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Die junge literarische Welt schaarte sich um Julius Rodenberg, der eben den Staub des juristischen Studiums und Examens von den Schuhen geschüttelt und mit seinen ersten belletristischen Werken die freundlichste Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. In seiner Gesellschaft fanden wir, was wir brauchten: einen anregenden und heiteren Kreis, in welchem er selbst der Anregendste und Heiterste war, während er uns zum Arbeiten ermunterte und als ein geistvoller, rüstig schaffender und vorwärtsstrebender Schriftsteller durch sein Beispiel fördernd wirkte. Und das geschah nicht etwa in lehrhafter, sondern in liebenswürdigst munterer Weise, wie es im Wesen Rodenbergs liegt, das, wie auch heute noch, der anmuthigste Humor ist. Bei ihm lernten wir auch den feingeistigen Karl Frenzel kennen, vor dessen reifem Urtheil und großen Kenntnissen wir einen gewaltigen Respekt hatten, und der uns durch seine Reife und Ruhe – ich spreche von dem kaum dreißigjährigen Frenzel – imponirte. Frenzel hat 75 sich nicht verändert, trotzdem er nun ein Sechsziger ist, er ist dieselbe vornehme Erscheinung in der Literatur und im Leben geblieben, vornehm auch im Ton seiner Kritik. Es ist nicht erfreulich, daß Frenzel als Kritiker keine Schule gemacht hat. Welch ein wüster Lärm schallt heute aus den Kritikräumen der Zeitungen hervor! Es herrscht da auch wirklich Mord und Todschlag. Die Autoren werden nicht beurtheilt, sondern mißhandelt, ihre Stücke nicht kritisirt, sondern zerschlagen. Manche Kritik hat heute nicht mehr das Bestreben, im Interesse der Kunst die Produktion zu fördern, sondern scheint es als ihre Aufgabe zu betrachten, die dramatischen Autoren persönlich zu kränken und jeder neuen Erscheinung das Leben zu erschweren. Unter dieser Freude am Zerstören leiden Theater und Produktion. Als Frenzel in die Kritik eintrat, war die Kritik etwas anderes, als was heute unter diesem Pseudonym gehauen und gestochen wird. Sie war scharf, aber nicht verletzend, sie suchte zu belehren, anstatt, wie es jetzt geschieht, sich einzubilden, Durchbläuen sei Belehrung, sie wurde von Fachmännern ausgeübt, die durch ernstes Studium befähigt waren, anstatt dem Zufall, daß eine Redaktion Recensionen braucht und dieselben von irgend einem sich Meldenden liefern läßt, preisgegeben zu sein. Die Kritik stand oft genug dem Urtheil des Publikums schroff gegenüber, heute bietet sie dem Publikum, um es gut 76 zu unterhalten, auf Kosten der Autoren die ihm zusagende pikante Kost persönlicher Malice und rücksichtsloser Verhöhnung. Die meisten Kritiker gehen nach der Vorstellung in die Druckerei, um daselbst in nächtlicher Stunde über ein neues Werk herzufallen und es mehr oder weniger arg zuzurichten, – am anderen Morgen findet das Publikum regelmäßig eine lebensgefährlich verwundete oder getödtete Novität unter dem Feuilletonstrich seines Leibblatts.
Aber nicht nur der Ton der Kritik war früher ein besserer und würdigerer, auch der Verkehr innerhalb der literarischen Welt kannte die Gehässigkeit, das Parteitreiben, das Cliquenwesen, den Mangel an Kollegialität, kurz, all die traurigen Erscheinungen nicht, die heute den literarischen Verkehr bis zur Unerträglichkeit erschweren. Man lebte noch kameradschaftlich.
Der hundertste Geburtstag Schillers, am 10. November 1859, wurde in unserem Kreise sehr lustig, aber darum nicht minder würdig gefeiert. Man kannte die unverständliche Solennität, mit welcher heute ein solcher Gedenktag unter erschwerenden Umständen in Scene gesetzt zu werden pflegt, noch nicht. Alles war einfacher, ich möchte sagen: genialer und darum gemüthlicher. Kein vielköpfiges Comité war, wie dies heute geschieht, nach schwierigen Debatten eingesetzt und das Portemonnaie der Theilnehmer 77 durchaus nicht beunruhigt worden. Ein Commers vereinigte uns, welcher die etwas schwerfällige Würde der Ehrenpräsidentschaft nicht kannte und für sehr gehaltvolle und bekanntlich noch mehr störende Festreden keinen Raum bot. Der Frack war ausgeschlossen, weil er in unserem Kreis nicht existirte. Er wurde auch nicht vermißt, der liebe Frack, ja, es hatte Niemand an ihn gedacht, weil man ihn nicht brauchte, wenn man einen großen Namen feiern wollte. Wir – Damen und Herren – fanden uns in Schmelzer's Hôtel in der Französischen Straße, das eine berühmte Künstlerherberge war, zusammen, und verlebten einen übermüthig lustigen Abend, welcher andauerte, bis die Hähne die erste Mahnung an den Heimweg laut werden ließen.
Man muß aber nicht glauben, daß es unserm Commers an Feierlichkeit fehlte. Es wurde dieser nur nicht gestattet, sich ungebührlich breit zu machen, wie dies zum Verderben sogenannter Festtafeln zu geschehen pflegt. Das vor mir liegende Programm, welches das Motto: »Vivis voco! Absentes plango! Bouteilles frango! (non franco!)« trägt, erinnert mich daran, daß Fräulein Albertine Meyer die Schubert'sche Composition des Schiller'schen Gedichts »Des Mädchens Klage«, und ein Student, Namens Kaempffer, Schiller's »An's Vaterland, an's theure, schließ' Dich an« sang, »für diesen Abend 78 componirt von Alexis Hollaender,« der, noch Student, unserm Kreise angehörte, sich bereits der Musik gewidmet hatte und heute der geschätzte Leiter des Berliner Cäcilienvereins ist. Für den Schluß der »Tafel« aber hatte Rodenberg eine besonders freudige Ueberraschung aufgespart: er verlas einen »Festgruß aus London« von Freiligrath, den der geliebte Dichter für unseren Commers gedichtet hatte. Welche Begeisterung entfesselte der Name Freiligrath! Was derselbe für die damalige Jugend, namentlich für Studenten, bedeutete, läßt sich heute kaum noch schildern, heute, wo ja die Mehrzahl der Studenten die traurigste Streberpolitik treibt und in Freiligrath den für die Freiheit erglühenden Dichter als vaterlandsfeindlich denuncirt.
Das Programm kündigte für die zweite Abtheilung die Aufführung von: »Schiller im rothen Ochsen. Gelegenheits-Humoreske in einem Act« an, von mir verfaßt. In dem Personenverzeichniß stand: »Friedrich Schiller, Regiments-Medicus . . Herr Helmerding.« Eine größere Naivetät ist kaum denkbar. Ich hatte die Rolle des Schiller für den damals auf der Höhe seiner Popularität angelangten und in seiner Komik nie wieder erreichten Helmerding bestimmt, weil derselbe gleichfalls unserem Kreise angehörte und mir kein anderer Darsteller zur Verfügung stand! Man sieht, daß ich dann und wann 79 immer noch das Bedürfniß hatte, klar darzuthun, daß ich für die Bühne nichts leisten konnte. Helmerding, als der Klügere, hatte nachgegeben und die Rolle übernommen. Im entscheidenden Momente aber war er der Klügste und erklärte in der liebenswürdigsten Form, um keinen Preis den Schiller spielen und das Andenken unseres Dichterheros trüben zu wollen. Die Art, in der er dies der Gesellschaft auseinandersetzte, entschädigte diese reichlich für den Ausfall des dramatischen Genusses. Man lachte und verzichtete freudig auf mein Festspiel, von dem mir auch nichts als dieser freudige Verzicht im Gedächtniß geblieben ist. Das Manuscript ist längst in den Fidibus verschollen und nur das Personenverzeichniß aus dem Festprogramm erhalten, auch wohl nur in diesem einzigen Exemplar.
Ein sehr unstätes Mitglied unseres Kreises war Hans Wachenhusen. Sein Wandertrieb duldete ihn niemals lange an einem Ort. Wenn man ihn traf, so hatte er eben eine weite Reise zurückgelegt, oder er war reisefertig, weil irgendwo ein Krieg ausgebrochen, oder ihm ein Punkt der Erdkugel eingefallen war, den er noch nicht kannte. Er war in der Fremde zu Hause. Hatte er sich eine Woche lang in Berlin aufgehalten, so jammerte er, er roste ein. Eine kleinere Reise betrachtete er wie den Gang in eine benachbarte Straße. Seine Wohnung glich mehr einem Zelt. Da ging er ruhelos auf und ab, 80 einen Fez auf seinem energischen, nach morgenländischem Muster zugeschnittenen Gesicht, das sein ewiges Wandern so umgewandelt hatte. Seine gesammte schriftstellerische Thätigkeit war das Verarbeiten dessen, was er auf seinen Reisen gesehen und in seinem enormen Gedächtniß aufgespeichert hatte. Auch seine vielen Romane sind erreist. Strapazen der Reise kannte er nicht, nur das Bleiben an einem Ort war ihm eine Strapaze. Es ist mir immer merkwürdig gewesen, daß er, ein Mensch, der die zweibeinige Ruhelosigkeit darstellte, eines Tages sich ein Haus bauen konnte, um sich darin niederzulassen. Dieses Wunder geschah in Wiesbaden. Freilich hat ihn auch hier jeder Krieg vom Schreibtisch fortgelockt. Er war das Muster eines Kriegscorrespondenten. Als solcher konnte er schreiben, wo er nur halbwegs kugelsicher war, unter den erschwerendsten Umständen. Wenn es nicht anders ging, war ihm auch die Trommel ein ganz bequemes Pult, wenn er nur Papier und Bleistift hatte. Als ich ihn in Berlin kennen lernte, wußte er schon in der Wüste, in der Krim und in der Türkei besser Bescheid, als im Berliner Thiergarten. Prächtig wußte er zu erzählen, kurzweilig und heiter, den unbequemsten, gefährlichsten Situationen, in denen er sich befunden, eine komische Seite abgewinnend. Er sprach vom Krimkriege, dem er als Correspondent beigewohnt hatte, wie von einer amüsanten Landpartie.
81 Eines schönen Sommertages fand in Berlin eine Ballonfahrt statt. Natürlich war Wachenhusen der einzige Passagier. Eine Luftreise hatte er noch nicht gemacht. Ich sah das gefährliche Fahrzeug aufsteigen, das sich rasch erhob. Als es hoch oben schwamm, hatte sich Wachenhusen in der Gondel aufgestellt, und nun schwenkte er, muthig grüßend, eine Fahne. »Er winkt, er will wieder runter!« rief eine Stimme aus der Zuschauermenge, die damals wie heute recht respektwidrig sein konnte, wenn sich die Gelegenheit zu einem schlechten Spaß bot. Am Abend verbreitete sich das Gerücht, der Ballon habe seine ganz glückliche Fahrt mit einer höchst unglücklichen Landung beendet. Wachenhusen war bei dieser Gelegenheit arg geschunden worden und lag nun in seiner Wohnung krank darnieder. Ich ging zu ihm und fand ihn in der besten Laune, als habe er die angenehmste Reise hinter sich und schwelge nun in Erinnerungen. Er schilderte mir die Reize einer Luftfahrt, daß es mich eiskalt überlief, und ich beschloß, niemals eine solche zu unternehmen. Er aber hätte der Fahrt gewiß keine angenehme Seite abgewinnen können, wenn sie glatt verlaufen wäre. Vergnügungstouren waren und sind wohl auch noch heute nicht Wachenhusens Liebhaberei. Ich glaube, daß er eine Eisenbahnfahrt, die ohne Entgleisung abläuft, für eine Art Eisenbahnunfall hält.
82 Kalisch, Pohl und Weirauch versorgten damals die Bühnen mit Berliner Gesangspossen, welche ein großes Publikum hatten und ein Genre bildeten, das heute absolut unmöglich ist. Diese dramatischen Werke schilderten ein Volk, das nicht existirte. Unmögliche Figuren traten auf, waren mehr oder weniger witzig, sangen politische Couplets und bildeten ein Stück, das Tantièmen brachte. Das war alles. Die Autoren hatten nicht den Ehrgeiz, Aristophanesse zu sein, sondern waren praktische Männer, welche für Komiker und Soubretten Rollen schrieben, und das überaus anspruchs- und harmlose Publikum war ganz befriedigt, wenn die vor ihm auftretenden Hausknechte, Pantoffelhelden, Hausbesitzer, Maschinenbauer und Köchinnen die deutsche Uneinigkeit und die Regierungen mit Refrains bombardirten. Auf Menschen von Fleisch und Blut und wirklichem Leben verzichtete es, wenn nur dann und wann ein guter Kalauer oder eine ansprechende Melodie hörbar wurde. Solchen geringen Ansprüchen gegenüber hielten sich die Autoren auch für zu vornehm, sich mit der niedrigen Arbeit des Erfindens zu befassen. Sie nahmen Pariser und Wiener Stücke, übersetzten sie in's Berlinische, gaben ihnen mit großer Sicherheit den Namen Lokalposse und ließen sie dann laufen.
David Kalisch war der Originellste und Geistreichste. Er hatte dem Kladderadatsch Leben, Gestalt 83 und Namen gegeben und das, was wir uns unter diesem politischen Witzblatt denken, wenn wir es citiren, ist es durch Kalisch's Beiträge geworden. Auf dem Felde der politischen Satire und der Travestie der gesellschaftlichen Unsitte arbeitete Kalisch mit scharfem, unerschöpflichem Witz. Das war seine Domäne, sein eigentliches Jagdrevier. Hier hatte er seine besten Einfälle, hier fand er für dieselben den graziösesten Ausdruck. Er war trotzdem ein stiller, bescheidener, ängstlicher Mann, der seine Einfälle mit einer Sorgfalt niederschrieb, als hinge die Unsterblichkeit von deren Wortlaut ab. Wenn ich ihn in seinem Arbeitszimmer aufsuchte, so war es mir immer, als befände ich mich in der Werkstatt eines Gelehrten, der ein weltbewegendes wissenschaftliches Werk ausbrütete. Die Wände des großen Raumes waren mit Büchern in allen Formen bedeckt, die hier ein ganz ungestörtes Dasein verbrachten und eine Dekoration bildeten, deren Harmonie niemals dadurch beunruhigt wurde, daß der Besitzer eines der Bücher herausnahm. Obschon Kalisch wenig schrieb, – seine Mittel erlaubten ihm das, und er erlaubte es seinen Mitteln niemals, sich durch eine Extraarbeit zu vermehren, – fand man ihn doch immer thätig. Er baute auf einer Pointe einige Zeilen auf, und dann nahm er ein anderes Stück Papier und verbesserte das Bauwerkchen und immer 84 wieder auf's Neue, bis es ganz rund und glatt dastand. Alle diese Zettel und Zettelchen wurden dann aufbewahrt. Sie füllten mit Zeitungsausschnitten und anderen papierenen Fragmenten einen nicht kleinen Schrank. Als ich eine lange Reihe Jahre später von der Familie des 1871 Verstorbenen aufgefordert wurde, dessen literarischen Nachlaß zu ordnen und mich beeilte, der ehrenvollen Einladung in der Hoffnung, mindestens einen Band mit bisher ungedruckten lustigen Funden füllen zu können, Folge zu leisten, fand ich nichts als jene mit den zierlichen Schriftzügen Kalisch's bedeckten Oktavblättchen und sehr viele Zeitungsausschnitte, welche längst für sein Blatt und seine Stücke verwendet worden waren. Alles, was er seit 1848 geschrieben hatte, selbst die Variationen der kleinsten Artikel für seinen Kladderadatsch und der Dialoge und Coupletverse seiner Possen lagen da sauber geordnet, – sein populär gewordenes Soubrettenlied »Röschen hatte einen Piepmatz« war in mindestens zehn Lesarten conservirt. Viel Papier und keine Ausbeute. Der ganze literarische Nachlaß bildete ein charakteristisches Bild der Art, wie Kalisch producirt hatte.
August Weirauch, zugleich Komiker, lebte wie Kalisch zurückgezogen. Er schrieb einen gemüthlichen Humor und war in der Unterhaltung wenig kurzweilig. Das Wenige, was ihm einfiel, brauchte er 85 für seine sogenannten Volksstücke. Die Briefe, die ich von ihm habe, lassen nichts von seinem Fach merken. Er war ein fleißiger Mensch und etwas mehr als ein halber Philister. Er war wie eine Figur aus einem seiner Stücke.
Emil Pohl war jünger, als seine beiden Possenkollegen, lebte mehr und wußte ungemein lustig zu plaudern. Ich habe viele heitere Stunden mit ihm verlebt, und seine von seiner anmuthigen Gattin Doris geleitete Häuslichkeit übte eine große Anziehungskraft auf uns aus. Pohl hat sich später mit Erfolg von der Possenschablone losgemacht und manche selbständige Arbeit geliefert, welche bezeugt, daß er auch ein achtbares Lustspieltalent besaß. Dann ergriff ihn die Lust, Theaterdirektor zu werden, und er ließ nichts mehr von sich hören. Nur hervorragend begabte und produktive Schriftsteller, wie L'Arronge, Wilbrandt und Blumenthal, haben es vermocht, als Bühnenleiter ihrer schaffenden Feder treu zu bleiben.