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Wir wollen freimütig gestehen, daß die Eifersucht des Kanonikus Borda nicht ganz grundlos war. Nach seiner Heimkehr aus Frankreich erschien Fabrizzio der Gräfin Pietranera wie ein schöner Fremdling, den sie früher einmal gut gekannt hatte. Hätte er Liebesworte gesprochen, dann hätte sie ihn wiedergeliebt, zumal sie für sein Verhalten und für seine Art eine leidenschaftliche, ja grenzenlose Bewunderung hegte. Aber Fabrizzio umarmte sie in so ungemein harmloser Dankbarkeit und unbefangener Zuneigung, daß sie sich vor sich selber geschämt hätte, wenn sie hinter dieser geradezu kindlichen Freundschaft ein anderes Gefühl gesucht hätte. ›Im Grunde‹, sagte sich die Gräfin, ›mögen mich etliche Freunde, die mich vor sechs Jahren am Hofe des Fürsten Eugen gekannt haben, noch hübsch und sogar noch jung finden, doch für ihn bin ich die achtbare Tante und ohne jegliche Schonung meiner Eigenliebe muß ich es wohl sagen – ein Frau von Jahren.‹ Die Gräfin täuschte sich in der Beurteilung des Alters, das sie erreicht hatte, aber nicht in der Weise alltäglicher Frauen. ›In seinen Jahren‹, fügte sie hinzu, ›sieht man die Spuren der Zeit übertriebener, als sie wirklich sind; ein Mann von reiferer Lebenserfahrung hingegen...‹
Die Gräfin war in ihrem Salon auf und ab gegangen, dann blieb sie vor einem Spiegel stehen und lächelte. Man muß wissen, daß das Herz der Gräfin Pietranera seit ein paar Monaten durch eine seltsame Persönlichkeit ernstlich bestürmt wurde. Kurze Zeit nach Fabrizzios Abreise nach Frankreich war die Gräfin in tiefe Schwermut verfallen. Ohne daß sie es sich recht gestand, hatte sie sich viel mit ihm zu beschäftigen begonnen. Alles, was sie tat, erschien ihr reizlos und, wenn man so sagen darf, ohne Saft und Kraft. Sie glaubte, Napoleon, der seine italienischen Untertanen an sich fesseln wollte, werde Fabrizzio in seine persönliche Umgebung nehmen.
»Er ist für mich verloren!« rief sie weinend. »Nie werde ich ihn wiedersehen! Er wird mir Briefe schreiben, aber was bin ich ihm in zehn Jahren?«
In dieser Gemütsverfassung unternahm sie eine Reise nach Mailand; sie hoffte, dort genauere Nachrichten über Napoleon und, wer weiß, vielleicht auch auf Umwegen über Fabrizzio zu erhalten. Ihre tatenlustige Seele war des eintönigen Daseins, das sie auf dem Lande führte, bereits überdrüssig. ›Das ist tödliche Langweile, aber kein Leben!‹ sagte sie sich. Tag für Tag sah sie dieselben gepuderten Köpfe, den Bruder, den Neffen Ascanio und deren Kammerdiener! Was waren die Spaziergänge am See ohne Fabrizzio? Ihr einziger Trost lag in ihrer innigen Freundschaft mit der Marchesa. Aber seit einiger Zeit begann ihr diese Freundschaft zur Mutter Fabrizzios, die älter als sie war und vom Leben nichts mehr erwartete, nicht mehr so viel Freude zu machen.
Seit Fabrizzios Abreise war die Gräfin Pietranera in dieser sonderbaren Stimmung. Von der Zukunft erhoffte sie nicht viel; ihr Herz bedurfte des Trostes und neuer Anregung. Nach Mailand zurückgekehrt, fand sie ein leidenschaftliches Vergnügen an der neueren Oper; stundenlang schloß sie sich einsam in die Loge des Generals Scotti, ihres alten Freundes, ein. Die Menschen, deren Gesellschaft sie aufsuchte, um Nachrichten über Napoleon und seine Armee zu erfahren, kamen ihr gewöhnlich und grob vor. Zu Hause improvisierte sie dann auf ihrem Klavier bis drei Uhr morgens.
Eines Abends wurde ihr in der Loge einer ihrer Freundinnen, wo sie Neuigkeiten aus Frankreich einholen wollte, der Graf Mosca, Minister von Parma, vorgestellt, ein Weltmann, der über Frankreich und Napoleon in einer Weise plauderte, die ihrem Herzen neuen Stoff zu Hoffnungen und Befürchtungen gab. Am Abend darauf suchte sie diese Loge wieder auf. Der geistvolle Mann war ebenfalls da, und während der ganzen Vorstellung unterhielt sie sich mit ihm auf das beste. Seit Fabrizzios Weggang hatte sie noch keinen Abend so angenehm verlebt.
Der Mann, der sie zu unterhalten verstand, der Graf Mosca della Rovere Sorezana, war damals Kriegs-, Polizei- und Finanzminister jenes berüchtigten Fürsten von Parma, Ernsts IV., berüchtigt wegen seiner Strenge, die von den Liberalen von Mailand als Grausamkeit bezeichnet wurde. Mosca mochte vierzig bis fünfundvierzig Jahre zählen. Er hatte ausgeprägte Züge, war aber nicht im geringsten wichtigtuerisch, sondern schlicht und heiter. Man war sofort von ihm eingenommen. Er wäre noch recht annehmbar gewesen, wenn er nicht einer Laune seines Fürsten zuliebe das Haar gepudert getragen hätte, gleichsam als Beweis treuer politischer Gesinnung. Da man in Italien wenig fürchtet, die Eitelkeit zu verletzen, so gelangt man sehr schnell zu einem vertraulichen Ton und zu persönlichen Bemerkungen. Der Fehler an dieser Art des Verkehrs ist der, daß man auf immer bricht, wenn man etwas übel genommen hat.
»Warum tragen Sie eigentlich das Haar gepudert, Graf?« fragte die Pietranera, als sie sich zum dritten Male sahen. »Puder! Ein Mann wie Sie, liebenswürdig, noch jung, der den Feldzug in Spanien mitgemacht hat, auf unserer Seite!«
»Ja, das kommt daher, daß ich in Spanien nichts gestohlen habe und doch leben muß! Ich war vernarrt in den Ruhm. Ein Lob des französischen Generals Gouvion- Saint-Cyr, unseres Oberbefehlshabers, war mir damals alles. Beim Sturze Napoleons stellte es sich heraus, daß ich in seinen Diensten mein Vermögen aufgezehrt hatte, während mein Vater, der mich schon als General sah, mir in Parma bereits einen Palast gebaut hatte. So hatte ich im Jahre 1813 als ganzen Besitz ein halbfertiges Riesenhaus und eine Pension...«
»Eine Pension, dreitausendfünfhundert Franken, wie mein Mann!«
»Der Graf Pietranera war Divisionskommandeur. Meine Pension als armseliger Schwadronschef beträgt nur achthundert Franken und wird mir übrigens erst ausgezahlt, seitdem ich Finanzminister bin.«
Da sonst niemand in der Loge war als ihre Besitzerin, eine Dame mit ausgesprochen liberalen Ansichten, so spann sich das Gespräch in gleicher Freimütigkeit weiter. Der Graf Mosca erzählte auf Befragen von seiner Lebensweise in Parma.
»In Spanien unter Saint-Cyr stellte ich mich in den Kugelregen für das Kreuz der Ehrenlegion und ein wenig Ruhmesglanz. Jetzt ziehe ich mich wie ein Hanswurst an, um ein behagliches Leben zu führen und ein paar tausend Franken zu erhäschen. Ich hatte mich nun einmal in diese Art Schachspiel eingelassen, ärgerte mich über die Unverschämtheit meiner Vorgesetzten und nahm mir vor, hochzukommen. Ich habe es erreicht. Aber meine glücklichsten Tage sind immer die, die ich von Zeit zu Zeit in Mailand verbringe. Hier, meine ich, schlägt noch das Herz euerer Italien-Armee!«
Die Offenheit, die disinvoltura, mit der dieser Minister eines allgemein gefürchteten Fürsten plauderte, reizte die Neugier der Gräfin. Seinem Titel gemäß hatte sie einen kleinlichen Wichtigmacher in ihm erwartet; sie fand einen Mann, der sich der Würde seiner Stellung schämte. Mosca hatte versprochen, ihr alle Neuigkeiten über Frankreich, die er auftreiben könne, zu bringen. Das war in Mailand einen Monat vor der Schlacht von Waterloo eine große Indiskretion. Es handelte sich um das Sein oder Nichtsein Italiens; alle Welt war im Fieber der Angst oder der Hoffnung. Mitten in diesem allgemeinen Wirrwarr zog die Gräfin Erkundigungen über den Mann ein, der so leichtsinnig über eine vielbeneidete Stellung sprach, die obendrein seine einzige Hilfsquelle war.
Man hinterbrachte der Gräfin Pietranera seltsame, spannende und widerspruchsvolle Dinge. Der Graf Mosca della Rovere Sorezana, berichtete man ihr, stehe auf dem Punkte, Premierminister und erster Günstling von Ernesto Ranuccio IV. zu werden, dem Autokraten von Parma, einem der reichsten Fürsten Europas. Der Graf hätte diesen höchsten Posten längst erreicht, wenn er sich standesbewußter benommen hätte. Öfters habe ihm der Fürst über diesen Punkt höchstselbst den Text gelesen. »Was kümmert Eure Hoheit meine Lebensart,« solle er freimütig geantwortet haben, »wenn ich Allerhöchstdero Angelegenheiten gut erledige?« Das Glück dieses Günstlings, fügte man hinzu, sei nicht ohne Dornen. Er habe sich die Gunst eines Landesherrn zu erhalten, der zweifellos klug und geistreich sei, seit seiner Thronbesteigung aber sichtlich den Kopf verloren habe und ein wahrhaft weibisches Mißtrauen hege.
Ernst IV. war nur im Kriege ein Held. Auf den Schlachtfeldern hatte man ihn als braven General ein dutzendmal die Kolonnen zum Sturm führen sehen, doch als er nach dem Tod seines Vaters Ernst III. in seine Lande heimkehrte, wo ihm unglücklicherweise unumschränkte Herrschergewalt zuteil geworden, begann er gegen die Liberalen und die Freiheit wie toll vorzugehen. Sehr bald bildete er sich ein, man hasse ihn. Zu guter Letzt ließ er in einer Anwandlung von schlechter Laune zwei Liberale hängen, die wahrscheinlich nicht viel verbrochen hatten. Ein gewisser Rassi, sozusagen sein Justizminister, ein elender Kerl, hatte ihn dazu verleitet.
Seit dieser verhängnisvollen Stunde ist das Leben des Fürsten von Grund aus verändert. Der sonderbarste Argwohn peinigt ihn. Er ist noch keine fünfzig, aber die Angst hat ihn so arg ausgemergelt, wenn man sich dieses Ausdrucks bedienen darf, daß sein Gesicht das Aussehen eines Achtzigjährigen annimmt, wenn er von Jakobinern und Pariser Revolutionsideen spricht. Er fürchtet sich wie ein kleines Kind vor dem Zauberer aus dem Märchen. Dieser Furcht seines Gebieters verdankt sein Günstling Rassi, der Großfiskal (Oberrichter), seinen Einfluß, und sobald er den irgendwie gefährdet wähnt, entdeckt er schleunigst eine neue Verschwörung der schlimmsten und abenteuerlichsten Art. Dreißig Unvorsichtige haben sich zusammengetan und auf ein Exemplar des ›Constitutionnel‹ abonniert; sogleich erklärt Rassi sie für Verschwörer und läßt sie in die berüchtigte Zitadelle von Parma, den Schrecken der ganzen Lombardei, einkerkern. Da sie sehr hoch gelegen ist, angeblich hundertundachtzig Fuß, so sieht man sie schon aus weiter Ferne über der ungeheueren Ebene. Das Äußere dieses Gefängnisses und die gräßlichen Dinge, die man sich von ihm erzählt, machen es zur gefürchteten Tyrannin der lombardischen Ebene, die sich von Mailand bis Bologna ausdehnt.
»Sie werden es kaum glauben,« erzählte ein anderer Reisender der Gräfin, »Ernst IV. zittert nachts im dritten Stock seines Palastes, obwohl dieser von achtzig Posten bewacht wird, die alle Viertelstunden laut brüllen müssen. Sämtliche Türen sind zehnfach verschlossen, und die angrenzenden Zimmer über und unter den seinen sind wegen seiner Jakobinerangst voller Soldaten. Wenn das Parkett knarrt, so greift er nach seinen Pistolen, im Wahn, ein Liberaler stecke unter seinem Bett. Sogleich werden alle Klingeln im Schloß in Bewegung gesetzt, und ein Adjutant weckt eiligst den Grafen Mosca. Im Schloß angelangt, hütet sich der Polizeiminister, die Verschwörung zu leugnen, im Gegenteil. Allein mit dem Fürsten und bis an die Zähne bewaffnet, durchsucht er alle Winkel der Gemächer, sieht unter die Betten, mit einem Wort, er unterzieht sich einer Menge lächerlicher Handlungen, die eines alten Weibes würdig wären. Alle diese Sicherheitsmaßregeln wären dem Fürsten in den schönen Zeiten, als er im Kriege war und nur den Massenmord auf dem Gewissen hatte, selber demütigend erschienen. Als kluger Mann schämt er sich dieser Vorkehrungen; sie dünken ihn lächerlich, selbst im Augenblick, da er ihnen verfallen ist; und die unbegrenzte Macht des Grafen liegt darin, daß er seine ganze Gewandtheit aufbietet, damit der Fürst in seiner Gegenwart niemals zu erröten braucht. Mosca besteht in seiner Eigenschaft als Polizeiminister selbst darauf, unter alle Möbel und, wie man in Parma sagt, sogar in die Geigenkästen hineinzugucken. Dann ist es der Fürst, der sich dem widersetzt und seinen Minister wegen seiner übertriebenen Genauigkeit auslacht. »Das muß sein!« antwortet der Graf Mosca. »Hoheit wollen an die Spottgedichte denken, mit denen uns die Jakobiner überschütten würden, wenn wir Serenissimus ermorden ließen. Wir schützen nicht nur Allerhöchstdero Leben, wir schützen unsere Ehre!« Aber der Fürst ist offenbar nur halb überzeugt, denn sobald irgendwer in der Stadt sich untersteht zu sagen, man habe gestern im Schloß eine schlaflose Nacht verbracht, läßt der Oberrichter Rassi das Schandmaul in die Zitadelle sperren, und ist der Verbrecher einmal in dieser höheren Wohnung, in guter Luft, wie man in Parma zu sagen pflegt, so müßte ein Wunder geschehen, wenn man sich je des Eingelochten wieder erinnerte. Weil der Fürst Soldat ist und sich in Spanien soundsovielmal mit der Pistole in der Hand bei Überfällen durchgeschlagen hat, schätzt er Mosca mehr als Rassi, der geschmeidiger und gewöhnlicher ist. Die unglücklichen Gefangenen in der Zitadelle werden in strenger Abgeschlossenheit gehalten, und man erfindet auf ihre Unkosten Mordsgeschichten. Die Liberalen behaupten, auf Rassis Weisung hätten die Gefängniswärter und Beichtväter Befehl, ihnen einzureden, daß ungefähr jeden Monat einer von ihnen hingerichtet werde. An solchen Tagen erhalten die Gefangenen die Erlaubnis, die Plattform des mächtigen Turmes zu betreten, die hundertundachtzig Fuß über der Ebene liegt, und von da zuzuschauen, wie ein Zug dahinwallt, bei dem ein Spitzel die Rolle eines zur Richtstätte schreitenden armen Sünders spielt.«
Solche und andere Geschichten von derselben Art und nicht geringerer Glaubwürdigkeit machten auf die Gräfin Pietranera lebhaften Eindruck. Tags darauf bat sie den Grafen Mosca um nähere Angaben und machte ihre Scherze darüber. Sie fand ihn unterhaltsam und verzieh ihm, daß er im Grund und ohne es selber zu wissen, ein Ungeheuer war.
Eines Tages sagte der Graf, als er in seinen Gasthof heimkam: »Die Gräfin Pietranera ist nicht nur eine reizende Frau, sie bringt es sogar zuwege, daß ich an den Abenden, da ich in ihrer Loge bin, gewisse Dinge von Parma vergesse, deren Erinnerung mir einen Stich ins Herz versetzt.« Der Minister hatte trotz seiner leichten Art und seinen glänzenden Umgangsformen keine französische Seele; er konnte seine Sorgen nicht vergessen. Wenn sein Pfühl einen Dorn barg, mußte er ihm die Spitze abbrechen, und wenn er sich dabei noch so weh tat. Ich bitte um Entschuldigung für diese Wendung aus dem Italienischen.
Der Tag nach jener Entdeckung kam dem Grafen, obwohl er in Mailand allerlei Geschäfte hatte, endlos lang vor. An keinem Ort hielt er es lange aus; kein Wagen fuhr ihm schnell genug. Gegen sechs Uhr nahm er sich ein Reitpferd und ritt über den Korso, in der schwachen Hoffnung, der Pietranera zu begegnen. Da er sie dort nicht erblickte, fiel ihm ein, daß die Scala um acht Uhr geöffnet wurde. Er ging hin, fand aber in dem Riesensaal keine zehn Personen. Er schämte sich gewissermaßen, daß er da war. ›Ist es möglich,‹ sagte er sich, ›daß ich mit meinen fünfundvierzig Jahren Torheiten begehe, über die ein junger Leutnant errötet? Zum Glück ahnt sie kein Mensch.‹ Er machte, daß er wieder hinauskam, und versuchte, sich die Zeit damit zu vertreiben, daß er durch die hübschen Straßen schlenderte, die das Theater umgeben. Es gibt in ihnen zahlreiche Kaffeehäuser, die um diese Stunde von Menschen wimmeln; vor jedem dieser Lokale sitzt eine Menge Neugieriger auf Stühlen mitten auf der Straße, schlürft Sorbetti und bekrittelt die Vorübergehenden. Der Graf fiel auf, zumal er das Vergnügen hatte, erkannt und angesprochen zu werden. Drei oder vier Aufdringliche von der Sorte, die man nicht los wird, benutzten die Gelegenheit, sich bei dem allmächtigen Minister Gehör zu verschaffen. Zwei andere überreichten ihm Bittschriften. Ein dritter begnügte sich damit, ihm langatmige politische Ratschläge zu geben.
›Mit viel Geist‹, sagte er sich, ›kann man nicht schlafen und mit viel Macht nicht ungestört spazieren gehen.‹ Er kehrte wieder in die Scala zurück und kam auf den Einfall, eine Loge im dritten Rang zu nehmen. Von dort aus konnte er unbeobachtet die Loge im zweiten Rang überblicken, in der er die Gräfin zu sehen hoffte. Zwei volle Stunden des Harrens kamen dem Verliebten nicht zu lang vor. Sicher, nicht gesehen zu werden, überließ er sich voller Behagen so recht seiner Torheit. ›Zeigt sich das Alter nicht vor allem daran, daß man solcher köstlicher Kindereien nicht mehr fähig ist?‹
Endlich erschien die Gräfin. Mit Entzücken betrachtete er sie durch sein Opernglas. ›Jung, glänzend, behend wie ein Vogel‹, sagte er sich. ›Sie ist keine fünfundzwanzig alt. Dabei ist ihre Schönheit ihr geringster Reiz. Wo wäre eine gleich aufrichtige Seele zu finden, die niemals mit Vorbedacht handelt, die sich ganz der Eingebung des Augenblicks hingibt, die nur danach trachtet, immer von etwas Neuem begeistert zu werden? Ich begreife die Narreteien des Grafen Nani.‹
Der Graf dachte so sehr daran, das Glück zu erobern, das er vor seinen Augen sah, daß er treffende Gründe fand, ein Tor zu sein. Er fand weniger gute, als er darauf sein Alter in Betracht zog und die Sorgen, die sein Leben manchmal recht trübselig machten. ›Ein schlauer Mensch, dem nur die Angst den Verstand benimmt, gewährt mir eine hohe Stellung und viel Geld, solange ich sein Minister bin; aber wenn er mich morgen entläßt, dann sitze ich alt und arm da, bin also der verächtlichste Tropf der Welt. Ein schöner Liebhaber für solch eine Frau!‹ Derlei Gedanken waren zu düster. Er dachte immer wieder an die Pietranera. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, und um besser von ihr zu träumen, ging er nicht in ihre Loge hinunter. »Sie hat sich mit Nani nur darum eingelassen, sagt man mir, um dem Schafskopf, dem Limercati, einen Possen zu spielen, weil er nichts davon wissen wollte, dem Mörder ihres Mannes mit dem Degen oder dem Dolch in der Hand auf den Leib zu rücken. Ich würde mich ein dutzendmal für sie schlagen!« rief der Graf begeistert aus. Alle Augenblicke sah er nach der Theateruhr, die den Zuschauern durch matt erleuchtete Ziffern auf dunklem Grund von fünf zu fünf Minuten die Stunde anzeigte, da es ihnen erlaubt war, in eine befreundete Loge zu kommen. Der Graf sagte zu sich: ›Als Bekannter so frischen Datums darf ich höchstens eine halbe Stunde in ihrer Loge sein; wenn ich länger dableibe, mache ich mich lächerlich, bei meinem Alter und ganz besonders mit meinen verdammten gepuderten Haaren.‹ Aber ein anderer Gedanke brachte ihn urplötzlich zum Entschluß: ›Wenn sie jetzt ihre Loge verließe, um einen Besuch zu machen, da hätte ich einen netten Lohn für den Geiz, mir diesen Genuß so lange aufzusparen.‹ Er stand auf, um in die Loge der Gräfin hinunterzugehen. Mit einem Male empfand er beinahe keine Lust, sich dort einzustellen. ›Das ist ja reizend!‹ meinte er belustigt bei sich und blieb auf der Treppe stehen. ›Ein richtiger Anfall von Schüchternheit! Solch ein Abenteuer ist mir seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr widerfahren!‹
Er trat in die Loge, wobei er sich beinahe Gewalt antun mußte, aber als Weltmann benützte er das Mißgeschick, das ihn heimsuchte, und gab sich gar keine Mühe, heiter oder geistreich zu sein. Er stürzte sich in keine scherzhafte Unterhaltung; er hatte den Mut, schüchtern zu sein, und wandte seinen Geist dazu an, seine Verwirrung leicht durchblicken zu lassen, ohne lächerlich zu werden. ›Wenn sie die Sache falsch auffaßt,‹ sagte er sich, ›bin ich verloren für immer. Was, schüchtern mit gepudertem Haar, das ohne den Puder grau aussähe? Aber schließlich ist es einmal so, und etwas Wahres kann nicht lächerlich sein, wenn ich es nicht übertreibe oder damit prahle.‹
Die Gräfin hatte sich im Schloß Grianta in Gesellschaft der Puderköpfe ihres Bruders, ihres Neffen und gutgesinnter geistloser Nachbarn so oft gelangweilt, daß es ihr nicht einfiel, sich um die Haartracht ihres neuen Verehrers zu kümmern. Viel zu klug, war sie gefeit dagegen, sofort über irgend etwas zu lachen; sie war auf nichts gespannt als auf Nachrichten von Frankreich, die Mosca ihr immer insgeheim überbrachte, sobald er ihre Loge betrat. Zweifellos erdichtete er sie. Während sie mit ihm darüber sprach, bemerkte sie an diesem Abend, daß in seinen Augen Schönheit und Güte lagen.
»Ich denke mir,« sagte sie zu ihm, »daß Sie in Parma mitten unter Ihren Sklaven keinen so liebenswürdigen Blick haben; das würde alles verderben und trügerische Hoffnungen erwecken; man würde den Galgen nicht mehr fürchten.«
Der völlige Mangel an Wichtigtuerei bei einem Mann, der für den ersten Staatsmann Italiens galt, kam der Gräfin sonderlich vor; sie fand sogar, er habe Anmut. Da er sonst vorzüglich und mit Feuer zu plaudern verstand, war sie schließlich gar nicht unangenehm berührt, daß er es für einen Abend vorzog, ausnahmsweise die Rolle des aufmerksamen Zuhörers zu spielen.
Das war ein großer Schritt vorwärts, aber recht gefährlich. Zum Glück für den Minister, der in Parma sprödes Verhalten nicht gewöhnt war, weilte die Gräfin erst wenige Tage in Mailand; ihr Geist war von dem Einerlei des Landlebens noch ganz eingerostet. Sie hatte das Scherzen verlernt, und alle Dinge, die zu einer eleganten, flotten Lebensweise gehören, hatten in ihren Augen einen Schimmer der Neuheit angenommen, der wie ein Heiligenschein wirkte. Sie war keinesfalls zum Spotten aufgelegt, nicht einmal über einen fünfundvierzigjährigen schüchternen Verliebten. Acht Tage später hätte das Wagnis des Grafen vielleicht eine ganz andere Aufnahme gefunden.
In der Scala ist es Brauch, derartige kleine Logenbesuche nicht über zwanzig Minuten dauern zu lassen. Der Graf blieb den ganzen Abend in der Loge, wo er das Glück hatte, mit der Gräfin Pietranera zusammen zu sein. ›Diese Frau‹, sagte er sich, ›verleiht mir alle Torheiten der Jugend wieder!‹ Allein er verhehlte sich auch die Gefahr nicht. ›Vermag meine Stellung als allmächtiger Pascha, vierzig Stunden fern von hier, diese Narrheit zu entschuldigen? Parma ödet mich so an!‹ Trotzdem gelobte er sich von Viertel- zu Viertelstunde, zu gehen.
»Ich muß Ihnen gestehen, Gräfin,« sagte er lachend zu ihr, »daß ich in Parma vor Langerweile umkomme, und es muß mir erlaubt sein, mich in einem Genuß zu berauschen, wenn ich ihn auf meinem Wege finde. So bitte ich um die Erlaubnis, jetzt und nur heute abend vor Ihnen die Rolle des Liebhabers zu spielen. Ach, in wenigen Tagen werde ich recht weit weg von dieser Loge sein, deren Zauber allen Verdruß und sogar, werden Sie sagen, die Gesetze des Anstands vergessen läßt.«
Acht Tage nach diesem auffälligen Logenbesuch in der Scala war der Graf Mosca infolge verschiedener kleiner Zwischenfälle, deren Aufzählung zu weitschweifig wäre, ganz närrisch vor Liebe und die Gräfin bereits der Meinung, daß das Alter eines Liebhabers gar nicht in Frage komme, wenn man ihn nur sonst liebenswert finde.
So standen die Dinge, als der Graf durch einen Boten nach Parma zurückbefohlen ward. Wahrscheinlich hatte Serenissimus in seiner Einsamkeit einen Angstanfall. Die Gräfin reiste nach Grianta zurück, aber ihrer Phantasie genügte dieser schöne Ort nicht mehr; er erschien ihr öde. ›Sollte ich wirklich eine ernsthafte Neigung zu diesem Manne gefaßt haben ?‹ fragte sie sich.
Mosca schrieb und brauchte nichts vorzuspiegeln; die Trennung hatte seinen Geist belebt. Seine Briefe waren unterhaltsam. Er sandte sie – im vollen Einverständnis mit der Gräfin – absonderlicherweise durch Eilboten nach Como, Lecco, Varese oder nach irgendeinem anderen jener entzückenden kleinen Städte in der Umgebung des Sees, wo sie auf die Post gegeben wurden. Dadurch vermied man die Nörgeleien des Marchese del Dongo, der ungern Briefporto bezahlte. Mosca wollte damit erreichen, daß der Bote ihm schließlich gleich die Antworten brächte, und das gelang ihm.
Bald wurden die Tage, an denen der Eilbote eintraf, für die Gräfin bedeutungsvoll. Die Briefe waren von kleinen Geschenken ohne Wert, von Blumen und Früchten begleitet, die ihr und auch ihrer Schwägerin Vergnügen machten. Die Erinnerung an den Grafen vermischte sich mit dem Gedanken an seine große Macht. Die Gräfin war neugierig auf alles, was man ihr über ihn sagte; sogar die Liberalen rühmten seine Fähigkeiten.
Der schlimme Ruf des Grafen rührte vornehmlich daher, daß er für das Haupt der Reaktionspartei am Hofe von Parma galt und daß die liberale Gegenpartei eine zu allem fähige, ja sogar erfolgreiche Intrigantin an ihrer Spitze hatte, die ungeheuer reiche Marchesa Raversi. Der Fürst hütete sich, die Partei, die nicht am Ruder war, ganz fallen zu lassen; er wußte, daß er immer der Herr blieb, selbst mit einem Ministerium, das aus dem Salon der Frau Raversi hervorging. In Grianta erzählte man sich tausend Einzelheiten über dieses Ränkespiel. Überall schilderte man Mosca als Staatsleiter von höchstem Talent und als Mann der Tat. Seine Abwesenheit verwischte den Eindruck seiner gepuderten Haare; und was ihr bisher der Inbegriff alles Steifen und Trübseligen gewesen, erschien bei ihm als belanglose Kleinigkeit, als höfischer Zwang. Im übrigen spielte er ja am Hofe eine so prächtige Rolle. »Ein Hof ist etwas Lächerliches«, sagte die Gräfin zur Marchesa, »und doch unterhaltend, ein Spiel, das einen in Spannung versetzt; aber man muß sich seinen Regeln fügen. Wer hätte sich nicht gegen die lächerlichen Spielregeln des Piketts ereifert? Und doch, sobald man mit ihnen vertraut ist, macht es Spaß, den Gegner ›repic‹ und ›capot‹ zu machen.«
Die Gräfin dachte häufig an den Schreiber so vieler liebenswürdiger Briefe. Die Tage, an denen sie solche empfing, waren Feste. Sie stieg in ihre Barke und las sie an den schönsten Stellen des Sees, an der Pliniana, in Bellano, im Hain der Sfrondata. Diese Briefe trösteten sie ein wenig über Fabrizzios Fernsein. Zum mindesten war sie nicht imstande, über die tolle Verliebtheit des Grafen unwillig zu sein. Keine vier Wochen waren verflossen, als sie seiner bereits in zärtlicher Freundschaft gedachte.
Graf Mosca seinerseits meinte es fast ernst, als er ihr anbot, er wolle seinen Abschied einreichen, seinen Ministerposten verlassen und mit ihr in Mailand oder sonstwo leben. ›Ich besitze vierhunderttausend Franken,‹ schrieb er ihr unter anderem, ›also fünfzehntausend Lire Rente.‹ ›Wieder eine Loge, Pferde und so weiter!‹ sagte sich die Gräfin. Das waren holde Träume. Von neuem entzückte sie die erhabene Schönheit des Comer Sees. An seinen Gestaden träumte sie von der Rückkehr in jenes glänzende, wunderbare Leben, das sich ihr gegen alle Wahrscheinlichkeit wieder auftat. Sie sah sich auf dem Mailänder Korso, glücklich und heiter wie einst zur Zeit des Vizekönigs. ›Die Jugend oder wenigstens wirkliches Leben wird für mich wiederkehren!‹
Die Glut ihrer Einbildungen setzte sich bisweilen über die Dinge hinweg, aber niemals verlor sie sich in jenen bewußten Täuschungen, in denen sich die Feigheit wiegt. Sie war vor allem eine gegen sich selbst aufrichtige Frau. ›Da ich ein wenig zu alt bin, um Torheiten zu begehen,‹ sagte sie sich, ›so kann der Neid, der sich ebenso wie die Liebe Vorspiegelungen macht, mir den Aufenthalt in Mailand vergiften. Nach dem Tode meines Mannes erregte meine stolze Armut und die zweimalige Abweisung eines großen Vermögens Aufsehen. Mein armer lieber Mosca besitzt nicht den zwanzigsten Teil von dem Überfluß, den jene beiden Tröpfe, der Limercati und der Nani, mir zu Füßen gelegt haben. Die mit Mühe und Not erlangte kärgliche Witwenpension, die aufsehenerregende Entlassung meiner Dienerschaft, das kleine Stübchen im vierten Stock und täglich zwanzig Wagen vor dem Hause, alles das waren einst seltsame Erlebnisse. Aber so gut ich mich auch darein schickte, ich würde doch unangenehme Augenblicke haben, wenn ich wieder in Mailand leben wollte, in gut bürgerlichen Verhältnissen, wie sie uns meine Witwenpension und die fünfzehntausend Lire Rente gestatteten, die Mosca nach seinem Abgang verblieben. Überdies ist der Graf verheiratet, wenn er auch von seiner Frau seit langem getrennt lebt; diese Trennung ist in Parma stadtbekannt, aber nicht in Mailand, und man würde in mir den Grund suchen. Der Neid würde das als schreckliche Waffe gegen mich benützen. So leb denn wohl, meine schöne Scala, mein göttlicher Comer See, leb wohl!‹
Trotz allen diesen Bedenken wäre die Gräfin auf das Anerbieten Moscas, seine Entlassung einzureichen, eingegangen, wenn sie selbst nur ein wenig Vermögen besessen hätte. Sie hielt sich für alt, und das Leben am Hofe schreckte sie ab. Nördlich der Alpen wird man es für höchst unwahrscheinlich halten, daß der Graf seinen Abschied mit Freuden genommen hätte. Zum mindesten brachte er es fertig, seine Freundin davon zu überzeugen. In allen seine Briefen bat er sie inständig und mit täglich wachsender Narrheit um ein zweites Wiedersehen in Mailand. Sie willfahrte ihm.
»Wenn ich Ihnen schwören sollte, daß ich für Sie eine wahnsinnige Leidenschaft hegte,« sagte die Gräfin eines Tages zu ihm, »so wäre das eine Lüge. Ich wäre selber überglücklich, wenn ich heute mit meinen dreißig Jahren lieben könnte wie einst mit zweiundzwanzig. Aber ich habe so vieles in Trümmer zusammensinken sehen, was ich für ewig gehalten hatte! Ich empfinde für Sie die zärtlichste Freundschaft, ich hege zu Ihnen ein Vertrauen ohne Grenzen, und von allen Männern sind Sie mir der liebste.«
Die Gräfin hielt sich für durchaus aufrichtig, und doch enthielten die letzten Worte eine kleine Lüge. Wenn Fabrizzio gewollt hatte, wäre er vielleicht der Eroberer ihres ganzen Herzens geworden. In den Augen des Grafen Mosca freilich war Fabrizzio nur ein Kind. Drei Tage nach dessen Flucht nach Novara war Mosca in Mailand und verwandte sich sofort beim Baron Binder für den Verbannten. Der Graf war danach der Meinung, die Sache sei aussichtslos.
Mosca war nicht allein nach Mailand gekommen. Er hatte in seinem Wagen den Duca di Sanseverina-Taxis mitgebracht, einen netten alten Herrn von achtundsechzig Jahren, leicht ergraut, mit besten Umgangsformen, sehr geschmackvoll und unermeßlich reich. Sein Adel war allerdings nicht weit her. Sein Großvater hatte als Generalpächter der gesamten Staatseinnahmen von Parma Millionen auf Millionen gehäuft. Sein Vater war Gesandter des vormaligen Fürsten von Parma am Hofe zu ... geworden, und zwar dank folgender Erörterung:
›Serenissimus zahlen dem Gesandten am Hofe zu ... ein Gehalt von dreißigtausend Franken, womit dieser dort eine ziemlich mäßige Rolle spielt. Wenn Eure Hoheit geruhen wollten, mir diesen Posten zu übertragen, nähme ich ihn mit sechstausend Franken Gehalt. Mein Auftreten am Hofe zu ... sollte mir nicht unter hunderttausend Franken im Jahre zu stehen kommen. Mein Vermögensverwalter würde überdies der Kasse der auswärtigen Angelegenheiten in Parma jährlich zwanzigtausend Franken überweisen. Mit dieser Summe könnte man mir einen Legationssekretär beigeben, und ich wäre keineswegs auf diplomatische Geheimnisse eifersüchtig, wenn es solche gäbe. Mein Ziel ist, meinem noch jungen Hause Ansehen zu verschaffen und es durch eine hohe Staatsstellung auszuzeichnen.‹
Der jetzige Duca, der Sohn jenes Gesandten, hatte den Fehler begangen, sich einen halb liberalen Anstrich zu geben, und lebte seit zwei Jahren in tiefer Verzweiflung. Zu Zeiten Napoleons hatte er durch sein hartnäckiges Verbleiben im Ausland zwei oder drei Millionen eingebüßt, und nach der Wiederherstellung der Ordnung in Europa war es ihm trotz alledem nicht gelungen, ein gewisses Ordensband zu erringen, das das Bildnis seines Vaters schmückte. Das Ausbleiben des Großkreuzes hatte ihn gänzlich gebrochen.
Die Vertraulichkeit, die in Italien mit der Liebe verknüpft ist, hebt zwischen zwei Liebenden alle Eitelkeitsrücksichten auf. Also sagte Mosca mit der größten Natürlichkeit zu seiner Angebeteten: »Ich habe Ihnen zwei oder drei gründlich durchdachte Pläne vorzulegen. Seit drei Monaten träume ich von nichts anderem.
Erstens: Ich reiche meine Entlassung ein, und wir leben gut bürgerlich in Mailand, Florenz oder Neapel, wo Sie wünschen. Wir haben jährlich fünfzehntausend Lire zu verzehren und sind unabhängig von der mehr oder minder unbeständigen Fürstengunst.
Zweitens: Sie geruhen in das Land zu kommen, wo ich etwas bedeute. Sie kaufen sich ein Gut, Sacca zum Beispiel, ein allerliebster Wohnsitz mitten im Wald, mit Aussicht auf den Po. Der Kaufvertrag könnte binnen acht Tagen unterschrieben sein. Sie werden am Hofe des Fürsten verkehren. Aber die Sache hat einen gewaltigen Haken. Man wird Sie bei Hofe gut aufnehmen; es fällt niemandem ein, mir Hindernisse in den Weg zu legen. Überdies hält sich die Fürstin für unglücklich, und ich habe ihr kürzlich im Hinblick auf Sie einen Dienst erwiesen. Aber, wie gesagt, die Sache stößt auf ein beträchtliches Hindernis: Serenissimus ist höchst bigott, und wie Sie wissen, will es das Verhängnis, daß ich verheiratet bin. Daraus entspringen tausend kleine Unannehmlichkeiten. Sie sind Witwe, an und für sich ein hübscher Titel, den Sie gegen einen anderen eintauschen müßten. Und darin gipfelt mein dritter Vorschlag.
Ein neuer Gatte, ein nicht im mindesten unbequemer, wäre schon zu finden; er müßte nur recht alt sein. Warum sollten Sie mir nicht die Hoffnung lassen, eines Tages an seine Stelle zu treten? Nun hören Sie! Ich habe diesen merkwürdigen Fall mit dem Duca di Sanseverina-Taxis besprochen, selbstverständlich ohne ihm den Namen der künftigen Duchezza zu verraten. Er weiß nur, daß er durch Sie Gesandter und Großkomtur desselben Ordens werden wird, den sein Vater getragen hat und dessen Ausbleiben ihn zum Unglücklichsten aller Sterblichen macht. Abgesehen von dieser Schrulle ist der Herzog durchaus kein übler Mann. Er läßt sich seine Kleidung und seine Perücken aus Paris kommen. Ein vorbedachter Bösewicht ist er keineswegs; nur glaubt er steif und fest, die höchste Ehre hafte an jenem Ordensband. Vor einem Jahre machte er mir den Vorschlag, er wolle dafür ein Krankenhaus errichten. Ich habe ihn ausgelacht; aber er hat mich nicht im mindesten ausgelacht, als ich ihm den Heiratsvorschlag machte. Ich habe ihm, wohlverstanden, die Hauptbedingung gestellt, daß er nie wieder den Fuß nach Parma setzt.«
»Wissen Sie auch, daß Ihr Vorschlag im höchsten Grade unmoralisch ist?« sagte die Gräfin.
»Nicht unmoralischer als alles, was an unserem Hofe und an einem Dutzend anderer gang und gäbe ist. Der Absolutismus hat das Bequeme, daß er in den Augen des Volkes alles billigt. Das ist lächerlich, aber niemand merkt es. In den nächsten zwanzig Jahren wird unsere Politik von der Angst vor den Jakobinern geleitet werden, und von was für einer Angst! Jahr für Jahr wird man wähnen, am Vorabend von Anno 93 zu stehen. Ich hoffe, Sie werden die Phrasen zu hören bekommen, die ich bei offiziellen Gelegenheiten loslasse. Genug! Was jener Furcht nicht neue Nahrung gibt, ist in den Augen des Adels und der Klerikalen unantastbar moralisch. Nun sitzt in Parma alles, was nicht adlig oder bigott ist, im Gefängnis oder ist auf dem Sprunge dahin. Seien Sie überzeugt, solange ich in Gnaden stehe, wird kein Mensch an dieser Heirat etwas Auffälliges finden. Mit diesem Abkommen wird niemand betrogen. Das scheint mir die Hauptsache. Der Fürst, von dessen Gunst unser Wohl und Wehe abhängt, macht seine Einwilligung nur von einer Bedingung abhängig: die künftige Herzogin muß von altem Adel sein. Im vergangenen Jahre hat mir mein Posten hundertsiebentausend Franken eingebracht; alles in allem gerechnet, habe ich also hundertzweiundzwanzigtausend Franken Gehalt; davon habe ich zwanzigtausend in Lyon angelegt. Wählen Sie nun! Auf der einen Seite winkt Ihnen ein großartiges Leben mit hundertzweiundzwanzigtausend Franken im Jahre. Das ist in Parma soviel wie vierhunderttausend Franken in Mailand; allerdings heiraten Sie dafür einen annehmbaren Mann und tragen seinen Namen, aber Sie sollen ihn außer am Traualtar nie wieder zu sehen bekommen. Auf der anderen Seite ein kleinbürgerliches Dasein mit fünfzehntausend Lire in Florenz oder Neapel, denn ich bin ganz Ihrer Meinung, in Mailand hat man Sie allzusehr bewundert; dort würde uns die Mißgunst heimsuchen und uns unsere gute Laune verderben. Das große Leben in Parma wird, hoffe ich, den Reiz des Neuen haben, selbst in Ihren Augen, die den Hof des Fürsten Eugen gesehen haben. Lernen Sie es nur erst kennen! Glauben Sie nicht, daß ich Sie in Ihrem Entschluß zu beeinflussen suche. Mein Standpunkt steht fest; ich lebe lieber im dritten Stock zusammen mit Ihnen, als daß ich mein großes Leben einsam weiterführe.«
Das Für und Wider dieser seltsamen Heirat wurde täglich zwischen den beiden Liebenden erwogen. Auf dem Ball in der Scala lernte die Gräfin den Duca di Sanseverina- Taxis kennen. Er kam ihr ganz annehmbar vor. Während eines ihrer letzten Gespräche faßte Mosca seinen Vorschlag noch einmal wie folgt zusammen: »Wir müssen zu einem entscheidenden Entschluß kommen, um Ruhe in unser Leben zu bringen. Der Fürst hat seine Einwilligung gegeben. Sanseverina ist eine Persönlichkeit mit mehr guten als schlechten Seiten. Er besitzt den schönsten Palast von Parma und ein maßloses Vermögen; er ist achtundsechzig Jahre alt und hat nur die törichte Ordenssucht. Freilich haftet ein großer Makel an seinem Leben: er hat vor Jahren für zehntausend Franken eine Büste Napoleons von Canova gekauft. Und dann hat er eine Todsünde begangen, von der Sie ihn erlösen sollen: er hat einem gewissen Ferrante Palla fünfundzwanzig Napoleons geborgt. Das ist ein sonderbarer Heiliger, im Grunde ein genialer Kerl, den wir zum Tode verurteilt haben, glücklicherweise in contumaciam. Dieser Ferrante hat im ganzen zweihundert Verse geschrieben. Die sind unvergleichlich. Ich werde sie Ihnen gelegentlich vorlesen; sie sind ebenso schön wie Dantes Verse. Serenissimus schickt den Sanseverina an den Hof von ... Am Tage seines Wegganges heiratet er Sie. Ein Jahr darauf bekommt er sein Großkreuz, ohne das er nicht leben kann. Sie werden an ihm einen Bruder haben, der ganz und gar nicht lästig ist. Er unterschreibt im voraus alles, was ich ihm vorlege; und im übrigen werden Sie ihn selten oder gar nicht zu Gesicht bekommen, ganz wie es Ihnen beliebt. Er verlangt nichts weiter, als daß er sich in Parma nicht zu zeigen braucht, wo ihn sein Großvater, der Generalpächter, und das Gerücht, er sei liberal, belästigen. Rassi, unser Henker, hat behauptet, der Duca sei heimlich auf den ›Constitutionnel‹ abonniert gewesen, und zwar durch Vermittlung des Dichters Ferrante Palla, und diese Verleumdung hat lange Zeit der Einwilligung des Fürsten ernstlich im Weg gestanden.«
Wie könnte den Geschichtsschreiber, der dieses Gespräch bis in die geringsten Einzelheiten treu verfolgt, irgendwelche Schuld an den Geschehnissen treffen? Ist es seine Schuld, wenn die Gestalten, beherrscht von Leidenschaften, die er durchaus nicht teilt, zu seinem Unglück auf gänzlich unmoralische Handlungen verfallen ? Wahrlich, solche Dinge kommen in einem Lande nicht mehr vor, wo die einzige, alle anderen erstickende Leidenschaft, die Sucht nach Geld, der Träger der Eitelkeit ist.
Drei Monate nach den soeben erzählten Ereignissen setzte die Duchezza di Sanseverinain Bewunderung durch ihre ungezwungene Liebenswürdigkeit und die edle Heiterkeit ihres Geistes. Ihr Haus wurde unbestritten das beliebteste der Stadt. Das hatte Mosca seinem Gebieter versprochen. Ranuccio Ernesto IV., der regierende Fürst, und seine Gemahlin, die Fürstin, denen die Duchezza durch zwei der vornehmsten Damen des Landes vorgestellt worden war, empfingen sie auf das huldvollste. Die Duchezza war begierig, diesen Fürsten, den Herrn über das Schicksal dessen, den sie liebte, kennen zu lernen; sie wollte ihm gefallen, und das gelang ihr nur zu gut. Sie fand einen Mann von hoher, nur ein wenig starker Gestalt; sein Haar, sein Schnurrbart und sein riesiger Backenbart waren, wie die Hofschranzen meinten, vom schönsten Blond; bei einem anderen hätten sie diese nichtssagende Farbe mit dem unedlen Wort ›Semmelblond‹ bezeichnet. In der Mitte eines breiten Gesichts war eine kleine, beinahe weibische Stumpfnase kaum bemerkbar. Die Duchezza machte die Bemerkung, daß alle diese Merkmale von Häßlichkeit nur dann auffielen, wenn man sie absichtlich einzeln aufs Korn nahm. Im ganzen machte er den Eindruck eines Mannes von Geist und Charakter. Die Haltung des Fürsten, seine Art, sich zu geben, entbehrten nicht des Hoheitsvollen; nur bisweilen, wenn er mit jemandem sprach, auf den er Eindruck machen wollte, fiel er aus seiner Rolle und wiegte sich von einem Bein auf das andere. Sonst hatte Ernst IV. einen scharfen Herrscherblick; seine Bewegungen waren vornehm und seine Worte ebenso gemessen wie bestimmt.
Mosca hatte die Herzogin im voraus auf ein Kniestück Ludwigs XIV. und auf einen sehr schönen Tisch aus Florentiner Scagliola im Audienzsaal aufmerksam gemacht. Sie fand die Ähnlichkeit erstaunlich. Offensichtlich ahmte der Fürst den Blick und die vornehme Sprechweise Ludwigs XIV. nach und stützte sich dabei auf den Scagliola-Tisch in einer Weise, als ob er sich die Haltung Josephs II. geben wolle. Sofort nach den ersten Worten, die er an die Duchezza gerichtet hatte, setzte er sich, um ihr Gelegenheit zu geben, von einem ihrem Rang gebührenden Vorrecht Gebrauch zu machen. An jenem Hofe setzten sich die Herzoginnen, Fürstinnen und die Damen von spanischen Granden ohne Geheiß. Die anderen Damen warteten, bis der Fürst oder die Fürstin sie dazu aufforderten; und um den Rangunterschied merklich zu machen, pflegten die allerhöchsten Herrschaften immer absichtlich eine kleine Frist verstreichen zu lassen, ehe sie Damen, die nicht Herzoginnen waren, zum Platznehmen einluden. Die Herzogin fand die Nachahmung Ludwigs XIV. in gewissen Augenblicken am Fürsten ein wenig zu auffällig, zum Beispiel in der Art, wie er, huldvoll lächelnd, das ganze Gesicht verzog.
Ernst IV. trug einen Frack nach der neuesten Pariser Mode. Man sandte ihm alle Monate aus dieser Stadt, die ihm ein Greuel war, einen Frack, einen Rock und einen Hut. Aber an dem Tage, da die Herzogin empfangen wurde, trug er in sonderbarem Kostümmischmasch ein Paar rote Beinkleider, seidene Strümpfe und Schuhe mit sehr langen Klappen, wie man sie auf Bildnissen Josephs II. sehen kann.
Er empfing die Sanseverina liebenswürdig; er sagte ihr geistreiche und feine Worte, aber sie merkte doch sehr wohl, daß der Empfang nicht übermäßig gnädig war.
»Wissen Sie warum?« fragte der Graf Mosca, als sie von dem Empfang zurückkam. »Weil Mailand eine größere und schönere Stadt als Parma ist. Wenn er Ihnen den Empfang hätte zuteil werden lassen, den ich erwartet und auf den er mir Hoffnung gemacht hatte, so hätte er dabei Angst gehabt, wie ein Provinzler zu erscheinen, den die Huld einer schönen Dame aus der Hauptstadt in Verzückung versetzt. Außerdem stört ihn noch ein besonderer Umstand, den ich Ihnen kaum zu sagen wage: der Fürst hat an seinem Hofe keine Dame, die Ihnen an Schönheit den Rang streitig machen könnte. Das war gestern abend beim Schlafengehen der einzige Gegenstand der Unterhaltung mit seinem Ersten Kammerdiener Pernico, der mir sehr gewogen ist. Ich sehe eine kleine Umwälzung unserer Hofgebräuche voraus. Mein ärgster Feind am Hofe hier ist ein Narr, den man den General Fabio Conti betitelt. Stellen Sie sich einen wunderlichen Kauz vor, der in seinem Leben vielleicht einen Tag im Felde war und aus diesem Grunde Friedrich den Großen nachäfft. Dazu möchte er die vornehme Leutseligkeit des Generals Lafayette zur Schau tragen, und zwar, weil er hier das Haupt der liberalen Partei ist, Gott weiß, von was für Liberalen.«
»Ich kenne Fabio Conti«, sagte die Duchezza. »Ich habe ihn einmal in der Nähe von Como flüchtig gesehen. Er zankte sich mit Gendarmen herum ...«
Sie erzählte das kleine Abenteuer, dessen sich der Leser vielleicht noch erinnert.
»Gnädige Frau, eines Tages, wenn Ihr Geist jemals die Tiefen unserer Hofgebräuche ergründet, werden Sie wissen, daß die jungen Damen erst nach ihrer Verheiratung bei Hofe erscheinen dürfen. Serenissimus hegt aber, was die Erhabenheit Parmas über alle anderen Städte angeht, einen so glühenden Vaterlandsstolz, daß ich wetten möchte, er findet Mittel und Wege, sich die kleine Clelia Conti, die Tochter unseres Lafayette, vorstellen zu lassen. Sie ist wirklich allerliebst und galt noch vor acht Tagen für die Schönste im ganzen Fürstentum.
Ich weiß nicht,« fuhr der Graf fort, »ob die Schändlichkeiten, die die Feinde des Monarchen zu seinen Ungunsten verbreitet haben, bis in das Schloß Grianta gedrungen sind. Man hat ihn als Ungeheuer, als Scheusal hingestellt. Es ist aber Tatsache, daß Ernst IV. eine ganze Menge netter kleiner Tugenden besitzt, und man kann getrost sagen, wäre er unverwundbar wie Achill, dann wäre er das Muster eines Machthabers geblieben. Aber in einer Anwandlung von Langerweile und Ärger und auch ein wenig, um Ludwig XIV. nachzueifern, der, ich weiß nicht, welchen Helden der Fronde hat köpfen lassen, der friedlich auf seinem Landgut lebte, unverschämterweise dicht bei Versailles, fünfzig Jahre nach besagten Unruhen, hat er eines Tages zwei Liberale hängen lassen. Diese Unvorsichtigen hatten sich wohl an bestimmten Tagen zusammengefunden, sich über den Fürsten abfällig geäußert und heiße Gebete zum Himmel gesandt, er möge die Pest über Parma kommen lassen und sie vom Tyrannen befreien. Das Wort Tyrann ist beglaubigt. Rassi nannte das eine Verschwörung; er ließ die Verdächtigen zum Tode verurteilen, und besonders die Hinrichtung des einen, des Grafen Palanza, war gräßlich. Das hat sich vor meiner Zeit ereignet. Seit dieser verhängnisvollen Tat«, fuhr der Graf mit gedämpfter Stimme fort, »leidet der Fürst an Angstanfällen, die eines Mannes unwürdig sind, die aber die einzige Quelle der Gunst sind, deren ich mich erfreue. Ohne diese Schwäche des Monarchen wäre meine Laufbahn zu schnell, zu verletzend für diesen Hof, wo die Dummheit herrscht. Sie werden es kaum glauben, der Fürst sieht vor dem Schlafengehen unter die Betten seiner Gemächer und gibt eine Million aus, um eine gute Polizei zu haben, und Sie sehen den Chef dieser schrecklichen Polizei vor sich. Durch dieses Amt, das heißt durch die Angst, bin ich Kriegs- und Finanzminister geworden. Da der Minister des Inneren eigentlich mein Vorgesetzter ist, soweit er die Oberaufsicht über die Polizei hat, so habe ich dieses Portefeuille dem Grafen Zurla-Contarini zuteilen lassen, einem einfältigen Arbeitstier, das sich das Vergnügen macht, täglich achtzig Briefe zu schreiben. Ich habe gerade heute vormittag einen bekommen; zu seiner Befriedigung hat Graf Zurla-Contarini die Briefbuchnummer 20715 eigenhändig davorsetzen können.«
Die Herzogin von Sanseverina wurde der trübseligen Fürstin von Parma, Clara Paolina, vorgestellt, die sich, weil ihr Mann eine Mätresse hatte (eine recht hübsche Frau, die Marchesa Balbi), für das allerunglücklichste Weib auf Erden hielt. Jedenfalls war sie das langweiligste. Die Duchezza fand eine sehr große und sehr hagere Dame, die keine sechsunddreißig Jahre alt war und doch wie eine Fünfzigerin aussah. Ihr regelmäßiges vornehmes Gesicht hätte für schön gelten können, wenn es nicht durch dicke, runde, kurzsichtige Augen entstellt worden wäre. Sie empfing die Duchezza mit so auffälliger Schüchternheit, daß einige dem Grafen Mosca feindselig gesinnte Hofleute zu sagen wagten, es habe ganz so ausgesehen, als sei die Fürstin die vorzustellende Dame und die Duchezza die Monarchin gewesen. Die Herzogin war so betroffen und fast verlegen, daß sie kaum Ausdrücke fand, um vor dieser Fürstin, die sich so untertänig benahm, die Untertänigkeit zu wahren. Um die Ärmste, die im Grunde gar nicht so geistlos war, einigermaßen wieder in Haltung zu bringen, fand die Duchezza kein besseres Mittel, als ein langes Gespräch über botanische Dinge anzuspinnen und im Fluß zu erhalten. Auf diesem Gebiet hatte die Fürstin wirkliche Kenntnisse; sie besaß prächtige Gewächshäuser mit einer Menge von Tropenpflanzen. Indem die Duchezza auf diese ganz einfache Weise ihr und sich aus der Verlegenheit half, gewann sie die Fürstin auf ewig. So schüchtern und ungeschickt Clara Paolina auch zu Anfang gewesen sein mochte, schließlich fühlte sie sich so in ihrem Fahrwasser, daß dieser erste Empfang gegen alle Vorschriften der Hofordnung nicht weniger als fünf Viertelstunden dauerte. Am anderen Tage ließ die Duchezza südländische Gewächse aufkaufen und gab sich für eine große Pflanzenliebhaberin aus.
Die Fürstin verbrachte ihr Leben mit dem ehrwürdigen Padre Landriani, dem Erzbischof von Parma, einem sehr gelehrten, sogar geistvollen und durch und durch rechtschaffenen Mann, der freilich einen sonderbaren Anblick darbot, wenn er in seinem karmesinroten Lehnstuhl saß (das war das Vorrecht seiner Stellung) und ihm gegenüber die Fürstin, umgeben von ihren Hof- und Ehrendamen. Der alte Prälat in seinen langen weißen Haaren war wohl noch schüchterner als die Fürstin. Sie sahen sich alle Tage, aber alle seine Besuche begannen mit einer reichlichen Viertelstunde beiderseitigen Schweigens. Die Gräfin Alvizi, eine der Ehrendamen, war darum sozusagen ihr Liebling geworden, weil sie sich darauf verstand, das Stillschweigen zu brechen und eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
Die Reihe der Vorstellungen schloß damit, daß die Duchezza bei Seiner Hoheit dem Erbprinzen eingeführt wurde. Dieser war noch größer als sein Vater und noch schüchterner als seine Mutter. Er war ein großer Mineralog und sechzehn Jahre alt. Als er die Duchezza eintreten sah, ward er über und über rot und geriet derartig in Verlegenheit, daß er nicht ein Wort fand, das er der schönen Dame hätte sagen können. Er war ein recht schöner Mensch und verbrachte seine Tage im Walde, mit einem Hammer in der Hand. Im Augenblick, als sich die Duchezza erhob, um dem stummen Empfang ein Ende zu machen, rief der Erbprinz aus: »Mein Gott, gnädige Frau, wie sind Sie hübsch!«, was der Dame, die vorgestellt wurde, keinen allzu üblen Geschmack verriet.
Die Marchesa Balbi, eine junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, konnte zwei oder drei Jahre vor der Ankunft der Herzogin in Parma für das vollendete Urbild einer hübschen Italienerin gelten. Noch jetzt hatte sie die schösten Augen von der Welt und das anmutigste Benehmen. Aber aus der Nähe betrachtet, war ihre Haut von einer Unzahl feiner Fältchen durchzogen, die ihr ein altes Aussehen gaben. Von weitem gesehen, zum Beispiel im Theater, in ihrer Loge, war sie noch eine Schönheit, und die Leute im Parkett fanden, der Fürst habe einen sehr guten Geschmack. Er verbrachte alle Abende bei der Marchesa Balbi, aber sehr oft tat er den Mund nicht auf, und die Wahrnehmung, daß sich der Fürst langweile, hatte die arme Frau auffällig abmagern lassen. Sie gab sich den Anstrich ungemeiner Klugheit und lächelte häufig boshaft; sie besaß die schönsten Zähne der Welt und wollte durch ihr Lächeln, das im Grunde gar nichts bedeutete, ihren Worten einen tieferen Sinn verleihen. Graf Mosca behauptete, durch dieses ewige Lächeln, hinter dem sie innerlich gähne, seien ihre vielen Runzeln entstanden. Die Balbi mischte sich in alle Staatsgeschäfte, und die Staatskasse nahm keinen Tausendfrankenschein ein, ohne daß dabei für die Marchesa ein Souvenir, wie man in Parma verständnisvoll sagte, abgefallen wäre. Ein Gerücht im Volke behauptete, sie habe in England sechs Millionen angelegt; in Wirklichkeit überschritt ihr ja noch junges Vermögen nicht die Höhe von anderthalb Millionen. Um vor ihren Kniffen sicher zu sein und sie in der Hand zu haben, hatte sich der Graf Mosca zum Finanzminister gemacht. Die einzige Leidenschaft der Marchesa war die hinter schmutzigem Geiz versteckte Furcht: ›Ich werde auf einer Schütte Stroh sterben!‹ Den Fürsten, dem sie dies bisweilen sagte, empörte ihre Redensart. Die Duchezza machte die Wahrnehmung, daß im schwervergoldeten Vorzimmer des Palazzo Balbi eine einzige Kerze benutzt wurde, deren Wachs auf einen kostbaren Marmortisch herabträufelte, und daß an den Salontüren Abdrücke von schmutzigen Lakaienfingern zu sehen waren.
»Sie hat mich empfangen,« erzählte die Duchezza ihrem Freunde, »als ob sie eine Spende von fünfzig Franken von mir erwartet hätte.«
Die Reihe der Erfolge der Duchezza wurde ein wenig durch den Empfang unterbrochen, den ihr die verschlagenste Frau am Hofe, die berüchtigte Marchesa Raversidie berüchtigte Marchesa Raversi: Auch darin steckt eine Reminiszenz an Beyles ihm unvergeßliche Zeit in Mailand. Seine ›einzige Feindin‹ (wie er in seinen ›Souvenirs d'Égotisme‹ sagt) war eine Signora Raversi, die Freundin von Mathilde Dembowska., bereitete, eine vollendete Intrigantin und das Haupt der dem Grafen Mosca feindlichen Partei. Sie wollte ihn stürzen, und jetzt mehr denn je, weil sie die Nichte des Duca di Sanseverina war und ihre Erbaussicht durch die Reize der neuen Herzogin bedroht sah.
»Über die Raversi darf man nicht ohne weiteres hinweggehen«, erklärte der Graf seiner Freundin. »Ich halte sie zu allem fähig. Ich habe mich einzig deshalb von meiner Frau getrennt, weil die Raversi darauf versessen war, ihr den Cavaliere Bentivoglio, einen ihrer Freunde, als Servente zuzuschieben.«
Diese Dame, ein Mannweib mit tiefschwarzem Haar, auffällig durch ihre Brillanten, die sie von früh an trug, und durch ihre Schminke, hatte sich im voraus für eine Feindin der Duchezza erklärt und benutzte deren ersten Besuch, um den Krieg zu beginnen. Der Duca di Sanseverina hatte in den Briefen, die er aus ... schrieb, so sehr von seinem Gesandtschaftsposten und vor allem von seiner Aussicht auf das Großkreuz geschwärmt, daß seine Verwandten Angst bekamen, er könne einen Teil seines Vermögens seiner Gattin vermachen, die er mit kleinen Geschenken überhäufte. Trotz ihrer ausgesprochenen Häßlichkeit hatte die Raversi zum Liebhaber den Grafen Baldi, den hübschesten Mann am ganzen Hofe; es gelang ihr eben in der Hauptsache alles, was sie sich vornahm.
Die Duchezza machte ein sehr großes Haus. Der Palazzo Sanseverina war von jeher einer der großartigsten Parmas, und der Duca hatte bei seiner Ernennung zum Gesandten und als künftiger Großkomtur eine Riesensumme zu weiterer Verschönerung ausgesetzt; die Herzogin leitete die Erneuerungen.
Der Graf hatte richtig geraten. Wenige Tage nach der Vorstellung der Herzogin bei Hofe wurde die junge Clelia Conti hoffähig; man hatte sie zur Stiftsdame erhoben. Um den Hieb aufzufangen, den dieser Gnadenbeweis dem Ansehen des Grafen versetzte, gab die Duchezza ein Fest, angeblich zur Einweihung ihres Schloßgartens, und machte Clelia, die sie mit Liebenswürdigkeit überschüttete und ihre junge Freundin vom Comer See nannte, zur Königin des Abends. Wie durch Zufall leuchtete ihr Namenszug an den größten Lampions. Die junge Clelia sprach, wenn auch ein wenig nachdenklich, sehr liebenswürdig von dem kleinen Abenteuer am See und war voll lebhaften Dankes. Man sagte ihr nach, sie sei sehr fromm und eine große Freundin der Einsamkeit.
»Ich möchte wetten,« meinte der Graf, »sie ist verständig genug, sich ihres Vaters zu schämen.«
Die Duchezza gewann sich das junge Mädchen zur Freundin; sie empfand Zuneigung für sie. Sie wollte nicht eifersüchtig erscheinen und zog sie zu allen ihren Vergnügungen heran. Planmäßig suchte sie jeglichen Haß, dessen Ziel der Graf war, zu entwaffnen.
Alles lächelte der Duchezza zu. Das Hofleben, wo immer ein Sturm zu befürchten ist, machte ihr Spaß; es war ihr, als hätte sie ihr Dasein von neuem begonnen. Sie war dem Grafen zärtlich zugetan und er im vollsten Sinne des Wortes närrisch vor Glück. Dieses Glück feite ihn gegen alles, was seine ehrgeizigen Pläne bedrohte. So errang er kaum zwei Monate nach der Ankunft der Duchezza Würde und Rang eines Premierministers, wodurch ihm beinahe die gleiche Macht zufiel wie dem Monarchen selbst. Der Graf beherrschte den Geist seines Herrschers vollständig, und man erlebte in Parma einen Beweis davon, der alle Gemüter in Staunen versetzte.
Im Südosten, ungefähr zehn Minuten vor der Stadt, erhebt sich eine berüchtigte und in ganz Italien wohlbekannte Zitadelle, deren mächtiger Turm, hundertundachtzig Fuß hoch, weithin sichtbar ist. Dieser Turm, der nach dem Vorbild der Engelsburg in Rom von den Farnesen, den Enkeln Pauls III., zu Beginn des Cinquecento erbaut ist, war so breit, daß auf seiner Plattform ein Palast für den Festungskommandanten und ein neues Gefängnis, die Torre Farnese, Platz gefunden hatten. Dieses Gefängnis, zu Ehren des ältesten Sohnes von Ranuccio Ernesto II. errichtet (er war der Geliebte seiner Stiefmutter), galt weit und breit für eine Sehenswürdigkeit. Die Duchezza wollte es aus Neugier besichtigen. Am Tage ihres Besuches herrschte in Parma eine erdrückende Hitze. Die Duchezza fand oben, an diesem erhöhten Ort, die frischere Luft so entzückend, daß sie mehrere Stunden dort blieb. Man beeilte sich, ihr die Säle der Torre Farnese aufzuschließen.
Auf der Plattform begegnete die Duchezza einem armen eingesperrten Liberalen, der sich seines halbstündigen Spazierganges erfreute, den man ihm alle drei Tage gestattete. Da sie noch nicht die an einem absolutistischen Hofe erforderliche Vorsicht besaß, plauderte sie hinterher von diesem Gefangenen, der ihr seine ganze Geschichte erzählt hatte. Die Partei der Marchesa Raversi griff diese Äußerung der Duchezza auf und verbreitete sie in der Hoffnung, sie werde den Fürsten unliebsam berühren. In der Tat hatte Ernst IV. wiederholt erklärt, man müsse hauptsächlich auf die Einbildungskraft der Untertanen wirken. »Lebenslänglich,« pflegte er zu sagen, »das ist ein schweres Wort und in Italien fürchterlicher als anderwärts.« Demzufolge hatte er noch nie in seinem Leben jemanden begnadigt.
Acht Tage nach ihrem Besuch der Zitadelle erhielt die Duchezza eine Begnadigungsurkunde, die vom Fürsten und dem Premierminister unterzeichnet war; der Name war jedoch nicht ausgefüllt. Der Sträfling, dessen Namen sie eintrüge, sollte sein Vermögen zurückerhalten sowie die Erlaubnis, den Rest seines Lebens in Amerika zu verbringen. Die Duchezza schrieb den Namen des Mannes, mit dem sie gesprochen hatte, in die Urkunde. Unglücklicherweise war das gerade ein halber Schurke, ein schwacher Charakter: auf sein Geständnis hin war der berühmte Ferrante Palla zum Tode verurteilt worden. Dieser einzig dastehende Gnadenakt hob die Stellung der Duchezza noch mehr. Graf Mosca war närrisch vor Glück; er stand im Zenit seines Lebens.
Alles das wurde von entscheidendem Einfluß auf Fabrizzios Geschick. Er war noch immer in Romagnano bei Novara, beichtete, ging auf die Jagd, las nicht eine Zeile und machte einer vornehmen Dame den Hof, wie es die Vorschrift verlangte. Über diese letzte Notwendigkeit war die Gräfin von Anfang an ein wenig aufgebracht. Ebenso merkwürdig war es, daß sie niemals in Gegenwart des Grafen von Fabrizzio sprach, ohne sich vorher jedes Wort ihrer Rede zu überlegen, während sie ihm gegenüber sonst in allen Dingen von der größten Offenheit war und in seiner Gegenwart geradezu laut dachte. Ihm war es entgangen.
»Wenn es Ihnen recht ist,« sagte er zu ihr, »schreibe ich Ihrem liebenswürdigen Bruder am Comer See, diesem Marchese del Dongo, und nötige ihn, indem ich meinen Einfluß und den meiner Freunde in ... aufbiete, Ihrem lieben Fabrizzio Begnadigung zu erwirken. Wenn es wahr ist, und ich wage nicht daran zu zweifeln, daß er etwas höher steht als die übrige Jugend, die ihre englischen Pferde in den Straßen Mailands tummelt, so muß es ihn bedrücken, mit achtzehn Jahren nichts zu tun zu haben und voraussichtlich niemals im Leben etwas zu tun zu kriegen. Wenn ihm der Himmel irgendeine Leidenschaft verliehen hätte, wofür es auch sei, und wäre es die, zu angeln, so ließe ich es mir gefallen; aber was sollte er in Mailand anfangen, selbst wenn er begnadigt würde? Zu bestimmter Stunde reitet er seinen englischen Vollblüter, zu einer anderen treibt ihn sein Müßiggang zu seiner Geliebten, die er weniger liebt als sein Pferd. Wenn es Ihnen recht ist, will ich versuchen, Ihrem Neffen einen Wirkungskreis zu schaffen.«
»Ich möchte gern, daß er Offizier wird«, sagte die Duchezza.
»Welcher Monarch sollte einen Posten, der eines schönen Tages von gewisser Bedeutung sein kann, einem jungen Mann anvertrauen, der erstens begeisterungsfähig ist und zweitens Begeisterung für Napoleon bekundet hat, indem er bei Waterloo zu ihm wollte? Bedenken Sie, was wären wir alle heute, wenn Napoleon bei Waterloo gesiegt hätte? Die Liberalen hätten wir allerdings nicht zu fürchten; aber die Monarchen aus den alten Herrscherhäusern könnten sich ihre Krone nur erhalten, wenn sie die Töchter napoleonischer Marschälle heirateten. Unter den heutigen Umständen wäre die Soldatenlaufbahn für Fabrizzio genau so wie das Dasein eines Eichhörnchens im Drehkäfig: viel Bewegung und kein Vorwärtskommen. Er hätte den Ärger, sich von jedem plebejischen Streber überflügelt zu sehen. Heutzutage, das heißt etwa in den nächsten fünfzig Jahren, solange wir Angst haben und die Tradition noch nicht wieder hergestellt ist, kommt es für einen jungen Mann vor allem darauf an, unfähig zur Begeisterung und arm an Geist zu sein. Ich habe an etwas gedacht, worüber Sie vielleicht zunächst entsetzt sein werden und was mir endlose Scherereien – und nicht nur für kurze Zeit – machen wird, ja was geradezu eine Torheit ist, die ich Ihnen zuliebe vollführen will. Aber gestehen Sie es mir, Sie wissen ja, welche Torheit beginge ich nicht, nur um ein Lächeln von Ihnen zu erringen?«
»Nun?« fragte die Duchezza.
»Nun, wir haben in Parma drei Mitglieder Ihres Hauses als Erzbischöfe gehabt: Ascanio del Dongo, der 1650 im Amt war, Fabrizzio Anno 1699 und noch einen Ascanio Anno 1740. Wenn Fabrizzio in den geistlichen Stand treten und sich höchster Tugend befleißigen wollte, so mache ich ihn irgendwo zum Bischof und später hier zum Erzbischof, wenn ich dann noch die Macht habe. Der einzige stichhaltige Einwand wäre der: Bleibe ich lange genug Minister, um diesen schönen Plan zu verwirklichen, der mehrere Jahre erfordert? Der Fürst kann sterben; er kann den dummen Einfall haben, mich zu entlassen. Aber es ist der einzige Weg, auf dem ich aus Fabrizzio etwas machen kann, was Ihrer würdig wäre.«
Man erwog den Plan lange hin und her; er war der Duchezza stark zuwider.
»Beweisen Sie mir,« sagte sie zum Grafen, »daß jede andere Laufbahn für Fabrizzio unmöglich ist!«
Der Graf bewies es.
»Sie bedauern,« schloß er, »daß er keine glänzende Uniform tragen wird; aber das kann ich nicht ändern.«
Nach vier Wochen Bedenkzeit fügte sie sich seufzend in die weisen Vorschläge des Ministers.
»Entweder reitet er blasiert seinen Vollblüter in irgendeiner Großstadt,« wiederholte der Graf, »oder er ergreift einen Beruf, der sich mit seinem Namen nicht verträgt. Einen Mittelweg finde ich nicht. Es ist ein Unglück, daß ein Edelmann heutzutage nicht Arzt und nicht Advokat werden kann. Das neunzehnte Jahrhundert ist den Rechtsverdrehern günstig.«
»Erinnern Sie sich auch immer daran, gnädige Frau,« fügte Mosca hinzu, »daß Sie Ihrem Neffen auf dem Pflaster Mailands das Schicksal aller bevorzugten jungen Leute bereiten. Sobald er seine Begnadigung erlangt hat, geben Sie ihm fünfzehn-, zwanzig-, dreißigtausend Franken. Sie haben es ja. Wir wollen alle beide keine Ersparnisse machen.«
Die Herzogin war für Ruhm empfänglich. Sie wollte nicht, daß Fabrizzio ein bloßer Geldvertuer werde. Das führte sie auf den Plan ihres Geliebten zurück.
»Bedenken Sie,« sagte der Graf, »daß ich aus Fabrizzio keinen typischen Priester machen will, wie sie in Massen umherlaufen. Nein, er soll vor allem ein Grandseigneur werden. Er kann vollkommen Ignorant bleiben, wenn ihm das Spaß macht, und dabei doch Bischof und Erzbischof werden; nur muß der Fürst in mir weiterhin einen nützlichen Menschen sehen.
Sobald Ihre Befehle meinen Vorschlag in eine unumstößliche Verfügung verwandelt haben,« setzte der Graf hinzu, »soll Parma unseren Schützling keinesfalls in ärmlichen Verhältnissen erblicken. Wenn er als einfacher Priester aufträte, so wäre das ein Fehler. Er darf in Parma nur in violetten Strümpfenin violetten Strümpfen: In Italien werden junge Leute mit Konnexion oder besonderer Gelehrsamkeit Monsignore und Prälat und dürfen die violetten Strümpfe tragen, obwohl sie nicht Bischof sind. Um Monsignore zu werden, braucht man kein Priestergelübde abzulegen; man kann die violetten Strümpfe wieder ablegen und heiraten. (Stendhal.) auftauchen und mit entsprechendem Lebenszuschnitt. Dann wird jedermann von vornherein erraten, daß Ihr Neffe Bischof werden soll, und kein Mensch hat etwas dagegen. Wenn Sie auf meinen Rat hören wollen, so lassen Sie Fabrizzio Theologie studieren und schicken ihn drei Jahre nach Neapel. Seine akademischen Ferien kann er in Paris und London verleben, wenn er will; nur darf er sich niemals in Parma zeigen.«
Diese Forderung gab der Duchezza einen Stich ins Herz. Sie schickte ihrem Neffen einen Eilboten und bestellte ihn zu einer Zusammenkunft nach Piacenza. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß dieser Bote zugleich der Überbringer der nötigen Pässe und Geldmittel war.
Fabrizzio kam vor der Duchezza in Piacenza an. Er eilte seiner Tante entgegen und umarmte sie so leidenschaftlich, daß sie in Tränen zerfloß. Sie war froh, daß der Graf nicht zugegen war. Es war das erste Mal, seit sie mit ihm ein Liebesverhältnis hatte, daß diese Empfindung sie befiel.
Fabrizzio war tief bewegt und dann tief betrübt über die Pläne, die die Duchezza mit ihm vorhatte. Es war immer seine Hoffnung gewesen, schließlich Soldat zu werden, wenn die Geschichte von Waterloo ins reine gebracht wäre. Ein Umstand setzte die Herzogin in Erstaunen und bestärkte sie in dem romantischen Urteil, das sie sich über ihren Neffen gebildet hatte: er zeigte durchaus keine Neigung, ein Kaffeehausleben in einer italienischen Großstadt zu führen.
»Du könntest dich auf dem Korso von Florenz oder Neapel mit englischen Vollblutpferden sehen lassen«, sagte die Duchezza zu ihm. »Du könntest einen Wagen haben, eine hübsche Wohnung und so weiter!«
Voller Entzücken verweilte sie bei der Schilderung dieses Alltagsglückes, das Fabrizzio verächtlich zurückwies. ›Er ist ein Held!‹ dachte sie.
»Und wenn ich zehn Jahre lang dieses Leben der großen Welt geführt habe, was mache ich dann?« fragte Fabrizzio. »Was bin ich dann? Ein fertiger junger Mann, der das Feld dem Erstbesten überläßt, der neu in die Welt tritt und auch seine Vollblüter besitzt.«
Den Vorschlag mit der Kirche wies Fabrizzio zunächst weit von sich. Er sprach davon, nach Neuyork zu gehen, das Bürgerrecht zu erwerben und Soldat der amerikanischen Republik zu werden.
»Da würdest du stark enttäuscht sein! Dort drüben wirst du keinen Krieg erleben und auch ein Kaffeehausleben führen, nur ohne Eleganz, ohne Musik, ohne Liebe«, warf die Duchezza ein. »Glaube mir, für Menschen wie du und ich wäre ein Leben wie das amerikanische traurig.«
Sie erläuterte ihm die Dollaranbetung und die Rücksicht, die man dort auf jeden kleinen Handwerker nehmen müsse, weil von dessen Stimme alles abhinge. So kam man auf die geistliche Laufbahn zurück.
»Bevor du dich allzusehr ereiferst,« riet die Herzogin, »höre erst einmal genau an, was der Graf von dir will. Es handelt sich durchaus nicht darum, daß du ein armer, mehr oder weniger musterhafter und tugendsamer Priester wirst, wie etwa der Abbate Blanio. Denke daran, was deine Großonkel, die Erzbischöfe von Parma, gewesen sind; lies einmal deren Leben im Anhang unserer Familienchronik! Ein Mann deines Namens muß in erster Linie Grandseigneur sein, vornehm, großmütig, ein Beschützer der Gerechtigkeit, fähig, an die Spitze seines Standes zu treten, ein Mensch, der in seinem ganzen Leben nur einmal ein Halunke ist, dann aber ordentlich zu seinem Nutzen.«
»So werden alle meine Träume zu Wasser«, sagte Fabrizzio mit einem tiefen Seufzer. »Ein grausames Opfer! Ich sehe es ein, ich hatte den Abscheu vor Schwärmerei und Geist nicht bedacht, der fortan unter den unumschränkten Monarchen herrschen wird, selbst wenn es zu ihren Gunsten ist.«
»Bedenke, daß eine politische Kundgebung, eine Laune des Herzens den Schwärmer in die entgegengesetzte Richtung drängt als die, der er bis dahin gedient hat.«
»Ich bin ein Schwärmer!« wiederholte Fabrizzio. »Seltsamer Vorwurf! Ich kann nicht einmal verliebt sein!«
»Wie ?« rief die Duchezza aus.
»Wenn ich die Ehre habe, einer Schönheit den Hof zu machen, selbst wenn sie von guter Herkunft und noch so fromm ist, kann ich doch nur an sie denken, solange ich sie sehe.«
Dieses Geständnis machte auf die Duchezza besonderen Eindruck.
»Ich bitte dich um einen Monat Frist«, begann Fabrizzio wieder. »Ich will von Frau C. in Novara Abschied nehmen und, was mir schwerer fallen wird, von den Luftschlössern meines bisherigen Lebens. Ich werde an meine Mutter schreiben, die wohl die Güte haben wird, nach Belgirate am piemontesischen Ufer des Lago Maggiore zu kommen, um mich zu sehen. Heute in einunddreißig Tagen werde ich inkognito in Parma sein.«
»Laß dir das ja nicht einfallen!« rief die Duchezza. Sie wollte nicht, daß sie der Graf Mosca im Geplauder mit Fabrizzio sähe.
So sahen sie sich in Piacenza wieder. Die Duchezza kam sehr aufgeregt hin; am Hofe zu Parma herrschte Sturm. Die Partei der Marchesa Raversi war nahe daran, zu triumphieren. Es war nicht unmöglich, daß Graf Mosca durch den General Fabio Conti ersetzt wurde, dem Oberhaupt der sogenannten liberalen Partei in Parma. Mit Ausnahme des Namens dieses Gegners, der in der Gunst des Fürsten gestiegen war, berichtete die Herzogin ihrem Neffen alles. Von neuem erwog sie die Aussichten seiner Zukunft, selbst für den Fall, daß die allmächtige Gunst des Grafen wegfiele.
»Ich werde drei Jahre an der theologischen Akademie in Neapel studieren«, sagte Fabrizzio. »Da ich ja in erster Linie ein junger Edelmann sein soll und du das strenge Leben eines tugendsamen Seminaristen von mir gar nicht verlangst, so ist mir um den Aufenthalt in Neapel nicht bange. So gut wie in Romagnano wird sich da auch leben lassen. Die gute Gesellschaft in meinem Nest fing an, mich für einen Jakobiner zu halten. In meiner Verbannung habe ich die Entdeckung gemacht, daß ich nichts gelernt habe, nicht einmal Latein, ja nicht einmal Rechtschreibung. Ich hatte mir vorgenommen, meine Erziehung in Novara zu vervollständigen. Ich will gern in Neapel Theologie studieren; das ist eine vertrackte Wissenschaft.«
Die Duchezza war entzückt.
»Wenn wir weggejagt werden,« sagte sie zu ihm, »so besuchen wir dich in Neapel. Aber bis auf weitere Befehle hältst du dich zur Partei der violetten Strümpfe. Der Graf, der unser jetziges Italien ziemlich gut kennt, hat mir ein paar Winke für dich mitgegeben: Glaube oder glaube nicht an das, was man dich lehren wird, aber mache nie den geringsten Einwand! Bilde dir ein, man bringe dir die Regeln des Whists bei. Würdest du dagegen Einwände erheben? Ich habe dem Grafen erzählt, daß du gläubig seist. Er hat sich darüber höchlichst gefreut. Der Glaube ist in dieser wie in jener Welt nützlich. Aber da du gläubig bist, so verfalle nicht in die Geschmacklosigkeit, mit Schaudern von Voltaire, Diderot, Raynal und all den tollkühnen Vorläufern des Parlamentarismus zu sprechen. Nimm diese Namen nur selten in den Mund, aber wenn es sein muß, dann sprich von ihnen mit ironischer Ruhe: diese Leute sind längst abgetan, und ihre Angriffe haben keine Bedeutung mehr. Glaube blindlings alles, was man dir in der Akademie vortragen wird. Denke daran, daß es Leute gibt, die dir den leisesten Widerspruch ewig nachtrügen. Ein kleines Liebesabenteuer verzeiht man dir, wenn es geschickt durchgeführt wird, nie aber einen Zweifel; und mit den Jahren nimmt das Liebesgetändel ab und der Zweifel zu. Mache dir das auch im Beichtstuhl zur Richtschnur! Du bekommst einen Empfehlungsbrief an einen Bischof mit, der die rechte Hand des Kardinal-Erzbischofs von Neapel ist. Das ist der einzige, dem du deine Durchbrennerei nach Frankreich und deine Teilnahme am 18. Juni bei Waterloo gestehen darfst. Übrigens mache es kurz: verkleinere dieses Abenteuer; bekenne es lediglich, damit man dir nicht vorwerfen kann, du habest es verschwiegen. Du warst damals so jung!
Zweitens läßt dir der Graf sagen: Wenn dir ein glänzender Einfall, eine schlagende Erwiderung in den Sinn kommt, die der Unterhaltung eine neue Wendung verleiht, so gib der Versuchung, zu glänzen, beileibe nicht nach. Bleibe stumm! Kluge Leute werden dir den Geist aus den Augen absehen. Wenn du einmal Bischof bist, dann ist es an der Zeit, Geist zu zeigen.«
Fabrizzio kam in Neapel in einem bescheidenen Wagen und mit vier Dienern an, braven Mailändern, die ihm seine Tante mitgegeben hatte. Nach seinem ersten Studienjahre sagte ihm kein Mensch nach, er habe Geist; man hielt ihn für einen fleißigen, sehr freigebigen, nur etwas liederlichen Edelmann.
Dieses für Fabrizzio leidlich vergnügte Jahr war für die Duchezza schrecklich. Drei- oder viermal war der Graf um Daumenbreite am Sturz. Der Fürst, furchtsamer denn je, weil er während dieses Jahres krank war, glaubte die verhaßte Erinnerung an jene Hinrichtungen los zu werden, wenn er Mosca entließ. Rassi war der Günstling seines Herzens; ihn wollte er vor allem behalten. Die Gefahr, in der der Graf schwebte, machte ihm die Duchezza leidenschaftlich zugetan; an Fabrizzio dachte sie nicht mehr. Um ihren möglichen Weggang einigermaßen zu begründen, fand sie, die Luft von Parma, die in der Tat ein wenig feucht ist wie die der ganzen Lombardei, sei ihrer Gesundheit nicht zuträglich. Nach zeitweiliger Ungnade, die so weit ging, daß der Graf, obwohl er Premierminister war, von seinem Gebieter mehr als zwanzig Tage lang nicht unter vier Augen empfangen wurde, trug Mosca den Sieg davon. Er ließ den General Fabio Conti, diesen angeblichen Liberalen, zum Kommandanten der Zitadelle ernennen, wo die durch Rassi verurteilten Liberalen eingesperrt waren.
»Übt Conti gegen seine Gefangenen Nachsicht,« sagte Mosca zu seiner Freundin, »so fällt er in Ungnade als Jakobiner, der über seinen politischen Anschauungen seine Kommandantenpflichten vergißt; ist er streng und mitleidslos – und anscheinend neigt er dazu –, so hört er auf, das Haupt seiner eigenen Partei zu sein, und macht sich alle Familien zu Feinden, die einen der Ihren in der Zitadelle haben. Dieser klägliche Kerl hat es weg, beim Nahen des Fürsten ein Gesicht aufzuziehen, das von Untertänigkeit trieft; wenn es verlangt wird, wechselt er viermal am Tag den Anzug. Eine Frage der Hofordnung versteht er stundenlang zu erörtern; aber er hat ganz und gar nicht das Zeug, den schwierigen Weg herauszufinden, der ihn allein retten könnte. Und in jedem Fall bin ich auch noch da.«
Am Tage nach der Ernennung des Generals Fabio Conti, die der Ministerkrise ein Ende machte, erfuhr man, daß Parma eine ultramonarchische Tageszeitung erhalten solle.
»Was für Streitereien wird diese Zeitung veranlassen!« meinte die Herzogin.
»Der Gedanke, diese Zeitung ins Leben zu rufen, ist vielleicht mein Meisterstück«, antwortete der Graf lachend. »Nach und nach will ich mir, scheinbar gegen meinen Willen, ihre Leitung durch ein paar wütende Reaktionäre aus der Hand nehmen lassen. Für die beiden Schriftleiterstellen habe ich schöne Gehälter ausgesetzt. Man wird sich von allen Seiten um diese Posten reißen. Diese Angelegenheit wird die Gemüter einen oder zwei Monate beschäftigen, und man vergißt darüber die Gefahren, die ich soeben überstanden habe.«
»Aber diese Zeitung muß doch empörend blödsinnig ausfallen.«
»Daraufrechne ich stark«, erwiderte der Graf. »Der Fürst wird sie alle Morgen lesen und die Meinung ihres Gründers bewundern. Einzelheiten wird er billigen oder mißbilligen. Von den Stunden, die er der Arbeit widmet, sind damit schon zwei in Anspruch genommen. Die Zeitung soll Widerspruch erregen, aber wenn ernstliche Klagen entstehen, in acht bis zehn Monaten, wird sie gänzlich in den Händen wütender Reaktionäre sein. Dann muß diese Partei, die mich ärgert, Erwiderungen bringen, und ich werde Einwände gegen die Zeitung machen. Im Grunde sind mir hundert fürchterliche Ungereimtheiten lieber als ein einziger Gehängter. Wer denkt in zwei Jahren noch an irgendeinen Blödsinn, der in einer Nummer der amtlichen Zeitung gestanden hat? Dagegen würde der Haß der Söhne und der Familie eines Gehängten mich so lange verfolgen, wie ich lebe, und mir womöglich mein Dasein verkürzen.«
Die Duchezza, immer leidenschaftlich bei der Sache, immer tätig, niemals müßig, hatte mehr Verstand als der gesamte Hof von Parma, aber sie war nicht geduldig und kaltblütig genug, um in Intrigen Glück zu haben. Gleichwohl hatte sie es so weit gebracht, die Machenschaften der verschiedenen Klüngel eifrigst zu verfolgen. Sie begann sogar persönliches Ansehen beim Fürsten zu genießen. Clara Paolina, die regierende Fürstin, obwohl mit Ehren überschüttet, war in eine höchst veraltete Hofordnung gezwängt und hielt sich darum für die Unglücklichste aller Frauen. Die Herzogin von Sanseverina machte ihr den Hof und unternahm es, ihr zu beweisen, daß sie gar nicht so unglücklich sei. Man muß wissen, daß der Fürst seine Gemahlin nur zur Mittagstafel sah; diese Mahlzeit dauerte dreißig Minuten, und es vergingen ganze Wochen, ohne daß der Fürst ein Wort an Clara Paolina richtete. Die Sanseverina versuchte das alles zu ändern. Sie heiterte den Fürsten auf, und das gelang ihr um so besser, weil sie sich ihre volle Unabhängigkeit zu wahren gewußt hatte. Auch beim besten Willen wäre es ihr doch nicht gelungen, keinen von den Trotteln zu verletzen, von denen es an diesem Hofe wimmelte. Ihre Ungeschicklichkeit in dieser Hinsicht machte sie bei der Mehrzahl der Hofschranzen verhaßt, lauter Grafen und Marchesi, die durchschnittlich ihre fünftausend Lire im Jahre zu verzehren hatten. Mit diesem Pech fand sie sich vom ersten Tage an ab, und so bemühte sie sich lediglich um die Gunst des Monarchen und seiner Gemahlin, von der sich der Erbprinz völlig leiten ließ. Die Duchezza verstand es, den Fürsten zu belustigen, und da der Fürst ihre geringsten Äußerungen aufmerksam anhörte, nützte sie das aus, um den Höflingen, die sie haßte, Lächerlichkeiten anzuhängen. Seit jenen Torheiten, zu denen ihn Rassi verleitet hatte – und blutige Torheiten lassen sich nicht wieder gutmachen –, bekam der Fürst zuweilen Anwandlungen von Angst und oft von Langerweile. Das machte ihn trübsinnig und neidisch. Er war sich bewußt, wie wenig Freude er hatte, und er ward schlechter Laune, wenn er zu sehen glaubte, daß sich andere vergnügten. Der Anblick von Glück machte ihn wütend.
»Wir müssen unsere Liebe verheimlichen«, sagte die Duchezza zu ihrem Freunde und gab dem Fürsten zu verstehen, daß der Graf, ein so achtenswerter Mensch er auch sei, ihr nur mäßig gefalle.
Diese Eröffnung bereitete Serenissimus einen glücklichen Tag. Von Zeit zu Zeit ließ die Duchezza durchblicken, daß sie den Plan hege, alljährlich etliche Monate Urlaub zu nehmen, um sich Italien anzusehen, das sie noch gar nicht kenne; sie wolle Neapel, Florenz, Rom besuchen. Nun vermochte nichts auf der Welt den Fürsten mehr zu ärgern als eine so offenkundige Fahnenflucht. Darin lag eine seiner Hauptschwächen. Handlungen, aus denen auch nur der Schein von Geringschätzung gegen seine Residenzstadt sprach, schnitten ihm ins Herz. Er war sich klar, daß ihm kein Mittel zu Gebote stand, die Sanseverina zurückzuhalten, anderseits, daß die Duchezza die glänzendste Erscheinung an seinem Hofe war.
Etwas war bei der italienischen Faulheit ganz ungewöhnlich: zu den Donnerstagen der Herzogin kam die Gesellschaft von Parma selbst von den Gütern der Umgebung. Das waren wirkliche Feste; fast jedesmal hatte die Herzogin etwas Neues und Anregendes. Der Fürst hätte sich für sein Leben gern einmal einen solchen Donnerstag angesehen. Aber wie sollte er es ermöglichen? Ein Privathaus betreten? Das hatte weder sein Vater noch er je getan!
An einem Donnerstag war regnerisches, kaltes Wetter. Des Abends hörte Serenissimus alle Augenblicke Wagen über das Pflaster des Schloßplatzes rasseln, die zum Palazzo Sanseverina fuhren. Er ward ungeduldig: andere belustigten sich, und er, der souveräne Fürst, der unumschränkte Herrscher, der sich von Rechts wegen mehr erheitern müßte als die ganze Gesellschaft, er langweilte sich gründlichst. Er schellte nach seinem Adjutanten. Zunächst dauerte es eine Weile, bis ein Dutzend Geheimpolizisten auf der Straße vom Schloß Seiner Hoheit bis zum Palazzo Sanseverina aufgestellt war. Endlich, nach einer Stunde, die dem Fürsten wie ein Jahrhundert vorkam und während der er zwanzigmal im Begriff war, den Dolchen zu trotzen und keck und ohne Vorsichtsmaßregeln hinzufahren, erschien er im ersten Salon der Frau Sanseverina. Ein Blitzschlag hätte keine größere Bestürzung erzeugen können. Urplötzlich, je weiter der Fürst schritt, trat in diesen eben noch so geräuschvollen und fröhlichen Gemächern eine unheimliche Stille ein. Alles riß die Augen weit auf und starrte nach dem Fürsten. Die Hofschranzen waren gänzlich außer Fassung. Nur die Herzogin zeigte sich nicht im geringsten überrascht. Als man schließlich die Kraft zum Sprechen wiederfand, beschäftigten sich alle Anwesenden angelegentlichst mit der wichtigen Frage: War die Herzogin vom Erscheinen des Fürsten benachrichtigt oder war sie ebenso überrumpelt wie alle anderen?
Serenissimus unterhielt sich gut. Daraus kann man auf die schnell entschlossene Art der Herzogin und auf die grenzenlose Macht schließen, die sie durch die paar geschickt hingeworfenen Andeutungen ihrer angeblichen Reisepläne erlangt hatte. Als sie dem Fürsten am Ende das Geleit gab und er die allerliebenswürdigsten Worte an sie richtete, hatte sie einen absonderlichen Einfall, den sie ihm ganz einfach zu offenbaren wagte, als sei es weiter gar nichts:
»Wenn Eure Hoheit ein paar von den herrlichen Worten, die mich beglückt haben, an die Fürstin richten wollten, so würde Serenissimus mich ganz gewiß viel glücklicher machen, als wenn mir Hoheit hier sagen, ich sei lieb und nett. Um alles in der Welt möchte ich nämlich nicht, daß Allerhöchstdero Gnadenbeweis, der mich soeben geehrt, von der Fürstin falsch aufgefaßt würde.«
Der Fürst sah die schöne Frau starr an und antwortete trocken: »Es steht mir doch wohl frei, dahin zu gehen, wo es mir beliebt?«
Die Duchezza errötete. »Ich wollte«, antwortete sie augenblicklich, »Eurer Hoheit nur eine unnütze Fahrt ersparen. Es ist nämlich mein letzter Donnerstag. Ich gedenke einige Tage in Bologna und Florenz zu verbringen.«
Als sie in ihre Räume zurückkam, glaubte jedermann, sie stehe in der hellsten Gnadensonne, und doch hatte sie soeben etwas gewagt, wozu sich seit Menschengedenken niemand in Parma erdreistet hatte. Sie gab dem Grafen einen Wink. Er stand von seinem Whisttisch auf und folgte ihr in einen kleinen erleuchteten, aber menschenleeren Salon.
»Was Sie getan haben, war sehr kühn«, erwiderte er ihr. »Ich hätte Ihnen nicht dazu geraten. Aber in vollen Herzen«, setzte er lachend hinzu, »steigert das Glück die Liebe. Wenn Sie morgen vormittag abreisen, bin ich morgen abend bei Ihnen. Mich hält nichts zurück als die Schererei, die ich mir törichterweise mit dem Finanzministerium selber aufgehalst habe; aber in vier gut ausgenützten Stunden kann man eine Menge Kassen übergeben. Kehren wir zur Gesellschaft zurück, liebe Freundin, und spielen wir die ministerielle Blasiertheit frei und ungezwungen weiter. Es ist vielleicht die letzte Vorstellung, die wir in dieser Stadt geben. Hält er Ihr Benehmen für Trotz, dann ist der Mann zu allem fähig. Er wird das ein Exempel statuieren nennen. Wenn die Gesellschaft zu Ende ist, wollen wir uns überlegen, wie wir Sie für diese Nacht verschanzen. Es wäre vielleicht das beste, wenn Sie ohne Verzug abreisten nach Sacca, auf Ihr Landgut am Po. Von da ist es nur eine halbe Stunde bis zum österreichischen Gebiet.«
Dieser Augenblick war für die Liebe wie für die Eigenliebe der Herzogin gleich köstlich. Sie blickte den Grafen an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Der allmächtige Minister, den der Haufe der Hofschranzen umschmeichelte wie den Fürsten selbst, war bereit, alles um ihretwillen im Stich zu lassen, – und so leichten Herzens! Als sie wieder in ihren Gemächern erschien, war sie närrisch vor Freude. Alles neigte sich tief vor ihr.
»Wie das Glück die Duchezza verwandelt!« flüsterten die Hofmenschen von allen Seiten. »Sie ist nicht wiederzuerkennen. Endlich läßt sich diese über alles erhabene Römerseele herab, die unerhörte Gunst zu würdigen, die der Fürst ihr heute geschenkt hat!«
Bevor man auseinanderging, trat der Graf zu ihr heran. »Ich muß Ihnen eine Neuigkeit bringen.« Sofort zog sich alles um die Duchezza zurück. »Der Fürst«, fuhr der Graf fort, »hat sich bei seiner Rückkehr ins Schloß bei seiner Frau melden lassen. Stellen Sie sich die Überraschung vor! ›Ich komme,‹ hat er zu ihr gesagt, ›um Ihnen von einer wirklich ganz allerliebsten Abendgesellschaft zu berichten, an der ich soeben im Hause der Sanseverina teilgenommen habe. Sie selbst hat mich gebeten, Ihnen bis ins einzelne zu erzählen, wie sie diesen alten, verräucherten Palast wieder instand gebracht hat.‹ Dann hat der Fürst Platz genommen und begonnen, Ihre Gemächer der Reihe nach zu beschreiben. Länger als fünfundzwanzig Minuten verweilte er bei seiner Gemahlin. Sie weinte vor Freude. Trotz ihrer Klugheit hat sie kein Wort zu finden vermocht, um die Unterhaltung in dem leichten Ton fortzusetzen, den Serenissimus anzuschlagen geruht hat.«
Im Grunde war der Fürst, was die Liberalen auch dagegen sagen mochten, kein bösartiger Mensch. Allerdings hatte er eine reichliche Anzahl von ihnen einsperren lassen, aber nur aus Furcht, und er pflegte gelegentlich zu sagen, wie um sich selbst über gewisse Erinnerungen zu beruhigen: »Es ist besser, wir schlagen den Teufel tot, als daß er uns totschlägt!« Am Tage nach jener Abendgesellschaft war er äußerst vergnügt. Er hatte zwei schöne Taten vollbracht: er war zu der Donnerstaggesellschaft gefahren und hatte mit seiner Frau gesprochen. Bei der Tafel richtete er das Wort an sie. Kurz und gut, jener Donnerstag bei der Duchezza hatte eine Palastrevolution heraufbeschworen, von der ganz Parma widerhallte.
Die Raversi war außer sich, und die Duchezza hatte eine doppelte Freude. Sie hatte ihrem Geliebten nützlich sein können und ihn verliebter gefunden als je.
»Alles wegen eines unbesonnenen Einfalls!« sagte sie zum Grafen. »Ohne Zweifel wäre ich freier in Neapel oder in Rom, aber fände ich dort ein so fesselndes Spiel? Nein, mein lieber Graf, niemals! Und Sie sind mein Glück!«