Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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101 VIII.

Von den tausend Masten, mit denen der Jüngling in den Ocean geschifft war, fehlte eine erkleckliche Anzahl, und das gerettete Boot war auch ein schon ziemlich mangelhaftes, als ich nach Hamburg zurückkehrte. Ungern hatte ich mich von Berlin losgelöst. Das ungebundene Leben, das ich daselbst führte, gefiel mir leider außerordentlich, aber ich fühlte auch, daß ich nicht mehr jung genug war, um länger jeden Gedanken an das, was werden würde, wenn ich so weiter lebte, zurückweisen zu dürfen. Es weiß wohl Jeder aus eigener Erfahrung, daß mit einer gewissen Jahresziffer der Bacillus des – nun, sagen wir – Philisterthums sich in uns regt, und man fühlt, daß man elend zu Grunde gehen würde, wenn man dieses höchst widerwärtige Stäbchen, mit dem wir für den Genuß der Freiheit gezüchtigt werden, noch länger gänzlich unbeachtet ließe. Selbst die leichtsinnigsten Studenten stimmen das schöne Lied: »Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren?« etwas 102 kleinlauter an, wenn sie über gewisse Jahre hinaus sind, und wenn sie an die Verse kommen, in welchen in diesem schönen Liede die Worte den Alten citirt werden, welche prophetisch lauten: »Malz und Hopfen sind an Euch verloren!« und die Sänger der Alten wünschen, sie möchten sie bei dem lieben Bier sehen, so klingt doch das Valleralla nicht mehr so überzeugend wie in jungen Jahren. Das erquickt ja recht wenig, und wir werden, wenn uns solche graumelirte Gedanken kommen, mit um so größerer Freude an die Zeit zurückdenken, da wir uns, wenn wir das Lied sangen, wirklich einbildeten, daß sich ganz Europa nicht wenig wunderte, welch ein neues Reich da mit Hülfe unseres scharfen Biertrinkens entstanden, daß, wer am meisten trinken könne, König, wer die meisten Mädchen küsse, Bischof sei, und daß wir ganz sicher einst im Olymp Hebe etwas unsanft anhallelujahn würden, wenn sie uns ganz bescheiden Ambrosia statt ewig bayrisch Bier anböte. Ich erinnere mich wirklich mit großem Vergnügen jener schönen Zeit, und es thut mir leid, daß ihr eine andere mit ehrbarem Ernst und steifleinenen Bedenken wie eine Strafe dem lieblichen Verbrechen, jene halbwegs munter todtgeschlagen zu haben, auf dem Fuße folgte. Aber diese andere Zeit bleibt nun einmal nicht aus, wir leben eben in der besten der Welten.

Noch ein lustiger Abend in unserer »Wüste«, und 103 dann nahm ich mit der eingelösten Uhr, die mir drei Jahre lang mit dem nöthigen Prolongiren des Pfandscheins so viele Arbeit gemacht hatte, Abschied.

Als ganzer journalistischer Handwerker kam ich in meine schöne Vaterstadt zurück und fand auch in verschiedenen Werkstätten Beschäftigung. Zuerst in der»Reform«, in welcher für mich ein humoristischer Theil unter dem Titel »Falstaff« eingerichtet wurde. Die Honorare fand ich weniger vergrößert als das Vermögen des Herausgebers. Genau wie heute vertheilten damals die Zeitungsbesitzer nur einen ganz kleinen Theil ihres Ueberschusses unter Diejenigen, die ihnen diesen Ueberschuß erarbeiteten. Der Journalist muß auch heute noch meist die Ehre, einen Zeitungsunternehmer zum reichen Mann machen zu helfen, für baare Münze nehmen, und die Journalisten müssen diese Ehre sehr hoch berechnen, um von einer nur einigermaßen nennenswerthen Stellung sprechen zu können. Das macht sie allmälig mürbe, und den Meisten fehlt bald die Energie, sich zusammenzuthun, zu einer Zeitungsrevolution aufzuraffen, den Besitzer zu entthronen und, nach dem berühmten Muster der Wiener Neuen Freien Presse, aus dem Blatt, welches sie »machen«, auch ihren eigenen Herd zu gestalten. Statt dessen arbeiten sie nur als die Steinträger am Bau der Verlegerpaläste. Heute genau so wie damals. Es giebt in der Welt keine Genossenschaft, in welcher 104 das Mißverhältniß zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitern so schlimm hervortritt, als in der der Presse. Hier erscheint ein allgemeiner Strike als die einzige Rettung gegen die herrschende Kümmerlichkeit in den Verhältnissen der Meisten. Mit Ausnahme einiger gut honorirten Redakteure erschwingen die Journalisten mit ihrer aufreibenden und ununterbrochenen Thätigkeit kaum so viel, sich und ihre Familie zu ernähren, und während sich die Arbeiter und Handwerker allmälig bessere Lohne und eine zum menschenwürdigen Dasein nöthige beschränkte Arbeitszeit erkämpfen, vergrößert sich die Arbeitslast der Zeitungsschreiber von Quartal zu Quartal, ohne daß sich die Honorarverhältnisse bessern. Dabei nimmt die journalistische Thätigkeit den ganzen Mann derart in Anspruch, daß ihm kaum Zeit und Kraft zu einer anderen schriftstellerischen Arbeit übrig bleiben. Die Preßvereine – es bestehen deren nur in den großen Städten – können durch Unterstützungs-, Kranken- und Altersversorgungskassen nur wenig helfen, selbst wenn diesen dann und wann ein Zuschuß aus den zugeknöpften Taschen der Rotationsmaschinenjunker und der Ritter vom unendlichen Papier gewährt würde, wie dies nicht der Fall ist. Ein allgemeiner Journalisten-Strike würde auf diese Zustände heilsam wirken. Wie aber und von wem soll ein solcher in Scene gesetzt werden? Das wäre der größte Zauberer aus 105 Abrakadabrien, der die Journalisten unter Einen Hut brächte! Unmöglich! Das deutsche Volk ward einig, das Zeitungsvolk wird es nie. Und die Zeitungsbesitzer lachen sich in's Fäustchen.

In Hamburg spielte die Journalistik noch immer keine Rolle, das Honorar eine kaum größere. Der Journalist, der das Hungern allmälig satt bekam, mußte viel schreiben, um wenigstens dann und wann sein Leben zu fristen. Ich blieb der humoristischen Produktion, die mir an's Herz gewachsen war, treu, trieb mich aber auch auf manchen anderen schriftstellerischen Gebieten herum. Ich drang in das Feuilleton, machte mich im Dichterwald des kecksten Forstfrevels schuldig, verdingte mich an die Lokalchronik, beging allerlei Kritik und wilderte auf der Bühne des Thaliatheaters. Für diese Bühne, welche damals über ganz ausgezeichnete Kräfte verfügte, war ich dauernd thätig. Die Possen, welche von Berlin herüberkamen, wurden in meiner Werkstatt für den Geschmack des freistädtischen Publikums bearbeitet, indem ich neue Lieder und Couplets einfügte und die alten aufbügelte. Diese Arbeit war eine ganz heitere und bildete dadurch das schroffste Gegenüber des Honorars, welches unendlich traurig war. Die Liebenswürdigkeit, mit welcher die Presse das Thaliatheater behandelte, schien das Thaliatheater dankbar zu verpflichten, die Presse nicht durch gute Honorare zu 106 beschämen. Eine Anzahl dieser Lieder und Couplets habe ich unter dem Titel »Thalia-Album« herausgegeben. Das Titelblatt trug die Portraits des Fräulein Amalie Kraft und der Herren Heinrich Triebler, Anton Reichenbach und Karl Baum, denen ich diese Verse »auf den Leib geschrieben« hatte. Die Genannten waren Meister des komischen Fachs, Künstler von glänzender, origineller Begabung. Sie sind nun längst nicht mehr, und kaum weiß das Publikum noch, daß sie ihm einst jahrelang unzählige fröhliche Stunden bereitet haben.

Ich denke oft dankbar an die Zeit, die ich im Verkehr mit den Mitgliedern der »Thalia« verbracht habe, welche um das Ende der fünfziger Jahre unter der Leitung des Direktors Maurice ein Mustertheater war. Ich war Stammgast hinter den Coulissen. Diese Gegend der dramatischen Kunst übt besonders auf die jugendliche Phantasie eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus, obschon man annehmen sollte, daß sie gerade durch die bei Lichte besehen so ruppig erscheinende Unechtheit des Blendenden, durch die Lüge der Schminke, durch das Blech, welches sich für Gold, und die Watte, welche sich für Fülle ausgiebt, abstoßend wirken müßte. Alles, was den Zuschauer im Theater gefangen nimmt und in eine andere Welt versetzt, verschwindet vor dem nüchternen Blick, den wir hinter die Coulissen werfen, und doch 107 hält man sich so gern dort auf, wo jede Illusion grausam zerstört wird. Inmitten der in Hemdsärmeln schaffenden Arbeiter, die mit Bohrern und Holzlatten den schönen Wald so hoch da droben ausbauen, und inmitten der Darsteller und Darstellerinnen, die, bevor sie auf die Bühne gehen, rasch noch einmal ihre Rolle durchlesen, oder ihre bedenklichen Anekdoten zum Besten geben, erscheint es unmöglich, daß wir, von dort in den Zuschauerraum gehend, noch mit Interesse der Aufführung beiwohnen können. Dennoch ist dies der Fall. Man verfolgt die Darstellung mit ganzer Seele, man wird gefesselt, gleichsam mitbetheiligt, und rasch hat man die Kehrseite der Medaille vergessen. So mächtig ist das Theater.

Der Direktor Maurice, heute ein rascher Neunziger, ist einer der originellsten Würdenträger der Bühne. Er hat sein 50jähriges Direktionsjubiläum gefeiert und war während dieser langen Zeit allabendlich auf der Bühne, das Oberkommando führend und der Vorstellung bis zum Schluß folgend. Das erhält ihn frisch. Er kennt keine Liebhaberei als das Theater, er besucht keine Gesellschaft und empfängt auch keine. Ich bin seit vielen Jahren mit ihm befreundet und war nie in seinem Hause. Von französischer Herkunft, hat er bis auf den heutigen Tag nicht den französischen Accent abgelegt, er spricht mit Anstrengung deutsch. Seine in Hamburg geborene 108 Tochter wurde, als sie längst verheirathet war, von einer Dame nach irgend einer Straße gefragt und gab derselben zur Antwort: »Bedaure, ich bin hier selbst fremd.« Der von einem Franzosen stammende Direktor eines der vortrefflichsten deutschen Theater und seine Familie, seit fast einem Jahrhundert in Hamburg, haben sich nie ganz eingebürgert, obschon sie mit keiner Faser mehr zu Frankreich gehören.

In der Redaktion des »Freischütz«, eines althamburgischen, nun längst eingegangenen Blattes, arbeitete ich mit Karl Töpfer zusammen. Die Gegenwart kennt ihn noch als Verfasser der Lustspiele: »Rosenmüller und Finke«, »Der beste Ton«, »Des Königs Befehl«. Als ich ihn kennen lernte, schrieb er nicht mehr für die Bühne, sondern war als Kritiker an dem genannten Blatt angestellt. Er war sehr schwerhörig geworden, aber das störte ihn nicht, ausführlich über Schauspiel und Oper zu referiren. Er wohnte eines Morgens der Generalprobe eines militärischen Dramas im Stadttheater bei, und in einem Moment, wo hinter den Coulissen nach Herzenslust geschossen wurde, eilte er auf die Bühne, um dem Direktor Wollheim da Fonseca zuzurufen: »Wenn jetzt hier ein Schuß fiele, das wäre sehr effektvoll!« Und dabei genirte uns alle der von der Bühne in das Auditorium dringende Pulvergeruch ganz abscheulich. Töpfer kritisirte 109 ruhig weiter, man schätzte in ihm mit Recht den verdienstvollen Schriftsteller, dessen Name dem Blatt von Nutzen war und dem man deshalb den Posten nicht nehmen mochte. Man dachte über dergleichen damals anders als heute.

Noch immer war Hamburg, trotzdem der Glanz der Sonne Lessing auf ihm ruhte, ein steriler Boden für Literatur und Kunst. Dem Theater ging es noch leidlich, wenn es die Menge belustigte, aber im Stadttheater traten viele Jahre lang Gläubiger, Exekutoren und Wucherer auf, die es von Zeit zu Zeit langsam, aber sicher zum Bankerott leiteten. Den Schriftstellern ging es schlecht. Es fehlte nicht an genialen, originellen und fleißigen Männern, denen aber die Fühlung mit dem Publikum und die mit der Welt fehlte, gegen deren geistige Bewegung Hamburg sich wie mit einer chinesischen Mauer abschloß, während sein Handel es mit allen Welttheilen verband. Die Bücher der Handelsherren waren die von ihren Angestellten geführten. Die Schriftsteller verkamen rettungslos in dieser üppiglebenden Hansestadt. Das ist ein trostloses Kapitel. Ich sehe den armen Hermann Schiff noch vor mir, einen Grabbe der Novelle, den Heinrich Heine mit Auszeichnung genannt hat. Seine Novellen sind kleine Meisterwerke. Er endete elend im Armenhaus, nachdem er im Schnaps gleichfalls nicht gefunden hatte, was er in seiner Arbeit 110 umsonst gesucht. Wer kennt, wer nennt ihn noch, als höchstens der Catalog eines Antiquars? Heute wäre er ein Mann, der in den Quartalsanzeigen der Zeitungen mit der fettesten Schrift angepriesen würde. Nicht Allen, die damals am Schriftstellern darniederlagen, ging es so trostlos, aber nur Wenige entgingen der Nahrungssorge und dem Vergessen. Auch die plattdeutsche Literatur wollte nicht gedeihen, zu deren Pflege die Hamburger doch verpflichtet waren. Die dramatischen Arbeiten David's, Bärmann's und Anderer wurden zwar aufgeführt, aber nicht nach Gebühr geschätzt und verkommen jetzt im Staub der Thaliatheater-Bibliothek. Hier nenne ich noch einen gewissen Heinrich Schacht, der so eine Art Hans Sachs gewesen ist. Er war Schmied und schilderte das Volksleben in Vers und Prosa mit der prächtigsten Naivetät. Er konnte sich schließlich nicht das liebe Brod erschreiben. Als ich ihn zuletzt sah, spielte er in einem Weihnachts-Bazar des Apollosaales eine traurige Rolle, um sich einige Schilling zu erwerben. Man hatte ihn in ein altdeutsches Gewand gesteckt, und so saß er in einer Bude und las seine lustigsten Schilderungen des Hamburger Volkslebens vor. Theilnahmlos hörte die Menge ihm zu. Es war unbeschreiblich traurig.

Wer es aber verstand, meine lieben Landsleute bei ihrer schwachen Seite zu fassen, wie dies Robert 111 Heller verstand, der lebte bald wie ein Gott in Frankreich, obschon ich mir gar nicht denken kann, daß selbst ein Gott in Frankreich so gut wie in Hamburg zu leben vermag. Hamburg lebte und lebt mit Ueberzeugung gut, es war und ist auch heute noch als Lebestadt kein Dilettant. Was in anderen Städten im Hungerstillen und Durstlöschen als Außerordentliches geleistet wurde, war in Hamburg das Ordentliche. Wilken's Keller nahm die Stellung eines Tempels ein, und da verrichtete der Hamburger sein inbrünstiges Frühstück, und auch heute noch ist Pforte's Restaurant ein Wallfahrtsort für feinschmeckende Reisende, die ein blaues Wunder genießen wollen. Die Auster, bei Coelln am Brodschrangen servirt, mundet in ihrer sauberen bartlosen Erscheinung besser als anderswo, und sie gehört doch derselben Muschelfamilie an und hat doch auch auf derselben Bank geruht wie die, welcher wir in anderen Städten eine Rheinweinthräne nachsenden. Dieses Gutleben ist wahrlich keine kleine Tugend einer Stadt, und wer darüber mit Mißachtung oder Ironie spricht, hat gar keine Idee von der vortrefflichen Wirkung einer edlen Verpflegung auf den Geist und das Gemüth. Hamburg war, ist und bleibt die Hauptstadt der Gourmandise, und wer daselbst die nöthigen Mittel besitzt und schlecht lebt, muß ein Virtuose in der Kunst des Schlechtlebens sein. Freilich, wer durch das Unzureichende seines 112 Portemonnaies gezwungen ist, auf diese Vorzüge Hamburgs zu verzichten, der fühlt in Hamburg das Schlimme seiner Lage doppelt schmerzlich.

Robert Heller war 1851 nach Hamburg gekommen und Redakteur des Feuilletons der »Hamburger Nachrichten« geworden. In den vierziger Jahren einer der populärsten literarischen Könige von Leipzig, war er nun auf einen hervorragenden Posten in der Literatur und Kunst gestellt. Diese Stellung wußte er als vortrefflicher Schriftsteller, dem die Literatur einige interessante, vielgelesene Romane verdankt, zu befestigen, und er eroberte sich auch einen Platz in der Gesellschaft, weil er gern gut aß, besser trank und am besten plauderte. Er erzählte prächtig, wenn er die Feder in der Hand hatte, aber wenn er ein Glas Wein in der Hand hielt, wußte er noch prächtiger zu erzählen. Mir waren, wie ich schon früher berichtete und näher erklärte, die Häuser der Patrizier verschlossen, aber wenn ich mit Heller in der klassischen Weinstube Franz Meyer's saß, dann habe ich ihn stets als einen meisterhaften Plauderer bewundert. Er hatte viel vom Conrad Bolz, und ich glaube, daß er als Modell gedient hat. In der literarischen und Theater-Kritik galt sein Urtheil als das eines obersten Gerichtshofs, aber da, wo er als kundiger Tischthebaner die Tafel seiner reichen Freunde zierte, lauschte man mit noch größerer Aengstlichkeit auf sein Votum, 113 und man war glücklich, wenn er ein mildes Wort über die Leistungen irgend einer Suppe sprach, oder in Verzweiflung, wenn er mit der Auffassung der Rolle, welche eine Sauce zu spielen hatte, nicht zufrieden war. So übte er eine gewaltige, aber immer liebenswürdige Herrschaft über die Hamburgische Gesellschaft aus.

Heller lebte, von seiner Frau getrennt, einsam im Hotel Belvedere. Seine Einsamkeit theilte – sein Kanarienvogel, den er zu einem geschickten Gesellschafter abgerichtet hatte. Von dem sprach er immer als von seinem besten Freund. »Fisch« nannte er ihn. »Fisch« saß, wenn Heller arbeitete, still in dessen Hausrocktasche, »Fisch« unterhielt durch allerlei Mätzchen seinen Herrn, wenn dieser mit seiner Arbeit fertig war. Eines Tages geschah ein großes Unglück. »Fisch« saß auf dem Fußboden, als Heller, sich rasirend, einen Schritt zurücktrat, – »Fisch« war zu Tode getroffen. Heller hat, so merkwürdig dies klingen mag, dieses Schicksal seines kleinen Freundes nie verwunden, und wenn er davon sprach, so trat ihm eine Thräne in's Auge. Er starb am 7. Mai 1871 ganz plötzlich. Das Feuilleton verlor in ihm einen seiner geistreichsten, amüsantesten und geschmackvollsten Vertreter. Heinrich Laube hat 1874 Heller's »Nachgelassene Erzählungen« in 6 Bänden herausgegeben.

Endlich war ich der journalistischen Sachsengängerei 114 müde. Dieses Umherschreiben zersplittert jede Kraft und ist nichts als aufreibendes Tagelöhnern. So faßte ich denn den sehr kühnen und mich ganz erfüllenden unabänderlichen Beschluß, ein Witzblatt zu gründen. Ich dachte mir das ganz leicht. Daß man Geld dazu brauchte, fiel mir erst ein, als mir eines Tages zwei Freunde, denen ich meine halsbrecherische Idee mitgetheilt hatte, vierhundert Thaler anboten, damit die liebe Seele Ruhe habe. Wer mich damals im Besitz dieses hochherzigen Anerbietens gesehen hat, genoß ohne Zweifel des Anblicks eines Menschen, dem ein großer Theil von Europa gehörte. Ich selbst sah in mir einen Mann, der auf dem besten Wege zu einer großen literarischen Macht war. Daß dieser beste Weg ein Holzweg war, das konnte sich Jeder denken. Nur ich allein nicht. Blindlings ging ich an's Werk, und ich will nun erzählen, wie im Oktober 1862 die Wespen entstanden sind.


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