestimmung von Ort und Zeit eines Zusammentreffens, und das ist mir jedesmal die Zusicherung angenehmster Stunden. Hanslick in Civil läßt den Haudegen der Kritik, der in ihm steckt, nicht vermuthen, er ist dann ein Freund harmlosen Spaßes und weiß selbst humoristisch zu erzählen. Wer auch nur einmal ein Stündchen mit ihm verkehrte und sich an der feinen aristokratischen Form, in der er alles, was er vorbringt, zu kleiden weiß, ergötzte, wird die Mißstimmung verstehen, in die ihn Bayreuth versetzte. Der um Wahnfried tobende Lärm der musikalischen Landsknechte macht ihn nervös und ist seiner Wohlerzogenheit unsympathisch, wie etwa dem Schopenhauer das Peitschenknallen. Seinem reinen künstlerischen Geschmack ist aller Spektakel zuwider, und er weicht ihm aus, wie er im Leben allem lauten Gedränge ausweicht. In Karlsbad wohnt er weitab vom Kurlärm, und Morgens steigt er den Weg zum Jägerhaus hinan, um ganz sicher zu sein, ungestört frühstücken und dann seine Cigarre rauchen zu können, immer von seiner Gattin begleitet, die ihm jede Gesellschaft ersetzt und deren Cavalier er ist, trotzdem er im nächsten Jahre sein siebzigstes Jahr vollendet haben wird.

Ist Hanslick aber besonders gut aufgelegt, so 279 steigt er in die Sprudelstadt hinab und speist am Abend mit uns bei Loib hinter dem Theater. Da ist er denn unerschöpflich im Erzählen aus seinem Leben, das ihn mit allen Großen und Kleinen der musikalischen Kunstwelt zusammenführte, und ebenso unerschöpflich ist seine Geduld im Zuhören. Am meisten amüsirt mich seine »völlige Wurschtigkeit« gegenüber den Angriffen seiner Bayreuther Erbfeinde, deren Zorn ich übrigens sehr begreiflich finde. In Hanslick's Gesellschaft lernte ich u. a. den Clavierhelden Sauer kennen, der nicht nur durch seinen so hoch da droben aufgebauten Haarwald, sondern vielmehr dadurch eine originelle Erscheinung ist, daß er niemals von seinem Instrument und seinen Erfolgen, am liebsten aber von seiner Briefmarkensammlung spricht. Ich, der ich die Leidenschaft für entwerthete Postwerthzeichen nicht ganz verstehe, war nicht wenig überrascht, als mich Sauer einmal einlud, ihn in Dresden zu besuchen. »Ich spiele Ihnen ganz gewiß nichts vor,« versicherte er aufmunternd, »aber ich zeige Ihnen mein Markenalbum.«

Es giebt in der europäischen Presse wohl keine journalistische Werkstatt, welche der der Neuen Freien Presse an die Seite zu stellen ist. Ich kenne keine, in welcher so viele hervorragende, in ihrem Fach originelle Arbeiter thätig sind. Die Individualität und die charakteristischen Züge dieser Männer zu schildern, ist 280 nicht die Aufgabe dieser flüchtigen Zeilen, die nur von meinen persönlichen Beziehungen melden sollen. So angenehm es sich mit Hanslick beim Pfiff Rothen sitzt, so schlecht ist, wie die Künstler wissen, das Kirschenessen mit ihm, wenn auch zugegeben werden muß, daß er die Kirschkerne mit großer Eleganz zu schleudern versteht. Aber noch weniger gastlich muß sich das Verspeisen einer auch nur kleinen Portion Kirschen in Gesellschaft Speidels gestalten. Während Hanslick die Kerne so zu werfen sucht, daß sie den Getroffenen nicht verletzen, bekümmert sich Speidel weiter gar nicht um das Ziel seiner Geschosse. Er ist ohne Zweifel der gefürchtetste Kritiker der deutschen Presse, vor dessen Feder kein kernsicherer Panzer aufkommt. Seine Liebenswürdigkeit hört vollständig auf, wo der Kritiker beginnt. Dies scheint besonders da der Fall zu sein, wo der Künstler in direkte Beziehung zu ihm tritt. Ich war einmal in seinem Arbeitszimmer, als sich ihm eine Dame mit der Bitte vorstellte, er möge ihr Gelegenheit geben, ihm etwas vorzuspielen. Ich weiß nicht mehr, ob als Clavier oder als Schauspielerin. Er bedauerte, keine Zeit zu haben. »Vielleicht in der nächsten Woche?« forschte die Dame, die so hübsch war, daß jeder andere Kritiker sich wohl die Mühe gegeben hätte, nach einem freien Stündchen zu suchen. Aber Speidel hatte auch in der ganzen nächsten Woche 281 kein solches freies Stündchen. »Nun, dann später, im Lauf des Monats.« Merkwürdig, Speidel konnte in absehbarer Zeit keine Minute finden, welche er frei haben würde, um sie der ganz trostlosen Künstlerin zu widmen.

Zu meiner Freude hat Hugo Wittmann mehr Zeit, wie in Wien, so in Karlsbad, obschon er dort und hier ungemein beschäftigt ist. Bekanntlich ist er einer unserer vielseitigsten und produktivsten Feuilletonisten und außerhalb des Feuilletons auch noch Lustspiel- und Librettodichter. Dabei findet er stets Muße, seiner Leseleidenschaft zu fröhnen, und mit Hülfe seines erstaunlichen Gedächtnisses trägt er eine Riesenbibliothek mit sich herum, in der er alles, was er sucht, sofort zu finden weiß. In seiner Gesellschaft unterhält man sich ganz vortrefflich, und da er auch ein guter Hörer ist, so vermag man sich leicht zu bester Geltung zu bringen. Seine schöne Frau, die als Fräulein Weinberger eine Zierde des Hamburger Theaters in dessen Glanzzeit war, ist nun die seines Hauses, und am Frühstückstisch im Karlsbader Kaiserpark weiß sie die amüsanteste Vorsitzende zu sein.

Daniel Spitzer, der »Spaziergänger« der Neuen Freien Presse, war, wenn er nicht schrieb, nicht Daniel Spitzer. Wer nicht wußte, wer er war, konnte am allerwenigsten Spitzer in ihm 282 vermuthen. Als fürchtete er, es könne irgend eine Pointe, die er für eine seiner wenigen Publikationen brauchte, nutzlos verpuffen, sprach er das Gleichgültigste und auch dies nur mit Oekonomie. Er war dadurch etwas ungesellig. Als er mich in Berlin besuchte, war er nicht zu bewegen, mit mir unter Menschen zu gehen. Stundenlang ging er mit mir im Thiergarten auf einsamen Wegen umher, ziemlich schweigsam, so daß es mir nicht leicht wurde, das Gespräch wach zu halten. Ich habe mich dennoch in seiner Gesellschaft sehr wohl gefühlt, er war ein guter, treuer Mensch, und das Schicksal war sehr ungerecht gegen ihn, als es ihm ein so schmerzhaftes Ende bereitete. In Meran sah ich sein Grab, das still und einsam ist, wie er selbst es war.

Josef Oppenheim's Witz ist ein ganz anderer, wie der Spitzer's. Bei aller Schärfe ist er doch viel fröhlicher und, wenn das nicht zu philiströs klingt, harmloser. Oppenheim kann die Erscheinungen der Zeit mit dem elektrischen Licht seiner Satire sehr scharf beleuchten, ohne die Personen so erbarmungslos in den Schatten zu stellen, wie Spitzer dies mit besonderem Behagen that. Er kann sehr boshaft sein, aber nur gegen die Mängel und Fehler der Menschen, nicht gegen diese. Das fühlt man auch im Verkehr mit ihm, sein ganzes Wesen ist Wohlwollen und geistvolle Milde.

283 Darin gleicht er seinem Kollegen Wilhelm Goldbaum, mit dem mich eine langjährige Freundschaft verbindet. Man braucht nur eine einzige literarische Kritik Goldbaum's zu lesen, und man erkennt sofort, daß Goldbaum Belletrist und Gelehrter zugleich ist, ohne daß seine Gelehrsamkeit seinen Vortrag schwerfällig, sondern diesen im Gegentheil nur um so interessanter gestaltet. Wir haben zusammen viel Fröhliches geplaudert und erlebt, als er in Berlin zur Zeit des Congresses die Neue Freie Presse mit Berichten versah, und später, wo immer wir uns treffen mochten. Sein Haus ist eines der gastfreundlichsten Wiens.

Neben diesen Großwürdenträgern des Weltblattes waltet gewissermaßen als Vicekönig mein alter Freund Adolph Löwe, dessen Namen den Lesern nicht genannt wird, der ihnen aber viele Theater- und Kunstnachrichten in der gefälligsten Form mittheilt und in seiner einflußreichen Stellung mit unermüdlicher Freundlichkeit Jedem anspruchslos nützlich wird, der eine Verbindung mit der großen Oeffentlichkeit braucht. Es macht ihm Freude, gefällig sein und fördern zu können. Wenn er aus dem betäubenden Trubel der Redaktion nach Karlsbad kommt, weicht er ruhesuchend dem der Kurgesellschaft aus, und wenn ich dann mit ihm auf den einsamen Höhen umherklettere, so weiß er mich, der ich kein passionirter 284 Kletterer bin, mit dieser schwierigen Gesundheitsarbeit durch die amüsantesten Erzählungen aus seiner literarischen Thätigkeit zu versöhnen. Leider ist er nicht zu bewegen, sie aufzuschreiben, obschon ihm der Fleiß angeboren ist. Die Bescheidenheit, die bekanntlich in der Literatenwelt abhanden gekommen ist, scheint zu ihm geflohen zu sein.

Eine der originellsten Erscheinungen des Reiches, in welchem Dinte fließt, ist Julius Bauer. Er ist der Witz auf zwei Beinen, das menschgewordene Epigramm, die personifizirte Pointe. Ihm fällt immer etwas Komisches ein. Da er das Unglück hat, ein kolossales Gedächtniß zu haben, so ist er keinen Augenblick in Verlegenheit, irgend einen lustigen Einfall zu citiren, den er eines Tages in seinem Illustrirten Wiener Extrablatt, oder in irgend einem seiner Operettentexte verwendet hat.

Man kann Bauer's Witz nicht als Wienerischen bezeichnen, dazu ist er zu zweischneidig, wenn er auch, sich meist an gesellschaftliche Auswüchse heranmachend und mit dem Theater, der Literatur und der Künstlerwelt beschäftigend, durchaus sich von der Politik fernhält. Aber der Wiener Witz ist doch im Großen und Ganzen harmlos und das ist der Bauer'sche Witz durchaus nicht, das will er auch nicht sein, es ist der internationale Witz. Diesem eigenthümlich ist es auch, daß er sich nicht zu einer größeren 285 einheitlichen Produktion zusammenfassen kann. Dazu fehlt solchem Geist die Ruhe. Auch ist Bauer hierzu zu sehr Journalist. Das aber ist er ganz und immer, auch wenn er nicht die Feder in der Hand hat, und als Journalist kann er nur ganz und immer witzig sein. Er ist einer der pointenreichsten Menschen, die ich kenne, viele, die gleichfalls für witzig gelten, könnten von den Zinsen seiner Einfälle, Aphorismen, Epigramme und Gedankensplitter sorgenfrei existiren. Dabei ist er ein gefälliger Verbreiter der Pointen Anderer und ein enthusiastischer Verehrer dessen, was ihm an literarischen und künstlerischen Leistungen gefällt. Dies hat mich oft an ihm gefreut, abgesehen davon, daß ich mich in seiner Gesellschaft stets vortrefflich amüsirt habe. Interessant ist auch die Energie, mit der er sich aus Sorgen und Entbehrungen aller Art zu einer ehrenvollen literarischen Stellung herausgearbeitet hat. Aber auch das schildert er ohne den leisesten Anflug von Sentimentalität. Selbst das photographische Atelier, das doch gewiß Jeden ernst stimmt, weil es mit dem zahnärztlichen rangirt, kann Julius Bauer nichts von seiner Heiterkeit kürzen. Als wir eines schönen Tages, denn das geht ja nur an schönen Tagen, in Karlsbad photographirt wurden, hatte der Poetzner'sche Maschinenmeister keine kleine Mühe, den Moment zu erwischen, wo wir im Stande waren, unsere 286 Gesichtszüge in einen photographirbaren Zustand zu versetzen.

Es ist so ziemlich unmöglich, von all den fröhlichen »Kranken« zu sprechen, mit welchen ich in Karlsbad zusammentraf, und das Heitere zu schildern, zu welchem ein vierwöchentlicher Müßiggang, der nicht nur aller Laster, sondern auch der Anfang kurwidriger Unternehmungen ist, gewaltsam verführte, wenn ich ihn auch, täglich von redaktionellen Pflichten einige Stunden lang in Anspruch genommen, nicht immer unverkürzt ausüben konnte. Dazu kommt, daß mancher von meinen Liebsten, an die sich meine heitersten Erinnerungen knüpfen, nun dahingeschieden sind und von denen aus diesen Blättern zu erzählen mir nicht passend erscheinen will. Aber von dem Hervorragendsten dieser Freunde zu sprechen, kann ich nicht unterlassen: von Heinrich Laube. Er ist mir ein unvergeßlicher, war mir ein treuer, wohlwollender Freund. Dies machte ihn mir so werth, wie ich in ihm den vortrefflichen Schriftsteller und Theatergewaltigen verehrte. Besonders zog mich gerade das zu ihm, was Vielen an ihm unbequem erschien: sein halbrauhes Wesen, sein ehrlich rücksichtsloses Urtheil. Und dann seine bis in sein hohes Alter robuste Lebenslust, sein guter Humor! Seine Jahre nannte er seine schlimmste Krankheit, und wenn er besonders heiter gestimmt war, dann 287 unterbrach er sich oft, um eine Klage über dieses unheilbare Leiden zu seufzen. Dagegen erhoben seine geistvollen, ungemein lebendigen Augen einen merkwürdigen Protest. Er lebte so gern, und er hatte, wie er mir einmal sagte, noch so viel auf dem Herzen, was er aufzuschreiben gedenke, daß er dem Himmel nur rathen könne, ihn am Leben zu erhalten. Wie schade, daß solche Köpfe, die so wenig Lust zu feiern haben, sich doch eines Tages zur Ruhe legen müssen! Im Juni 1883 traf ich ihn in Karlsbad zuletzt, er war noch so heiter, und im folgenden Jahre starb er. »Sagen Sie nicht: Auf Wiedersehen!« hatte er mir beim Abschied zugerufen, »es wäre ja sehr schön, aber der Mensch soll die Götter nicht versuchen.« Er schätzte am Leben vor Allem das Leben, und er hat der Kunst und den Frauen sein Herz bis in sein Greisenalter frisch erhalten. Eines Tages – es war eben in diesem Juni – hatte ich ihn einer sehr schönen jungen Berlinerin, die mit ihrem Vater, dem Justizrath L., nach Karlsbad gekommen war, vorgestellt. Gleich war er Feuer und Flamme. »Wie können Sie mir das anthun!« sagte er in komischem Ernst. »Ich bin siebenundsiebzig Jahre alt!«

Am 5. Juli 1883 wurde in Karlsbad unter herrlichem Sonnenschein das Goethe-Denkmal, ein Meisterwerk Donndorfs, enthüllt. Laube hielt die gedankenreiche Festrede. Andächtig lauschten ihr die 288 Karlsbader und ihre Gäste, welche dichtgedrängt den Platz um das Denkmal und die angrenzenden Höhen füllten. Es war ein echtes Goethefest, welches die Stadt dem Andenken des Dichters, ihres berühmtesten Kurgastes, widmete. Getrübt wurde es nur dadurch, daß die »letzte Liebe Goethe's«, Ulrike von Levetzow, nun eine Achtzigerin, in der letzten Stunde sich entschließen mußte, die Fahrt von ihrem Stammsitz Triblitz nach Karlsbad zu unterlassen, sie sandte einen Kranz von weißen Rosen, den der Bürgermeister Knoll am Fuße des Denkmals niederlegte. Wir hätten die durch die Liebe Goethe's Unsterbliche so gerne gesehen, die den Dichter zu der wundervollen »Trilogie der Leidenschaft« begeistert hat.

Der Denkmalsenthüllung folgte ein Festessen im Posthof, zu welchem Nikolaus Dumba, der geschätzte Wiener Förderer der Kunst und Literatur und Freund ihrer Vertreter, eingeladen hatte. Es war eine heitere Tafelrunde. Was schrieb und mimte, war erschienen. Da die Ferien des Burgtheaters begonnen hatten, so nahmen hervorragende Mitglieder desselben an dem Festmahl theil. Laube brachte dem Andenken Goethes ein Glas, und Sonnenthal that den von mir dem Tage gewidmeten, nach dem Goethe'schen Ergo bibamus verfaßten und dann in der Neuen Freien Presse veröffentlichten Versen die Ehre an, sie vorzutragen. Als ich mit 289 Laube, nachdem er gesprochen hatte, anstieß und er so vergnügt in das Grün des Posthofgartens hineinlachte, wie konnte ich ahnen, daß ich ihn nicht wiedersehen sollte! Ein paar Stunden nach dem Festmahl befand ich mich auf dem Wege nach Berlin.

Einen schöneren Karlsbader Tag als diesen hatte ich vorher und habe ich auch später niemals erlebt. Der Zauber, der sich in allem, was uns zu Goethe führt, offenbart, ist allmächtig.


 << zurück weiter >>