Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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191 XIV.

Während des Krieges gab es für den Journalisten viel zu thun und war es für ihn keine kleine Aufgabe, mit den Ereignissen Schritt zu halten. An die politische Presse wurden große Anforderungen gestellt, denen sie oft selbst mit der größten Fixigkeit nicht zu genügen vermochte. Denn die Ereignisse drängten sich bekanntlich und zwar derart, daß nicht selten in dem Augenblick, wo die Zeitung in die Presse ging, irgend eine Nachricht vom Kriegsschauplatz eintraf, welche das eben abgeschlossene Abend- oder Morgenblatt als veraltet erscheinen ließ, ja, ganz entwerthete und die Redaktion nöthigte, demselben ein Extrablatt nachzusenden, um das Publikum halbwegs zu befriedigen. Aber auch an das Witzblatt traten Aufgaben heran, denen es nicht gewachsen war, man verlangte Unmögliches von ihm. Was die ernste politische Zeitung nicht vollbringen konnte, das sollte dem politischen Witzblatt ein Leichtes sein, weil man sich 192 von dessen Ton eine größere Wirkung versprach. Die Belagerung von Paris dauerte vielen ungeduldigen Patrioten viel zu lange, und unzählige Briefe verlangten von den »Wespen«, sie sollten mit allen satirischen Mitteln darauf dringen, daß das Bombardement endlich beginne. Wie ich das mit Erfolg anstellen sollte, das wurde mir nicht gesagt, und Moltke hat sich denn auch von den besten Einfällen meines Blattes nicht bestimmen lassen, etwas zu thun, was er nicht für gut hielt.

Selbst vom Kriegsschauplatz trafen dringende Aufforderungen ein, die »Wespen« sollten doch dafür sorgen, daß das Bombardement recht bald beginne. So schloß der tiefste Ernst der Zeit nicht die Komik gänzlich aus. In der letzten Nummer des Jahrgangs 1870 theilte ich aus dem satirischen Gedicht eines »Artilleristen M. vor Paris« eine Strophe mit, welche lautet: »Daß die Kanonen schweigen, sollt' Keiner ihnen wehren, sie wollen alle zeigen, daß sie den Moltke ehren!«

Auch den Klagen über die ewige Erbswurst, welche in Briefen und auf Karten der Feldpost an mich gelangten, konnte ich kein befriedigendes Ende machen. Die Klagen waren in die drolligsten Formen gesunden Soldatenhumors gekleidet, und ich habe einen originellen Schatz von solchen gesammelt, in welchem sich auch die lustigsten Ausbrüche des Zorns 193 über die berüchtigte Liebesgabencigarre befinden, welche bekanntlich ein Rauchzeug war, das nicht zwischen die Lippen eines wackeren Soldaten, sondern in die Schreckenskammer des Panoptikums gehörte. Und nicht nur unzählige Klagen trafen bei mir ein, sondern diese sogenannten Cigarren selbst, so z. B. von Soldaten des 46. Infanterie-Regiments aus La Celle St. Cloud. Es waren zwei erbärmlich aussehende Cigarren, deren Form und Inhalt sie dieses Namens unwürdig machten, geschweige denn der Bezeichnung als Liebesgabe. Wer diese Hassesgabe hergestellt und gespendet hat, kann unmöglich geglaubt haben, daß unsere Soldaten, so sehr sie mit allen Schrecken des Krieges vertraut waren, solche Mißgeburten der Cigarrenfabrikation für rauchbar hielten und auch nur versuchsweise anzündeten. Man konnte eher annehmen, daß sie unseren Soldaten zur Vertheilung unter die Feinde geschickt waren, welche Bestimmung aber eine Grausamkeit voraussetzte, welche unseren Soldaten sicher fremd gewesen ist.

Die schönen Tage kamen, welche die Proklamation des deutschen Kaiserreichs, den Frieden, den Einzug der Truppen in Berlin brachten. Als Bismarck nach dem Friedensschluß von Frankfurt a. M. zurückkam und im Reichstag erwartet wurde, der nun von ihm vernehmen sollte, unter welchen Bedingungen der Frieden geschlossen war, befand ich mich auf der 194 Journalistentribüne des Parlaments. Bismarck trat ein, und die Mitglieder des Reichstags erhoben sich. Es war ein feierlicher Moment, der aber einen am Rednerpult stehenden Reichsboten nicht hinderte, in einer ziemlich ermüdenden Auseinandersetzung fortzufahren, während der Reichstag mit großer Ungeduld nach dem Bericht des Reichskanzlers verlangte. Das störte den zähen Redner nicht, auf den selbst der stets würdevolle Präsident Simson etwas ungeduldig niederblickte. Auch als Delbrück sich an den Präsidentensitz begab, um den Reichskanzler zum Wort zu melden, hielt der wackere Redner aus, ohne Zweifel überzeugt, daß das, was er den ihm gar nicht zuhörenden Reichstagsmitgliedern zu sagen habe, viel wichtiger sei, als die Eröffnungen, welche der Reichskanzler über seine historische Sendung zu verkünden hatte und auf welche nicht nur das deutsche Reich, sondern die ganze Welt gespannt war. Endlich erbarmte sich der dauerhafte Redner des deutschen Reichs und der ganzen Welt und verschwand auf seinen Platz. Und Bismarck erhob sich. Welcher Staatsmann mit etwas Talent für das Posieren hätte wohl in dieser Situation der Versuchung widerstanden, eine gewisse feierliche, wenn nicht gar eine dramatische Haltung anzunehmen. Bismarck stand da, als sei eigentlich nichts vorgefallen, als wolle er mit einer belanglosen 195 Bemerkung in eine landläufige parlamentarische Diskussion eingreifen. Er hatte eine große Papierscheere ergriffen, und während er diese auf und zuklappte, begann er ohne irgend eine seriöse Einleitung vorzutragen, was er zu sagen hatte. Er meldete, daß Deutschland das Elsaß mit Metz behalte, daß Frankreich fünf Milliarden zahle und andere Einzelheiten des Friedensvertrages mit ziemlich eintöniger Genauigkeit, als erzähle er das Allergewöhnlichste. Dann und wann blickte er auf die Nägel der linken Hand, wie um sein Gedächtniß auf einen bestimmten Punkt zu concentriren, da er sehr viele Städte und Städtchen Lothringens namhaft zu machen hatte, um die Linie zu bezeichnen, bis zu welcher das Machtgebiet Deutschlands sich erweiterte. Wer von Bismarck diese Rede hörte, hat ihn in seiner großen Einfachheit, in seiner einfachen Größe gesehen, charakterisirt durch Eigenschaften, die unvergleichlich sind.

Wenn die große Zeit, welche durch die Gründung der deutschen Einheit ewig denkwürdig bleibt, so plötzlich auftauchte, daß man von ihr nicht sagen konnte, sie habe ihren Schatten vorausgeworfen, so ist es doch gewiß, daß ihr Schatten ihr folgte: die Zeit der maßlosen Spekulation und der ihr folgende unvermeidliche Krach. Ich verstehe zu wenig von dem, was man beschönigend den wirthschaftlichen 196 Aufschwung nannte, als daß ich mich mit jener Bewegung beschäftigen könnte, welche so sehr viele Millionen aus einer Tasche in die andere, welche letztere meist die falsche war, fließen machte, am allerwenigsten wäre eine solche Untersuchung etwas heiteres, und sie gehörte also nicht hierher. Aber dieses plötzlich beginnende Rennen nach Reichthum, diese erschreckend tumultuarisch dahinbrausende Jagd nach dem Glück hatte für den Zuschauer viele heitere Episoden aufzuweisen, so selten solche auch einen erfreulichen Verlauf nahmen. Man sah kein gewöhnliches Rennen nach Reichthum, keine alltägliche Jagd nach dem Glück, der Tanz um das goldene Kalb war in jene Tanzwuth ausgeartet, von welcher uns aus dem Mittelalter als von einer mörderischen Krankheit gemeldet wird. Aber neben dieser Ausartung gab es komische Erscheinungen in Menge: kundige Gründungs-Thebaner, gestern mittellos, oder doch bescheiden und eingeschränkt existirend, heute sich in eine kecke Unternehmung stürzend, morgen plötzlich reich und nicht wissend, wie mit dem Geld vernünftig umzugehen. Der Umgang mit Geld ist so schwer wie der mit Menschen. Wer reich geboren oder allmälig reich geworden ist, weiß mit dem Geld anständig zu verkehren; wem es aber plötzlich aus heiteren Gründungswolken auf den Kopf fällt, der wird betäubt und verliert den Verstand, als fiele 197 ihm eine Dachpfanne auf den Schädel. Ich habe viele solcher Unglücklichen gesehen, denen die bimetallenen Dachpfannen auf den Kopf gefallen und die in das unheilbare Protzenthum gestolpert waren. Der Protz ist namentlich für den eine heitere Figur, der nicht persönlich mit ihm verkehrt, ihm drei Schritt vom eisernen Schrank bleibt und ihn im andern Fall mit größter Vorsicht genießt. Ich habe diese Midasse die lustigsten Dummheiten begehen sehen, indem sie sich nicht vor dem Gold zu retten wußten. Nicht allein wurde alles, was sie berührten, Gold, sondern alles, womit sie sich für dies Gold umgaben, wurde komisch. Ich sah aus den kostbarsten Einzelheiten, die, mit Geschmack vertheilt, den Eindruck des Vornehmen gemacht hätten, das drolligste Ensemble schaffen, das dem Beschauer das Gelächter förmlich abzwang. Es lag den Reichgewordenen daran, daß Jedermann erfuhr, was aus den kleinen Handelsleuten geworden war, die noch vor Kurzem sich nicht rühren konnten, und damit man es erfuhr, umgaben sie sich mit schreienden Farben und eindringlich schwatzendem Luxus. Der plötzliche Reichthum scheint nur Vergnügen zu machen, wenn Jeder, den er nichts angeht, von ihm erfährt. Kein Feuer, keine Kohle kann brennen so heiß, als plötzlicher Reichthum, von dem Niemand nichts weiß. So wurde denn bei offenen Thüren viel Geld verthan, ohne Geschmack und ohne anderen 198 Zweck, als um es der Welt zu zeigen, die den Kopf schüttelte oder unbarmherzig spottete. Der rasche Gewinn ist bekanntlich wenigen treu geblieben, er war mit dem Fluch geboren, wieder zu zerrinnen. Nur wenige Vorsichtige brachten ihr Schiffchen ins Trockne, den Meisten versank es elend in die Wogen der Spekulation zurück, auf denen es eine Weile so lustig getanzt hatte.

Ich gerieth bei einem der Herrendiners, die damals häufiger als heute und sehr opulent und langweilig waren, neben einen Mann, der mich als einen Landsmann und Bekannten begrüßte und dessen ich mich nicht gleich erinnerte. Erst nach einigen Fragen und Antworten fiel mir ein, daß ich ihn im Hause meiner Eltern gesehen hatte, in das er als junger Mensch dann und wann gekommen war, um für seine Mutter, die sich und ihn durch den Verkauf von allerlei Küchen- und Wirthschaftssachen ernährte, irgend etwas abzuliefern, was bei ihr bestellt war. Er war Lehrling in irgend einem Bankgeschäft und mußte in seinen Mußestunden seiner Mutter an die Hand gehen, um ihr den kümmerlichen Handel zu erleichtern, mit dessen Ertrag kein besonderer Bote bezahlt werden konnte. Wie konnte ich in dem befrackten und mit allerlei kostbaren Knöpfen und Nadeln verzierten Tischnachbarn den armen Jungen von damals wiedererkennen! Vor 199 einiger Zeit war er nach Berlin gekommen, hatte glücklich spekulirt, war dadurch mit reichen Berufsgenossen bekannt geworden und hatte seine Armseligkeit gänzlich aus dem Gedächtniß verloren, so tief sie sich demselben durch häufigen Genuß von Kartoffeln ohne Braten eingeprägt haben mußte. Er hatte nun an dem reichen Menu, zu dem wir eingeladen waren, fortwährend etwas auszusetzen. Entweder war ihm die Pute nicht regelrecht getrüffelt und die Fischsauce nicht pikant genug, oder der Rothwein zu kalt und der Champagner um einige Minuten zu früh aus dem Eis gehoben. Ich sah ihn lachend an, und er machte dann ein Gesicht, in dem ich lesen konnte, daß er mich mißverstand. Ich habe ihn nicht wiedergesehen. Als einige Wochen später der Krach hereinbrach, verließ er, wie ich hörte, mit reichlichen Nahrungssorgen und einem spärlichen Rest seines in einigen Haussemonaten auf der Straße gefundenen Geldes Berlin und ist dann in Amerika verschollen.

Eine der merkwürdigsten und zweifellos interessantesten Typen der Spekulation war Strousberg. Ich habe denselben aber erst persönlich kennen lernen, als er längst nicht mehr Strousberg war, ein von allen goldenen Blättern entlaubter Stamm, der sich in der Journalistik kümmerlich aufrecht erhielt. Bis dahin hatte ich den Mann nicht einmal gesehen, von dessen halsbrecherischen Trapezkunststücken im Circus 200 der Spekulation man überall erzählte und in dessen Haus in der Wilhelmstraße, in welchem seine Gattin, ein Muster der Einfachheit und Wirthschaftlichkeit, waltete, die Vertreter der ersten Gesellschaft und die bedenklichsten der Geschäftswelt aus- und eingingen. Strousberg war heute ein Millionär, morgen verschuldet, übermorgen wieder reich, er ward mir als ein bedürfnißloser und, was mich ganz besonders in Erstaunen setzte, als ein Mann geschildert, den nicht zu bewältigende Geldsorgen ruhig schlafen ließen. Sein Stern war längst untergegangen, als eines Tages eine Reihe von Redakteuren wegen irgend eines Artikels auf der Anklagebank erschien. In dieser Reihe auch ich, die »Wespen« hatten über den Inhalt dieses Artikels eine respektwidrige Aeußerung gethan. Neben mir stand ein etwas reducirt, aber durchaus nicht bekümmert aussehender ziemlich korpulenter Mann, der, als mein Namen ausgerufen worden war, sich mir vorstellte. Ich bin Strousberg, sagte er, mir die Hand reichend, wie kommt es, daß wir uns erst heute kennen lernen? Zufall, antwortete ich. Der Zufall spielte in seinem Leben wohl eine verhängnißvolle Rolle, das Wort schien den Gestürzten unangenehm zu berühren, und er blickte nachdenklich auf seine Hände, die gefaltet auf der Rampe der Anklagebank lagen. Als die Gerichtsverhandlung zu Ende war, – wir wurden alle 201 verurtheilt, – sagte er zu mir: Wenn ich wieder emporkomme, dann mache ich Ihnen einen Vorschlag zur Gründung eines großen Blattes. Er dachte daran, sich wieder erheben zu können, und ist mir nie wieder begegnet. Er, der einstige Eigenthümer und Bewohner des Palastes, in welchem sich heute die englische Botschaft befindet, starb verlassen als Miether einer bescheidenen Chambregarnie.

Eine Größe, die gefallen war, die ich in ihrem höchsten Glanz gesehen hatte und die sich von ihrem Fall wieder zu Schönheit und Reichthum erhoben, Paris, sah ich bald. Der Triumphbogen hatte seine Holzhülle noch nicht wieder abgelegt, die ihn gegen die Geschosse der Deutschen und der Commune hatten schützen sollen, und sah nicht wie ein Triumphbogen, sondern wie ein Denkmal der Niederlage aus. Der Schutt der Tuilerien war noch nicht fortgeräumt, die Vendômesäule noch nicht wieder aufgerichtet, der Rumpf sah wie ein Leichenstein auf dem Grabe der Napoleonischen Herrschaft aus. Das einst so schöne St. Cloud war durch die Trümmer des Schlosses verunstaltet, an den Mauern war noch das ohnmächtige »Tod den Deutschen!« zu lesen. Paris machte mit seinen auffallend lang conservirten Resten der Zerstörung einen trübseligen Eindruck, nur an dem Paris der Fremden, den Boulevards, schienen die Belagerung und die brutale Commune-Episode 202 ohne schädliche Wirkung vorübergegangen zu sein. Natürlich war es sehr gefährlich, deutsch zu sprechen, und wer dies dennoch that, erschien entweder sehr unvorsichtig, oder kam in den Verdacht, einen Konflikt provociren zu wollen, der einen höchst bedenklichen Verlauf nehmen konnte. Ich gerieth nun gleich in eine Gesellschaft, welche sich unter keiner Bedingung zwingen lassen wollte, auf das Deutschsprechen zu verzichten. Allen voran der geniale Offenbach, der sich in seiner ganzen Länge vom Tisch im Café riche erhob und rief: Dazu bin ich zu erwachsen! Albert Wolff, der Redakteur des »Figaro«, hatte mich mit ihm bekannt gemacht, und er und der gleichfalls anwesende Direktor Franz Wallner gaben dem berühmten Operetten-Componisten Recht: man dürfe gerade jetzt den Parisern nicht zeigen, daß man sich einschüchtern lasse. Daß es unsinnig war, muthwillig die Pariser zu reizen, welche nur auf eine Gelegenheit warteten, um ihrem damals noch ganz frisch blühenden und durchaus erklärlichen Deutschenhaß Luft machen zu können, das wollten meine drei Herren nicht einsehen, am allerwenigsten der gemüthliche Wallner, der sich darauf berief, daß er, wenn auch Berliner Theaterdirektor, doch geborener Oesterreicher sei und als solcher in Paris keinen Feind habe. Obschon ich ihm nun zu erwägen gab, daß, da die Pariser jeden Deutschredenden unerbittlich verfolgten, 203 es ihm doch einerlei sein könne, ob er als Berliner Theaterdirektor oder als geborener Oesterreicher mißhandelt werde, so war er doch nicht zu überzeugen, daß es höchst überflüssig sei, einen Spektakel herbeizuführen. Wir haben denn auch sehr bald das traulich elegante Café riche mitten im appetitlichsten Souper räumen müssen, es der Vornehmheit des Lokals dankend, daß sich die anwesenden Franzosen darauf beschränkten, mit etlichen spitzen Redensarten Revanche zu üben, anstatt sich mit größerer Deutlichkeit patriotisch zu bethätigen. Aber als ich später, nachdem wir uns getrennt hatten, allein mit Albert Wolff über den Boulevard des Capucines ging und unachtsam laut deutsch plauderte, wurden wir doch von zwei Offizieren ziemlich brüsk gestört, und da Albert Wolff sich zu entschließen Lust hatte, ebenso unangenehm zu werden, so zog ich ihn rasch ins Grand-Hôtel, wo ich abgestiegen war. Hier sah er endlich ein, daß, wenn eine etwas laute Auseinandersetzung einen Haufen Menschen um uns versammelt hätte, wir in diesem Augenblick wahrscheinlich schon als Märtyrer und Opfer der Volkswuth in der Behandlung eines benachbarten Chirurgen wären.

Offenbach war eine höchst interessante Erscheinung. Seine Persönlichkeit ließ nicht auf den originellen Künstler schließen, dessen parodistisch-musikalisches Genie alle Welt ergötzte und ihn zum populärsten 204 Componisten Europas gemacht hatte. Aber in der Unterhaltung war er das, was sein Namen repräsentirte. Er faßte seine heitere Kunst, in der ihn Keiner erreicht hat, sehr ernst auf, doch geschah das in der witzigsten Weise, weil er wohl sonst fürchtete, man könne annehmen, daß er absichtlich als ein Anderer erscheinen wolle. Wer von der Leichtfertigkeit seiner Musik, die man mit den sich ihm darbietenden Texten zu identificiren pflegt, auf seinen Charakter schloß, sah sich getäuscht. Offenbach war ein vortrefflicher Familienvater, ein aufrichtiger Freund, ein gewissenhafter Arbeiter. Seine Töchter – so erzählte man mir – haben es niemals durchsetzen können, daß er ihnen erlaubte, sein Theater, die Bouffes parisiens, zu besuchen.

Mit Albert Wolff war ich so befreundet, wie man mit ihm befreundet sein konnte. Er liebte die Menschen nicht sehr und war schwer zugänglich, weil er, wie er selbst wahrheitsgemäß behauptete, sehr häßlich war und daher sich so viel Mühe geben mußte, sich die Herzen geneigt zu machen. Er war ein geistvoller Mensch von imponirendem Fleiß, durch den er es möglich gemacht hat, daß er, ein geborener Kölner, einer der ersten Pariser Feuilletonisten geworden ist. Er sprach und schrieb französisch wie seine Muttersprache. »Ich warne Sie vor mir,« schrieb er mir einmal, »ich bin doppelzüngig.« In 205 seiner eleganten Junggesellenwohnung in Paris lebte er ziemlich unzugänglich. Man hat ihn sehr ungerecht verdächtigt, daß er die deutschfeindlichen Artikel des »Figaro« mitverfaßt habe, und da man böswillig diesen Verdacht oft wiederholte, so war er endlich für seine Landsleute kaum noch zu treffen. Die Weiber liebte er aus dem oben angeführten Grunde nicht. Wein, Wandern, Würfelspiel, sagte er zu mir, das ist mir Weh genug.


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