Stendhal
Die Kartause von Parma
Stendhal

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Inmitten der allgemeinen Verdammung blieb einzig und allein der Erzbischof Landriani der Sache seines jungen Freundes treu. Er wagte sogar, am Hofe der Fürstin folgenden Rechtsgrundsatz wiederholt auszusprechen: Bei jedem Prozeß müsse man sein Ohr von jeglichem Vorurteil frei halten und die Rechtfertigung eines Abwesenden anhören.

Bereits am Tage nach Fabrizzios Entweichen war mehreren Persönlichkeiten ein ziemlich mäßiges Sonett zugegangen, worin seine Flucht als eine der schönsten Taten des Jahrhunderts gepriesen und Fabrizzio mit einem Engel verglichen wurde, der mit ausgebreiteten Flügeln zur Erde hinabgeschwebt sei. Am übernächsten Abend sagte man in ganz Parma ein herrliches Sonett auf; es war ein Monolog, den Fabrizzio über die entscheidenden Ereignisse seines Lebens hielt, während er an dem langen Seil hinabglitt. Dieses Gedicht machte ihn durch zwei prächtige Verse populär; Literaturfreunde erkannten den Stil Ferrante Pallas.

Im folgenden müßte ich den epischen Stil anwenden. Woher sollte ich die Farben nehmen, um die Sturzbäche der Entrüstung zu malen, die urplötzlich alle wohldenkenden Herzen überschwemmten, als man die unglaubliche Unverschämtheit von der Festbeleuchtung des Schlosses Sacca erfuhr? Alles schrie förmlich auf gegen die Duchezza; selbst die wirklich Liberalen meinten, so etwas stelle die armen Verdächtigen, die in den verschiedenen Gefängnissen eingesperrt waren, in barbarischer Weise bloß und erbittere unnützerweise das Herz des Monarchen. Graf Mosca erklärte, der Duchezza bliebe kein einziger ihrer alten Freunde; sie sei vergessen. Somit war das Konzert der Verwünschung einstimmig. Ein Fremder auf der Durchreise wäre über die Energie der öffentlichen Meinung erstaunt gewesen. Aber in diesem Lande, wo man den Genuß der Rache zu schätzen weiß, hatten die Festbeleuchtung von Sacca und das herrliche Parkfest, das man mehr als sechstausend Landleuten gegeben hatte, ungeheueren Erfolg. In Parma erzählte man sich immer wieder, die Duchezza habe unter ihre Bauern tausend Zechinen verteilen lassen. Damit erklärte man den etwas rauhen Empfang, der etlichen dreißig Gendarmen zuteil geworden war, die dummerweise die Polizei sechsunddreißig Stunden nach dem herrlichen Abendfest und dem darauffolgenden allgemeinen Rausch nach dem kleinen Dorf entsandt hatte. Die Gendarmen waren mit Steinwürfen empfangen worden und hatten die Flucht ergriffen; zwei von ihnen waren vom Pferde gerissen und in den Po geworfen worden.

Der Bruch des großen Wasserbehälters im Palazzo Sanseverina war fast unbeachtet geblieben. Während der Nacht waren einige Straßen mehr oder weniger überschwemmt worden; am anderen Tage meinte man, es habe geregnet. Ludovico hatte aus Vorsicht die Scheiben eines Fensters im Palast zerschlagen, so daß man auf Einbrecher schließen konnte. Man fand sogar eine kleine Leiter. Nur Graf Mosca durchschaute den Streich seiner Freundin.

Fabrizzio war fest entschlossen, sobald er konnte, nach Parma zurückzukehren. Er sandte Ludovico mit einem langen Brief an den Erzbischof, und der treue Diener gab dafür auf der Post des ersten piemontesischen Dorfes, in Sannazaro, westlich von Pavia, eine lateinische Epistel auf, die der ehrwürdige Prälat seinem jungen Schützling widmete. Wir müssen hier eine Einzelheit hinzufügen, die zweifellos wie so manche andere in Ländern, wo man keine Vorsichtsmaßregeln mehr braucht, weitschweifig erscheinen wird: Der Name Fabrizzio del Dongo ward niemals genannt; alle Briefe, die für ihn bestimmt waren, waren an Ludovico San Micheli nach Locarno in der Schweiz oder nach Belgirate in Piemont gerichtet. Die Umschläge waren aus grobem Papier, das Siegel unordentlich aufgedrückt, die Anschrift kaum leserlich und bisweilen mit Empfehlungsfloskeln geziert, die einer Köchin würdig waren. Alle diese Briefe waren aus Neapel datiert und alle um sechs Tage früher.

Aus dem Piemonteser Dorfe Sannazaro kehrte Ludovico schleunigst nach Parma zurück. Er hatte einen Auftrag erhalten, dem Fabrizzio die größte Bedeutung beimaß; es handelte sich um nichts Geringeres, als Clelia Conti ein seidenes Taschentuch zu überbringen, auf das ein Sonett von Petrarca gedruckt war. Allerdings war in diesem Gedicht ein Wort verändert. Clelia fand es auf ihrem Tisch, zwei Tage nachdem sie den Dank des Marchese Crescenzi entgegengenommen hatte, der sich den Glücklichsten der Männer pries. Es ist unnötig, den Eindruck zu schildern, den Fabrizzios immer gleiches Gedenken in Clelias Herzen hervorrief.

Ludovico sollte sich alle möglichen Einzelheiten über die Vorkommnisse in der Zitadelle zu verschaffen suchen. So erfuhr Fabrizzio durch ihn die betrübliche Nachricht, daß die Heirat des Marchese Crescenzi nun als beschlossene Sache galt. Es verging fast kein Tag, an dem dieser nicht Clelia zu Ehren in der Zitadelle ein Fest gab. Ein entscheidender Beweis für den Heiratsbeschluß war es, daß der Marchese, der unermeßlich reich und infolgedessen sehr geizig war, wie es unter den begüterten Leuten Oberitaliens Brauch ist, riesige Vorbereitungen traf, obwohl er ein Mädchen »ohne Mitgift« heiratete. Allerdings hatte der General Fabio Conti, tief verletzt in seiner Eitelkeit durch die Glossen der Gesellschaft darüber, die den Gemütern keine Ruhe ließen, ein Landgut im Werte von mehr als dreihunderttausend Franken gekauft und bar bezahlt, er, der nichts besaß, offenbar von Geldern des Marchesen. Der General erklärte, dieses Gut gäbe er seiner Tochter mit in die Ehe.

Der Marchese seinerseits ließ in Lyon prächtige Tapeten nach farbigen Entwürfen des berühmten Bologneser Malers Palagi anfertigen, die durch die glückliche Zusammenstellung ihrer Farben eine wahre Augenweide waren.

Jede dieser Tapeten stellte eine Waffentat der Familie Crescenzi dar, die, wie alle Welt weiß, von dem berühmten CrescentiusCrescentius: Der Verteidiger der Engelsburg gegen Kaiser Otto III. im Jahre 999. Stendhal hegt eine Vorliebe für Crescentius; in seinen ›Wanderungen in Rom‹ rühmt er ihn als Girondisten und vergleicht ihn mit Brutus und dem Marquis Posa. abstammen soll, der im Jahre 985 Konsul in Rom war. Damit sollten die siebzehn Säle geschmückt werden, die das Erdgeschoß des Palazzos Crescenzi bildeten. Die Tapeten, die Uhren, die Kronleuchter, von auswärts bezogen, kosteten mehr als dreihundertfünfzigtausend Franken. Der Preis der neuen Spiegel, die zu den bereits im Palast vorhandenen kamen, betrug etwa zweimalhunderttausend Franken. Außer zwei Sälen mit Meisterwerken des bekannten Parmigianino, des größten Malers im Lande nach dem göttlichen Correggio, wurden jetzt alle Gemächer im ersten und zweiten Stock mit Fresken von den berühmten Malern von Florenz, Rom und Mailand verschönt. FogelbergBengt Erland Fogelberg (1786-1854); Pietro Tenerani (1789-1869); Pompeo Marchesi (1790-1858), Mailänder, Schüler Canovas, auch in Beziehungen zu Goethe. Weiter unten genannt Francesco Hayez, italienischer Historienmaler (1791-1882). Von Fogelberg schreibt Beyle (am 14. Januar 1832): ›Einer der besten Bildhauer Roms, ein Herzensfreund von mir (er liebt das Schöne ebenso leidenschaftlich, toll und blödsinnig wie ich!)›Fogelberg, ist eben dabei, meinem Tiberius eine Nase zu verfertigen.‹, der große schwedische Bildhauer, Tenerani aus Rom und Marchesi aus Mailand arbeiteten seit einem Jahre an zehn Basreliefs, die ebenso viele Taten des Crescentius, eines wahrhaft großen Mannes, verherrlichten. Die Mehrzahl der Deckenfresken war ebenfalls voller Anspielungen auf sein Leben. Allgemein bestaunte man die Decke, auf der Hayez, der Mailänder Künstler, den Crescentius in den elysäischen Gefilden im Gespräch mit Francesco Sforza, Lorenzo il Magnifico, König Robert, dem Tribunen Cola di RienziLorenzo di Medici (gestorben 1492); König Robert von Neapel (geboren um 1265, gestorben 1343), der leidenschaftliche Gegner Kaiser Heinrichs VII. und Ludwigs des Bayern. Cola di Rienzi wollte die altrömische Republik wieder aufrichten; ermordet im Jahre 1354., Machiavelli, Dante und anderen großen Männern des Mittelalters dargestellt hatte. Hinter der Verehrung für diese erlesenen Geister witterte man eine Spitze gegen die Machthaber.

Alle diese prächtigen Einzelheiten beschäftigten die Aufmerksamkeit des Adels und der Bürgerschaft Parmas und durchbohrten das Herz unseres Helden, als er davon las. Ludovico schilderte sie mit einfältiger Bewunderung in einem mehr als zwanzig Seiten langen Brief, den er einem Grenzbeamten in Casalmaggiore diktiert hatte.

›Und ich, ich bin so arm!‹ dachte Fabrizzio. ›Alles in allem viertausend Lire Rente! Es ist wahrlich eine Unverschämtheit von mir, zu wagen, in Clelia verliebt zu sein, für die alle diese Wunderdinge gemacht werden!‹

Eine einzige Stelle in Ludovicos langem Brief, die aber in seiner eigenen schlechten Handschrift geschrieben war, berichtete seinem Herrn, daß er am Abend den armen Grillo getroffen habe, Fabrizzios ehemaligen Gefängniswärter; er habe sich benommen wie einer, der das Licht scheut. Er war ins Gefängnis geworfen und wieder frei gelassen worden. Dieser Mensch hatte Ludovico gebeten, ihm aus Barmherzigkeit eine Zechine zu schenken, und Ludovico hatte ihm im Namen der Duchezza deren vier gegeben. Die ehemaligen Gefängnisaufseher, die eben wieder in Freiheit gesetzt worden waren, zwölf an der Zahl, hatten den Plan, die neuen Aufseher, ihre Nachfolger, mit Messerstichen zu traktieren, far un trattamento di coltellate, wie man sagt, sobald sich einer von ihnen außerhalb der Zitadelle blicken ließe. Grillo hatte erzählt, fast alle Abende fänden in der Zitadelle Serenaden statt; Signorina Clelia sähe sehr blaß aus, oft sei sie krank, und ›dergleichen mehr‹. Dieser drollige Ausdruck hatte zur Folge, daß ein Eilbote nach dem anderen den Befehl an Ludovico brachte, nach Locarno zurückzukehren. Er kam, und die Einzelheiten, die er mündlich erzählte, waren noch viel trauriger für Fabrizzio.

Man kann sich Fabrizzios Liebenswürdigkeit gegen die arme Duchezza vorstellen. Er hätte tausendmal lieber den Tod erlitten, als daß er in ihrer Gegenwart den Namen Clelia Conti ausgesprochen hätte. Die Duchezza haßte Parma; und für Fabrizzio war mit einem Male alles, was an diese Stadt erinnerte, erhaben und rührend.

Die Duchezza hatte ihre Rache weniger denn je vergessen. Wie glücklich war sie vor Gilettis Tode gewesen! Und was war jetzt ihr Schicksal! Sie lebte in der Erwartung eines gräßlichen Ereignisses, von dem sie sich wohl hütete, Fabrizzio ein Wort zu sagen. Und doch hatte sie einst, als sie es mit Ferrante verabredete, vermeint, Fabrizzio eine große Freude zu bereiten, wenn sie ihm sagen werde, der Tag der Rache sei da.

Man kann sich einen Begriff machen, wie erquicklich das Zusammenleben Fabrizzios und der Duchezza jetzt war; fast immer herrschte zwischen ihnen düsteres Stillschweigen. Um die Stimmung zu erhöhen, hatte die Duchezza der Versuchung, ihrem angebeteten Neffen einen schlimmen Streich zu spielen, nicht widerstehen können. Der Graf schrieb ihr fast täglich; offenbar ließ er die Briefe durch Eilboten bestellen, wie in der ersten Zeit ihrer Liebesbeziehungen, denn sie trugen immer den Poststempel irgendeines kleinen Schweizer Ortes. Der arme Mann marterte seinen Verstand ab, um seine Zärtlichkeit nicht allzu offen sprechen zu lassen und witzige Briefe zustande zu bringen. Flüchtig flogen zerstreute Blicke darüber. Ach, was ist einem die Treue eines braven Liebhabers, wenn einem die Kälte eines anderen, den man lieber hat, das Herz verwundet?

Im Laufe von zwei Monaten antwortete ihm die Duchezza nur einmal, und zwar, um ihn zu ersuchen, in der Umgebung der Fürstin ausfindig zu machen, ob sie ungeachtet der frechen Festbeleuchtung einen Brief der Duchezza huldvoll aufnähme. Der Brief, den er überreichen sollte, falls er es für angängig erachte, enthielt die Bitte um eine vor kurzem im Hofstaat Ihrer Hoheit frei gewordene Kammerherrnstelle für den Marchese Crescenzi. Die Duchezza bat, sie ihm gelegentlich seiner Vermählung zu übertragen. Dieser Brief war ein Meisterstück; er drückte die zärtlichste Verehrung in den schönsten Wendungen aus. In seinem höfischen Stile konnte man nicht das geringste Wörtchen finden, das selbst in seiner weitesten Auslegung der Fürstin nicht schmeicheln mußte. Und so atmete auch die Antwort zärtliche Freundschaft, die unter Trennung leidet. Die Fürstin schrieb wie folgt:

›Mein Sohn und ich haben seit Ihrer so plötzlichen Abreise nicht einen erträglichen Abend verlebt. Meine liebe Duchezza erinnert sich doch wohl, daß sie es war, die mir bei der Wahl meiner Hofchargen mit ihrem Rat zur Seite gestanden hat? Deshalb wohl hält sie sich für verpflichtet, mir die Ernennung des Marchese zu begründen, als ob ihr bloßer Wunsch für mich nicht schon Grund genug wäre? Der Marchese soll die Stelle bekommen, soweit es an mir liegt, und stets wird ein Platz in meinem Herzen, und zwar der beste, meiner liebenswürdigen Herzogin gehören. Mein Sohn schließt sich meinen Worten völlig an, wiewohl sie aus dem Munde eines großen einundzwanzigjährigen Jungen etwas gewagt klingen. Er bittet um eine Mustersendung von Mineralien aus dem Ortatal bei Belgirate. Sie können Ihre Briefe, die hoffentlich häufig eintreffen, an die Adresse des Grafen Mosca schicken, der Ihnen immer noch grollt und den ich gerade wegen dieser Empfindung schätze. Auch der Erzbischof ist Ihnen treu geblieben. Wir alle hoffen, Sie eines Tages wiederzusehen. Denken Sie daran, daß es nötig ist. Die Marchesa Ghisleri, meine Oberhofmeisterin, wird diese Welt bald mit einer besseren vertauschen. Die Ärmste hat mir viel zuleide getan; sie ärgert mich noch, indem sie mir zu ungelegener Zeit stirbt. Ihre Krankheit hat mich oft an jemanden denken lassen, dessen Namen ich gern an Stelle des ihrigen setzte, wenn ich je erreichen könnte, daß diese einzige Frau ihre Unabhängigkeit opferte. Indem sie uns verließ, hat sie alle Freude meines kleinen Hofes mit fortgenommen ...‹ und so weiter.

So sah die Duchezza denn Fabrizzio täglich mit dem Bewußtsein, alles versucht zu haben, was in ihren Kräften stand, um die Heirat, über die Fabrizzio in Verzweiflung geriet, zu beschleunigen. Bisweilen verbrachten sie vier oder fünf Stunden mit Kahnfahrten, ohne daß ein Wort zwischen ihnen fiel. Fabrizzio war zwar äußerst artig, aber er dachte an andere Dinge, und seine schlichte und ehrliche Seele gab ihm keinen Gesprächsstoff ein. Die Duchezza merkte das, und das war ihre Qual.

Wir haben an geeigneter Stelle Zu erzählen vergessen, daß die Duchezza in Belgirate, einem reizenden Ort, der seinem Namen (Bel-girate heißt schöne Biegung, nämlich des Sees) alle Ehre macht, ein Haus gemietet hatte. Von der Glastür ihres Zimmers konnte die Duchezza unmittelbar in ihre Barke steigen. Sie hatte eine ganz gewöhnliche gemietet, für die vier Ruderknechte genügt hätten. Sie nahm deren zwölf in ihre Dienste, und zwar richtete sie es so ein, daß sie aus jedem Dorfe um Belgirate einen hatte. Als sie das dritte oder vierte Mal mit diesen bedachtsam ausgewählten Männern mitten auf dem See war, befahl sie, das Rudern einzustellen.

»Ich betrachte euch alle als meine Freunde«, sagte sie zu ihnen, »und will euch ein Geheimnis anvertrauen. Mein Neffe Fabrizzio ist aus dem Gefängnis entflohen. Vielleicht wird man versuchen, ihn durch Verrat wieder zu ergreifen, obgleich er an eurem See im Lande der Freiheit ist. Spitzt eure Ohren und teilt mir sofort alles mit, was ihr erfahrt. Ich erlaube euch, bei Tag und bei Nacht in mein Zimmer zu kommen.«

Die Ruderknechte antworteten begeistert; sie verstand, sich beliebt zu machen. Aber nicht die Wiederergreifung Fabrizzios war es, was sie beschäftigte: seit dem verhängnisvollen Befehl, den Wasserbehälter im Palazzo Sanseverna auslaufen zu lassen, drückten sie andere Sorgen.

Aus Vorsicht hatte sie für Fabrizzio eine Wohnung am Hafen von Locarno, auf Schweizer Gebiet, gemietet. Alle Tage besuchte er sie, oder sie kam dorthin. Man kann sich die Freuden ihres Beisammenseins ausmalen, wenn man folgendes hört: Die Marchesa del Dongo und ihre Töchter kamen zweimal zu Besuch, und die Anwesenheit dieser Fremdlinge heiterte die beiden auf; denn trotz der Blutsverwandtschaft kann man jemanden fremd nennen, der unsere teuersten Interessen nicht teilt und den man nur einmal im Jahre sieht.

Eines Abends war die Duchezza in Locarno bei Fabrizzio in Gesellschaft der Marchesa und ihrer Töchter. Der Oberpfarrer der Gegend und der Ortspfarrer hatten sich eingestellt, um den Damen ihre Aufwartung zu machen. Der Oberpfarrer, der an Handelsunternehmungen beteiligt war und sich über alle Neuigkeiten auf dem laufenden hielt, platzte mit der Nachricht heraus: »Der Fürst von Parma ist tot!«

Die Duchezza wurde totenbleich; kaum hatte sie den Mut, zu fragen: »Weiß man Näheres?«

»Nein, gnädige Frau«, erwiderte der Oberpfarrer. »Die Nachricht beschränkt sich darauf, daß der Tod verbürgt ist.«

Die Duchezza blickte auf Fabrizzio. ›Für ihn habe ich das getan!‹ sagte sie bei sich. ›Ich hätte tausendfach Schlimmeres getan, und da sitzt er gleichgültig vor mir und denkt an eine andere!‹

Es überstieg die Kraft der Duchezza, diesen schrecklichen Gedanken zu ertragen; sie fiel in tiefe Ohnmacht. Alle Anwesenden bemühten sich um sie; aber als sie wieder zu sich kam, bemerkte sie, daß Fabrizzio weniger um sie bemüht war als der Oberpfarrer und der Pfarrer. Er träumte wie gewöhnlich vor sich hin.

›Er denkt an seine Rückkehr nach Parma‹, sagte sich die Duchezza, ›und vielleicht daran, die Heirat Clelias mit dem Marchese zu vereiteln. Aber ich werde ihn davon abzuhalten wissen.‹ Dann fiel ihr die Gegenwart der beiden Geistlichen ein, und sie beeilte sich, laut zu sagen: »Er war ein großer Fürst, der viel verleumdet worden ist. Ein unersetzlicher Verlust für uns!«

Die beiden Geistlichen verabschiedeten sich. Die Duchezza wollte allein sein und erklärte, sie ginge zu Bett.

›Zweifellos‹, sagte sie sich, ›gebietet mir die Vorsicht, einen oder zwei Monate zu warten, ehe ich nach Parma zurückkehre; aber ich fühle, daß ich diese Geduld nicht haben werde. Ich leide hier allzusehr. Fabrizzios beständige Träumerei, sein Stillschweigen sind für mich unerträglich. Wer hätte gedacht, daß ich mich an diesem herrlichen See langweilen würde auf Spazierfahrten mit ihm allein und zu einem Zeitpunkt, da ich ihn in einer Weise gerächt habe, die ich ihm gar nicht sagen kann! Nach einem solchen Erlebnis ist der Tod nichts. Jetzt bezahle ich für das leidenschaftliche Glück und die kindliche Freude, die ich in meinem Parmaer Palast empfunden habe, als Fabrizzio von Neapel zurückkam. Hätte ich ihm ein Wort gesagt, dann wäre alles erledigt, und vielleicht hätte er, an mich gebunden, nie an die kleine Clelia gedacht. Aber dieses eine Wort widerstrebte mir entsetzlich. Jetzt trägt sie den Sieg über mich davon. Was ist einfacher? Sie ist zwanzig Jahre alt, und ich, ich bin durch die Sorgen verändert, krank und doppelt so alt! Ich muß sterben; ich muß ein Ende machen! Eine Frau von vierzig Jahren ist nichts mehr für die Männer, die sie in ihrer Jugend geliebt haben! Ich würde nur noch die Freuden der Eitelkeit finden, und lohnt das die Mühe, zu leben? Ein Grund mehr, nach Parma zu gehen und mich zu vergnügen. Wenn die Dinge eine gewisse Wendung nehmen, geht man mir ans Leben. Meinetwegen, was ist Schlimmes dabei? Ich erlitte einen herrlichen Tod, und ehe es aus wäre, aber nur dann, sagte ich zu Fabrizzio: ›Undankbarer, es geschah deinetwegen!‹ Gewiß, ich kann kein anderes Ziel für meinen Lebensrest finden als Parma. Ich werde dort als große Dame leben. Welch ein Glück, wenn ich jetzt empfänglich sein könnte für die Auszeichnungen, die ehedem die Raversi so unglücklich gemacht haben! Damals mußte ich, um meinen Triumph zu schauen, in die Augen des Neides blicken. Meine Eitelkeit schwelgt in Wonne; mit Ausnahme vielleicht des Grafen wird kein Mensch ahnen, von welcher Art das Ereignis gewesen ist, das dem Leben meines Herzens ein Ende bereitet hat. – Ich werde Fabrizzio lieben, ich werde eine ergebene Dienerin seines Glückes sein. Aber er soll nicht Clelias Heirat hindern und sie schließlich gar heiraten. Nein, das darf nicht sein!‹

Die Duchezza schloß gerade ihr trauriges Selbstgespräch, als sie großen Lärm im Hause vernahm.

›Ausgezeichnet!‹ sagte sie sich. ›Jetzt wird man mich verhaften. Ferrante wird sich haben erwischen lassen; er wird ein Geständnis abgelegt haben. Nun, um so besser! Ich werde etwas zu tun haben; ich werde ihnen meinen Kopf streitig machen. Aber zunächst heißt es, sich nicht kriegen zu lassen!‹

Die Duchezza floh halbbekleidet ans Ende ihres Gartens; sie hatte bereits im Sinn, über eine niedrige Mauer zu klettern und sich ins Freie zu retten, aber da sah sie, daß jemand ihr Zimmer betrat. Sie erkannte Bruno, den Vertrauensmann des Grafen Mosca. Sie schlich zur Glastür. Der Mensch erzählte ihrer Kammerzofe von Verwundungen, die er erlitten habe. Die Duchezza trat in ihr Zimmer; Bruno warf sich ihr fast zu Füßen und beschwor sie, dem Grafen die sonderbare Zeit nicht wiederzusagen, in der er eingetroffen sei.

»Gleich nach dem Tode von Serenissimus«, berichtete er, »hat der Graf an alle Poststellen den Befehl erlassen, keinem Untertanen des Staates Parma Pferde zu stellen. Darum bin ich bis an den Po mit unsren Pferden gefahren. Beim Verlassen der Fähre jedoch ist mein Wagen umgefallen, zerbrochen und liegen geblieben. Ich habe dabei so schlimme Quetschungen davongetragen, daß ich nicht reiten konnte, wie es meine Pflicht gewesen wäre.«

»Gut!« sagte die Duchezza. »Es ist früh drei Uhr. Ich werde sagen, Ihr wäret gestern mittag gekommen. Widersprecht Euch aber nicht!«

»Ich werde der Güte der gnädigen Frau Dank wissen.«

Politik in einem Roman ist wie ein Pistolenschuß in einem Konzert, etwas Rohes, und doch kann man dem seine Aufmerksamkeit nicht verweigern. Wir müssen von sehr häßlichen Dingen sprechen, die wir aus mehr als einem Grunde am liebsten wegließen. Aber wir sind gezwungen, Ereignisse zu berühren, die hierher gehören, weil sie die Herzen der handelnden Personen zum Schauplatz haben.

»Aber, mein Gott,wie ist dieser große Fürst gestorben?« fragte die Duchezza den Eilboten.

»Er war auf der Jagd nach Zugvögeln in den Sümpfen längs des Po, zwei Meilen von Sacca. Da ist er in eine Grube gefallen, die unter einem Rasenstück verborgen war. Er war ganz in Schweiß und hat sich erkältet. Man hat ihn in ein einsam stehendes Haus geschafft; dort ist er nach etlichen Stunden verschieden. Andere behaupten, die Herren Catena und Borone seien auch tot, und der ganze Unfall sei dem Kupfergeschirr eines Bauern zuzuschreiben, bei dem man gerastet und gefrühstückt habe; es sei voller Grünspan gewesen. Schließlich munkeln die überspannten Köpfe, die Jakobiner, die immer erzählen, was sie wünschen, von Vergiftung. Ich weiß, daß mein Freund Toto, der Hoffurier, ohne die hochherzigen Bemühungen eines Bauern gestorben wäre, der offenbar große medizinische Kenntnisse besitzt und ihm höchst merkwürdige Heilmittel verschrieben hat. Aber man spricht schon nicht mehr vom Tode des Fürsten. Er war im Grunde doch ein grausamer Mann. Als ich abfuhr, rottete sich das Volk zusammen, um den Großfiskal Rassi in Stücke zu reißen; auch wollte man die Tore der Zitadelle stürmen und versuchen, die Gefangenen zu befreien; aber der General Fabio Conti war bereit, seine Kanonen abfeuern zu lassen. So hieß es. Anderseits geht das Gerücht, die Kanoniere der Zitadelle hätten Wasser in ihr Pulver geschüttet und wollten nicht auf ihre Mitbürger schießen. Aber das Belangreichste ist wohl dies: Während der Arzt von Sandolaro meinen zerschundenen Arm verband, kam ein Mann aus Parma und erzählte, das Volk habe Barbone auf der Straße ergriffen, jenen berüchtigten Schreiber von der Zitadelle, habe ihn totgeschlagen und hinterher an einem Baum der Allee in der Nähe der Zitadelle aufgeknüpft. Der Volkshaufe habe sich dann in Marsch gesetzt, um das schöne Standbild von Serenissimus im Hofgarten zu zertrümmern. Aber der Herr Graf hat ein Bataillon Garde befohlen, es vor dem Standbild aufgestellt und der Menge verkünden lassen, keiner, der in den Hofgarten eindränge, werde lebendig wieder hinauskommen. Und das Volk hat Angst gekriegt. Aber, was recht sonderbar ist: der Mann, der aus Parma kam, ein ehemaliger Gendarm, hat mir mehrfach versichert, der Herr Graf habe dem General Pillone, dem Befehlshaber der fürstlichen Garde, Fußtritte verabreicht. Er habe ihn durch zwei Füsiliere aus dem Garten führen lassen, nachdem er ihm die Epauletten von den Schultern gerissen habe.«

»Daran erkenne ich den Grafen!« rief die Duchezza in einer Aufwallung von Freude, die sie eine Minute vorher nicht geahnt hätte. »Nie wird er dulden, daß man unserer Fürstin Schimpf antut. Und was den General Pillone anlangt, der hat aus Treue zu seinem angestammten Fürsten nie dem Usurpator dienen wollen, während der Graf, weniger rücksichtsvoll, alle Feldzüge in Spanien mitgemacht hat. Man warf ihm das oft bei Hofe vor.«

Die Duchezza öffnete den Brief Moscas, unterbrach aber das Lesen durch tausend Fragen, die sie an Bruno richtete. Der Brief war sehr scherzhaft geschrieben. Der Graf hatte die trübseligsten Ausdrücke angewandt, während die hellste Freude aus jedem einzelnen Wort hervorleuchtete. Er vermied Einzelheiten über die Todesart des Fürsten und schloß seinen Brief wie folgt:

›Mein Engel! Ohne Zweifel wirst Du nun zurückkommen. Aber ich rate Dir, warte ein oder zwei Tage, bis der Eilbote eintrifft, den Dir die Fürstin senden wird, und zwar, wie ich hoffe, heute oder morgen. Deine Rückkehr muß ebenso glänzend sein, wie Deine Abreise dreist war. Was den großen Verbrecher betrifft, der bei Dir weilt, so gedenke ich ihn vor ein neues Gericht von zwölf Richtern zu stellen, die aus allen Teilen unseres Staates berufen werden sollen. Aber, um dieses Ungeheuer nach Gebühr zu bestrafen, muß ich zunächst aus dem ersten Urteil Haarwickel machen lassen, wenn es noch da ist.‹

In einer später hinzugefügten Nachschrift hieß es:

›Noch eine andere Sache: Ich habe eben an zwei Gardebataillone scharfe Patronen ausgeben lassen. Ich gehe in den Kampf und werde mein möglichstes tun, um mir den Spitznamen ›der Grausame‹ zu verdienen, mit dem mich die Liberalen seit so langer Zeit beehren. Die alte Mumie, der General Pillone, hatte die Kühnheit, in der Kaserne davon zu reden, mit dem geradezu meuternden Pöbel in Unterhandlungen zu treten. Ich schreibe Dir mitten auf der Straße. Ich gehe in das Schloß, in das man nur über meine Leiche kommen soll. Lebe wohl! Wenn ich falle, so werde ich dabei Deiner trotz allem in Verehrung gedenken wie im Leben! Vergiß nicht, die dreihunderttausend Franken zu erheben, die ich auf Deinen Namen in Lyon bei D. hinterlegt habe.

Da steht der arme Teufel, der Rassi, bleich wie der Tod und ohne Perücke. Du kannst Dir sein Gesicht nicht vorstellen! Das Volk will ihn durchaus aufhängen. Damit täte man ihm ein großes Unrecht an; er verdient, gevierteilt zu werden. Er hat sich in meinen Palazzo geflüchtet und ist mir auf die Straße nachgelaufen. Ich weiß gar nicht, was ich mit ihm anfangen soll. In das fürstliche Schloß möchte ich ihn nicht mitnehmen; dann ginge erst recht der Krawall los. F. wird sehen, ob ich ihn liebe. Mein erstes Wort zu Rassi war: ›Ich muß das Urteil gegen Monsignore del Dongo haben nebst allen Abschriften, die Sie davon etwa besitzen. Sagen Sie jenen ungerechten Richtern, die diesen Aufruhr verschuldet haben, daß ich sie alle miteinander hängen lasse und ebenso Sie, mein lieber Freund, wenn Sie ein Wort über jenes Urteil verlauten lassen. Es hat niemals bestanden!‹ Im Namen Fabrizzios schicke ich dem Erzbischof eine Kompanie Grenadiere.

Lebe wohl, Geliebteste! Meinen Palast äschern sie vielleicht ein, und ich werde die reizenden Bilder verlieren, die ich von Dir habe. Ich eile ins Schloß, um den ehrlosen Pillone abzusetzen. Er liebäugelt auf das gemeinste mit dem Pöbel, wie er ehedem vor Serenissimus hochselig kroch. Alle diese Generale haben eine Teufelsangst. Ich denke, man wird mich zum Kommandierenden General ernennen.‹

Die Duchezza war so boshaft, Fabrizzio nicht wecken zu lassen. Sie fühlte für den Grafen einen Anflug von Bewunderung, die starke Ähnlichkeit mit Liebe hatte. ›Wenn ich mirs so recht überlege,‹ sagte sie bei sich, ›so sollte ich ihn heiraten!‹ Sie schrieb ihm alsbald und entsandte einen ihrer Leute. In dieser Nacht hatte die Duchezza keine Zeit, unglücklich zu sein.

Am anderen Tage sah sie gegen Mittag eine mit zehn Ruderern bemannte Barke, die pfeilschnell die Fluten des Sees durchschnitt. Sehr bald erkannte sie, ebenso wie Fabrizzio, einen Mann darauf in der Kleidung des Fürsten von Parma. In der Tat war es ein Eilbote vom Hofe, der, ehe er noch landete, der Duchezza zurief:

»Der Aufruhr ist niedergeschlagen!«

Der Eilbote überbrachte ihr mehrere Briefe des Grafen, ein prächtiges Handschreiben der Fürstin und eine Kabinettsorder des Fürsten Ranuccio Ernesto V. auf Pergament, durch die sie zur Duchezza di San Giovanni und zur Oberhofmeisterin der Fürstinwitwe ernannt war. Der junge Fürst, der gelehrte Mineraloge, den sie für einen Schwachkopf hielt, hatte den Geist gehabt, ihr ein kleines Briefchen zu schreiben; gegen Ende wurde es beinahe zur Liebesepistel:

›Frau Duchezza, Graf Mosca meint, er wäre mit mir zufrieden. Tatsächlich habe ich an seiner Seite etlichen Flintenschüssen standgehalten, und mein Pferd hat einen Streifschuß bekommen. Nachdem ich gesehen habe, was für ein Geschrei man um solch eine Kleinigkeit macht, habe ich lebhafte Sehnsucht, eine richtige Schlacht mitzumachen, nur freilich nicht gegen meine Untertanen. Dem Grafen verdanke ich alles. Meine Generale, die nie im Kriege gewesen sind, haben sich wie Hasen benommen; ich glaube, zwei oder drei sind bis Bologna geflohen. Seitdem ein großes, bedauerliches Ereignis mich auf den Thron erhoben hat, habe ich keine Verfügung unterzeichnet, die mir so erfreulich gewesen wäre wie die, die Sie zur Oberhofmeisterin meiner Mutter ernennt. Meine Mutter und ich haben uns erinnert, daß Sie einmal die schöne Aussicht bewundert haben, die man vom Palazzetto di San Giovanni hat, der ehedem, wie man wenigstens berichtet, Petrarca gehört haben soll. Meine Mutter hat geruht, Ihnen diese Villa zu schenken, und ich, der ich nicht weiß, was ich Ihnen verleihen soll, und Ihnen nichts anzubieten wage, was sie schon besitzen, ich erhebe Sie zur Duchezza meines Landes. Ich weiß nicht, ob Sie so gelehrt sind, zu wissen, daß Sanseverina römischer Adel ist. Ich habe soeben Seiner Hochwürden, unserem Erzbischof, das Großband meines Hausordens verliehen. Er hat eine Festigkeit an den Tag gelegt, wie sie an einem Siebziger wohl selten ist.

Man hat mir gesagt, ich dürfe hinfüro nur mit dem Zusatz ›Ihr wohlaffektionierter‹ unterzeichnen. Ich bedauere oft, daß ich eine Versicherung verschwenden muß, die nur dann durch und durch aufrichtig ist, wenn ich Ihnen schreibe als

Ihr wohlaffektionierter

Ranuccio Ernesto.‹

Auf einen solchen Brief hin war es klar, daß sich die Duchezza fortan der höchsten Gunst zu erfreuen hatte. Jedoch fand sie in einem anderen Briefe des Grafen, den sie zwei Stunden später empfing, eine recht rätselhafte Stelle. Ohne irgendwelche genauere Erläuterung riet er ihr, ihre Rückkehr nach Parma um einige Tage hinauszuschieben und der Fürstin zu schreiben, sie sei sehr unpäßlich.

Die Duchezza und Fabrizzio reisten nichtsdestoweniger gleich nach Tisch nach Parma ab. Sie hatte die Absicht, die Heirat des Marchese Crescenzi zu beschleunigen, was sie sich freilich selbst nicht eingestand. Fabrizzio hingegen trat diese Reise mit närrischen Glückswallungen an, die der Duchezza lächerlich erschienen. Er hegte die Hoffnung, Clelia bald wiederzusehen. Er war entschlossen, sie, selbst wider Willen, zu entführen, wenn kein anderes Mittel, diese Heirat zu vereiteln, übrig bliebe.

Die Reise der Duchezza und ihres Neffen war sehr lustig. Eine Poststelle vor Parma wurde ein kurzer Halt gemacht, damit Fabrizzio seine geistliche Tracht wieder anlegen konnte; gewöhnlich ging er wie ein Herr in Trauer. Als er wieder zur Duchezza kam, sagte sie zu ihm: »Ich finde in den Briefen des Grafen gewisse verdächtige und unerklärliche Stellen. Wenn du auf mich hören willst, so wartest du hier ein paar Stunden. Sobald ich den großen Minister gesprochen habe, werde ich dir einen Eilboten senden.«

Nur ungern fügte sich Fabrizzio dem klugen Vorschlag. Der Graf empfing die Duchezza mit der unbändigen Freude eines Fünfzehnjährigen. Er nannte sie seine Frau. Es währte lange, bis er Lust hatte, über politische Dinge zu sprechen, und als man schließlich zur traurigen Vernunft kam, sagte er: »Du hast sehr richtig gehandelt, daß du Fabrizzio von einem Einzug in aller Form abgehalten hast. Wir befinden uns hier in voller Reaktion. Ahnst du, wen mir der Fürst zum Amtsgenossen als Justizminister gegeben hat? Rassi, meine Liebe, Rassi, den ich am Tage des großen Umsturzes wie einen Schurken behandelt habe. Er ist ja auch einer. Ich teile dir übrigens mit, daß man alles hier Vorgefallene totgeschwiegen hat. Wenn du unser Tageblatt liest, wirst du erfahren, daß ein Schreiber von der Zitadelle, namens Barbone, durch einen Sturz aus dem Wagen gestorben ist. Was die sechzig und soundsoviel Schelme anbelangt, die ich bei ihrem Sturm auf das Standbild von Serenissimus im Hofe habe niederknallen lassen, so soll es ihnen allen wohl gehen; nur sind sie auf Reisen. Der Graf Zurla, Minister des Inneren, hat sich in eigener Person in die Wohnung jedes dieser unglücklichen Helden begeben und ihren Angehörigen oder Freunden je fünfzehn Zechinen zurückgelassen, mit der Weisung, zu sagen, der Verstorbene sei auf Reisen, natürlich unter der hochnotpeinlichen Androhung von Gefängnis, wenn man sich unterstünde, verlauten zu lassen, daß der Betreffende erschossen worden ist. Ein Beamter aus meinem eigenen Amtsbereich, aus dem Ministerium des Äußeren, ist zur Unterhandlung mit den Zeitungsleuten von Mailand und Turin entsandt worden, damit die beklagenswerten Vorfälle – wie der genehmigte Ausdruck lautet – nicht erwähnt werden. Derselbe Mann soll bis Paris und London eilen, um in allen Zeitungen amtlich in Abrede zu stellen, daß Unruhen bei uns stattgefunden haben. Ein zweiter Geschäftsträger ist auf dem Wege nach Bologna und Florenz. Ich habe den Kopf geschüttelt.

Aber etwas Drolliges für mein Alter ist es, daß ich einen Anfall von Begeisterung gehabt habe, als ich eine Ansprache an die Soldaten der Garde hielt und dem General Pillone, diesem Feigling, die Epauletten von den Schultern riß. In jenem Augenblick hätte ich ohne Zaudern mein Leben für den Fürsten hingegeben. Ich gestehe jetzt, es wäre eine recht dumme Todesart gewesen. Heute gäbe der Fürst, so gutmütig dieser junge Mann ist, hundert Taler darum, wenn ich an irgendeiner Krankheit stürbe. Noch wagt er nicht, mich um mein Abschiedsgesuch zu bitten, aber wir sprechen uns so selten wie möglich. Die paar nebensächlichen Berichte bekommt er auf schriftlichem Wege, wie ich das beim hochseligen Serenissimus nach Fabrizzios Verhaftung gehandhabt habe. Übrigens habe ich aus dem gegen ihn gefällten Urteil noch keine Lockenwickel drehen können, aus dem guten Grunde, weil dieser Halunke, der Rassi, es mir noch gar nicht ausgehändigt hat. Sie haben also sehr richtig gehandelt, Fabrizzio zu hindern, daß er hier in aller Form einzieht. Das Urteil ist noch immer rechtsgültig. Ich glaube zwar nicht, daß Rassi es wagt, unsern Neffen heute verhaften zu lassen, aber möglicherweise wagt er es in vierzehn Tagen. Wenn Fabrizzio darauf besteht, in die Stadt zurückzukehren, dann soll er bei mir Wohnung nehmen.«

»Und der Grund von alledem?« fragte die Duchezza erstaunt.

»Man hat dem Fürsten eingeredet, ich trachtete danach, mir das Ansehen eines Diktators und Retters des Vaterlandes zu geben und ihn wie ein Kind am Gängelbande zu führen. Mehr noch, ich soll über ihn gesprochen und dabei das peinliche Wort ›dieses Kind‹ gebraucht haben. Das mag ja vielleicht wahr sein; ich war an jenem Tage außer mir. So sah ich in ihm zum Beispiel einen Helden, weil er bei den ersten Gewehrschüssen, die er in seinem Leben hörte, wirklich nicht allzuviel Angst hatte. Es fehlt ihm durchaus nicht an Geist; er hat sogar einen besseren Ton als sein Vater. Schließlich ist er im Grunde seines Herzens anständig und gutmütig. Ich kann das nicht oft genug wiederholen. Aber sein schlichtes Kinderherz gerät in Zuckungen, wenn ihm jemand einen Gaunerstreich erzählt. Gleich denkt er, man müsse selber eine ganz schwarze Seele haben, weil man solche Sachen bemerkt. Sie wissen ja, was für eine Erziehung er gehabt hat.«

»Eccellenza hätte bedenken sollen, daß er eines Tages Landesherr werden würde, und ihm einen geistvollen Mann beigeben sollen!«

»Erstens haben wir das Beispiel des Abbes de Condillac, der von meinem Vorgänger, dem Marchese di Felino, berufen ward und der aus seinem Zögling nichts gemacht hat als den König der Toren. Er zog bei den Prozessionen einher, und im Jahre 1796 verstand er es nicht, sich mit dem General Bonaparte gut zu stellen, der die Ausdehnung seines Landes verdreifacht hätte.

Zweitens habe ich niemals geglaubt, daß ich zehn Jahre hintereinander Minister bleiben würde. Jetzt, da ich die ganze Geschichte satt habe, und besonders seit vier Wochen, will ich eine Million zusammenkriegen, dann lasse ich den Karren fahren, den ich aus dem Dreck gezogen habe. Ohne mich wäre Parma binnen zwei Monaten eine Republik mit dem Dichter Ferrante Palla als Diktator.«

Bei diesem Namen wurde die Duchezza rot. Der Graf wußte von nichts.

»Wir sind dabei, in die übliche Monarchie des achtzehnten Jahrhunderts zurückzufallen. Beichtväter und Mätressenwirtschaft. Im Grunde liebt der Fürst nur die Mineralogie und vielleicht Sie, gnädige Frau. Seit er auf dem Thron sitzt, hat sein Kammerdiener – dessen Bruder ich eben zum Kapitän ernannt habe nach einer Dienstzeit von neun Monaten –, sein Kammerdiener also hat ihm weis gemacht, er müsse glücklicher sein als jedes andere Menschenkind, weil sein Profil nunmehr auf den Talern prangt. Durch diesen schönen Einfall ist er verdrießlich geworden.

Nun muß man ihm einen Adjutanten geben, der ihm die Langeweile vertreibt. Ja, wenn er mir auch die famose Million böte, die wir brauchen, um in Neapel oder Paris gut zu leben, so möchte ich doch der Vertreiber der Langenweile nicht sein und jeden Tag vier bis fünf Stunden mit Serenissimus verbringen. Da ich mehr Geist habe als er, würde er mich obendrein nach Verlauf von vier Wochen für ein Ungeheuer halten.

Der hochselige Fürst war boshaft und mißgünstig, aber er hatte Feldzüge mitgemacht und ein Armeekorps befehligt. Das hat ihm Rückgrat verliehen. Er hatte das Zeug zum Herrscher, und ich konnte recht und schlecht Minister sein. Bei diesem lauteren und wahrhaft guten Menschen, seinem Sohn, muß ich wohl oder übel Intrigant werden. Ich bin ja der Nebenbuhler des geringsten Frauenzimmers im Schloß und ein sehr unterlegener Nebenbuhler, denn ich verabscheue hundert kleinliche Dinge. Vor drei Tagen zum Beispiel hatte eines dieser Weiber das Unglück, dem Fürsten den Schlüssel zu einem seiner Schreibtische zu vertrödeln. Daraufhin sträubte sich Serenissimus, sich mit all den Akten zu beschäftigen, die sich in diesem Schreibtisch befanden. Für zwanzig Franken hätte man die Kästen aufbrechen oder mit einem Dietrich öffnen lassen können, aber Ranuccio Ernesto V. meinte zu mir, so etwas brächte den Hofschlosser nur auf schlimme Gedanken.

Bis heute ist es ihm durchaus unmöglich gewesen, an einem einmal gefaßten Willensentschluß drei Tage lang festzuhalten. Wäre dieser junge Fürst als Herr Marchese Soundso geboren, mit Vermögen, dann wäre er einer der schätzenswertesten Männer seines Hofes, eine Art Ludwig XVI. Aber wie soll er in seiner heiligen Einfalt allen den schlauen Ränken entgehen, die ihn umstricken? So ist denn auch der Salon Ihrer Feindin, der Raversi, mächtiger denn je. Man hat dort die Entdeckung gemacht, daß ich, der ich auf das Volk schießen ließ, der ich entschlossen war, im Notfall lieber dreitausend Menschen niederzuknallen, als das Standbild meines ehemaligen Fürsten und Gebieters beschimpfen zu lassen, – daß ich ein versessener Liberaler sei, daß ich eine Verfassung hätte durchsetzen wollen und hundert ähnliche Ungereimtheiten. Mit ihrem republikanischen Gerede werden die Narren uns um den Genuß der besten Monarchie bringen.

Am Ende sind Sie, gnädige Frau, die einzige Person der gegenwärtigen liberalen Partei, zu deren Führer mich meine Feinde stempeln, über die sich der Fürst nicht in unliebenswürdigen Redensarten ausläßt. Der Erzbischof, stets durch und durch ein Ehrenmann, steht in vollster Ungnade, weil er in vernünftigen Worten von dem gesprochen hat, was ich an dem Unglückstage getan habe.

Am nächsten Tage nach diesem, der damals noch nicht der Unglückstag hieß, als der Aufruhr noch eine wahre Tatsache war, hat der Fürst zum Erzbischof gesagt, er wolle mich zum Duca machen, damit Sie keinen niedrigeren Titel anzunehmen brauchen, wenn Sie mich heiraten. Heute glaube ich, man wird Rassi, den ich geadelt habe, weil er mir die Geheimnisse des Hochseligen verriet, in den Grafenstand erheben. Angesichts eines solchen Emporkommens werde ich die Rolle eines Tölpels spielen.«

»Und der arme Fürst wird sich ins Unglück reiten.«

»Zweifellos, aber er ist nun einmal der Herr; kraft dieser Eigenschaft schwindet in weniger als vierzehn Tagen das Lächerliche. Also, liebe Duchezza, machen wir uns auf und davon!«

»Aber wir werden nicht eben reich sein.«

»Eigentlich haben weder Sie noch ich den Luxus nötig. Wenn Sie mir in Neapel einen Logenplatz im San Carlo und ein Pferd bewilligen, bin ich mehr als zufrieden. Der mehr oder minder große Aufwand wird niemals unsern Rang bestimmen, sondern der Genuß, den die geistreichen Leute des Landes finden, wenn sie eine Tasse Tee in Ihrem Hause trinken.«

»Was wäre aber an jenem Unglückstage geschehen,« erwiderte die Duchezza, »wenn Sie sich nicht in die Sache gemengt hätten, wie ich das in Zukunft von Ihnen erhoffe?«

»Die Truppen hätten mit dem Pöbel gemeinsame Sache gemacht; es hätte drei Tage Mord und Brand geherrscht. In diesem Lande müssen nämlich noch hundert Jahre vergehen, ehe man hier für die Republik reif wird. Vierzehn Tage lang wäre geplündert worden, bis zwei oder drei von auswärts herbeigerufene Regimenter die Ordnung wieder hergestellt hätten. Ferrante Palla war mitten unter dem Pöbel, voller Mut und Raserei wie gewöhnlich. Er hat ohne Zweifel ein Dutzend Freunde, die mit ihm unter einer Decke stecken, woraus Rassi eine prächtige Verschwörung machen wird. So viel steht fest, daß er in einem unglaublich zerlumpten Anzug das Gold mit vollen Händen ausgeteilt hat.«

Verwundert über diese Einzelheiten, machte sich die Duchezza eiligst auf den Weg, um der Fürstin ihren Dank auszusprechen.

Als sie die Gemächer der Fürstinwitwe betrat, händigte ihr die diensthabende Hofdame den kleinen am Gürtel zu tragenden goldenen Schlüssel aus, das Zeichen der höchsten Würde in dem von der Fürstin bewohnten Teil des Schlosses. Clara Paolina entließ sofort alle Anwesenden; und als sie mit ihrer Freundin allein war, bewegte sich ihre Rede eine Weile in unklaren Ausdrücken. Die Duchezza verstand nicht recht, worauf sie hinauswollte, und antwortete sehr zurückhaltend. Schließlich brach die Fürstin in Tränen aus, und sich in die Arme der Duchezza werfend, rief sie aus: »Mein Lebenskelch ist noch nicht geleert. Mein Sohn wird mich noch schlimmer behandeln als sein Vater!«

»Das werde ich verhindern!« entgegnete die Duchezza lebhaft. »Doch vor allem fühle ich mich gedrängt, Eurer Hoheit meinen alleruntertänigsten Dank und meine tiefste Ergebenheit zu Füßen legen zu dürfen.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte die Fürstin ängstlich. Sie befürchtete ein Entlassungsgesuch.

»Das heißt: allemal, wenn Eure Hoheit gnädigst erlauben, den wackelnden Kopf des Porzellanaffen da auf dem Kaminsims nach rechts zu drehen, soll es mir gestattet sein, jedes Ding beim rechten Namen zu nennen.«

»Weiter nichts als das, meine liebe Duchezza?« rief Clara Paolina, indem sie aufstand und den Affenkopf flugs eigenhändig in die richtige Stellung brachte. »Reden Sie also frank und frei, Frau Oberhofmeisterin!« sagte sie in liebenswürdigem Tone.

»Hoheit haben die Lage völlig richtig erkannt«, begann die Duchezza. »Hoheit und ich gehen den größten Gefahren entgegen. Das über Fabrizzio verhängte Urteil ist durchaus noch nicht aufgehoben; infolgedessen kann man ihn eines Tages, wenn man mich los sein oder Eure Hoheit kränken will, von neuem ins Gefängnis setzen. Unsere Lage ist schlimmer denn je. Was mich persönlich anlangt: ich heirate den Grafen Mosca, und wir lassen uns in Neapel oder in Paris nieder. Die undankbare Behandlung, deren Opfer der Graf augenblicklich ist, hat ihm den Staatsdienst völlig verleidet, und abgesehen von der Rücksicht auf Eure Hoheit, würde ich ihm nur dann raten, in dieser Patsche zu bleiben, wenn ihm der Fürst eine beträchtliche Summe bietet. Ich bitte untertänigst um die Erlaubnis, Eurer Hoheit erklären zu dürfen, daß der Graf hundertdreißigtausend Franken besaß, als er das Ministerium übernahm, und heute hat er kaum zwanzigtausend Lire Rente. Vergeblich habe ich ihn seit langem gedrängt, er solle an sein Vermögen denken. Während meiner Abwesenheit hat er mit den Generalpächtern des Fürsten Händel vom Zaune gebrochen. Es waren Gauner. Der Graf hat sie durch andere Gauner ersetzt, die ihm achthunderttausend Franken dafür geboten haben.«

»Wie?« rief die Fürstin erstaunt. »Mein Gott! Das ist ja empörend!«

»Hoheit,« erwiderte die Duchezza mit größter Gelassenheit, »soll ich dem Affen die Nase wieder nach links drehen?«

»Um Gottes willen nicht!« rief die Fürstin. »Aber ich bin empört, daß sich ein Mann vom Charakter des Grafen auf solche Weise bereichern konnte.«

»Ohne diesen Raub hätten ihn die anständigen Leute ausgelacht!«

»Mein Gott, ist es möglich?«

»Hoheit,« fuhr die Duchezza fort, »mit Ausnahme meines Freundes, des Marchese Crescenzi, der drei- bis vierhunderttausend Lire Jahreseinkommen hat, stiehlt hier alle Welt. Und wie soll man nicht stehlen in einem Lande, wo die Dankbarkeit für die größten Dienste nicht einmal vier Wochen anhält? Gibt es etwas Gediegeneres und die Ungnade Überdauernderes als das Geld? Ich möchte mir schreckliche Wahrheiten erlauben, Hoheit!«

»Ich erlaube sie Ihnen,« sagte die Fürstin mit einem tiefen Seufzer, »so überaus peinlich sie für mich sind.«

»Wohlan, Hoheit! Der Fürst, Ihr Sohn, durch und durch ein Ehrenmann, kann Sie viel unglücklicher machen, als es sein Vater getan hat. Der Hochselige hatte Charakter. Unser gegenwärtiger Landesherr ist nicht imstande, drei Tage hintereinander dasselbe zu wollen. Die Folge davon ist: um seiner sicher zu sein, muß man dauernd um ihn herum sein und niemanden mit ihm sprechen lassen. Da diese Tatsache nicht schwierig zu erkennen ist, werden die neuen Ultras, Rassi und die Marchesa Raversi an der Spitze, dem Fürsten eine Mätresse verschaffen. Dieser Mätresse wird man erlauben, sich zu bereichern, aber als Gegenleistung muß sie der Partei für den festen Willen ihres Gebieters haften.

Damit ich an Allerhöchstdero Hofe festen Fuß fasse, ist es nötig, daß Rassi verbannt und öffentlich für ehrlos erklärt wird. Ich möchte fernerhin, daß Fabrizzio von den ehrenhaftesten Richtern, die man finden kann, abgeurteilt wird. Wenn diese Herren, wie ich hoffe, seine Unschuld anerkennen, so wird man billigerweise dem Erzbischof willfahren, Fabrizzio zu seinem Koadjutor und dereinstigen Nachfolger zu machen. Scheitern meine Absichten, dann ziehe ich mich mit dem Grafen zurück. Scheidend gebe ich dann Eurer Hoheit den Rat: Sie dürfen Rassi nie verzeihen und niemals die Lande Ihres Sohnes verlassen! Dann wird Ihnen Ihr guter Sohn kein ernstliches Leid antun.«

»Ich bin Ihren Auseinandersetzungen mit der größten Aufmerksamkeit gefolgt«, erwiderte die Fürstin lächelnd. »Muß ich mich also selbst darum kümmern, meinem Sohn eine Mätresse auszusuchen?«

»Durchaus nicht, Hoheit! Erstreben Sie fürs erste, daß Ihr Salon der einzige ist, wo er sich wohl fühlt.«

In dieser Richtung spann sich die Unterhaltung lange weiter. Der harmlosen und geistreichen Fürstin fiel es wie Schuppen von den Augen.

Ein Bote der Duchezza meldete Fabrizzio, daß er die Stadt betreten könne, aber ganz heimlich. Man konnte ihn schwerlich erkennen. Als Bauer verkleidet, machte er sich alsbald in der Holzbude eines Maronenhändlers zu schaffen, schräg gegenüber vom Tor der Zitadelle, unter den Bäumen der Promenade.


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