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Diese ernste Unterredung fand am Tage nach Fabrizzios Wiedereinzug in den Palazzo Sanseverina statt. Die Duchezza stand noch ganz unter dem Eindruck der Freude, die aus allem, was Fabrizzio tat, hervorleuchtete. ›Also‹, sagte sie sich, ›hat mich diese kleine Betschwester getäuscht! Sie hat ihrem Geliebten keine drei Monate widerstanden.‹
Die sichere Erwartung eines glücklichen Ausganges hatte einem so kleinmütigen Menschenkinde wie dem jungen Fürsten den Mut zur Liebe verliehen. Er hatte einige Kenntnis von den Reisevorbereitungen im Palazzo Sanseverina, und sein französischer Kammerdiener, der von der Tugend hoher Damen keine gute Meinung hatte, feuerte seinen Mut der Duchezza gegenüber an. Ernst V. erlaubte sich einen Schritt, der von der Fürstinwitwe und allen streng denkenden Leuten am Hofe höchlichst mißbilligt wurde. Das Volk sah darin den Gipfelpunkt der erstaunlichen Gunst, deren sich die Duchezza erfreute. Der Fürst fuhr zum Besuche vor ihrem Palazzo vor.
»Sie reisen ab!« sagte er zu ihr in einem ernsten Ton, den die Duchezza nicht ausstehen konnte. »Sie reisen ab! Sie wollen mich verraten und Ihren Eid brechen! Und doch, wenn ich nur zehn Miauten gezögert hätte, Ihnen Fabrizzios Begnadigung zu gewähren, wäre er tot. Und mich lassen Sie unglücklich! Ohne Ihren Schwur hätte ich nie den Mut gehabt, Sie zu lieben, wie ich es tue! Sie haben also kein Ehrgefühl!«
»Überlegen Sie es reiflich, mein Fürst! Gibt es in Ihrem ganzen Leben eine Zeit, die so glücklich gewesen wäre wie die vier jetzt verflossenen Monate? Ihr Ruhm als Monarch, und – ich wage es zu sagen –, Ihr Glück als liebenswürdiger Mensch sind zu keiner Zeit erhabener gewesen. Ich will Ihnen folgenden Vorschlag machen; wenn Sie gnädigst darauf eingehen, werde ich nicht Ihre Mätresse für einen flüchtigen Augenblick und kraft eines mir in der Angst abgerungenen Eides sein, will aber dafür jede Minute meines Lebens der Förderung Ihres Glückes widmen und immer bleiben, was ich seit vier Monaten gewesen bin. Und wer weiß, ob nicht die Liebe die Freundschaft krönt! Ich möchte das Gegenteil nicht beschwören!«
»Es sei!« sagte der Fürst entzückt. »Spielen Sie eine andere Rolle! Sie sollen noch mehr sein! Regieren Sie über mich und meine Lande; seien Sie mein Premierminister! Ich biete Ihnen eine Ehe an, wie sie die traurige Rücksicht auf meinen Rang zuläßt. Wir haben ein Gegenstück zu unserem Fall. Der König von Neapel hat jüngst die Duchezza di Partana geheiratet. Ich biete Ihnen alles an, was mir möglich ist, eine Ehe der gleichen Art. Lassen Sie mich eine traurige politische Betrachtung daran anknüpfen, um Ihnen zu zeigen, daß ich kein Kind mehr bin und daß ich alles bedacht habe. Ich mache kein Aufhebens von dem Opfer, das ich mir auferlege, der letzte Herrscher meines Hauses zu sein, noch von dem Schmerz, zu meinen Lebzeiten sehen zu müssen, wie die Großmächte über meine Nachfolge verfügen. Ich segne diese wirklich großen Widerwärtigkeiten, weil sie mir ein Mittel bieten, Ihnen meine Hochachtung und meine Liebe zu beweisen.«
Die Duchezza zauderte keine Minute. Der Fürst langweilte sie, und der Graf kam ihr über alles liebenswert vor. Es gab in der ganzen Welt nur einen einzigen Mann, den sie ihm vorzuziehen imstande war. Überdies beherrschte sie den Grafen, während der Fürst, den Forderungen seines Standes unterworfen, mehr oder minder über sie herrschen würde. Obendrein konnte er wankelmütig werden und sich Mätressen anschaffen. Der Altersunterschied würde ihm in wenigen Jahren das Recht dazu geben.
Gleich im ersten Augenblick hatte die Aussicht, sich langweilen zu sollen, alles entschieden. Trotzdem bat sich die Duchezza, um liebenswürdig zu sein, Bedenkzeit aus.
Es wäre zu weitschweifig, wollten wir hier alle die klugen und fast zärtlichen Worte und die grenzenlos höfischen Ausdrücke wiederholen, in die sie ihre Weigerung zu kleiden verstand. Der Fürst geriet in Zorn; er sah sich seines ganzen Glückes beraubt. Was sollte werden, wenn die Duchezza seinen Hof verließ? Welche Demütigung übrigens für ihn, einen Korb zu bekommen! »Und schließlich, was wird mein französischer Kammerdiener sagen, wenn ich ihm von meiner Niederlage erzähle?«
Die Duchezza wußte den Fürsten geschickt zu beschwichtigen und die Verhandlung allmählich ihrem wahren Ziele zuzuführen.
»Wenn Eure Hoheit geruhen wollen, mich nicht zur Erfüllung meines peinlichen Versprechens zu drängen, das in meinen Augen abscheulich erscheint und mich zur Selbstverachtung führen müßte, so will ich zeitlebens an Allerhöchstdero Hofe verweilen, und dieser Hof wird immer so bleiben wie in diesem Winter. Jeden Augenblick will ich dem Glück Eurer Hoheit als Menschen und Ihrem Ruhm als Herrscher widmen. Wenn Sie aber fordern, daß ich meinen Schwur halten soll, so ist der Rest meines Lebens geschändet, und ich werde zur nämlichen Stunde Ihre Lande verlassen, um niemals zurückzukehren. An dem Tage, an dem ich meine Ehre verliere, werden wir uns zum letzten Male gesehen haben!«
Aber der Fürst war wie alle zaghaften Menschen halsstarrig. Übrigens war sein Stolz als Mann und als Monarch durch die Abweisung seiner Hand verletzt. Er überdachte alle Schwierigkeiten, die er zu überwinden gehabt hätte, um diese Heirat durchzusetzen, und die zu besiegen er doch entschlossen gewesen war.
Drei Stunden lang wiederholte man sich beiderseits dieselben Gesichtspunkte, in die sich des öfteren sehr erregte Worte mengten. Der Fürst rief aus: »So soll ich also glauben, gnädige Frau, daß es Ihnen an Ehrgefühl mangelt? Wenn ich ebensolange gezögert hätte, als der General Fabio Conti Fabrizzio Gift vorsetzte, so wären Sie heute damit beschäftigt, ihm in einer der Kirchen Parmas ein Grabmal zu bauen.«
»Nicht in Parma, sicherlich nicht in diesem Lande der Giftmischerei!«
»Gut! Reisen Sie ab, Duchezza!« erklärte der Fürst zornig. »Nehmen Sie meine Verachtung mit auf den Weg!«
Als er ging, sagte sie ihm mit leiser Stimme: »So sei es! Stellen Sie sich heute abend um zehn Uhr hier ein, im strengsten Inkognito. Aber Sie gehen einen schlechten Handel ein. Sie werden mich zum letzten Male zu sehen bekommen, und ich hätte Ihnen mein Leben geweiht, um Sie glücklich zu machen, wie es ein absoluter Fürst in unserem Jakobinerjahrhundert nur sein kann. Und denken Sie daran, was aus Ihrem Hofe wird, wenn ich nicht mehr hier bin. Er wird wieder in seine gewohnte Fadheit und Bösartigkeit zurücksinken.«
»Und Sie, Sie weisen die Krone Parmas zurück, und mehr als die Krone, denn Sie wären nicht wie eine gewöhnliche Prinzessin, die man nicht liebt, aus Politik geheiratet worden. Mein ganzes Herz gehört Ihnen, und Sie wären auf ewig die unumschränkte Herrin meiner Taten wie meines Landes geworden.«
»Jawohl, aber die Fürstin, Ihre Frau Mutter, hätte das Recht gehabt, mich wie eine gemeine Ränkeschmiedin zu verachten.«
»Dann hätte ich die Fürstin mit einem Jahresgehalt außer Landes geschickt.«
Noch drei viertel Stunden währte diese bedeutsame Aussprache. Der Fürst, der eine zarte Seele hatte, konnte sich weder dazu entschließen, von seinem Recht Gebrauch zu machen, noch dazu, die Duchezza abreisen zu lassen. Man hatte ihm gesagt, wenn man sich eine Frau einmal zu eigen gemacht habe, gleichgültig wie, sei sie auf ewig gefesselt.
Von der empörten Duchezza verjagt, wagte er es, am ganzen Leibe zitternd und tief unglücklich, drei Minuten vor zehn Uhr wiederzukommen. Um halb elf stieg die Duchezza in ihren Reisewagen und fuhr nach Bologna. Sobald sie außerhalb des Landes war, schrieb sie an den Grafen Mosca:
Acht Tage darauf wurde die Hochzeit in Perugia gefeiert, in einer Kirche, wo die Vorfahren des Grafen beigesetzt waren. Der Fürst war in Verzweiflung. Er hatte der Duchezza drei oder vier Eilboten gesandt, aber sie hatte ihm seine Briefe in ihren uneröffneten Umschlägen zurückgeschickt. Ernst V. bewilligte dem Grafen eine fürstliche Pension und verlieh Fabrizzio das Großkreuz seines Hausordens.
»Eins hat mir beim Abschied ganz besonders gefallen«, sagte der Graf zur neubackenen Gräfin Mosca della Rovere. »Wir sind als die besten Freunde von der Welt auseinandergegangen. Er hat mir ein spanisches Großkreuz verliehen und die Diamanten dazu, die mindestens ebensoviel Wert haben. Er hat mir gesagt, er würde mich zum Duca machen, aber das wolle er sich als Mittel vorbehalten, um Sie in sein Land zurückzurufen. Ich bin also beauftragt – eine schöne Aufgabe für einen Gatten –, Ihnen zu erklären, wenn Sie die Gnade hätten, nach Parma zurückzugehen, und wäre es nur für einen Monat, so würde ich Duca mit einem Namen, den Sie wählen könnten, und Sie sollen ein hübsches Landgut bekommen.«
Mit wahrem Abscheu wies das die Duchezza von sich. –
Nach jenem Erlebnis auf dem Hof ball schien sich Clelia nicht mehr der Liebe zu erinnern, die sie eine Zeit lang sichtlich geteilt hatte. Die heftigste Reue hatte ihre tugendsame und gläubige Seele ergriffen. Das wußte Fabrizzio sehr wohl, und trotz allen Hoffnungen, die er sich zu machen versuchte, verfiel seine Seele wieder in düstere Schwermut. Aber er konnte sich diesmal mit seinem Unglück nicht in ein Kloster vergraben, wie damals, als Clelias Verheiratung bevorstand.
Der Graf hatte seinen Neffen gebeten, ihn genauestens über die Ereignisse am Hofe auf dem laufenden zu halten, und Fabrizzio, der zu begreifen begann, was er ihm alles schuldete, hatte versprochen, diesem Auftrag nach bestem Wissen nachzukommen.
Ebenso wie die Stadt und der Hof zweifelte Fabrizzio nicht daran, daß sein Freund die Absicht hegte, das Ministerium wieder zu übernehmen, und zwar mit größerer Macht denn je. Die Voraussagen des Grafen wurden bald zur Wirklichkeit. Kaum sechs Wochen nach seinem Weggang war Rassi Premierminister, Fabio Conti Kriegsminister, und die Gefängnisse, die unter dem Regime des Grafen beinahe leer geworden waren, füllten sich von neuem. Mit der Berufung dieser Leute in hohe Posten glaubte sich der Fürst an der Duchezza zu rächen. Er war toll vor Liebe und haßte besonders den Grafen Mosca wie einen Nebenbuhler. –
Fabrizzio hatte viel zu tun. Monsignore Landriani, der zweiundsiebzig Jahre zählte, war im höchsten Grade altersschwach geworden und vermochte seinen Palazzo kaum mehr zu verlassen. So mußte er seinem Koadjutor fast alle Geschäfte überlassen.
Die Marchesa Crescenzi hatte unter der Last ihrer Selbstvorwürfe und unter dem Druck ihres Beichtvaters ein vortreffliches Mittel gefunden, sich Fabrizzios Blicken zu entziehen. Indem sie beginnende Mutterschaft vorschützte, lebte sie in ihrem eigenen Palazzo wie in einem Gefängnis. Aber dieser Palazzo hatte einen riesigen Garten. Fabrizzio fand Mittel und Wege, hineinzukommen, und legte in die Allee, die Clelia am liebsten hatte, Blumensträuße, deren einzelne Blumen derartig gewählt und gebunden waren, daß sie eine gewisse Sprache führten, ähnlich der, die sie einst in den letzten Tagen seiner Gefangenschaft in der Torre Farnese allabendlich angewandt hatte.
Die Marchesa war über diesen Versuch sehr erzürnt. Ihre Seele ward zwischen den Forderungen ihrer Reue und ihrer Leidenschaft hin und her gerissen. Mehrere Monate lang erlaubte sie sich nicht ein einziges Mal, den Garten ihres Hauses zu betreten; sie hatte sogar Bedenken, einen Blick auf ihn zu werfen.
Fabrizzio begann zu glauben, er habe Clelia für ewig verloren; er hegte keine Hoffnung mehr. Die Welt, in der er sein Leben verbrachte, mißfiel ihm bis zum Überdruß, und wenn er nicht tief überzeugt gewesen wäre, daß Graf Mosca ohne seinen Ministerposten keinen Seelenfrieden finden könne, so hätte er sich wie ein Einsiedler in sein kleines Zimmer im erzbischöflichen Palast eingeschlossen. Es wäre ihm süß gewesen, ganz seinen Gedanken zu leben und Menschenstimmen nur bei der Ausübung seiner Berufspflichten zu hören.
›Aber‹, sagte er sich, ›die Interessen des Grafen und der Gräfin Mosca kann nur ich allein vertreten.‹
Der Fürst behandelte ihn auch fernerhin mit einer Auszeichnung, die ihm am Hofe den höchsten Rang einräumte. Diese Gunst verdankte er zum größten Teil sich selbst. Fabrizzios äußerste Zurückhaltung entsprang aus einer bis zum Ekel gesteigerten Gleichgültigkeit gegen alle Launen und kleinen Gelüste, die das menschliche Leben ausmachen. Aber eben diese Zurückhaltung hatte die Eitelkeit des jungen Fürsten verletzt. Er pflegte zu sagen, Fabrizzio habe ebensoviel Geist wie seine Tante. Mit seiner lauteren Seele kam der Fürst halbwegs auf eine Wahrheit: daß er in seiner Nähe keinen Menschen mit ähnlicher Geistesverfassung wie Fabrizzio habe. Sogar dem Durchschnitt der Höflinge entging es nicht, daß das Ansehen, das Fabrizzio genoß, durchaus nicht das eines einfachen Koadjutors war, sondern selbst über die Achtung hinausging, die der Monarch dem Erzbischof bekundete. Fabrizzio schrieb dem Grafen: ›Wenn der Fürst je so viel Einsicht hat, zu merken, in welche Patsche die Minister Rassi, Fabio Conti, Zurla und andere Geister desselben Schlages den Regierungskarren gefahren haben, so werde ich die natürliche Mittelsperson sein, durch die er einen gewissen Schritt tun könnte, ohne seine Eigenliebe allzusehr bloßzustellen.‹
Der Gräfin Mosca schrieb Fabrizzio: ›Ohne die Erinnerung an das verhängnisvolle Wort ›dieses Kind‹, das ein genialer Mann auf eine erlauchte Persönlichkeit angewandt hat, hätte diese längst gerufen: ›Kommen Sie schnell wieder und verjagen Sie mir dieses Lumpenpack!‹ Wenn die Gemahlin des genialen Mannes auch nur im geringsten entgegenkommend wäre, riefe man den Grafen am liebsten gleich heute zurück; aber er wird noch glänzender empfangen werden, wenn er die Frucht reifen läßt. Im übrigen langweilt man sich tödlich im Hofstaate der Fürstinwitwe, wo man keine andere Zerstreuung hat als die Torheiten Rassis, der, seit er Graf ist, den Adelskoller bekommen hat. Man hat jüngst strenge Verfügungen erlassen, wonach fortan niemand, der nicht acht Ahnen nachzuweisen hat, es wagen darf, bei den Abendgesellschaften der Fürstin zu erscheinen. (So lautet der Ausdruck der Verfügung!) Nur wer schon das Recht hat, des Morgens die große Galerie zu betreten und anwesend zu sein, wenn der Fürst zur Messe geht, soll jenes Vorrecht weiter genießen. Jeder neu Hinzukommende jedoch hat sich der Ahnenprobe zu unterwerfen. Irgendwer hat den Witz gemacht, Rassi sei über jede Probe erhaben.‹
Selbstverständlich vertraute man dergleichen Briefe nicht der Post an. Die Gräfin Mosca antwortete aus Neapel: >Wir haben jeden Donnerstag Musikabend und alle Sonntage Conversazione. Unsere Salons sind zum Erdrücken voll. Der Graf ist für seine Ausgrabungen begeistert; er opfert ihnen monatlich tausend Franken und hat sich soeben Arbeiter aus den Abruzzen kommen lassen, die ihn nur dreiundzwanzig Soldi den Tag kosten. Du solltest uns einmal besuchen. Das ist mindestens das zwanzigste Mal, daß ich an Herrn Undankbar die Einladung dazu ergehen lasse.‹
Fabrizzio hütete sich, Folge zu leisten. Schon die Briefe, die er alle Tage an den Grafen oder die Gräfin schrieb, dünkten ihn eine fast unerträgliche Qual. Man wird ihm verzeihen, wenn man erfährt, daß sich so ein ganzes Jahr hinzog, ohne daß er mit der Marchesa Crescenzi auch nur ein einziges Wort sprechen konnte. Alle seine Versuche, mit ihr in irgendwelche Beziehungen zu treten, hatte sie mit Schaudern zurückgewiesen. Das gewohnheitsmäßige Schweigen, das Fabrizzio aus Lebensüberdruß überall wahrte, außer wenn er seinen geistlichen Beruf ausübte oder zu Hofe ging, hatte ihm im Verein mit der echten Lauterkeit seines Lebenswandels eine so außergewöhnliche Verehrung erworben, daß er sich endlich entschloß, den Ratschlägen seiner Tante zu gehorchen.
›Der Fürst hegt für Dich eine so große Vorliebe,‹ hatte sie ihm geschrieben, ›daß bald ein Umschwung zu erwarten ist. Er wird Dich mit Ungnade überschütten, und die Höflinge werden ihrem hohen Vorbild in rücksichtsloser Verachtung nicht nachstehen. Diese kleinen Tyrannen, so ehrsam sie sein mögen, sind wetterwendisch wie die Mode, und zwar aus dem gleichen Grunde: aus Langerweile. Es gibt keine andere Waffe gegen die Launen des Monarchen als Predigen! Du kannst so schöne Verse aus dem Stegreif dichten. Versuche es doch einmal, eine halbe Stunde über fromme Dinge zu sprechen! Im Anfang wirst Du Ketzereien sagen. Aber nimm Dir einen gelehrten und verschwiegenen Theologen, der sich Deine Predigten anhört und Dich auf Fehler aufmerksam macht; am nächsten Tage kannst Du sie verbessern.‹
Unglückliche Liebe macht dem, der sie erleidet, alles zu grausamer Pein, was Aufmerksamkeit und Betätigung erheischt. Aber Fabrizzio sagte sich, daß Volkstümlichkeit falls er sie errang, einmal seiner Tante und dem Grafen nützen könne. Seine Verehrung für diese beiden Menschen wuchs von Tag zu Tag in dem Maße, wie sein Beruf ihn die Erbärmlichkeit der Menschen erkennen lehrte. Er entschloß sich zum Predigen, und der Erfolg, den er hatte, unterstützt durch seine Magerkeit und sein schlichtes Gewand, war beispiellos. Man fand in seinen Predigten den Duft der Schwermut, und das eroberte ihm, in Verbindung mit seinem reizenden Gesicht und der Kunde von der hohen Gunst, die er bei Hofe genoß, alle Frauenherzen. Es bildete sich die Legende, er sei einer der tapfersten Offiziere der Napoleonischen Armee gewesen. Sehr bald war das trotz allem Widersinn eine ausgemachte Sache. In den Kirchen, wo er predigte, belegte man vorher die Plätze; die Armen setzten sich bereits früh um fünf hinein, um damit Geld zu verdienen.
Fabrizzios Erfolg war derartig, daß ihm schließlich ein Gedanke kam, der alles in seiner Seele umwälzte; der Gedanke, die Marchesa Crescenzi könne eines Tages kommen, und sei es auch nur aus bloßer Neugier, um eine seiner Predigten anzuhören. Plötzlich bemerkten seine entzückten Zuhörer, daß sich seine Rednergabe verdoppelte. War er bewegt, verstieg er sich zu Bildern, vor deren Kühnheit die geschultesten Redner zurückgeschreckt wären. Bisweilen, wenn er sich vergaß, verlor er sich in Augenblicke leidenschaftlicher Erleuchtung, die seine ganze Zuhörerschaft zu Tränen rührte. Aber vergeblich suchte sein spähender Blick unter den vielen Gesichtern, die nach seiner Kanzel gewandt waren, eines, dessen Anwesenheit für ihn ein großes Erlebnis gewesen wäre.
›Aber wenn ich dieses Glück je haben sollte,‹ sagte er sich, ›dann werde ich entweder krank, oder ich bleibe stecken‹. Um für den letztgenannten unziemlichen Fall gerüstet zu sein, hatte er ein inniges, gefühlsstarkes Gebet verfaßt, das er immer auf seiner Kanzel zur Hand hatte, mit dem Vorsatz, es zu verlesen, falls ihn die Gegenwart der Marchesa der Sprache beraube.
Eines Tages erfuhr er durch einen von ihm bestochenen Dienstboten des Marchese, daß Befehl erteilt war, für den nächsten Tag die Loge der Casa Crescenzi im Schauspielhaus bereit zu halten. Seit einem Jahre war die Marchesa in keinem Theater erschienen. Ein Tenor, der stürmischen Beifall erntete und alle Abende ein volles Haus hatte, war die Ursache, daß sie mit ihrer Gewohnheit brach. Fabrizzio freute sich grenzenlos. ›Endlich kann ich sie wieder einen ganzen Abend lang sehen. Sie soll sehr blaß sein.‹ Und er versuchte, sich ihr schönes Gesicht in Farben vorzustellen, die durch die Seelenkämpfe halb verblichen waren.
Sein Freund Ludovico, ganz betroffen von der Verrücktheit seines Herrn (so nannte er es), bekam mit Mühe eine Loge im vierten Rang, fast gegenüber der der Marchesa. Der Gedanke drängte sich Fabrizzio auf: ›Hoffentlich bringe ich sie auf den Einfall, zu meiner Predigt zu kommen. Ich werde eine ganz kleine Kirche wählen, um sie recht gut sehen zu können.‹
Fabrizzio predigte gewöhnlich um drei Uhr. Am Morgen des Tages, an dem die Marchesa ins Theater gehen wollte, ließ er bekannt geben, daß ihn den ganzen Tag über eine Amtspflicht an die erzbischöfliche Kanzlei fessele und daß er deshalb ausnahmsweise um ein halb neun Uhr abends in der kleinen Kirche Santa Maria della Visitazione predigen werde. Diese Kirche lag gerade gegenüber einer der Seitenfronten des Palazzos Crescenzi. Ludovico überbrachte den frommen Schwestern von Maria Heimsuchung eine Riesenanzahl von Kerzen mit der Bitte, ihre Kirche damit zu erleuchten.
Die Predigt war auf halb neun Uhr angesetzt, aber schon um zwei Uhr war die Kirche voller Leute. Gardegrenadiere waren zur Aufrechterhaltung der Ordnung aufgeboten; vor jeder Seitenkapelle stand ein Posten mit aufgepflanztem Seitengewehr, um Diebstähle zu verhindern. Man kann sich das Gedränge in der sonst so friedlichen Straße vorstellen, der die edle Architektur des Palazzos Crescenzi das Gepräge gab. Fabrizzio hatte bekannt machen lassen, er werde der Madonna della Pietà zu Ehren über das Mitleid predigen, das eine edelmütige Seele für einen Unglücklichen hegen müsse, selbst wenn er ein Sünder wäre.
Mit aller möglichen Sorgfalt verkleidet, gelangte Fabrizzio in seine Theaterloge, gerade als man die Türen öffnete und das ganze Theater noch dunkel war. Die Oper begann gegen acht Uhr. Wenige Minuten später empfand er jene Freude, die nur der verstehen kann, der sie im eigenen Herzen erfahren hat. Er sah, wie die Tür der Crescenzischen Loge geöffnet wurde. Kurz darauf trat die Marchesa ein. Er hatte sie seit dem Tage, da sie ihm den Fächer gereicht hatte, nicht wieder gesehen. Fabrizzio vermeinte vor Jubel zu ersticken; er fühlte sich so ungewöhnlich bewegt, daß er sich sagte: ›Vielleicht sterbe ich jetzt! Das wäre eine süße Art, dieses trübe Leben zu beschließen! Ich sänke in dieser Loge zu Boden. Die Frommen, die in Maria Heimsuchung versammelt sind, harren meiner vergeblich, und morgen erfährt man, daß ihr künftiger Erzbischof sich in eine Theaterloge verirrt hat, noch dazu als Diener verkleidet, in einer Livree –. Fahrt hin, Ehre und Würden! Was ficht mich meine Würde an!‹
Trotzdem ermannte sich Fabrizzio gegen drei Viertel neun Uhr. Er verließ seine Loge im vierten Rang und hatte alle Mühe, zu Fuß den Ort zu erreichen, wo er seine Dienertracht mit einem würdigeren Gewand vertauschen sollte. Erst gegen neun Uhr erreichte er Maria Heimsuchung, und zwar derartig schwach und bleich, daß sich in der Kirche das Gerücht verbreitete, Monsignore könne heute abend nicht predigen. Begreiflicherweise ließen ihm die Nonnen am Gitter ihres inneren Sprechzimmers, wohin er sich geflüchtet hatte, die größte Sorgfalt angedeihen. Sie waren sehr geschwätzig. Fabrizzio bat, ihn einige Augenblicke allein zu lassen; dann eilte er auf die Kanzel. Einer seiner Getreuen hatte ihm gemeldet, daß die Kirche della Visitazione überfüllt sei, aber durch Leute aus dem untersten Volk, die offenbar das Schauspiel der erleuchteten Kirche angelockt habe. Als Fabrizzio die Kanzel betrat, war er angenehm überrascht, alle Stühle von jungen Herren der Gesellschaft und Persönlichkeiten aus der vornehmen Welt besetzt zu sehen.
Seine Predigt begann mit einigen Entschuldigungsworten, die mit unterdrückten Beifallsrufen aufgenommen wurden. Dann kam die leidenschaftliche Schilderung des Unglücklichen, mit dem man Erbarmen haben müsse, wenn man der Madonna della Pietà die geziemende Ehre erweisen wolle, ihr, die selbst hienieden so viel gelitten habe. Der Redner war tief bewegt. Bisweilen vermochte er nur mit Anstrengung die Worte so auszusprechen, daß sie in allen Teilen dieser kleinen Kirche verstanden wurden. Allen Frauen und auch einem reichlichen Teil der Männer kam es vor, als gliche er selbst dem Unglücklichen, mit dem man Mitleid haben müsse, so ungeheuer bleich sah er aus. Nach den einleitenden Entschuldigungsworten bemerkte man, daß er heute ganz anders sei als sonst; man erlebte an ihm an jenem Abend eine Schwermut, die inniger und rührender war als gewöhnlich. Mit einem Male sah man seine Augen voll von Tränen; zugleich stieg aus der Hörerschaft ein allgemeines Schluchzen empor, so vernehmlich, daß es die Predigt unterbrach.
Dieser ersten Unterbrechung folgten zehn weitere; manche der Zuhörer stießen Rufe der Bewunderung aus, andere bekamen Weinkrämpfe; alle Augenblicke hörte man Ausrufe wie: »O pietosa Madonna!« »O santissima madre!« Die Rührung dieser erlesenen Gemeinde war so allgemein und so unüberwindlich, daß sich niemand scheute, ihr laut Ausdruck zu geben, und daß die, die dazu hingerissen wurden, ihren Nachbarn keineswegs lächerlich erschienen.
In der Pause, die gewöhnlich in der Mitte der Predigt gemacht wird, erzählte man Fabrizzio, im Theater sei buchstäblich niemand verblieben; nur eine einzige Dame sitze noch in ihrer Loge, die Marchesa Crescenzi. Während dieser Pause hörte man plötzlich starken Lärm in der Kirche. Seine Gemeinde stimmte dafür, dem Herrn Koadjutor ein Standbild zu errichten.
Der Erfolg, den er im zweiten Teil seiner Predigt hatte, war dermaßen toll und weltlich, statt der Ausbrüche religiöser Zerknirschung nahmen die Äußerungen völlig weltlicher Bewunderung derartig überhand, daß sich Fabrizzio für verpflichtet hielt, seinen Zuhörern beim Verlassen der Kanzel einen Tadel auszusprechen. Daraufhin strömte alles mit einem Male hinaus in einer seltsamen und gemessenen Bewegung, und auf der Straße angekommen, begann alles wie rasend zu klatschen und zu rufen: »Evviva del Dongo!«
Fabrizzio sah hastig auf seine Taschenuhr und lief an ein kleines Gitterfenster, das den engen Gang von der Orgel ins Innere des Klosters erhellte. Aus Höflichkeit gegen die ungeheuere und ungewöhnliche Menge, die die Straße erfüllte, hatte der Schweizer des Palazzos Crescenzi ein Dutzend Pechfackeln in die eisernen Arme gesteckt, die man an den Vorderseiten mittelalterlicher Paläste häufig erblickt. Nach einigen Minuten, als die Rufe noch lange nicht verstummt waren, trat das wirklich ein, was Fabrizzio mit so bangem Herzen ersehnt hatte. Der Wagen der Marchesa kam vom Theater zurückgefahren; der Kutscher mußte halten, und nur ganz langsam und unter fortwährendem Rufen erreichte der Wagen endlich das Portal.
Die Marchesa war durch die erhabene Musik weich gestimmt, wie das allen unglücklichen Herzen ergeht, aber mehr noch durch die gänzliche Leere im Theater, als sie den Grund erfuhr. Mitten im zweiten Akt, als der gefeierte Tenor gerade sang, hatte selbst das Parkettpublikum plötzlich seine Sitze verlassen. Alle wollten ihr Glück versuchen, in die Kirche della Visitazione zu gelangen. Als sich die Marchesa durch die Volksmenge vor ihrem Tor aufgehalten sah, brach sie in Tränen aus. ›Ich hatte keine schlechte Wahl getroffen!‹ sagte sie sich. Aber gerade wegen dieser gerührten Anwandlung setzte sie dem Zureden des Marchese und aller Freunde des Hauses, die nicht begriffen, daß sie sich, einen so erstaunlichen Kanzelredner nicht anhören wolle, die entschiedenste Weigerung entgegen. »Er hat sogar den besten Tenor Italiens ausgestochen!« sagte man. ›Wenn ich ihn sehe, bin ich verloren!‹ dachte die Marchesa.
Vergeblich predigte Fabrizzio, dessen Rednergabe mit jedem Tage glänzender wurde, noch mehrere Male in derselben Kirche gegenüber dem Palazzo Crescenzi. Nie bekam er Clelia zu Gesicht; ja sie ward schließlich sogar darüber unwillig, daß er danach trachtete, ihre friedliche Straße in Unruhe zu versetzen, nachdem er sie schon aus ihrem Garten verscheucht hatte.
Wenn Fabrizzio unter den Gesichtern seiner Zuhörerinnen suchte, bemerkte er schon seit längerer Zeit das niedliche Antlitz einer sehr hübschen Brünette mit glühenden Augen. Diese herrlichen Augen waren gewöhnlich bereits nach den ersten Sätzen seiner Predigt in Tränen gebadet. Wenn Fabrizzio bisweilen langschweifige und für ihn selber langweilige Stellen predigen mußte, ruhten seine Blicke gern auf diesem Gesicht, dessen Jugendfrische ihm gefiel. Er erfuhr, daß dieses junge Mädchen Annetta Marini hieß und die einzige Tochter und Erbin des vor etlichen Monaten verstorbenen reichsten Tuchhändlers von Parma war.
Bald war der Name dieser Annetta Marini in aller Munde. Sie hatte sich in Fabrizzio wahnsinnig verliebt. Als seine berühmten Predigten begannen, war sie mit Giacomo Rassi, dem ältesten Sohne des Justizministers, verlobt. Er gefiel ihr ganz gut, aber kaum hatte sie Monsignore Fabrizzio zweimal predigen hören, da erklärte sie, sie wolle nicht mehr heiraten. Und als man sie nach dem Grunde ihrer sonderbaren Willenswandlung fragte, gab sie freimütig zur Antwort, da man nun doch einmal die Wahrheit entdeckt habe, wolle sie sich nicht durch eine Lüge erniedrigen. Da sie keine Hoffnung habe, fügte sie hinzu, den angebeteten Mann zu heiraten, wolle sie wenigstens seine Augen nicht durch den lächerlichen Anblick des Contino Rassi beleidigen. Diese schimpfliche Bemerkung über den Sohn eines Mannes, dem der Neid der ganzen Bürgerschaft galt, war zwei Tage später stadtbekannt. Die Antwort der Annetta Marini wurde allerliebst befunden und ging von Mund zu Mund. Man erzählte sich davon im Palazzo Crescenzi wie überall.
Clelia hütete sich, in ihrem Salon über dieses Thema irgend etwas zu äußern, aber sie erkundigte sich bei ihrer Kammerzofe, und am folgenden Sonntag, nachdem sie in ihrer Hauskapelle die Messe gehört hatte, mußte die Kammerzofe in ihrem Wagen spazieren fahren, während sie selbst eine zweite Messe in der Lieblingskirche der Signorina Marini besuchte. Sie traf dort die vornehme Welt der Stadt an, die der gleiche Grund hingelockt hatte; alle diese Herren warteten am Portal der Kirche. Sehr bald entstand eine große Unruhe unter ihnen; die Marchesa begriff, daß Signorina Marini die Kirche betrat. Clelia saß so, daß sie das Mädchen vorzüglich beobachten konnte, und trotz ihrer Frömmigkeit schenkte sie der Messe keine besondere Andacht. Clelia fand an dieser bürgerlichen Schönheit einen gewissermaßen energischen Zug, der ihrer Meinung nach nur einer seit Jahren verheirateten Frau zustand. Im übrigen war sie tadellos schlank gewachsen, und ihre Augen schienen mit den Dingen, die sie betrachtete, far la conversazione, wie man in der Lombardei zu sagen pflegt. Ehe die Messe zu Ende war, entfernte sich die Marchesa leise.
Schon am anderen Tage erzählten die Freunde des Hauses Crescenzi, die sich alle Abende einstellten, eine neue lächerliche Anekdote von Annetta. Ihre Mutter hielt sie aus Furcht, sie könne Torheiten begehen, knapp mit Geld. Um den Preis eines herrlichen Brillantringes, eines Geschenks ihres Vaters, hatte sie bei dem berühmten Hayez, der sich damals in Parma aufhielt, um die Fresken im Palazzo Crescenzi zu malen, ein Bildnis des Monsignore del Dongo bestellt. Auf diesem Bild sollte er in einfacher schwarzer Kleidung, nicht im Priesterrock, dargestellt sein. Gestern nun hatte die Mutter der kleinen Annetta zu ihrer großen Überraschung und ihrem noch größeren Ärger das Bildnis des Fabrizzio del Dongo im Schlafzimmer ihrer Tochter entdeckt, umschlossen vom schönsten Goldrahmen, der seit zwanzig Jahren in Parma hergestellt worden war.