Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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149 XI.

Berlin vor 25 Jahren war ein anderes Berlin. Die heutige Großstadt, die Millionen- und Weltstadt, war noch nicht geboren. Das damalige Berlin war nicht nur im Vergleich mit dem heutigen, sondern auch gegenüber anderen Hauptstädten eine zwar sich weit ausdehnende, aber doch kleine Stadt, die man die Stadt der Intelligenz und Spree-Athen nannte, um ihrer geistigen Bedeutung gerecht zu werden, aber ohne sie als eine große Stadt bezeichnen zu wollen. Es war das Berlin der Berliner, eine gemüthliche, lustige, harmlose Stadt, der man kaum noch die 1848er Märztage zutraute, aber am allerwenigsten das, was aus ihr werden sollte. Die Bevölkerung hatte auch garnicht das Begehren, Berlin wachsen zu sehen, sie fühlte sich heimisch, begnügte sich mit dem Ruhm, daß Berlin immerhin eine der größten Städte des Continents war, und freute sich, ihren Witz an dem Unschönen und Morschgewordenen, zwischen dem sie lebte, auslassen zu können. Es war 150 das Berlin Glaßbrenners. Das Weißbier schäumte noch unbesiegt, und in den Kannegießereien der Geheimrathskneipen arbeiteten die Redemaschinen unausgesetzt. Das Philisterthum verbrachte nach einer mäßig verlebten Jugend ein behäbiges Alter und merkte die heranstürmende Umwälzung nicht, welche heute für die irdischen Ueberreste ihrer Opfer nichts als die wenigen Worte des Nachrufes in den Zeitungen hat: »Wieder hat der Bauwuth ein Stück Alt-Berlin weichen müssen.« Nur wer dieses Alt-Berlin gekannt hat, wird heute Mancherlei vermissen und keinen vollen Ersatz in der Ueberzeugung finden, daß, wenn es heißt, die Bewohner Berlins seien wieder durch ein neues sensationelles Ereigniß, durch einen neuen Beweis der Unsicherheit u. s. w. überrascht oder erschreckt worden, mehr als anderthalb Millionen damit bezeichnet seien.

Die Hamburger Presse weinte mir die liebenswürdigsten Notizen nach, als ich das Zeitliche meiner Thätigkeit in der Vaterstadt segnete. Meine Landsleute erfuhren auf diese Weise, daß sie einen Verlust erlitten, wodurch manche in ein großes Erstaunen versetzt wurden. In schluchzender Prosa und in Beileidsgedichten wurde dieser Verlust sogar als ein unersetzlicher bezeichnet, was zum Glück keine allgemeine Bestürzung hervorrief, denn man empfand garnicht das Bedürfniß, mich ersetzt zu sehen. Auch die 151 Presse tröstete sich leicht, indem sie mir eine freundliche Zukunft prophezeite und diese Prophezeiung als Balsam auf die offene Lücke träufelte, welche meine Uebersiedelung angeblich verursacht hatte. Das ist in der Presse immer so, wenn einer der Ihren mit dem nächsten Eisenbahn- oder mit dem letzten Athemzug davongeht. Man braucht nur eine dieser beiden Gelegenheiten zu benutzen, beim Scheiden wird man immer ein schmerzlicher Verlust und eine fühlbare Lücke genannt. Es ist doch etwas. Ich aber hatte bis dahin von der Presse meiner Vaterstadt keinen einzigen Beweis dafür empfangen, daß sie mich für fähig hielt, ihr einst einen Verlust und eine Lücke verursachen zu können. Von dieser conventionellen Trauer, in welche sich meine Collegen stürzten, war ich derart gerührt, daß ich mich in der kalten Decembernacht auf dem kurzen Wege von dem Abschiedscommers nach meinem Hause nicht auf den Beinen halten konnte und, ein geborener Hamburger, der diesen Weg seit 36 Jahren kannte, verirrte.

Ein kleiner Kater war Alles, was ich auf die Reise nach Berlin mitnahm. Weib und Kind ließ ich noch für einige Wochen in Hamburg zurück und nahm Abschied von meinem zweifenstrigen trauten Idyll an der Dammthorterrasse, wo ich so angestrengt gearbeitet hatte und so glücklich gewesen war, daß ich mir eigentlich nichts Besseres gewünscht hatte. Es 152 war kein fröhliches Scheiden, denn es war doch zugleich ein Trennen von der Vaterstadt und von dem, was ich mir mit großer Mühe aufgebaut hatte, wenn der Bau auch kein stolzer genannt werden konnte. Ich empfand so recht die Wahrheit des Dichterwortes: »Ein jeder Wechsel schreckt den Glücklichen.« Wohl eröffnete sich mir eine pecuniär bessere Stellung, aber indem sich mir nun die lang gewünschte bot, dachte ich auch daran, daß sie viel mehr von mir fordern würde, und daß ich, wenn ich ihr Schuldner bliebe, einen Schritt gethan hatte, den ich bereuen mußte.

Kopfüber stürzte ich mich in die Arbeit. Ich habe schon erwähnt, daß ich drei Witzblätter zu redigiren fand. Die erste Wespennummer war natürlich weder nach meinem, noch nach der Leser Geschmack. Probenummern taugen bekanntlich niemals etwas. Meine Collegen werden mir das bestätigen. Wenn der Journalist ein Musterblatt herstellen soll, dann leistet er in vollkommenster Weise das Gegentheil. Er kann nur eine vollgültige Probe seines Könnens liefern, wenn er beim Arbeiten nicht daran denkt, daß er etwas Außerordentliches leisten soll. Es ist mir in meiner langen Praxis noch niemals die Probenummer einer neuen Zeitung vor Augen gekommen, welche auch nur annähernd gelungen war und dem Leser genau zeigte, was die Redaction beabsichtige. Jedenfalls ist ihr dies dann später im Eifer 153 der regelmäßigen Arbeit mit mehr Erfolg geglückt. Der Journalist ist kein Gastspieler, er leistet das Beste nur dann, wenn er kein Meisterstück liefern soll.

Die Befangenheit des Debütanten vor einem großen, neuen und namentlich durch den »Kladderadatsch« anspruchsvoll gewordenen Publikum war anfangs nicht gleich loszuwerden, und statt in dem Ton fortzufahren, den ich in der Schreiberkehle hatte und der zwar »klein, aber mein« war, strengte ich mich an, suchte ich Noten zu fingen, bis zu welchen meine Stimme nicht reichte. Das ist nicht blos für den Sänger ein dummer Fehler. Bald aber fand ich mich zurecht, und ich sang, wie mir der Schnabel gewachsen war. Nun ging's. Die Wespen wurden rasch populär. Die politische Satire erfreute sich noch der allgemeinen Gunst, welche ihr auch bis zu dem Moment treu blieb, wo nach dem deutsch-französischen Kriege die Loyalität hereinfluthete, unter der Bismarck'schen Herrschaft keine selbständige Meinung zum Ausdruck zu gelangen vermochte und jede freimüthige Kritik der Regierungshandlungen für Vaterlandsverrath, oder doch als der Versuch galt, das geeinigte Reich vor dem Auslande herabzusetzen und es in dem Bestreben, sich fest zu verankern, schadenfroh zu stören. Ein politisch-satirisches Blatt kann nur gedeihen, wenn die Majorität des Volkes aus Unzufriedenen besteht und die Regierung diese nicht 154 zu gewinnen sucht. Ich meine nicht etwa die Unzufriedenen, die den Dynamitunfug treiben oder von der Regierung die sofortige Gründung des Idealstaates und der Dynastie Liebknecht verlangen, sondern die vernünftig Unzufriedenen, welche eine liberale Luft athmen wollen. An dieser Luft fehlte es bekanntlich, und deshalb stand die politische Satire in großer Gunst. Dann und wann belebte die Polizei auch noch das Interesse durch eine Confiscation, wenn sie während der Lectüre des eingereichten Pflichtexemplars auf oder zwischen den Zeilen etwas Bedenkliches entdeckte. Das Bedenkliche brauchte durchaus nicht sehr bedenklich zu sein. Wenn der Herr Polizeipräsident nicht bei guter Laune war, so war leicht etwas bedenklich, sogar das Harmloseste. Dann wurde die ganze Auflage, jung und morgenschön daliegend, von Schutzmännern nach dem Molkenmarkt abgeholt und auf dem Transport so lieblos behandelt, daß sie dort in einem fragwürdigen Zustand eintraf, als hätte sie eine weite Reise zurückgelegt, und während des Lagerns in den heiligen Hallen der Behörde pflegte sie sich gewöhnlich nicht sonderlich zu erholen. Jedenfalls war sie Makulatur geworden, wenn sie nicht sofort wieder freigegeben wurde, was ich auch niemals erlebt habe. Ich hatte eine neue Nummer herzustellen, aus der ich das als bedenklich Bezeichnete durch etwas Harmloses ersetzte, und wartete dann ziemlich 155 unruhig den Preßproceß ab, oder die Auflage wurde wieder freigegeben, und dann hatte der Herr Verleger für einige Zeit Ueberfluß an Makulatur zum Einpacken: ein dürftiger Trost für die Kosten, welche die Herstellung der zweiten Auflage verursacht hatte.

Ich lebte mich rasch wieder ein. Wer sich in Berlin nicht schnell heimisch zu fühlen vermag, wird sich auch nicht langsam mit dieser Stadt befreunden und ist entweder ganz Kleinstädter, oder in seine eigene Vaterstadt so verliebt, daß er sich überhaupt niemals an einen anderen Aufenthalt gewöhnen wird. Ich kenne keine Stadt, welche wie das damalige Berlin unter allerlei unheilbaren Vorurtheilen zu leiden hatte. Auch heute noch – heute freilich mit stolzer Gleichgültigkeit – muß Berlin die seltsamste Kritik über sich ergehen lassen. Ich hatte selbst vor einiger Zeit das Vergnügen, mit eigenen Ohren eine solche Kritik von einem alten Bekannten zu vernehmen, den ich in Berlin herumführte. Er war aus einem Städtchen gekommen, dessen Pflaster wie eine große Menge von versteinerten Maulwurfshügeln aussieht und, wenn Mondschein im Kalender steht, verfassungsmäßig am Petroleum spart, bis zu welchem die Straßenbeleuchtung sich endlich aufgeschwungen hat. Dieser Mann ging mit mir um 11 Uhr Abends durch die Leipziger Straße und stand plötzlich still, um mir, sich mißvergnügt umschauend, mit einem 156 Ausdruck des aufrichtigsten Mitleids zu sagen: Ich finde Eure Straßen dunkel.

Berlin rüstete sich nach den glorreichen Ereignissen des Jahres 1866, um in die Stellung einzurücken, die ihm zugedacht war, aber die Entwickelung ging in langsamem Tempo vor sich. Die Presse folgte bedächtig nach. Ihr Verein, der heute eine Macht ist, war noch klein und ohne Einfluß. Man kannte und nannte ihn kaum. Seine Sitzungen waren eigentlich nichts als Vereinigungen zum Biertrinken, zu welchem man über ziemlich unerhebliche Vereinsangelegenheiten harmlos und langweilig debattirte. Der Verein wurde von keiner ernsten Frage beunruhigt, und tauchte einmal eine solche auf, so wurde sie von dem Präsidenten, Alexis Schmidt, dem wackeren Leiter der Spener'schen Zeitung, der seine Ruhe über alles liebte, mit sanften Worten aus dem Wege geräumt, und dann ließen sich die Mitglieder sehr befriedigt wieder die Seidel füllen. Man amüsirte sich in guter Collegialität, die Politik und die literarische Clique spielten keine Rolle, wie heute, wo dieselben aus den Männern von der Feder die feindlichen Brüder gemacht haben, die kaum noch Brüder genannt werden können, sondern sich mit zweischneidigen Worten befehden, welche am allerwenigsten zu den ehrlichen Waffen gehören. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zerfleischten sich die 157 Journalisten noch nicht in politischen Scharmützeln und verbrauchten die Schriftsteller noch nicht ihre Kraft in dem Jagen nach dem »Modernen«. Jeder leistete ungestört in seinem Fach, was er leisten konnte, der Distanzritt zwischen einer Sensation und der andern, welcher nichts als eine rücksichtslose Pegasusschinderei ist, existirte noch nicht, und noch wurde nicht jeder redlich errungene Erfolg von allen Seiten angefochten, verkleinert oder gar gänzlich in einen Mißerfolg umkritisirt.

Klein war die Zahl der Tagesblätter wie der Theater, und sie befriedigte die Ansprüche des Publikums vollkommen. Niemand verlangte nach einer Vermehrung, und so gedieh das, was vorhanden war. Die Blätter waren nicht zu außerordentlichen Kraftanstrengungen genöthigt, um, wie heute, einer marktschreierischen und preisdrückenden Concurrenz gegenüber etwas Athem zu behalten, und die Theater hatten nicht nach unkünstlerischen Mitteln zu suchen, um sich vor dem Krach zu schützen. Der Krach war noch kein geflügeltes Wort, noch kein leicht zu prophezeiendes Ereigniß. In der Presse genügte noch nicht der große Mund, um eine Stimme zu haben, und es existirte daher noch keine Zeitschrift, welche kein anderes Programm hatte als die Verunglimpfung, die wöchentlich an drei oder vier ehrenwerthen Persönlichkeiten zu vollstrecken war, wenn ein vom 158 Skandal entzücktes Lesepublikum zum Kaufen animirt werden sollte. Noch fanden junge Leute, welche wenig mehr als die Mache der Boulevardpresse gelernt hatten, keine Verleger, denen das Brod schmeckte, das ihnen das Ehrabschneiden ihrer Radauredakteure in die Zeitungsbuden schaffte.

Ich habe in der ersten Zeit meines Berliner Aufenthalts wie Jeder, der in einen neuen Wirkungskreis tritt und nicht zu den Weltkundigen und Schlauen gehört, Lehrgeld zahlen müssen, darunter manche Summe, die ganz nutzlos vergeudet war, die schmerzlichste, als ich mich trotz aller unerfreulichen Erfahrungen wieder in das Theater wagte. Dahin zog es mich merkwürdiger Weise mit unwiderstehlicher Gewalt, obschon ich längst hätte belehrt sein müssen, daß ich alles aufbieten mußte, um mich gegen diese Gewalt zu wehren. Nicht zehn Pferde hätten mich zu einer Arbeit für die Bühne heranziehen sollen, und es genügte ein Wink zweier reinlicher Männer. Reinlich, weil sie mit allen Wassern gewaschen waren.

Ein Herr Dorn trug »Die Eselshaut«, eine französische Feerie, zu Markte nach Berlin, um sie im Victoriatheater zur Aufführung bringen zu lassen. Mich zeichnete er im Namen des Herrn Cerf, des Direktors der genannten Bühne, durch den Auftrag aus, das Stück zu bearbeiten. Ich wußte diese Ehre leider zu überschätzen und machte mich an die Arbeit, die 159 ja weder eine angenehme, noch einen etwaigen Ehrgeiz befriedigende sein kann. Auf den Proben, denen ich beiwohnte, freute sich Herr Cerf immer ungemein, daß er den Herrn Dorn auf mich aufmerksam gemacht, und war Herr Dorn ebenso oft glücklich, daß er mich im Auftrag des Herrn Cerf mit der beschwerlichen Arbeit betraut hatte. Zwischen einem erfreuten und einem glücklichen Menschen zu stehen, das gewährte mir allerdings eine gewisse Genugthuung, aber bald hätte mir diese Situation eine bedeutend größere gewährt, wenn dies zufriedene Menschenpaar auch einen wenigstens etwas ausgebildeten Sinn für Tantièmen- oder Honorarzahlung gehabt hätte. Aber dieser schöne und nützliche Sinn war den Beiden von der Natur leider versagt. Als ich mich längere Zeit nach der ersten Aufführung, die am 22. Februar 1868 stattgefunden hatte, an Herrn Cerf mit der bescheidenen Frage wandte, wann er mir die redlich verdiente Tantième senden würde, gab er mir die Auskunft, daß ich mir die Antwort von Herrn Dorn holen solle, der mir doch den Auftrag ertheilt habe, und als ich nun Herrn Dorn dieselbe Frage vorlegte, wies dieser mich an Herrn Cerf, in dessen Namen er zu mir gekommen sei. Und nachdem ich dann eine Zeit lang zwischen Pontius und Pilatus hin und her gependelt worden war, gab ich das Rennen auf, und niemals habe ich einen Groschen für meine 160 Arbeit zu sehen bekommen, und ich gewöhnte mich allmählig daran, mich mit dem Vergnügen, während einer langen Reihe von Wiederholungen der Feerie täglich meinen Namen auf dem Zettel des Victoriatheaters an den Litfaßsäulen zu lesen, bezahlt zu machen, ein mäßiges Vergnügen für einen Mann, der seinen Namen auch ohne Hilfe der Herren Cerf und Dorn häufig genug gedruckt sah.

Diese unbeantwortete Lohnfrage mag für Manchen nicht das Recht in Anspruch nehmen dürfen, in einer Reihe heiterer Erinnerungen aufgezeichnet zu werden. Aber bei näherer Betrachtung wird man ihr doch eine heitere Seite abgewinnen. Es ist ja nicht heiter, wenn man gezwungen wird, umsonst zu arbeiten und mit einer höchst gerechten Forderung schnöde abgewiesen zu werden, aber die Thatsache, daß zwei Menschen in der gemüthlichsten Weise einem Dritten, der ihrem Wort zu vertrauen unvorsichtig genug war, das Honorar für eine ziemlich mühevolle Arbeit aberkennen, hat doch gewiß für Alle, die sich ein solches Wort schriftlich geben zu lassen pflegen, etwas Heiteres. Nur in diesem Sinne habe ich sie hier auch mitgetheilt. Ich übe augenscheinlich auf Leute, welche das Honorarzahlen lediglich als eine unverschuldete Kränkung ihrer Kasse betrachten, eine große Anziehungskraft aus, ich habe durch diese die allerschlimmsten Erfahrungen gemacht, leider ohne sie mir als Warnung 161 nutzbar zu machen. Immer wieder stellte sich irgend ein industriöser Herr ein, veranlaßte mich zu einer Arbeit und ließ mir dann das Nachsehen. Ich habe mir in diesem Nachsehen eine nicht unbedeutende Praxis verschafft und brauche heute dazu keine Augengläser, während ich solcher beim Lesen und Schreiben leider nicht mehr entbehren kann. Wer nicht leicht den Humor verliert, wird ihn sich auch nicht von solchen Erlebnissen verderben lassen, und ich halte fest und treu die Wacht an meiner guten Laune und lasse sie mir nicht stehlen, weil ich meine, daß man sich von den Einbrechern nur das baare Geld entreißen lassen darf. Humor verloren, Alles verloren.

In anderer Weise nutzlos war eine Arbeit, welche ich in demselben Jahr, das mich mit der Eselshaut zudeckte, für das Theater lieferte. Ich übersetzte und bearbeitete für die Musikverlagsfirma Fürstner, welche heute eine der bedeutendsten Deutschlands geworden ist, das Textbuch der Operette von Hervé: L'oeil crevé. Das leidlich verrückte Buch war von dem ausgezeichneten Componisten mit einem großen Reichthum an ungemein reizvollen, originellen Melodien ausgestattet worden, die ihm – er ist im Herbst 1892 gestorben – bekanntlich in Hülle und Fülle zuflossen, wie nur noch den Operettenmeistern Offenbach, Lecocq und Strauß. Die Arbeit interessirte mich, namentlich weil ich hoffte, 162 durch die Bearbeitung das Unsinnigste aus dem Libretto entfernen zu können. Die Soubrette des Originals lief nämlich im dritten, dem letzten, Akte mit einem Pfeil im Auge umher, den der bekannte Scharfschütze Amor auf sie abgeschossen hatte. Dieses Schauspiel war für Berlin unmöglich, obwohl es den Parisern sehr gefallen hatte. Ich brachte es durch sorgfältige Bearbeitung heraus und ersetzte es durch einen natürlichen Vorgang. Dann wurde die Operette unter dem neuen Titel: Fleur de Noblesse, dem Namen der von Fräulein Lina Mayr dargestellten Hauptrolle, im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater einstudirt, dessen Direktor Deichmann war, der, ein ehemaliger Holzhändler, sich wohl aus diesem Grunde auch für die Bretter, die die Welt bedeuten, besonders befähigt hielt. Dieser traute dem Original aber mehr Wirkung als der Bearbeitung zu und theilte mir auf der letzten Probe mit, daß er den Pfeil im Auge der Soubrette wieder hergestellt habe und sich denselben habe aus Paris kommen lassen. Dies goldene lange Geschoß Amors brachte den Eindruck, als sei es in das Auge des jungen Mädchens gedrungen, dadurch hervor, daß es in einem Ring steckte, den die liebevoll verletzte Dame um die Stirn befestigte. Das sah abgeschmackt aus und mußte die Zuschauer nervös machen. Ich freute mich sehr, als ich diese Scene geändert und damit alle Gefahr für die reizvolle 163 Partitur beseitigt hatte oder beseitigt zu haben glaubte. Aber, wie gesagt, der Herr Direktor hatte den Unsinn des Originals für eine Sicherung des Erfolges gehalten und ihn im letzten Augenblick wieder in seine pariser Rechte eingesetzt. Die erste Aufführung am 22. Mai 1868 hatte denn auch ein bejammernswerthes Schicksal. Als im letzten Akt Fräulein Lina Mayr mit dem Pfeil im Auge auf der Scene erschien, erhob sich im Publikum ein unerhörter Spektakel, und l'oeil crevé schloß sich für immer. Die graziöse Musik aber verklang im Staube des Fürstner'schen Etablissements, und der Herr Direktor Deichmann rief mir im vorwurfsvollen Tone zu: »Habe ick Ihnen nich jleich jesagt, det der ruppige Pfeil raus muß?«

Nein!


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