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Fabrizzio stieß bald auf Marketenderinnen, und die besondere Dankbarkeit, die er für die Kerkermeistersfrau von B. hegte, bestimmte ihn, sich an sie zu wenden. Er fragte eine von ihnen, wo das vierte Husarenregiment sei, zu dem er gehöre.
»Du tätest gut, wenn du dich nicht so beeiltest, kleiner Soldat!« meinte die Marketenderin, von Fabrizzios Blässe und seinen schönen Augen gerührt. »Deine Faust scheint mir noch nicht kräftig genug für die Säbelhiebe, die es heute regnen wird. Wenn du wenigstens eine Flinte hättest, wollte ich nichts sagen. Deine Kugeln könntest du ebensogut abschießen wie jeder andere.«
Dieser Rat mißfiel Fabrizzio, aber er mochte seinem Klepper die Sporen geben, soviel er wollte, er kam kein bißchen flotter vorwärts als der Karren der Marketenderin. Der Kanonendonner näherte sich offenbar, so daß sich die beiden bisweilen kaum verstehen konnten. Fabrizzio war nämlich vor Begeisterung und Freude dermaßen außer sich, daß er die Unterhaltung wieder angeknüpft hatte. Jedes Wort der Marketenderin ließ ihn sein Glück erst recht erfassen, verdoppelte es ihm. Außer seinem wahren Namen und seiner Flucht aus der Haft erzählte er der Frau, die so gutherzig schien, schließlich alles. Sie war höchst erstaunt, verstand aber nichts von dem, was ihr der hübsche junge Soldat da vorschwatzte.
»Jetzt komme ich erst dahinter!« rief sie endlich triumphierend. »Du bist ein junger Zivilist, der in irgendeine Rittmeistersfrau von den vierten Husaren verliebt ist. Deine Angebetete hat dir den bunten Rock verschafft, und nun läufst du ihr nach. Ganz gewiß, so wahr der liebe Herrgott da droben wohnt, bist du nie und nimmer Soldat gewesen! Aber da euer Regiment heute ins Feuer kommt und du ein braver Kerl bist, so willst du dabei sein, um nicht als Drückeberger zu gelten.«
Fabrizzio ging auf alles ein; das war das einzige Mittel, um sich ihren guten Rat zu sichern. ›Ich verstehe nichts vom Tun und Treiben dieser Franzosen,‹ sagte er sich, ›und wenn ich nicht jemanden zur Seite habe, gerate ich noch einmal ins Gefängnis, oder man nimmt mir wieder mein Pferd weg.‹
»Vor allen Dingen, mein Junge,« sagte die Marketenderin, die immer mehr seine Freundin ward, »gestehe mir mal, daß du noch keine zwanzig alt bist; wenns hoch kommt, bist du siebzehn.«
»Stimmt!« gab Fabrizzio gutmütig zu.
»So, dann bist du noch nicht einmal Rekrut. Nur um der schönen Augen deiner Dame willen willst du dir die Knochen entzweihauen lassen. Beim Teufel, sie hat keinen üblen Geschmack! Solltest du von ihr noch ein paar Goldfüchse haben, so mußt du dir fürs erste einen anderen Gaul erstehen. Schau, wie deine alte Kracke die Ohren spitzt, wenn die Kanonen mal ein bißchen mehr brummen. Mit dem Ackergaul brichst du dir das Genick, sobald du in der Schwadron mitreitest. Schau, mein Junge, der weiße Rauch dort über der Hecke, das ist eine Schützenlinie! Mach dich also darauf gefaßt; du wirst mächtige Angst kriegen, pfeifen dir die Kugeln erst mal um die Ohren. Du tust gut, wenn du einen Bissen ißt, solange du dazu noch Zeit hast.«
Fabrizzio befolgte ihren Rat; er gab der Marketenderin einen Napoleondor und bat sie, ihn als Bezahlung zu nehmen.
»'s ist zum Gotterbarmen,« rief die Frau aus, »so was mit anzusehen! Der arme Junge versteht nicht einmal, sein Geld auszugeben! Du verdientest wahrhaftig, daß ich deinen Napoleon einsteckte und meine Kokotte tüchtig antraben ließe. Hol mich der Teufel, wenn du mit deiner Kracke nachkämst! Was willst du machen, du Kindskopf, wenn ich dir auskratze ? Merk dir ein für allemal: Sobald der Tanz losgeht, wird nie Gold herausgebracht! Hier nimm: achtzehn Franken, fünfzig Centimes. Dein Frühstück kostet dreißig Sous. Nun wirds auch bald Gäule zu kaufen geben. Ist das Biest klein, so gibst du dafür zehn Franken, in keinem Falle mehr als zwanzig, und wärs das Roß der vier Haimonskinder!«
Als das Frühstück zu Ende war, predigte die Marketenderin immer weiter, bis sie durch eine andere Marketenderin unterbrochen wurde, die querfeldein gefahren kam und die Straße kreuzte.
»Holla he!« rief ihr das Weib zu. »Margot, dein sechstes Leichtes ist da rechts!«
»Ich muß dich verlassen, Kleiner,« sagte die Marketenderin zu unserem Helden, »aber wahrhaftig, du tust mir leid. Ich bin dir gut. Sapperlot, du weißt weder gicks noch gacks! Du wirst dich erwischen lassen. Bei Gott, ja! Komm mit mir zum sechsten Leichten!«
»Ich weiß wohl, daß ich nichts weiß,« antwortete ihr Fabrizzio, »aber ich will kämpfen und bin entschlossen, zu den weißen Rauchwölkchen dort zu reiten.«
»Schau, wie dein Gaul die Ohren steift! Wenn du dahin reitest, brummt er dir, so faul er sonst ist, auf die Hand und geht durch, – weiß der Teufel, wohin. Glaube mir das! Wenn du in der Schützenlinie bist, suche dir ein Gewehr und eine Patronentasche, menge dich unter die andern und mach ihnen alles nach. Aber, mein Gott, ich wette, du kannst nicht mal eine Patrone abbeißen!«
Obgleich höchst verschnupft, gestand Fabrizzio seiner neuen Freundin dennoch ein, daß sie richtig vermutet hatte.
»Armer Kleiner, du wirst im Handumdrehen weggeputzt sein! Das ist bei Gott wahr! Auf jeden Fall«, setzte sie im Befehlston hinzu, »mußt du mit mir gehen!«
»Ich will aber ins Feuer!«
»Das sollst du auch! Komm! Das sechste Regiment ist nicht von Pappe! Und heute gibts für jedermann zu tun!«
»Werden wir denn bald bei Ihrem Regiment sein?«
»Spätestens in einer Viertelstunde.«
›Unter dem Schutze dieser braven Frau‹, sagte sich Fabrizzio, ›gerate ich bei meiner allseitigen Unwissenheit wenigstens nicht in den Verdacht, ein Spion zu sein, und komme ins Feuer.‹
In diesem Augenblick verdoppelte sich der Kanonendonner, Schuß folgte auf Schuß. »Wie die Perlen am Rosenkranz!« meinte Fabrizzio.
»Man hört schon das Schützenfeuer durch«, sagte die Marketenderin und versetzte ihrem Pferdchen einen Peitschenhieb; es war durch die Schießerei schon ganz aufgeregt.
Sie bog in einen Feldweg rechts ab, der durch die Wiesen führte. Der Schlamm war fußtief; beinahe blieb der Karren darin stecken. Fabrizzio griff in die Räder. Sein Gaul stürzte zweimal. Bald ward der Weg trockener, verlief aber in einen schmalen Wiesenpfad. Keine fünfhundert Schritte weiter blieb Fabrizzios Gaul urplötzlich stehen: ein Toter lag quer über dem Weg. Roß wie Reiter prallten zurück. Das von Natur sehr blasse Gesicht Fabrizzios färbte sich völlig grün. Die Marketenderin musterte den Toten und murmelte vor sich hin: »Der ist nicht von unserer Brigade.«
Dann fiel ihr Blick auf unseren Helden.
»Oje, mein Junge!« lachte sie auf. »Große Sache!«
Fabrizzio war starr wie Eis. Was ihn ganz besonders entsetzte, waren die schmutzigen Füße der Leiche, die man bereits der Stiefel beraubt hatte. Sie hatte nichts mehr an als eine schlechte, blutdurchtränkte Hose.
»Immer ran!« ermunterte ihn die Marketenderin. »Runter vom Gaul! An so was mußt du dich gewöhnen. Schau, er hat eins durch den Schädel gekriegt!«
Eine Gewehrkugel hatte den Gefallenen an der Nase getroffen und war auf der anderen Seite an der Schläfe wieder herausgegangen. Das Antlitz der Leiche war gräßlich entstellt; ein Auge stand offen.
»Sitz doch ab, Kleiner,« rief die Marketenderin, »und drück dem armen Kerl die Hand! Vielleicht drückt er sie dir auch!«
Ohne Zaudern, wenngleich halbtot vor Grauen, sprang Fabrizzio vom Pferde, ergriff die Hand des Toten und schüttelte sie herzhaft. Dann stand er wie geistesabwesend da; er fühlte, daß er nicht die Kraft hatte, wieder in den Sattel zu kommen. Was ihm vor allem Schauder einflößte, das war das eine offene Auge.
›Die Marketenderin wird mich für einen Feigling halten‹, sagte er sich mit Bitternis. Aber er vermochte kein Glied zu rühren; er wäre dabei umgefallen.Dieser Augenblick war abscheulich. Es fehlte nicht viel, so wäre ihm völlig übel geworden. Die Marketenderin merkte das, sprang flink von ihrem kleinen Wagen und bot ihm, ohne ein Wort zu sagen, ein Glas Branntwein an, das er auf einen Zug hinunterstürzte. Er konnte wieder auf seinen Klepper klettern und setzte schweigsam seinen Marsch fort. Die Marketenderin schielte ihn von Zeit zu Zeit von der Seite an.
»Du kannst morgen ins Gefecht gehen, mein Junge«, sagte sie nach einer Weile. »Heute bleibst du bei mir! Du siehst wohl ein, daß du das Soldatenhandwerk erst lernen mußt.«
»Im Gegenteil, ich will sofort ins Gefecht!« rief unser junger Held mit finsterer Miene, die die Marketenderin von guter Vorbedeutung dünkte.
Der Kanonendonner wurde noch stärker und schien näher zu kommen. Die Kanonade bildete jetzt gleichsam einen Generalbaß. Zwischen Schuß und Schuß gab es keine Pause mehr, und durch das unaufhörliche Brummen hindurch, das an das Tosen eines fernen Wasserfalls erinnerte, vernahm man deutlich das Knattern des kleinen Gewehrs.
In diesem Augenblick führte der Weg in ein Wäldchen. Die Marketenderin sah drei oder vier Soldaten in großen Sätzen auf sich zulaufen. Behend sprang sie vom Wagen und verbarg sich eiligst fünfzehn bis zwanzig Schritt seitwärts vom Weg in einer Grube, die vom Ausroden eines großen Baumes offen geblieben war. ›Jetzt‹, sagte sich Fabrizzio, ›werde ich sehen, ob ich ein Feigling bin!‹ Er hielt neben dem von der Marketenderin im Stich gelassenen Wagen und zog seinen Säbel. Die Soldaten bemerkten ihn gar nicht und liefen spornstreichs vorüber, längs des Gehölzes, links vom Wege.
»Das sind welche von uns!« sagte die Marketenderin beruhigt, indem sie außer Atem wieder zu ihrem Wägelchen zurückkam. »Wenn deine Kracke Galopp ginge, würde ich dir sagen: Reite vor an den Waldrand und sieh nach, was im freien Felde los ist.«
Fabrizzio ließ sich das nicht zweimal sagen. Er riß einen Pappelzweig herunter, streifte die Blätter ab und schlug aus Leibeskräften auf seinen Gaul los. Ein Stück Wegs galoppierte er; dann fiel er wieder in seinen gewohnten Zotteltrab. Die Marketenderin hatte ihr Pferdchen gleichfalls in Galopp gesetzt.
»Halt, nimm mich mit!« schrie sie ihm zu.
Bald waren sie beide am anderen Rande des Gehölzes. Die Ebene lag frei vor ihnen. Sie hörten schreckliches Getöse. Die Geschütze und das Gewehrfeuer krachten von allen Seiten, rechts, links, im Rücken. – Das kleine Gehölz, aus dem sie getreten waren, lag auf einem Hügel acht oder zehn Fuß über der Ebene. So überschauten sie recht gut ein kleines Stück des Schlachtfeldes. Auf dem Wiesenland vor dem Wäldchen sah man niemanden. Tausend Schritt weiter war die Wiese von einer langen Reihe dichter Weiden begrenzt. Über den Weiden sah man weißen Rauch, der mitunter hoch in die Luft emporwirbelte.
»Wenn ich nur wüßte, wo das Regiment ist!« sagte die Marketenderin ratlos. »Geradeaus über die große Wiese dürfen wir nicht. Übrigens,« riet sie Fabrizzio, »wenn du einen Feindlichen siehst, so kitzle ihn ein bißchen mit der Säbelspitze; laß dir aber nicht einfallen, ihn niederzusäbelnl«
In diesem Augenblick sah die Marketenderin die vier Soldaten von vorhin wieder. Sie kamen aus dem Gehölz heraus und liefen in die Ebene, links vom Wege. Einer von ihnen war zu Pferde.
»Das ist was für dich!« sagte sie zu Fabrizzio. »He! Hallo!« rief sie dem Reiter zu. »Komm und trink 'nen Schnaps!«
Die Soldaten kamen heran.
»Wo ist das sechste Leichte?« fragte sie.
»Da drüben! Fünf Minuten von hier, vor dem Graben dort an den Weiden entlang! Oberst Macon ist eben gefallen.«
»Du, willst du fünf Franken für deinen Gaul?«
»Fünf Franken? Du willst mich wohl zum Narren halten, Muttchen? Ein Offizierspferd, für das ich binnen einer Viertelstunde fünf Napoleons kriege!«
»Gib mir einen von deinen Napoleons!« sagte die Marketenderin zu Fabrizzio. Dann ging sie dicht an den Reiter heran.
»Rasch runter!« rief sie ihm zu. »Hier ist dein Napoleon!«
Der Soldat saß ab. Fabrizzio schwang sich frohgemut in den Sattel. Die Marketenderin schnallte den kleinen Mantelsack vom Klepper ab.
»Helft mir doch, Kerle!« rief sie den Soldaten zu. »Läßt man eine Dame sich so schinden?«
Kaum spürte das Beutepferd den Mantelsack auf seinem Rücken, als es zu bocken begann, so daß Fabrizzio, der ein sehr guter Reiter war, alle Mühe hatte, seiner Herr zu werden.
»Ein gutes Zeichen!« meinte die Marketenderin. »Der Mosjö ist das Kitzeln vom Mantelsack nicht gewohnt.«
»Ein Generalspferd!« rief der Soldat, der das Pferd verkauft hatte. »Unter Brüdern zehn Napoleons wert!«
»Du hast deine zwanzig Franken!« sagte Fabrizzio, wenig erbaut, ein Pferd zwischen den Schenkeln zu haben, das bockte.
Da schlug eine Kanonenkugel schräg in die Weidenreihe ein, und Fabrizzio sah das sonderbare Schauspiel, wie ganze Weidenäste rechts und links wie abgemäht wegflogen.
»Schau, schau! Der Tanz kommt näher!« meinte der Soldat, seine zwanzig Franken einsteckend. Es mochte zwei Uhr sein.
Fabrizzio hatte sich von seiner Verwunderung über das sonderbare Schauspiel noch nicht erholt, als ein Stab von Generalen und hinterdrein vielleicht zwanzig Husaren schräg über das Wiesenstück vor ihnen galoppiert kamen. Fabrizzios Pferd wieherte, stieg zwei- oder dreimal hintereinander und schlug mehrmals heftig mit dem Kopfe, als wolle es sich vom Zügel losmachen.
»Na, denn los!« frohlockte Fabrizzio.
Als sich das Tier frei fühlte, ging es in Karriere los und schloß sich den Reitern hinter den Generalen an. Fabrizzio zählte vier goldbetreßte Hüte. Nach einer Viertelstunde wußte er aus dem Gespräch, das eine der Ordonnanzen mit ihrem Nebenmann führte, daß einer der Generale der berühmte Marschall Ney war. Fabrizzio war überglücklich; nur wußte er nicht, welcher von den vier Generalen der Marschall Ney war. Er hätte alles in der Welt darum gegeben, es zu erfahren, aber es fiel ihm wieder ein, daß er nicht sprechen durfte.
Der Stab wurde durch einen breiten Graben aufgehalten, der infolge des gestrigen Regengusses unter Wasser stand. Er war umsäumt von hohen Bäumen und begrenzte das Wiesenland, an dessen anderem Ende Fabrizzio das Pferd gekauft hatte. Die Husaren waren fast alle abgesessen. Die Grabenböschung war steil und sehr schlüpfrig, und der Wasserspiegel lag drei oder vier Fuß tiefer als der Wiesenplan. Fabrizzio dachte in seiner Freude und Zerstreutheit mehr an den Marschall Ney und an Heldentum als an seinen Gaul, der, übermütig, wie er war, in den Graben hineinsprang, so daß das Wasser hoch aufspritzte. Einer der Generale wurde über und über bespritzt und rief fluchend: »Der Teufel hole das verdammte Biest!«
Fabrizzio fühlte sich durch dieses Schimpfwort gekränkt. ›Kann ich mir Genugtuung verschaffen?‹ fragte er sich. Um jedoch zu zeigen, daß er nicht ungeschickt sei, versuchte er mit seinem Pferd, den jenseitigen Grabenrand hinaufzuklettern; aber der war steil und fünf bis sechs Fuß hoch. Fabrizzio mußte es aufgeben und ritt nun flußauf. Sein Pferd sank bis zum Kopf ins Wasser. Endlich fand er eine Art Tränke, wo die Grabenböschung sanft anstieg. Dort gewann er leicht das jenseitige Feld und war der erste des Stabes, der drüben auftauchte. Stolz trabte er am Rand entlang. Die Husaren mühten sich in arger Bedrängnis ab; an vielen Stellen war der Wassergraben fünf Fuß tief. Zwei oder drei Pferde wurden ängstlich und wollten schwimmen, wodurch ein gräßliches Geplätscher entstand. Ein Wachtmeister hatte das Manöver des Grünschnabels, der so wenig militärisch aussah, beobachtet.
»Weiter hinauf! Links ist eine Schwemme!« rief er. Nach und nach kamen alle hinüber.
Als Fabrizzio am anderen Ufer anlangte, fand er drüben nur die Generale. Der Kanonendonner war noch stärker geworden. So hörte er kaum, daß der General, den er so bespritzt hatte, ihn anherrschte: »Woher hast du das Pferd?«
Fabrizzio war dermaßen verwirrt, daß er auf italienisch antwortete: »L'ho comprato poco fa!« (Das habe ich soeben gekauft!)
»Was sagst du?« schrie der General.
Aber der Schlachtenlärm ward jetzt so heftig, daß Fabrizzio ihm nicht antworten konnte. Wir gestehen, daß unser Held in diesem Augenblick sehr wenig Held war. Jedoch kam die Angst bei ihm erst in zweiter Linie; er war vor allem betäubt von dem Getöse, das seinem Ohr weh tat.
Der ganze Stab galoppierte wieder an. Man durchquerte ein weites Ackerfeld, das sich längs des Wassergrabens hindehnte. Dieses Feld war mit Toten besät.
»Rotröcke! Rotröcke!Rotröcke: Gefallene englische Soldaten.« jubelten die Husaren des Stabes laut auf. Zunächst verstand Fabrizzio sie nicht; endlich bemerkte er,daß tatsächlich fast alle Gefallenen rote Röcke anhatten. Eine Beobachtung flößte ihm tiefen Schauder ein. Er sah, daß viele dieser unglücklichen Rotröcke noch lebten; sie jammerten ersichtlich um Hilfe, aber kein Mensch machte Halt, um sie ihnen zu gewähren. Unser Held, ein großer Menschenfreund, gab sich alle Mühe, keinen Rotrock zu überreiten. Der Stab brachte die Pferde zum Stehen. Fabrizzio, der nicht recht auf seine Soldatenpflichten acht gab, galoppierte weiter, die Augen immer auf die unglücklichen Verwundeten gerichtet.
»Willst du gleich halten, du Grünschnabel!« brüllte ihm der Wachtmeister nach. Fabrizzio merkte, daß er zwanzig Schritt über die Generale hinausgeprellt war, gerade in der Richtung, in der sie die Ferngläser hielten. Er ritt zurück und stellte sich zu den letzten Husaren, die ein paar Schritte rückwärts hielten. Er sah, wie der dickste der Generale mit seinem Nachbar, gleichfalls einem General, mit gebieterischer Miene, fast vorwurfsvoll, sprach; er fluchte sogar. Fabrizzio konnte seine Neugier nicht bändigen, und ungeachtet des guten Rates seiner Freundin, der Kerkermeisterin, kein Wort zu reden, legte er sich einen kleinen, leidlich richtigen französischen Satz zurecht und fragte seinen Nachbar: »Wer ist der General, der den anderen so anschnauzt?«
»Na, der Marschall!«
»Welcher Marschall?«
»Der Marschall NeyMichel Ney (1769-1815), Fürst von der Moskwa, der populärste General Napoleons. Er führte bei Waterloo die Alte Garde. Nach dem Sturze Napoleons wurde er standrechtlich erschossen., du Schafskopf! Wo hast du denn bis jetzt gestanden?«
Fabrizzio, sonst so empfindlich, dachte gar nicht daran, sich über die Beleidigung zu ärgern. In kindlicher Bewunderung starrte er den berühmten Fürsten von der Moskwa an, den Tapfersten der Tapferen.
Plötzlich ritt alles wieder in starkem Galopp an. Ein paar Augenblicke später bemerkte Fabrizzio zwanzig Schritt vor sich auf einem umgeackerten Stück Feld eine eigentümliche Erscheinung. Der Grund der Ackerfurchen stand voll Wasser, und von der sehr feuchten Erde, die den Kamm der Furchen bildete, spritzten kleine schwarze Stückchen drei bis vier Schritt hoch, Fabrizzio beobachtete diesen sonderbaren Vorgang im Vorbeireiten, dann verloren sich seine Gedanken wieder in Träumereien über den Heldenruhm des Marschalls. Da vernahm er einen gellenden Schrei neben sich. Er kam von zwei Husaren, die, von Geschossen getroffen, stürzten, und als er sich nach ihnen umsah, lagen sie schon zwanzig Schritt hinter den Reitern. Etwas machte ihm einen grausigen Eindruck: Ein blutüberströmtes Pferd wälzte sich auf dem Acker und verwickelte sich mit den Beinen in seine eigenen Gedärme; es wollte den anderen nach. Das Blut rann in den Kot.
›Ah! Jetzt bin ich doch endlich im Feuer!‹ sagte sich Fabrizzio. ›Ich habe meine Feuertaufe erhalten!‹ wiederholte er mit Befriedigung. ›Nun bin ich ein wirklicher Soldat!‹
Nun jagte der Stab in voller Fahrt dahin. Unser Held begriff, daß es Gewehrkugeln waren, unter denen ringsum das Erdreich aufspritzte. Umsonst spähte er nach der Seite, von der die Geschosse kamen; er sah nur den weißen Rauch einer Batterie in riesiger Entfernung; aber mitten in dem gleichförmigen und ununterbrochenen Rollen des Geschützfeuers kam es ihm vor, als werde auch viel näher geschossen. Er begriff nichts von alledem.
In diesem Augenblick ritten die Generale und der ganze Stab in einen kleinen Hohlweg voll Wasser hinab, der fünf Fuß unter der Ebene lag. Der Marschall machte Halt und beobachtete wiederum mit seinem Fernglas. Diesmal konnte ihn Fabrizzio nach Herzenslust betrachten. Er kam ihm überaus blond vor, mit seinem dicken, roten Kopf. ›Solche Gesichter haben wir in Italien überhaupt nicht‹, sagte er zu sich selbst. ›Ich mit meinem kastanienbraunen Haar und meiner blassen Farbe, ich kann niemals so werden wie der da‹, fügte er traurig hinzu. Damit meinte er im Grunde: ›Nie werde ich ein Held!‹ Er sah die Husaren an; mit Ausnahme eines einzigen hatten sie alle blonde Schnurrbärte. Wie Fabrizzio die Husaren musterte, so musterten sie ihn alle wieder. Als er so angesehen wurde, errötete er, und um seiner Verlegenheit ein Ende zu machen, wandte er den Blick nach dem Feind. Da sah er lange, lange Linien von Rotröcken, aber, was ihm unsagbar erstaunlich vorkam, die roten Menschen sahen ganz winzig aus. Diese langen Linien, Regimenter und Brigaden, erschienen ihm nicht höher als Hecken.
Eine rote Reitermasse näherte sich im Trab dem Hohlweg, den der Marschall mit seinem Stabe langsam hinunterritt, wobei der Schlamm spritzte. Der Pulverqualm verschleierte den Ausblick nach der Richtung, in der man ritt. Zuweilen erkannte man galoppierende Reiter, die sich von dem weißen Rauch abhoben.
Mit einem Male erblickte Fabrizzio vier Reiter, die von der feindlichen Seite her in voller Karriere heranjagten. ›Ah, wir werden attackiert!‹ sagte er bei sich. Da sah er, wie zwei der Reiter mit dem Marschall sprachen. Einer der Generale galoppierte mit zwei Husaren des Gefolges und den vier soeben eingetroffenen Reitern in der Richtung auf den Feind hinweg.
Der Stab überquerte einen kleinen Graben. Fabrizzio fand sich neben einem Wachtmeister, der treuherzig dreinschaute. ›Den muß ich anreden‹, sagte er sich. ›Vielleicht sieht mich dann keiner mehr so an.‹ Lange ging er mit sich zu Rate.
»Herr Wachtmeister,« begann er endlich, »ich bin zum ersten Male in einer Schlacht. Das ist doch eine richtige Schlacht?«
»Sozusagen ja! Wer bist du denn eigentlich?«
»Ich, ich bin der Bruder der Frau eines Rittmeisters...«
»Von welchem Rittmeister? Wie heißt er?«
Unser Held war in furchtbarer Verlegenheit. Auf eine solche Frage war er ganz und gar nicht gefaßt. Zum Glück galoppierten der Marschall und der Stab wieder an. ›Was für einen französischen Namen soll ich sagen?‹ dachte er bei sich. Da fiel ihm der Name des Gasthofsbesitzers ein, bei dem er in Paris gewohnt hatte. Er brachte sein Pferd an das des Wachtmeisters heran und rief ihm mit voller Lunge zu: »Rittmeister Meunier!«
Der Wachtmeister, der Fabrizzio bei dem Kanonendonner nicht deutlich verstand, gab ihm zur Antwort: »Ach, der Rittmeister Teulier! Ja, der ist gefallen.«
›Ausgezeichnet!‹ sagte Fabrizzio bei sich. ›Also Rittmeister Teulier! Ich muß Trauer heucheln.‹
»O du mein Gott!« rief er laut und steckte eine gottserbärmliche Miene auf.
Man war aus dem Hohlweg heraus und ritt quer über eine kleine Wiese. Es ging in Karriere. Wieder schlugen Geschosse ein. Der Marschall ritt auf eine Kavalleriebrigade zu. Der Stab befand sich mitten unter Toten und Verwundeten, aber ihr Anblick machte auf unseren Helden bereits keinen so starken Eindruck mehr. Er hatte an andere Dinge zu denken.
Man hielt. Fabrizzio bemerkte den kleinen Wagen einer Marketenderin. Seine Zärtlichkeit für diese schätzenswerten Personen riß ihn fort. Er jagte darauflos.
»Potzdonnerwetter, so bleib doch hier!« schrie ihm der Wachtmeister nach.
›Was kann er mir anhaben?‹ dachte Fabrizzio und galoppierte weiter bis zur Marketenderin. Während er seinem Pferde die Sporen gab, hoffte er im stillen, daß es seine gute Marketenderin vom Vormittag wäre. Pferd und Wägelchen sahen genau so aus, aber die Besitzerin ganz anders. Ihr Gesichtsausdruck kam ihm bösartig vor. Als er sich ihr näherte, hörte er sie sagen: »Es war doch ein bildschöner Mann!«
Dem neubackenen Soldaten bot sich ein sehr garstiger Anblick. Man nahm eben einem Kürassier, einem schönen jungten Menschen, fünf Fuß und zehn Zoll lang, ein Bein ab. Fabrizzio machte die Augen zu und goß vier Glas Branntwein nacheinander hinunter.
»Säufst wie ein Loch, Schlappschwanz!« meinte die Alte. Der Schnaps brachte ihn auf einen Gedanken. ›Ich muß mir das Wohlwollen meiner Kameraden vom Stabe erkaufen.‹
»Geben Sie mir, was noch in der Flasche ist!« sagte er zu der Marketenderin.
»Hör mal,« entgegnete sie, »der Rest kostet an einem Tage wie heute zehn Franken!«
Als er wieder bei der Eskorte angaloppiert kam, rief der Wachtmeister: »Ach so, du bringst uns was für die Kehle! Darum bist du ausgerissen. Her mit dem Zeug!«
Die Flasche machte die Runde. Der letzte, der sie bekam, warf sie hoch in die Luft, nachdem er sie ausgetrunken hatte.
»Danke, Kamerad!« rief er Fabrizzio zu. Aller Augen verweilten mit Wohlgefallen auf ihm. Diese Blicke nahmen ihm eine Zentnerlast vom Herzen. Er war eine jener zu zart beschaffenen Seelen, die der Freundschaft ihrer Umgebung bedürfen. Endlich wurde er von seinen Kameraden nicht mehr scheel angesehen; etwas verband sie und ihn. Fabrizzio atmete tief auf; dann redete er den Wachtmeister freimütig an: »Wenn der Rittmeister Teulier gefallen ist, wo könnte ich da meine Schwester treffen?«
Er hielt sich für einen kleinen Machiavell, da er so schön Teulier statt Meunier sagen konnte.
»Das wird sich heute abend finden!« brummte der Wachtmeister.
Der Stab brach wieder auf und wandte sich gegen Infanteriemassen. Fabrizzio merkte, daß er berauscht war; er hatte zuviel Branntwein getrunken. Er schwankte ein wenig im Sattel. Glücklicherweise kam ihm eine Regel ins Gedächtnis, die der Kutscher seiner Mutter zu predigen pflegte: Wenn man zuviel hinter die Binde gegossen hat, muß man zwischen den Ohren seines Gaules hindurchsehen und alles tun, was der Nebenmann tut. Der Marschall blieb geraume Zeit bei verschiedenen Kavallerieabteilungen, die er angreifen ließ; aber eine oder zwei Stunden lang hatte unser Held kein Bewußtsein dessen, was ringsum geschah. Er fühlte sich todmüde, und beim Galoppieren fiel er wie ein Stück Blei in den Sattel.
Plötzlich rief der Wachtmeister seinen Leuten zu: »Seht ihr nicht den Kaiser, Kerls?«
Unverzüglich brüllte der ganze Stab aus voller Kehle: »Vive l'empereur!«
Man kann sich denken, wie unser Held die Augen aufriß, aber er sah nichts als vorbeigaloppierende Generale, denen ebenso ein Stab von Reitern folgte. Die langen, wehenden Roßhaarschweife, die die Dragoner des Gefolges auf ihren Helmen trugen, hinderten ihn, die einzelnen Gestalten zu erkennen. ›So habe ich den Kaiser auf dem Schlachtfeld nicht sehen können wegen dieser verfluchten Schnapstrinkerei!‹ Diese Betrachtung machte ihn wieder gänzlich munter.
Man ritt abermals in einen Hohlweg voll Wasser hinab; die Pferde wollten saufen.
»Das war also der Kaiser, der vorhin vorüberritt?« fragte er seinen Nebenmann.
»Na gewiß, der, der keine Litzen am Rock hatte! Hast du ihn denn nicht gesehen?« meinte der Husar gutmütig.
Fabrizzio hatte große Lust, dem Stabe des Kaisers nachzugaloppieren und sich ihm anzuschließen. ›Welch großes Glück, den Krieg im Gefolge dieses Helden wirklich mitzumachen!‹ Darum war er ja nach Frankreich gekommen. ›Ich bin ganz mein eigener Herr,‹ sagte er sich, ›denn an den Dienst, den ich jetzt tue, bindet mich nichts als eine Laune meines Gaules, der just diesen Generalen nachgerannt ist.‹
Was Fabrizzio zu bleiben bestimmte, war der Umstand, daß die Husaren, seine neuen Kameraden, zu ihm freundlich waren. Er begann, sich für den Busenfreund all der Soldaten zu halten, mit denen er seit etlichen Stunden umherritt. Er sah zwischen ihnen und sich jene edle Freundschaft der Helden Tassos und Ariosts untereinander. Wenn er sich zum Stabe des Kaisers schlug, mußte er sich neue Kameradschaft erwerben; vielleicht würde man ihn gar scheel ansehen, denn jene Reiter wären lauter Dragoner, während er Husarenuniform trug, wie alle Reiter im Gefolge des Marschalls. Die Art, wie man ihn jetzt ansah, machte unseren Helden überglücklich. Alles auf der Welt hätte er für seine Kameraden getan; seine Seele, sein Geist schwebten in höheren Regionen. Alles kam ihm anders vor, seit er bei Freunden war. Für sein Leben gern hätte er Fragen gestellt. ›Aber ich bin noch ein wenig betrunken‹, sagte er sich. ›Ich darf die Ratschläge der Kerkermeisterin nicht vergessen.‹
Als der Stab wieder aus dem Hohlweg herauskam, bemerkte er, daß der Marschall Ney nicht mehr da war. Der General an der Spitze des Trupps war groß, hager, von kaltem Gesichtsausdruck und strengem Blick. Dieser General war kein anderer als der Graf von A., jener Leutnant Robert vom 15. Mai 1796. Wie glücklich wäre er gewesen, wenn er um die Anwesenheit von Fabrizzio del Dongo gewußt hätte.
Schon lange hatte Fabrizzio die Erde nicht mehr in kleinen schwarzen Klumpen unter den aufschlagenden Geschossen aufspritzen sehen. Jetzt kam man hinter ein Kürassierregiment. Deutlich hörte er Kartätschenkugeln an die Kürasse schlagen und sah mehrere Reiter fallen. Die Sonne stand schon sehr tief und ging zur Rüste, als der Stab aus einem Hohlweg herauskam und einen kleinen drei bis vier Fuß hohen Abhang hinaufritt, um auf einen Acker zu gelangen. Da hörte Fabrizzio ganz dicht neben sich ein sonderbares schwaches Geräusch. Er wandte sich um. Vier Reiter waren mit ihren Pferden gefallen; auch der General war umgerissen worden, raffte sich aber wieder auf, ganz mit Blut bedeckt. Fabrizzio warf einen Blick auf die zu Boden geschmetterten Husaren. Drei machten noch ein paar krampfhafte Bewegungen; der vierte schrie: »Hebt mich auf!«
Der Wachtmeister und zwei oder drei Mann waren abgesprungen und eilten dem General zu Hilfe, der, von seinem Adjutanten gestützt, einige Schritte zu gehen versuchte, um aus der Nähe seines Pferdes zu kommen, das sich rücklings auf dem Boden wälzte und mit den Hufen wild um sich schlug.
Der Wachtmeister kam auf Fabrizzio zu. Unser Held hörte, wie er hinter seinem Rücken in nächster Nähe sagte: »Der Gaul hier ist der einzige, der noch Galopp geht!«
Er fühlte sich an den Beinen gepackt. Indem man ihm den Körper unter den Armen stützte, hob man ihn hoch und zog ihn über die Kruppe seines Pferdes herunter. Dann ließ man ihn zu Boden gleiten, wo er sitzen blieb.
Der Adjutant ergriff Fabrizzios Pferd am Zügel. Der General saß unter Beihilfe des Wachtmeisters auf und ritt im Galopp weiter. Die übrigen sechs Reiter folgten ihm eiligst.
Fabrizzio sprang wütend auf und rannte ihnen nach mit dem lauten Ruf: »Ladri! Ladri!« (Räuber! Räuber!) Eine komische Sache, mitten auf einem Schlachtfeld Räubern nachzulaufen.
Bald war der Stab mit dem General hinter einer Weidenreihe verschwunden. Fabrizzio kam wutschnaubend ebenfalls an eine Baumreihe; er sah sich vor einem sehr tiefen Graben, über den er hinwegsetzte. Auf der anderen Seite fing er von neuem an zu fluchen, als er, freilich in sehr weiter Entfernung, den General und den Stab nochmals erblickte, bis sie hinter Baumgruppen verschwanden.
»Räuber! Räuber!« rief er wieder, jetzt auf französisch. Verzweifelt, weniger über den Verlust seines Pferdes als über den Verrat, sank er am Grabenrand nieder, müde und halb verhungert. Wenn ihm sein schönes Pferd vom Feind genommen worden wäre, würde er sich keine Gedanken darüber gemacht haben, aber sich beraubt zu sehen von diesem Wachtmeister, den er so geliebt hatte, und von diesen Husaren, die er gleich Brüdern geachtet, das brach ihm das Herz! Er konnte über so viel Niedertracht nicht hinwegkommen, und den Rücken an eine Weide gelehnt, begann er bitterlich zu weinen. Nacheinander nahm er Abschied von all den schönen Träumen von ritterlicher und erhabener Freundschaft, wie sie die Helden des ›Befreiten Jerusalems‹ übten. Dem Tod in das Auge zu sehen, war nichts, wenn man von heldenmütigen und gefühlsfähigen Seelen umgeben ist, von edlen Freunden, die einem beim letzten Atemzug die Hand drücken. Aber wie konnte er seine Begeisterung bewahren inmitten gemeiner Spitzbuben? Fabrizzio übertrieb wie jeder empörte Mensch.
Nach einer Viertelstunde der Rührung nahm er wahr, daß die Kugeln bis in die Baumreihe schlugen, in deren Dunkel er grübelnd saß. Er erhob sich und suchte sich zurecht zu finden. Er betrachtete sich den Wiesenplan, der von einem breiten Graben und einer Reihe buschiger Weiden begrenzt war. Das kam ihm bekannt vor. Eine Infanteriemasse ging durch den Graben und betrat die Wiesen, tausend Schritt von ihm entfernt.
›Ich wäre beinahe eingeschlafen‹, sagte er zu sich. ›Ich darf mich nicht gefangen nehmen lassen.‹ Er begann tüchtig loszumarschieren. Beim Näherkommen beruhigte er sich. Er erkannte die Uniform; die Regimenter, von denen er gefürchtet hatte, abgeschnitten zu werden, waren französische. Er bog nach rechts ab, um zu ihnen zu gelangen.
Zu dem seelischen Schmerz darüber, daß er so schimpflich verraten und bestohlen worden war, gesellte sich ein anderer, der sich mit jedem Augenblick mehr fühlbar machte: er kam vor Hunger um. Darum war er höchst erfreut, als er nach zehn Minuten Marsch oder, besser, Laufschritt bemerkte, daß die Infanteriemasse, die auch sehr flott vorgerückt war, Halt machte, vermutlich, um sich zu entwickeln. Wenige Minuten später war er mitten unter den nächsten Soldaten.
»Kameraden, könnt ihr mir nicht ein Stück Brot verkaufen?«
»Das dumme Luder hält uns für Bäcker!«
Dieses grobe Wort und das allgemeine Hohngelächter, das darauf folgte, gaben Fabrizzio den Rest. Der Krieg war also nicht mehr jener edle allgemeine Aufschwung ruhmliebender Seelen, wie er sich nach den Aufrufen Napoleons eingebildet hatte! Er setzte sich, oder vielmehr, er sank auf den Rasen nieder. Er ward totenbleich. Der Soldat, der mit ihm gesprochen hatte und der stehen geblieben war, um sein Gewehrschloß mit dem Sacktuch abzuwischen, kam heran und warf ihm ein Stück Brot zu. Als er sah, daß jener es nicht aufhob, steckte er ihm ein Stück davon in den Mund. Fabrizzio schlug die Augen auf und aß das Brot, hatte aber nicht die Kraft, etwas zu sagen. Und als er den Soldaten mit den Augen suchte, um ihn zu bezahlen, sah er sich allein. Die nächsten Soldaten waren bereits hundert Schritt weit im Vormarsch. Mechanisch erhob er sich und folgte ihnen.
Er trat in ein Gehölz, nahe daran, vor Ermattung umzufallen, und suchte schon mit dem Auge einen geeigneten Fleck. Wie groß war da seine Freude, als er erst das Pferd, dann das Wägelchen und schließlich die Marketenderin vom Vormittag wiedererkannte! Sie eilte auf ihn zu und war erschrocken über sein Aussehen.
»Komm nur mit, mein Jungchen!« sagte sie zu ihm.
»Du bist wohl verwundet? Und dein schönes Pferd ...?«
Mit diesen Worten führte sie ihn an ihren Wagen, ließ ihn hinaufklettern und stützte ihn dabei unter dem Arm. Kaum im Wagen, fiel unser Held, von Müdigkeit überwältigt, in tiefen Schlaf.