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Hamburg war in der Zeit, aus der heraus ich erzähle, für Alle, die der Literatur und Kunst in die Hände fielen, ein gefährlicher Ort. Wie Manchen sah ich verkommen! Das gute Leben war gar nicht gut, denn es brachte Viele um. Es ist erstaunlich, wie viele tüchtige Menschen von den immer vortrefflichen Beefsteaks verschlungen wurden. Das Capua-Beefsteak hat sich in seiner ganzen Tüchtigkeit erhalten, aber die Hamburger haben sich glücklicherweise zu der Künstler Vortheil geändert. Damals aber gab es für Künstler und Literaten in Hamburg nur offene Kneipen und verschlossene Bürgerhäuser. Diese ließen vor Allem keinen Mann der Feder ein. Ein solcher war ihnen ein Gräuel. Wer nicht in irgend einem allgemein begehrten Gewürz machte, oder einige Segelschiffe in See stechen zu lassen pflegte, kannte das Innere der Patrizierhäuser nicht und wurde, nachdem sein Sturm auf dieselben einigemal abgeschlagen war, zum städtischen Zigeuner. Wohl in keiner anderen Stadt der Welt war, wie in Hamburg, das 34 Wirthshaus das Heim, an welches sich der Schriftsteller gewöhnte, in welchem er sich einen familienähnlichen Kreis bildete und so gut genährt wurde, daß er es bis an sein selig Ende spürte. Das aber pflegte der Ruin des Schaffenden oder des Schaffens zu sein. Die Auster war damals ein fleischfressendes Thier; wer zwischen ihre Schalen gerieth, war verloren, wenn er nicht zeitig die Flucht ergriff, oder wenn er gar durch die versagende Kreide des Wirthes gezwungen wurde, auf den treuen Begleiter der Auster, den Rheinwein, zu verzichten und zu Getränken herabzusteigen, welche aus bescheideneren Gläsern getrunken werden. »Verbummeln« nennt man's.
Es ist dies eine Betrachtung, die ich damals nicht anstellte. Mir gefiel das Leben sehr gut. Ich war vom journalistischen Freischärler in das stehende Heer der Mitarbeiter der »Reform« avancirt, exercierte für einen ungemein zierlichen Sold sehr fleißig, redete mir als Rekrut ein, den Marschallstab im Tornister zu tragen, und war entzückt, als ich eines Tages die Redaktionskaserne verließ und das Theater-Restaurant in der Dammthorstraße betrat. Es schlummert in jedem jungen Menschen ein Zigeuner, der einen leichten Schlaf hat und vom Geräusch in der Kneipe rasch geweckt und lebendig wird. Ich habe den damals in mir wohnenden Zigeuner in Verdacht, daß er überhaupt nicht geschlafen, sondern 35 nur die Augen geschlossen hatte, denn er war sofort ganz munter und setzte mich mitten in einen Kreis von Kollegen und Schauspielern. Da saß ich nun, trank mehr, als ich vertragen konnte, wurde häufiger, als ich dagegen protestiren konnte, Herr Doktor titulirt, und war ganz berauscht von der so einseitigen und selbstgefälligen Unterhaltung, deren mich die Herren vom Theater würdigten. Man muß jung sein, wie ich es damals war, um diese Unterhaltung nicht so unerträglich zu finden, wie ich sie heute finde, um im Gegentheil halb betäubt und halb verwirrt dem zu lauschen, was der Schauspieler über sich und nur über sich mitzutheilen hatte. Der Eine war verkannt, der Andere verfolgt, der Dritte, der den Schüler im Faust spielte, eigentlich der Lear, der Vierte, der den Masetto sang, bekanntlich der, für den Gustav Freytag den Bolz geschrieben hat. Daß sie mir das alles anvertrauten, das machte mich zum Glücklichsten der damaligen Sterblichen, und mir gefiel diese doch eigentlich unfruchtbare und uninteressante Gesellschaft so gut, daß ich sie allabendlich aufsuchte und zwar mit einer Ausdauer, welche Andere nur erst nach längerer Praxis zu erreichen pflegen. Die Nachtwächter und ich gingen gleichzeitig nach Hause.
Meine Kollegen waren länger beim Handwerk als ich und spielten das Zigeunerleben bereits vom Blatt. Sie kannten schon längst keinen anderen 36 häuslichen Verkehr als den wirthshäuslichen. Es war, als arbeiteten sie nur für diesen, und als hätten sie auch nur das Bestreben, die Kosten desselben zu decken. Diese Kosten waren nicht sehr groß und die Honorare denselben gewachsen. Die Zeitungen bezahlten glänzend schlecht. Es war ein Verhungern mit Hindernissen. Der Besitzer der »Reform«, J. F. Richter, wurde Millionär und ließ sich in dieser angenehmen Beschäftigung nur durch das Zahlen so kleiner Honorare stören, daß das Einkassiren derselben sich schon der Uneigennützigkeit näherte. »Ein Werdender«, sagte Goethe, »wird immer dankbar sein.« Der zum Millionär werdende Zeitungsbesitzer war aber durchaus nicht dankbar, obschon er es gegen »seine Leute« hätte sein müssen, die ihr frisches Talent und ihre eifrige Kraft in seinen Dienst gestellt hatten. Er wußte aber, daß sie genug bekamen, um mit geringen Ansprüchen und etwas Credit ihren Wirthshausbedarf befriedigen zu können, und beunruhigte sich nicht weiter. Und doch – wie schön war die Zeit! Wir waren jung und dachten nicht an den folgenden Tag. Es gab ja auch keinen Solchen, da wir immer erst am folgenden Tag schlafen gingen. Unserer lächerlichen schriftstellerischen Eitelkeit war genügt, wenn wir uns gedruckt sahen, wir waren unglaublich lustig und sahen die Welt auch vom tiefsten Keller aus von oben herab an. Heute, wo 37 über die besagte Eitelkeit graues Haar gewachsen ist, denken wir voller Wehmuth an jene vergnügten Tage wie an einen liebenswürdigen Traum.
Wir? Ich sagte schon, daß das Leben in Hamburg für den Aufstrebenden gefährlich war. Wohin sind sie gerathen, mit denen ich damals gemeinsam fragte, was die Welt koste! In meine »heitere Erinnerungen« fällt bei dieser Frage ein Schatten. Ich erinnere mich eines talentvollen jungen Schriftstellers, Carl Cubasch's, dessen Wohnung wir niemals ermitteln konnten. Die Sage ging, er wohne garnicht. Er schrieb kleine reizende Novellen, die auch gesammelt erschienen sind, und lebte von Kaffee, den er vortrefflich zu kochen verstand. Seinen Unterhalt bestritt er aus dem Verkauf von Büchern, die ihm aus einer Redaktion zum Recensiren gegeben wurden und die zugleich sein Honorar bildeten. Als er eines Tages einem Verleger in Hannover ein Manuscript anbieten wollte und ihm das Geld zur Reise fehlte, machte er sich zu Fuß auf den Weg. Dabei hatte das Schicksal die unverantwortlich grausame Ironie, ihn zu einem Feinschmecker zu machen, als welcher er auch ein sehr tüchtiges Kochbuch verfaßt hat, immer beim Kaffeetrinken. Erst lange, nachdem ich Hamburg verlassen hatte, hörte ich wieder etwas von ihm: es war die Nachricht von seinem Tode.
38 Eine höchst originelle Erscheinung in der Hamburger Schriftstellerwelt war Bernhard Luttermersk, einer der geistvollsten, witzigsten, gelehrtesten und liebenswürdigsten Menschen, die ich je im Leben kennen gelernt habe. Man wird seinen Namen vergeblich in der Literaturgeschichte oder im Conversationslexikon suchen, und doch gebührte ihm in jener und diesem ein ehrenvoller Platz. Er war in Altona geboren, hatte nach Beendigung seiner Studien vier Jahre in Italien gelebt, war dann nach Hamburg gekommen und der fleißigste Redakteur der »Reform« geworden. Wir waren seit dieser Zeit auf das Innigste befreundet. Obschon über die Jünglingsjahre weit hinaus, war Luttermersk ein Kind geblieben, so naiv, so unbeholfen, so unpraktisch. Er hatte ein kindliches Herz trotz seiner erfahrungsreichen Jahre und ein Kindergesicht trotz seines kahlen Schädels und seines spärlichen blonden Schnurrbarts. Er war ein guter Mensch, und es hat mir oft wehgethan, wenn, die ihn sahen und nicht kannten, über ihn spotteten, wenn er mit seiner kleinen gedrungenen Gestalt, seiner lautheiseren Stimme und seiner grotesken und vernachlässigsten Kleidung einen komischen Eindruck machte. Dabei war er durch und durch Journalist, die menschgewordene Journalistik. Er schrieb unausgesetzt und nur für die Zeitung. Zum Tüchtigsten auf vielen Gebieten der Schriftstellerei 39 eminent befähigt, producirte er, wenn er die Feder in die Hand nahm, doch immer nur für die Zeitung, in der er wie in lebenslänglicher Haft gefangen saß und der er alles leistete, was für sie zu leisten war. Er war mit dem Schreibtisch förmlich verwachsen, eine journalistische Parodie des Centauren, und eine Trennung erschien ganz undenkbar. Auch wenn er nicht schrieb, war er gebückt wie ein Schreibender, dann dachte er darüber nach, wie er alles, was er sah und hörte, für sein Blatt verwenden könne. Er hatte auch für nichts Interesse als für das Blatt, und doch mußte man ihn lieb haben, und ich hatte ihn sehr lieb, und wir lebten in treuster Freundschaft. Ich werde noch einmal Gelegenheit haben, von ihm zu erzählen.
Die älteren und namhaften Schriftsteller lebten natürlich nicht in unserem Zigeunerkreis, obschon auch sie wenig oder keine Fühlung mit den Familien, sondern in den besseren Restaurants ihr Hauptquartier hatten. Adolf Glaßbrenner, der Senior des Berliner Witzes, war, Dank seiner demokratischen Gesinnung, aus Mecklenburg-Strelitz ausgewiesen worden und gab nun in Hamburg ein Witzblatt »Ernst Heiter« heraus. Natürlich ohne namhaften Erfolg. Als ich mehrere Jahre später selbst Redakteur eines Witzblattes in Hamburg geworden war und einen Bekannten fragte, warum er nicht auf 40 mein Blatt abonnirt sei, ward mir der Bescheid: »Ich kann nur Blätter halten, in denen die Course stehen.« Und diese standen allerdings damals wie heute in gar keinem Witzblatt, auch nicht in dem Glaßbrenner'schen »Ernst Heiter«, und so hatte dieser auch keine nennenswerthe Auflage. Der Ruhm und die Popularität Glaßbrenner's waren aus den unvergessenen Heftchen »Berlin wie es ist und – trinkt« (Berlin und Leipzig, Verlag von Ignaz Jackowitz) hervorgegangen, und für den jungen Anfänger war der vielgenannte Verfasser eine unnahbare Persönlichkeit. Ich wagte es nicht, mich ihm vorzustellen, selbst dann nicht, als ich für sein Blatt einige Kleinigkeiten geliefert und so sehr geehrt ich mich auch durch die Annahme derselben gefühlt hatte. Es gab damals etwas, was heute verschwunden scheint: Respekt vor den Meistern. Wenn man von ihnen sprach, so zog man im Geist den Hut vor ihnen. Was weiß man heute von dergleichen. Derselbe Mann, welcher gelernt hat, vor dem General Front zu machen, kehrt den Generälen der Literatur den Rücken zu, oder lacht ihnen in's Gesicht. Heute erscheint es ja schon als Schonung, wenn Schiller und Goethe von den Posaunenengeln der Literatur zum alten Eisen und nicht einfach zum alten Blech geworfen werden. Wir kannten noch nicht die Parole der neuesten Literatur: Die Jugend soll man ehren, und man ehrte die 41 Jugend, wie es jetzt geschieht, noch nicht, wenn sie weiter nichts hatte, als keine Tugend. Jetzt schützt das Alter nicht vor der Thorheit der Jungen, welche groß zu sein glauben, wenn sie sich auf die Trümmer von Denkmälern stellen. Wir achteten Jeden, der etwas geleistet hatte, nicht nur die Klassiker, und wir bildeten uns nicht ein, dadurch Besseres zu leisten, daß wir das von den Alten Geleistete mißachteten.
Endlich überwand ich meine Scheu, mich dem Vater des Berliner Witzes zu nähern. Ich wurde ihm von meinem Freunde Christian Claudius vorgestellt, welcher Mitredakteur des »Ernst Heiter« war. Claudius, einer der letzten Nachkommen des Wandsbecker Boten, war Jurist, als er, ein geborener Schleswig-Holsteiner, in die Armee seiner Heimath trat, welche gegen Dänemark kämpfte. Nach Auflösung dieser Armee wurde er natürlich in der wieder dänischen Provinz nicht angestellt, und er wandte sich der Journalistik zu. Auch von Claudius schweigt die Literaturgeschichte, und doch war er, der erst 1865 wieder zu seinem Beruf zurückkehren durfte und heute als Landgerichtsrath in Flensburg lebt, einer der ausgezeichnetsten Kritiker, die ich kennen gelernt habe, und ein Stylist, dem alle die Politur, in der jeder Satz schimmerte, absichtslos aus der Feder floß. Alles, was er producirte, bekundete eine gründliche 42 Bildung und war von einem feinen Witz bestreut. Er war ein echter Feuilletonist. Heute ist Jeder ein Feuilletonist, über dessen Artikeln sich ein Strich durch die Journalseite zieht, wie sich heute nach dem Diktum eines bekannten Thalermillionärs Jeder Millionär nennt, der eine Million Mark besitzt. Es giebt jetzt sehr viele Schriftsteller, welche sich den Titel Feuilletonist verliehen haben, der aber bei ihnen etwa die Bedeutung des Titels Commissionsrath hat, von dem kein Mensch, am allerwenigsten der von ihm Betroffene, weiß, was er eigentlich bedeute. Seit Claudius bei seinem Eintritt in das Flensburger Landgericht das Zeitliche des Feuilletons gesegnet hat, ruht seine Feder fast ganz, oder er beschränkt sich darauf, in kurzen Kritiken über Flensburger Kunsterscheinungen seine dortigen Mitbürger zu lehren, das, was ihnen Gott beschieden, zu genießen und gern zu entbehren, was sie nicht haben. Ein Theater hat Flensburg nicht mehr. Die Stadt hat, um für das Publikum die größte Sicherheit gegen Feuersgefahr zu schaffen, eines Tages das Theater abgebrochen. Damit war denn auch allerdings jedes Unglück auf das Sorgfältigste verhütet.
Glaßbrenner, über dessen Bedeutung für die humoristische Literatur ich nichts sagen könnte, was nicht Jeder wüßte, der sich mit seinen zahlreichen Schriften und mit der Zeit, aus der er 43 hervorgegangen war, beschäftigt hat, war ein überaus liebenswürdiger und heiterer Gesellschafter. Er verkehrte nicht in dem Kreise, den ich als den meinigen geschildert habe, wenn er ihm auch durch seine Beziehungen zum Theater nicht fernstand. In diesem Kreis würde eine Flasche Champagner ein Ereigniß gebildet haben, welches Gerüchte aller Art, vor Allem ein solches von einer reichen Erbschaft, hervorgerufen hätte, während der Champagner bei Glaßbrenner eine allabendliche Erscheinung war. Glaßbrenner schien allen Champagner nachholen zu wollen, den ihm in seiner Werdezeit das Schicksal vorenthalten hatte. Angesichts des Eiskübels, aus dem sich der Silberhals der Wittwe Clicquot hervorreckte, thaute er auf, und dann traten seine lustigen Einfälle reihenweise hervor. Er erzählte prächtig und lachte ansteckend. Damals ein Mann in der Mitte der Vierziger, war er noch sehr lebenslustig, er producirte noch in aller Frische, und er sah noch nicht in den jungen Männern, die in Berlin für den Humor und die Satire neue Formen und mit Erfolg geschaffen hatten, Eindringlinge, welche ihn von seiner Domäne verdrängten und seinem Eckensteher Nante und Rentier Buffey den Raum streitig machten. Die Popularität der drei Männer im feurigen Kladderadatsch, Kalisch, Dohm und Löwenstein, war noch im Aufblühen und störte ihn nicht in seiner Ruhe auf den 48er Lorbeeren, 44 wie dies später, wenigstens in seiner Einbildung, geschehen ist. Als ich Glaßbrenner kennen lernte, war er der gelesenste, gesuchteste und bekannteste Humorist des sonst so uneinigen Deutschlands, und es war dies ein wohlerworbener Ruhm. Er hatte noch Freude an den Arbeiten seiner späteren Rivalen, er war noch witzig, ohne bitter zu sein, er hatte noch das Bewußtsein, der Erste und Einzige zu sein, und auf dem Felde des Berliner Witzes war er das auch in der That. Er war und bleibt der Schöpfer des Berliner Witzes, den er in einer Mischung von scharfer Satire und origineller Harmlosigkeit erstehen ließ. Erst 1858 verließ er Hamburg, wo er ohne sonderlichen Erfolg gearbeitet hatte, und kehrte, ein 48jähriger Mann, nach Berlin, seiner Vaterstadt, zurück.
Gleichzeitig war am Hamburger Stadttheater Theodor Lobe engagirt, mit dem ich rasch bekannt wurde und befreundet geblieben bin. Heute einer der ersten deutschen Charakterdarsteller, war er damals eben über die Anfängerschaft hinaus und spielte noch in doppeltem Sinn keine bedeutende Rolle. Aber er war ein junger Künstler von zielbewußtem Streben und rastlosem Fleiß, der fortwährend an seiner Ausbildung arbeitete. Eines Tages forderte er mich auf, mich zu seinem Benefiz, das bald nachher, am 27. November 1856, stattfinde, mit einem einaktigen 45 Stück zu versuchen. »Dazu fehlt mir jedes Talent,« antwortete ich ihm und zwar mit tiefster Ueberzeugung. Lobe gab das aber durchaus nicht zu. »Das verstehst Du nicht,« rief er in seiner tyrannischen Art, einem etwas Angenehmes zu sagen, »ich verlange, daß Du Dich daranmachst und ein Stück schreibst!« Und richtig, eine Stunde später saß ich in seiner engen Wohnung am Gänsemarkt und schrieb – man verzeihe mir den hochtrabenden Ausdruck – ein Stück. Mir fehlte wirklich die dramatische Begabung, man darf es mir glauben, ich habe es auch später noch etliche Male bewiesen. Aber ich schrieb. Lobe saß dabei und versicherte, so oft ich ihn bat, doch an meine Talentlosigkeit zu glauben: »Das verstehst Du nicht, das weiß ich besser, vorwärts!« Und ich schrieb vorwärts. O du glückselige Zeit, in der man keck an eine Arbeit geht, zu der einem Beruf und Talent fehlen! Wer sich diese sorglose Keckheit doch für die Tage conserviren könnte, wo man mit ganzem Können vor eine Aufgabe tritt, aber durch die mit den Jahren sich einschleichende Besonnenheit von der Ausführung zurückgetrieben wird und, scheu geworden, die Arbeit nicht anzufangen wagt!
Nach einigen Tagen nahm Lobe das Manuscript mit in's Theater, dessen Direktor Herr C. A. Sachse war. Der Einakter hieß »Auf dem Jungfernstieg« und war als Humoreske bezeichnet. Ich hatte nicht 46 gewagt, mich als Verfasser zu bekennen, sondern mein Pseudonym Faust beibehalten. An dem oben angegebenen Tage fand die erste Aufführung statt. Ich hatte eine unbeschreibliche Angst. Ich schlich vor dem Theaterzettel an den Straßenecken vorüber, als sei er ein Steckbrief, der mich wegen eines Mordes verfolgte. Ich hätte auch am liebsten Lobe erwürgt, weil er mich zu der Arbeit verleitet hatte, und dann mich selbst umgebracht, weil ich mich hatte verleiten lassen. Nun war es zu spät, das Stück war begangen. Das Verderben ging seinen Gang und ich den meinen. Als der Abend kam und das unglückselige Stück an das Licht der Rampe gezogen werden sollte, ging ich in das Theaterrestaurant, setzte mich an den Zigeunertisch und begann zu trinken. Schon nach einer Viertelstunde hatte ich mir so viel Muth getrunken, daß die Gäste kopfschüttelnd an mir vorübergingen. Aber nach noch einer Viertelstunde bemerkte ich keine Gäste und kein Kopfschütteln mehr, – mein Kopf sank auf den Tisch, und ich schlief ein.
Gegen halb zehn Uhr wurde ich geweckt. Ich wußte nicht, was man wollte. Man schleifte mich hinüber in's Theater, ich war von meinen Freunden gerufen worden, Lobe packte mich am Arm und zog mich am Hintergrund entlang auf die Bühne, befahl mir mit einem nicht wiederzugebenden Titel eine Verbeugung an, ich verbeugte mich, stolperte, Lobe fing 47 mich auf, und der Vorhang war zum Glück wieder gefallen. Erst am anderen Morgen erfuhr ich von den Meinen, was sich begeben hatte.
Das war mein erstes Erscheinen als Autor auf den weltbedeutenden Brettern. Der Einakter wurde nur ein paar Mal gegeben, das Manuscript ist verschollen, nichts ist übrig geblieben als in meinem Album ein Brief des Direktors Sachse, mit dem dieser die Ehre hat, mir zwei Dukaten als Honorar zu übersenden. Allen meinen Kollegen, die gleichfalls keine dramatischen Dichter sind und dennoch für die Bühne schreiben, wünsche ich einen ähnlichen Erfolg. Er heilt vortrefflich.
Erst ein Jahr später trennte ich mich von den Fleischtöpfen meiner Vaterstadt, um die Berliner Universität zu besuchen. Keiner dieser Fleischtöpfe ist mir gefolgt. Ein Versuch, aus der Herausgabe einer Sammlung meiner Erstlingsarbeiten einige Mittel zu gewinnen, scheiterte kläglich. Nicht zehn meiner Landsleute waren unvorsichtig genug, auf das Buch zu subscribiren. Enttäuscht und lebenslustig kam ich in Berlin an.