Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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22 II.

Meine Thätigkeit auf dem Gebiete der primitivsten Journalistik, der handschriftlichen Herstellung eines einzigen Exemplars, war mir, wie ich erzählt habe, oft genug übel bekommen, indem ich allmälig einer der treusten Stammgäste der Kerkerkiste geworden war. Die Haft, die ich im Carcer abstand, – ich muß dies Wort für »absaß« wählen, weil der Carcer ja nichts als ein geschlossenes Schilderhaus war, – hat freilich nicht vermocht, mich von der Journalistik zu trennen, aber sie überzeugte mich von der Nothwendigkeit, fortan meine Thätigkeit den Augen der meinem Ideal nicht reifen Welt zu entziehen. Welch eine Aufgabe, ja welch ein Widerspruch, heimlich zu publiciren! Es war ohnedies schon schwer, für mein Elternhaus immer neue Erklärungen meines verspäteten Erscheinens zu erfinden, wenn ich nach überstandener Haft heimkehrte. Besuche bei Schulkameraden, oder Aufenthalt durch Ereignisse, die sich auf der Straße abspielten, wurden kaum noch geglaubt. Ich erinnere mich, daß damals die edle 23 Frau Justitia die Rohheit besaß, gewisse Verbrecher öffentlich an den Pranger zu stellen. Dieser widerliche Akt wurde auf dem Großneumarkt vor der Wache vollzogen, wohin der Verurtheilte von grotesk uniformirten Nachtwächtern gebracht wurde, um stundenlang öffentlich ausgestellt zu werden, während auf einem ihm an die Brust gehängten Brett den ihn angaffenden Zuschauern mit großen Lettern angekündigt wurde, wie er zu so großem Ansehen gekommen sei. Das Ganze war ein abscheuliches Ueberbleibsel aus der guten alten Zeit, an welche meine schöne Vaterstadt übrigens durch noch manche andere Ungeheuerlichkeiten erinnerte. Die Schuljugend bildete natürlich einen beträchtlichen Theil des Stammpublikums bei dieser traurigen Strafvollstreckung, und wenn eine solche stattfand, so hatte jeder Schlingel eine vortreffliche Erklärung für sein unpünktliches Nachhausekommen, und dann und wann paßte sie mir außerordentlich gut, wenn ich einmal wieder auf Grund des strengen Schulstrafgesetzbuches verpackt worden war. Aber häufig auch fiel mein Arrest nicht mit einer der geschilderten öffentlichen Executionen zusammen, und dann war es mir nicht leicht, eine Entschuldigung für mein langes Ausbleiben zu finden. Dann war ich in einer höchst peinlichen Lage. Mein Vater durfte nicht erfahren, daß ich mich mit anderen als mit meinen Schularbeiten beschäftigte. Es hätte 24 ihm Kummer gemacht, und dieser Kummer würde sich in jedem einzelnen Fall sehr lebhaft und in empfindlicher Weise auf meinen Rücken geäußert haben. So hätte ich denn für meine journalistische Thätigkeit ein Doppelhonorar, in der Schule und im Hause, einkassirt, und das schien mir denn doch ein etwas zu reichliches.

Die Gefahr wuchs, nachdem ich in der Nummer des »Mephistopheles« vom 6. August 1848 meinen ersten Beitrag gedruckt sah. Das Ding hieß: »Volksdeputationslied«, war nach der Melodie »Es ritten drei Reiter zum Thore hinaus« versificirt und besang den unglücklichen Verlauf des Empfangs einer Deputation beim Könige von Preußen. Unterzeichnet hatte ich das naive Machwerk mit dem letzten Buchstaben meines Namens, mit –m. Natürlich habe ich es damals, als 16jähriger Anfänger, minder wegwerfend beurtheilt. Ich hielt es selbstverständlich für eine Meisterleistung. Wer hätte seine erste Publikation nicht für eine ganz hervorragende gehalten und angesichts derselben nicht geglaubt, er stehe plötzlich an der Seite der bedeutendsten Schriftsteller, bewundernd angeschaut von seinen Zeitgenossen? In aller Heimlichkeit hatte ich mein Manuscript mit einigen anonymen Zeilen an die Redaktion geschickt, und in aller Heimlichkeit versuchte ich dann, mich an meinen gedruckt vor mir liegenden Strophen satt zu sehen, 25 während mein Haupt mit einem unsichtbaren Lorbeerkranz geschmückt war. Ich traute in der ersten Viertelstunde meinen Augen nicht, als ich meine Verse gedruckt sah, erst allmälig gewöhnte ich mich an das entzückende und merkwürdige Schauspiel, und dann wurde ich von einem Stolz beseelt, der die Heimlichkeit, mit der ich ihn vor aller Welt verbergen mußte, nicht wenig gefährdete. Eine junge Mutter kann ihr Erstgeborenes nicht mit mehr Zärtlichkeit anblicken, als ein Autor das erste Kind seiner Muse. Noch indem ich diese Zeilen schreibe und auf meine ersten Verse in der vor mir liegenden vergilbten 43 Jahre alten Nummer des »Mephistopheles« blicke, ist mir gar seltsam um's Herz, wenn auch nicht wie damals, vor 43 Jahren, aber es ergreift mich doch ein Gefühl, für welches ich keinen ganz bezeichnenden Ausdruck finde. Das erste Gedruckte übt eben auf den Anfänger einen unbeschreiblichen Zauber aus, der sich zum Glück für den Producirenden zwar bald verliert und sich niemals wiederholt, der aber unvergeßlich ist und den kaum irgend ein Anderes auf uns auszuüben vermag.

Ich blieb ein sehr fleißiger Mitarbeiter des »Mephistopheles« bis zu dessen letzter Nummer, die Ende Juni 1852 erschien. Als Honorar erhielt ich wöchentlich einige Freiexemplare. Das war nicht mehr als billig.

26 Mein lieber Vater hat, außer meinem erwähnten Festblatt zu seiner silbernen Hochzeit, niemals eine gedruckte Zeile von mir gelesen. Er war ein vortrefflicher, liebevoller und rastlos fleißiger Mann, der anfangs dieses Jahrhunderts aus seiner Vaterstadt Witzenhausen bei Cassel als Geiger nach Hamburg gekommen war. Meine geliebte Mutter war eine Hamburgerin. Als die Familie größer wurde, wurde es meinem Vater schwerer, sie mit dem Geigenspiel zu ernähren, und er gründete eine Kunsthandlung, die noch vor mehreren Jahren als eine der ältesten deutschen Geschäfte dieser Art in Hamburg existirte. Bald blühte sie, zu einem Verlagsgeschäft ausgedehnt, empor und ward eine weitbekannte und accreditirte. Mein Vater durfte nicht merken, daß ich einen anderen Beruf als den seinen liebte. An solchen Gedanken hätte er sich wohl nie gewöhnen können, am allerwenigsten an den, daß ich mich mit demokratischer Zeitungsschreiberei beschäftigen würde. Nicht nur, weil diese in Hamburg in keinem erfreulichen Ansehen stand. Die große Hitze des Jahres 1848 hatte allerlei schlimme Blätter hervorgetrieben, welche die Preßfreiheit brutal ausnutzten. Neben den großen handelspolitischen Zeitungen, die, alt und vornehm, sich nur platonisch der stürmischen Bewegung anschlossen, tauchten Preßerzeugnisse auf, welche von saftigem Klatsch lebten und die große Errungenschaft des freien 27 Worts dadurch in Mißcredit brachten, daß sie nicht, wie es damals hieß, Sklavenketten, sondern den Frieden des Hauses brachen, und sich mehr mit dem Privatleben der Bürger, als mit dem Verfassungsleben des Staats beschäftigten. Man verstand überhaupt nicht, mit der Preßfreiheit umzugehen, sie war so plötzlich gekommen, und man lernte sie erst langsam kennen. Vorläufig wurde sie gemißbraucht. In der Gegenwart der Censur hatte die Presse kaum etwas reden dürfen, nun war die böse Gouvernante nicht mehr da, und die Presse machte sich Luft wie ein unartiges Kind, das, wenn die Gestrenge den Rücken gekehrt hat, noch unartiger sich geberdet und sein Spielzeug oder sonst was ruinirt. So war denn die Presse rasch in Mißcredit gekommen. Aber nicht allein durch ihr Hineinmischen in Privatangelegenheiten. Auch die politisch-demokratische Presse war nicht sonderlich angesehen. Die Bewohner der freien Hansestadt waren kaum dem Namen nach Republikaner, die Verfassung war nur nominell eine republikanische. Die Hamburger waren konservative Leute und seit dem Beginn des »Völkerfrühlings« sehr böse auf diesen, weil er den Handel schädigte, überall die Achtung vor dem Kapital lockerte und den Respekt vor der Heiligkeit des Verfalltags der Wechsel herabminderte. Der Hamburger Kaufmann der damaligen Zeit begriff absolut nicht, weshalb Schleswig-Holstein 28 sich von Dänemark losreißen wollte. Was hatte der König von Dänemark den Schleswigern und Holsteinern gethan? Wozu hatten die Schleswig-Holsteiner eine kostspielige Armee aufgestellt, wozu waren eines schönen Tags die preußischen Soldaten durch Hamburg nach Holstein marschirt und hatten bald darauf die friedlichen Dänen angegriffen und besiegt? Nun war der Krieg da. Daran hatte die demokratische Presse Schuld, welche den Schleswig-Holsteinern eingeredet hatte, sie seien sehr unglücklich und müßten sich von dem guten König von Dänemark losreißen. Das konnte kein gutes Ende nehmen, und das nahm ja auch kein gutes Ende.

Ich hielt mich um so mehr für verpflichtet, mich an dem im demokratischen »Mephistopheles« so sehr beliebten Zerbrechen der Ketten durch wöchentliche Beiträge zu betheiligen. Als ich die preußischen Soldaten über die Lombardsbrücke marschiren sah, gab ich mir das Wort, sie zwar in dem Kampf gegen die Unterdrücker Schleswig-Holsteins durch Prosa und Poesie zu unterstützen, sie aber zugleich mit denselben Waffen als die Schergen der Gewalt (damals ein beliebter Titel) zu vernichten. Wenn mir der Redakteur des »Mephistopheles« nur nicht zu viele dieser Waffen in den Papierkorb geworfen hätte! Das hielt ich nicht etwa für eine gerechte Kritik, sondern für einen höchst traurigen Mangel an redaktionellem 29 Muth, und ich bedauerte dann, daß die Befreiung des deutschen Volks sich wieder um etliche Tage verzögerte. Und um so eifriger schrieb ich. Wenn nur mein Vater nichts davon erfuhr, so war mir keine Danaidenarbeit zu mühevoll und nutzlos. Manchmal war ich höchst erstaunt, daß trotz meiner vielen Artikel die Sonne der Freiheit noch immer nicht aufgehen wollte. Ich konnte mir gar nicht erklären, weshalb es noch immer nicht hell wurde, aber ich tröstete mich gleichzeitig, es könne nicht lange mehr dauern, wenn ich nur weder Dinte, noch Papier sparte! Dabei erfüllte es mich mit besonderer Freude, daß alle Tyrannen fortwährend vor mir zitterten, ohne mich persönlich zu kennen.

So ging es gar Vielen, die am Ende der vierziger Jahre in der demokratischen Presse thätig waren. Es war das denkbar naivste Dichten und Trachten. Man wußte nicht recht, worüber man sich fortwährend beklagte. Man schrieb mit einer fabelhaften Ungenirtheit. Wenn ich heute lese, was ich damals veröffentlichte, und dazu einen Blick in unser heutiges Preßgesetz werfe, so rechne ich eine Gefängnißhaft von etwa hundert Jahren heraus, und doch beklagte ich mich konsequent über die herrschende Unterdrückung, während ich vergnügt und unbelästigt umherstrolchte.

So wurde darauflos producirt und 30 selbstverständlich ohne Gedanken an Honorar. Das hielt ich für sträflich eigennützig. Das Honorar bestand eben im Abdruck. Ich fand, was ich brauchte, im Elternhaus und dachte nicht daran, meine Arbeiten zu verwerthen. Es hätte mir, beiläufig bemerkt, auch nichts genützt. Ich glaube auch nicht, daß es irgend einer Redaktion eingefallen wäre, die Freischärler der Feder für ihre Arbeiten zu bezahlen, es verstand sich ganz von selbst, daß, wer als Mitarbeiter eintrat, die Hoffnung auf Honorar draußen ließ: es herrschte zwischen den Redakteuren und Mitarbeitern ein von keiner Zahlung getrübter idealer Verkehr. Wenn ich mir nach dem Erscheinen des »Mephistopheles« aus der Buchhandlung von Hoffmann und Campe mein Freiexemplar holte und bei dieser Gelegenheit einen Händedruck des ehrwürdig weißhaarigen Campe bekam, so hielt ich mich für reich bezahlt, und stolz verließ ich den glänzenden Laden wieder in dem erquickenden Bewußtsein, allmälig ein Kollege der Unsterblichen zu werden, deren Werke dort gebunden und broschirt die unendlichen Wände und sauberen Tische bedeckten.

Allerdings ging es mit der Unsterblichkeit sehr langsam, und allmälig fing ich an, mich davon zu überzeugen, daß ich mir dieselbe doch etwas leichter erreichbar vorgestellt hatte, als sie es in Wirklichkeit war. Hiervon erhielt ich eines Tages einen Beweis, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.

31 Ich war auch Mitarbeiter der »Reform« geworden, welche von J. F. Richter gegründet worden war und auch heute noch existirt. Mein Name mußte natürlich ein Geheimniß bleiben, ich arbeitete hier unter dem Pseudonym »Faust«. Damals fiel es mir nicht ein, daß dies sehr anmaßend sei, weshalb ich heute nachträglich um Verzeihung bitte, wenn auch ganz unnöthigerweise, denn Alles, was ich veröffentlichte und mit dem heiligen Namen zierte, ist längst verschwunden und vergessen. Eines Tages ermunterte mich der Besitzer der »Reform«, einen komischen Kalender herauszugeben, der denn auch unter dem Namen »Herr Meier« erschien. Ich besitze längst kein Exemplar dieses ungemein dürftig ausgestatteten »Buches« mehr, und sein Inhalt war wohl auch derart, daß es nicht der Mühe werth war, ein Exemplar vor dem Makulaturtode zu retten. Und doch war eines diesem Tode entronnen, auf diesem Gebiete ereignen sich ja die merkwürdigsten Wunder. Eines Tages erblickte mein damals noch sehr scharfes Auge auf dem Karren eines Antiquars, der in den Straßen ganz billige Schmöker feilbot, den verschollenen »Herrn Meier«. Da lag er, bedeckt mit den Spuren des Kampfes, den er gegen den bezeichneten Untergang geführt hatte, mitten unter anderen ungebundenen Schicksalsgenossen, von denen die Meisten Stück für Stück zu vier Schillingen (30 Pfennigen in neuer 32 Reichsmünze) zu haben waren und auf Käufer warteten, vielleicht zum letzten Mal, bevor sie in den Butterkeller verschwanden. Ich fragte den Händler, der seinen lebensmüden Büchern ähnlich sah, was »Herr Meier« koste. »Ach, mein Liebster«, sagte er, »was soll ich Ihnen für das Dings abnehmen! Kaufen Sie irgend ein anderes Buch, dann kriegen Sie den »Meier« drauf, ganz umsonst, der ist ja nichts werth.«

Ich war auf das Tiefste erschüttert. Mit einem zärtlichen Blick auf meinen geliebten »Herrn Meier«, der ja an der schweren Kränkung unschuldig war, griff ich nach ihm und dann blindlings nach einem Buch über Viehzucht, – genau wie der Alte in dem Pfeffel'schen Gedicht, der erst nach der Pfeife und dann nach seinem Fuß griff, – bezahlte meine vier Schilling und ging mit den beiden Büchern sehr eilig davon. Mein armer »Meier«! Mein erstes humoristisches »Werk«! Der Trödler wagte nicht, etwas dafür zu fordern, und ahnte nicht, welchen Schmerz er mir hätte ersparen können, wenn er wenigstens einen Schilling forderte.

Und doch habe ich dem Trödler und meinem »Herrn Meier« für eine herbe, aber gute Lehre zu danken.


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