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Der Zeichner der Wespen von der ersten Nummer derselben an war Gustav Heil, und er ist ihr einziger bis vor einigen Jahren, bis zu seiner bedauerlichen Erkrankung, geblieben. Da mußte er zu meinem und aller Freunde seines eminenten Talentes innigen Bedauern seine geniale, unermüdliche, originelle und von keinem seiner Fachgenossen auch nur annähernd erreichte Thätigkeit einstellen, und das tückische Leiden, das ihn überfiel, wird ihn leider verhindern, trotz der sorgsamsten Pflege, mit der ihn seine vortreffliche Gattin umgiebt, jemals wieder die Arbeit aufzunehmen, der er sich mit seinem sieghaften Witz und glänzenden Können gewidmet hatte.
Gustav Heil ist geborener Berliner. Wir waren schon in den fünfziger Jahren, also lange vor meiner Uebersiedelung, gute Bekannte gewesen, wir wurden gute Freunde, als wir uns für die Wespen vereinigten. Er war nach eifrigen Vorstudien Genremaler geworden, wandte sich aber allmälig dem 165 Karikaturenzeichnen zu, für welche Kunst er durch seine unverwüstliche Laune, seine Begabung, Allem eine komische Seite abzugewinnen, seinen sprudelnden Witz und seinen Schatz von komischen Einfällen prädestinirt erschien. Es war mir stets ein Vergnügen, mit ihm zu arbeiten. Allwöchentlich kamen wir an einem bestimmten Tage in seiner Wohnung in der Ritterstraße zusammen und besprachen die Illustrationen für die nächste Wespennummer. Das war rasch geschehen. Ich machte ihn auf die politischen Ereignisse aufmerksam, welche ein allgemeines Interesse in Anspruch nahmen, oder zu nehmen schienen, und er fand dann flink die parodirende oder travestirende Gestaltung derselben auf, die er auch sofort – er legte während unserer Unterhaltung den Faberstift nicht aus der Hand – skizzirte. Der redaktionellen Pflicht war, wie gesagt, rasch genügt, und dann plauderten wir wenigstens noch eine Stunde. Während dieser Zeit wußte er so viel Komisches zu erzählen und dieses mit so graziöser und unerschöpflicher Laune vorzutragen, daß ich mich gewaltsam losreißen mußte, damit nur nicht der ganze Vormittag für die Arbeit verloren ging. Heil zeichnete mit einer geradezu erstaunlichen Raschheit, wie ich solche bei keinem seiner Kollegen wiedergefunden habe, und die seiner Sicherheit keinen Abbruch that. Er fertigte eine flüchtige Skizze an, und dann zeichnete er das Bild mit 166 verblüffender Fixigkeit auf die Holzplatte, die für den Xylographen bestimmt war. Und das ging in gleich flotter Frische bis über das Jahr 1886 hinaus, und dann wurde das Uhrwerk seines sonst so solide eingerichteten Daseins schadhaft, und der geistvolle und fröhliche Künstler wurde zur Unthätigkeit verurtheilt. Seit dieser Zeit weiß ich, daß seine Kraft eine unersetzliche ist. Ich brauchte Heil nur anzudeuten, was ich mir als Illustration dachte, und alsbald gestaltete er die Idee, und meist inhaltreicher, als sie mir vorgeschwebt hatte. Als ich ihm eines Tages mittheilte, daß ich für die Wespen den Kriegscorrespondenten Wippchen schriebe, und ihn bat, die Figur eines solchen, der über den russisch-türkischen Krieg, fern vom Schauplatz desselben, berichtete, zu zeichnen, war nach kaum zehn Minuten die Type geschaffen, welche seitdem so populär geworden ist, garnicht mehr anders gedacht werden kann und uns Beide überleben wird.
Heil war auch ein origineller Schriftsteller, wie er ein origineller Zeichner war. Seine später zu einem Bande vereinigten Kritiken der Kunstausstellungen waren bei aller Sachkenntniß das Witzigste, das auf diesem Gebiet existirte. Niemals auch hat der Verein Berliner Künstler lustigere Feste veranstaltet als diejenigen, für welche Heil die Festspiele verfaßte. In diesen griff Heil mit überwältigender Komik ins 167 volle Kunstleben hinein, geißelte mit geistvoller Schärfe die in demselben herrschenden Mängel und riß auch die sich getroffen fühlenden Künstler zu dankbarem Jubel hin. Sein von Künstlern dargestelltes Festspiel »Die schöne Melusine« war ein Meisterwerk des Humors. Es ist mir unvergeßlich, und wenn mir heute seine drolligen Einzelheiten einfallen, so muß ich lachen. Ein Kunstmäcen hatte einen figurenreichen Makart erstanden, der eine Wand seines Salons füllte, in dem er eine Gesellschaft versammelt hatte, um von dieser dies Riesengemälde bewundern zu lassen. Da schlägt es zwölf, und die halb- und ganznackten Figuren des Bildes werden lebendig, verlassen den goldenen Rahmen und suchen sich nach langem Ruhen ein wenig zu zerstreuen. Nun finden sie auf einem Tisch des Salons das Prachtwerk: »Schwind's schöne Melusine«, und sie beschließen lustig, dieses Märchendrama darzustellen. War schon die Idee, dieses keusche Märchen von lebenslustigen Makartschen Figuren verkörpern zu lassen, höchst originell, so bot die Aufführung den übermüthigen Heil'schen Einfällen ein unbegrenztes Feld, und die Darstellung wurde denn auch von einem ununterbrochenen Gelächter begleitet. Mit Heils Festspielen ist die eigentliche Fröhlichkeit von den Festen des Vereins Berliner Künstler gewichen, die dann eine große Pracht in Aufzügen und Costümen entfalteten, aber nie wieder 168 so lustig gewesen sind, wie unter den erheiternden Lichtstrahlen des Heil'schen Humors.
Schon nach dem ersten Jahre unserer gemeinsamen Thätigkeit hatten wir uns so im Arbeiten ineinander gefunden und ergänzte und beschränkte derart einer den andern, daß wir eigentlich eine einzige Redaktionskraft bildeten. Wir brauchten bald kaum noch viel zu reden, um festzustellen, was wir für die nächste Nummer des Blattes brauchten. Wir bildeten in unserer Weise die siamesischen Zwillinge, und als wir eines Tages in einem photographischen Atelier waren, wurden wir auch als solche genau nach den damals in Berlin anwesenden, im Circus Renz sich zeigenden Wundergreisen dargestellt, nachdem Heil aus einem Exemplar der Wespen den jene Zwillinge verbindenden Strang nachgebildet und uns mit demselben geschickt verzwillingt hatte. Nun ist leider dieses Band zerrissen, und mit Wehmuth und Freude zugleich denke ich an die schöne Zeit einer Zweieinigkeit zurück, wie sie in den Werkstätten der geistigen Arbeit so selten gefunden wird.
Fast gleichzeitig mit mir war der Direktor des Zoologischen Gartens in Hamburg, Dr. Alfred Brehm, nach Berlin gekommen, berufen, hier das Aquarium zu gründen. Brehm war ein ausgezeichneter Zoologe, ein Gelehrter ohne eine Spur von Pedanterie, ein unbändiger Freigeist und 169 Demokrat, von dem ich nicht begreifen kann, wie der Kronprinz Rudolf von Oesterreich, den er als dessen Beirath bekanntlich auf einer großen Reise begleitete, mit ihm auskam, und ein ungemein liebenswürdiger Gesellschafter und bezaubernder Erzähler. Brehms Aussehen war das eines flotten Burschen, so eifrig das in seinem mächtigen Bart langsam auftauchende Grau gegen dies Aussehen zu protestiren geneigt schien. Trotzdem Brehm ungemein fleißig an seinen Büchern arbeitete, seinen Posten gewissenhaft versah und eine Reihe vielgelesener Wochenschriften mit populären Beiträgen versorgte, verbrachte er doch manche Abendstunde im heiteren Kreis, in dem er ganz gewiß nicht der Mindesttrinker war, und war fröhlich mit den Fröhlichen. Nur durfte weder ein politischer, noch kirchlicher Rückschrittler in seine Nähe kommen. Dann konnte er sehr unangenehm werden, da er nie in seinem Leben ein Blatt vor den Mund nahm und stets die Gelegenheit suchte, Farbe zu bekennen. Er sagte mir einmal: »Du weißt, daß ich ein passionirter Jäger bin, und wie unangenehm es mir ist, wenn mir auf dem Wege hinaus ein altes Weib begegnet, denn dann habe ich Pech. Wenn ich unterwegs aber einem Pfaffen oder einem Reaktionär begegne, dann kehre ich gewiß um.« Er übertrieb da, um seinem Widerwillen Luft zu machen, aber wirklich behandelte er Jeden, der seine freisinnigen kirchlichen und 170 politischen Anschauungen nicht theilte, als seinen persönlichen Gegner. Diese von aller seiner Herzensgüte nicht zu verdeckende Schroffheit seines Wesens, der ihm innewohnende Trieb nach Unabhängigkeit und eine unbezwingliche Wanderlust erklären es, daß er es nirgends, auch nicht in ehrenvollen und pekuniär glänzenden Stellungen, lange aushielt. Ich möchte sagen, daß er mehr Charakter hatte, als nöthig ist. Er verließ Berlin bald, unternahm große Reisen, hielt in aller Welt Vorlesungen und legte sich am 11. November 1884 zur Ruhe, zu früh für die Wissenschaft und seine vielen Freunde.
Bald nach meinem Eintreffen in Berlin hatte ich das Glück, Karl Gutzkow und Berthold Auerbach kennen zu lernen und dann durch ihre Freundschaft ausgezeichnet zu werden, und so sehr ich sie als Schriftsteller verehre, so bin ich dem Geschick dankbar dafür, daß es mich in die Nähe dieser hervorragenden Männer geführt hat. Sie standen noch in voller Kraft an der Spitze der deutschen Litteratur, – heute haben wir eine andere Litteratur, und also hat diese auch eine andere Spitze, – Beide durch große Erfolge belohnt, nach Verdienst anerkannt, aus derselben Zeit heraus und für dieselbe schaffend und doch in ihrem Wesen von einander geschieden: Gutzkow in sich gekehrt, düster, unzufrieden, pessimistisch niedergedrückt trotz der glücklichen Lage, in 171 der er sich befand, trotz der Verehrung, die ihn umgab, Auerbach heiter, lebenslustig, optimistisch in die Welt lächelnd, ganz befriedigt von seiner Popularität, trotzdem ihn der Mangel an Verständniß für seine Dichternatur, der ihm aus seiner Umgebung entgegenstarrte, kränken mußte. Gutzkow war verbittert, satirisch, schwer zugänglich, Auerbach zu Scherzen aufgelegt, wohlwollend, gesellig. In kleinen Zügen offenbart sich das Wesen eines Menschen oft überraschend klarer, als dem Studium des Beobachters es zu ergründen gelingt. So Gutzkows in der folgenden Anekdote. Ich befand mich eines Tages mit meiner Frau in einer Gesellschaft, in welcher sich auch Gutzkow mit seiner Gattin befand. Gutzkow führte meine Frau zu Tisch, ich saß ihm gegenüber neben der seinen, einer geistvollen Dame von großer Liebenswürdigkeit und Anmuth, die nicht minder als ihr berühmter Gatte durch ihr Gespräch zu fesseln wußte. Der Diener servirte den Braten, der in ziemlich gleiche Theile zerlegt war, und näherte sich mit seiner appetitlichen Last Gutzkow, der meiner Frau, als diese sich bediente, zuraunte: »Ich hatte ein besonders gutes Stück im Auge, und das hat natürlich Ihr Nachbar zur Linken genommen. So geht es mir aber immer im Leben.« Obschon er der litterarischen deutschen Welt mit Recht als Führer galt, so hielt er sich doch für zurückgesetzt und um die ihm 172 gebührende Anerkennung empfindlich gekürzt. Viel von dieser Stimmung verschuldete auch wohl manche Unfreundlichkeit, an der es die Kritik nicht fehlen ließ, die aber dem Glanz seines Namens keinen Schaden zufügen konnte. So schrieb er mir aus Wieblingen bei Heidelberg am 16. Mai 1874 zu dem 2. Bande seiner gesammelten Werke: »Die ganze Ausgabe wird vom Journalismus ignorirt. Die günstige Gelegenheit habe ich nicht, mir bei Julian Schmidt einen Essay für die Allgemeine Zeitung zu bestellen. Daß ich krank war und noch weit mehr bin, wissen Sie, das Erste von meiner Frau, die in Ihrem Hause dankenswerthe, angeregte Stunden verlebte, das Letzte vielleicht aus den Zeitungen. Manchmal scheint mir (und ich habe das schon Manchem meiner Bekannten und Freunde geschrieben) eine zu schwache Dosis Strychnin gegeben worden zu sein, vielleicht von einem oder einer, die der Rutenberg'schen Aufforderung, »Gift für mich in der Apotheke zu kaufen«, gefolgt sind. Nie habe ich die Berliner geistlos genannt, wie konnte mir das beikommen, da sie dessen manchmal nur zu viel haben! Nur diejenigen Leserinnen der Bibliotheken, die von einem Roman des Fräulein Rutenberg entzückt sind, nannte ich so oder ähnlich. Dafür wird man jetzt in Berlin, ohne Dazwischenkunft des Staatsanwalts, zum Todtgeschlagenwerden empfohlen, weiß auch Volksküchenpersonal und höhere 173 Nähschulen dafür zu interessiren! Ich gestehe Ihnen, daß mir manchmal Berlin nicht spanisch, sondern amerikanisch vorkommt.«
Rasch reißt er sich dann aus dieser trüben Stimmung und schreibt: »Wenn Sie eine Erholungsreise in die Schweiz machen, so nehmen Sie Relais in Heidelberg und übernachten in Wieblingen. Unser Park, der mir allein gehört (miethsweise), ist sehenswerth. Vor einer Pfälzer, speziell Wieblinger Cigarre sollen Sie beim Durchwandern sicher sein. Aber ich lebe mitten in unserer nationalen Tabakcultur, alle Dächer um mein Haus herum sind zum Trocknen des narkotischen Krauts bestimmt.« Auch seine späteren Briefe an mich sind zugleich liebenswürdig und scharf. In einem solchen vom Oktober 1877 aus Sachsenhausen nennt er Heidelberg eine unausstehliche Professorenstadt im Gegensatz zu dem »urwüchsigen Aepfelweinstädtchen« und fragt: »Wehrenpfennig werden Sie sich doch nicht entgehen lassen?« (W. war eben in das Handelsministerium berufen worden.) »Einen eklatanteren Beweis für das Streberthum der Nationalliberalen kann es nicht geben. Ein Skandal für Deutschland!«
Aber so tief verstimmt Gutzkow oft gewesen, so bezaubernd wirkte sein Humor, wenn sich diesem sein mächtiger Geist, wie um vom Denken und Grübeln über große schriftstellerische Pläne auszuruhen, 174 zuwandte. So erinnere ich mich des Abschiedsabends, den der Verein Berliner Presse dem scheidenden Freunde Guido Weiß, der nach Frankfurt a. M. übersiedelte, veranstaltet hat. Gutzkow hielt, während er dann und wann einen Blick in die vor ihm liegende Rede des Polonius warf, an den Scheidenden eine Ansprache, die eine Parodie der Worte, die Polonius seinem Sohne mit auf die Reise giebt, bildete: weise Lehren für den Schriftsteller im Verkehr mit dem Verleger. Der bitterste Ernst, aus eigenen Erfahrungen gesammelt, wurde dabei in den pointirtesten humoristischen Tönen laut, und die wuchtigste Polemik sprach aus scheinbar harmlosem Witz. Ich habe Gutzkow nie wirksamer als bei dieser Gelegenheit reden gehört.
Auerbach war sich seines Werthes bewußt und freute sich seiner großen Popularität. Er sagte mir einmal: Gutzkow betrachte allen literarischen Ruhm als ein für ihn allein aufgelegtes Fäßchen, aus dem sich kein Anderer das Glas füllen dürfe. Das gefiel ihm nicht, jeder sollte seinen Durst löschen. Und das that er denn auch mit der ganzen Naivetät seiner dichterischen Natur. Ich sah ihn einmal in einem Kreise junger Damen, denen er eine ganz besonders große Auszeichnung zugedacht hatte: er holte mehrere Zehnpfennigstücke hervor, kratzte auf dieselben seinen Namen, so gut es ging, und verteilte sie. Man 175 kann sich nichts Naiveres denken. Als Schneegans, der nach dem großen Kriege vielgenannte elsässische Publizist, Abschied von seinen Berliner Freunden nahm, um in Straßburg die Leitung des Elsässer Journals zu übernehmen, erhob sich Auerbach an der Abschiedstafel, um einen Toast auf den Scheidenden zu sprechen. Da geriet dieses Toastes Ernst in nicht geringe Gefahr, als Auerbach plötzlich zu einer musikalischen Illustration griff, indem er das alte Lied: »O Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt!« zu singen begann. Wir sahen uns ganz bestürzt an. Auerbach's Stimme gehörte zu denjenigen, die Seume nicht gemeint haben konnte, als er ein ruhiges Niederlassen da, wo man singet, dringend empfahl, sie schien mehr dazu angethan, Straßburg in seinen Grundvesten zu erschüttern, als die Wunderschönheit dieser Stadt zu preisen. Aber Auerbach hätte das niemals zugegeben, er war sich »zugleich ein Sänger und ein Held«, und als er geendet hatte, schien er überzeugt, nicht nur wirklich schön gesprochen, sondern uns auch einen üppigen Ohrenschmaus bereitet zu haben.
Aelter als diese beiden Großen, der letzte Zeuge der klassischen Zeit, von der er viel zu singen und zu sagen wußte, und doch fröhlich und lebensfreudig in der Neuzeit angekommen, war Karl von Holtei. Er war ein Mann von mehr als siebzig Jahren, 176 als ich ihn kennen lernte, aber man sah sie ihm nicht an, seine hohe Gestalt war ungebeugt, und sein weißgewordener mächtiger Schädel schien, wenn man in den Glanz seiner guten milden Augen sah, der durch irgend einen Zufall entfärbte eines Jünglings zu sein. Holtei hatte für die Jugend geschrieben und war selbst im Innern jung geblieben. Sein ruheloses Wanderleben hatte ihn nicht müde gemacht, man sah ihm den Verfasser der »Vagabunden« und des »Christian Lammfell« an. Ich hatte mir, als ich seine »Vierzig Jahre« las und für den Dichter schwärmte, der so viel erlebt hatte und davon so fesselnd zu plaudern wußte, Holtei ganz anders vorgestellt, als ich ihn dann gefunden habe. Ich dachte mir einen Mann, der in die Gegenwart nicht mehr hineinpaßte, bereit war, eine ihm fremd gewordene Welt zu verlassen, oder nur noch widerwillig in ihr lebte, und sah nun einen mit großer Freude und starker Zähigkeit ihr Angehörenden, der nur nicht mehr schrieb, weil er meinte, daß er alles gesagt habe, was er zu sagen wußte. Er sagte einmal zu mir: »Was ich noch schreiben könnte, ist nicht viel, das kann ich Ihnen alles mündlich erzählen.« Und doch wußte er mündlich noch sehr viel und dies mit dem berühmten sonoren Organ mitzutheilen. Er sprach von den Weimarer Goethetagen, und das klang mir wie aus einer Märchenzeit heraus, dann aber kehrte 177 er sich plötzlich und mit demselben lebhaften Interesse der Gegenwart und deren Leistungen und Erscheinungen zu und freute sich, daß man ihn noch kannte, las und daß man noch seine Stücke aufführte. Und das geschah alles mit einer Bescheidenheit, die wahrlich keine künstliche war, es war die eines Dichters, der in der großen Zeit der Litteratur gelebt und damals sich daran gewöhnt hatte, in zweiter oder dritter Reihe zu stehen. Mit großem Vergnügen lese ich dann und wann die Briefe wieder, die er mir geschrieben hat. Es spricht aus denselben die größte Liebenswürdigkeit und Lustigkeit, selbst noch aus dem letzten vom 2. Oktober 1871, der mit den Worten schließt: »Ihre Aufforderung: mich noch einmal, vor der allerletzten Reise, auf die Reise gen Berlin zu wagen, erklingt tauben Ohren . . . . . Kein Tag ohne Schmerzen, keine Nacht ohne Opium. Lindau verspottete mich neulich durch die elegante Feder seines Sekretärs wegen meiner eingebildeten Leiden, denen meine Lebhaftigkeit im geselligen Verkehr widerspräche. Dazu zwinge ich mich. Soll ich Andere entgelten lassen, was ich im Stillen erdulde?« Dieser Brief ist unterzeichnet: »Der Alte von den drei Bergen.«