Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Alle ernsten Gedanken waren bei dem unerwarteten Erscheinen dieses lieblichen Mädchens vergessen. Fabrizzio begann in Bologna ein Leben voll Freude und eitel Sorglosigkeit. Seine harmlose Art, sich bei allem, was sein Leben erfüllte, glücklich zu fühlen, spiegelte sich in seinen Briefen an die Duchezza wider, und zwar so deutlich, daß sie darüber verstimmt wurde, was aber Fabrizzio kaum wahrnahm. Allerdings kritzelte er in abgekürzten Zeichen auf das Glas seiner Taschenuhr: ›W[enn] ich der D[uchezza] schreibe, nie sagen: als ich Th[eologe] war, als ich ein A[ngehöriger] der K[irche] war. Das ä[rgert] sie.‹
Er hatte sich zwei kleine Pferde gekauft, mit denen er recht zufrieden war. Er spannte sie vor einen gemieteten leichten Wagen, jedesmal wenn die kleine Marietta einen Ausflug nach irgendeinem der entzückenden Orte der Umgegend Bolognas zu machen wünschte. Fast alle Abende fuhr er sie nach dem Renofall. Auf der Heimfahrt hielt er bei dem liebenswürdigen Crescentini an, der sich halb für Mariettas Vater hielt.
›Wahrlich,‹ sagte er sich, ›wenn dies das Kaffeehausleben ist, das mir für einen einigermaßen gehaltvollen Mann so lächerlich erschien, dann habe ich es mit Unrecht von mir gewiesen.‹ Er vergaß dabei, daß er immer nur ins Kaffeehaus ging, um den ›Constitutionnel‹ zu lesen, und daß bei ihm, den kein einziger Mensch in Bologna kannte, die Freuden befriedigter Eitelkeit gar keine Rolle in seinem gegenwärtigen Glück spielten. Wenn er nicht in Gesellschaft der kleinen Marietta war, sah man ihn in der Sternwarte, wo er astronomische Vorträge hörte. Der Professor hatte ihn sehr ins Herz geschlossen, und Fabrizzio lieh ihm sonntags seine Pferde, damit er mit seiner Frau auf dem Corso della Montagnola glänzen konnte.
Fabrizzio verabscheute es, einen Menschen unglücklich zu machen, selbst wenn er ihn noch so gering achtete. Marietta war sehr dagegen, daß er die Alte besuche, aber eines Tages, als er aus der Kirche kam, ging er zur Mammaccia hinauf, die bei seinem Anblick rot vor Wut wurde. ›Aha,‹ dachte Fabrizzio, ›hier muß ich den del Dongo spielen!‹
»Wieviel verdient Marietta im Monat, wenn sie fest verpflichtet ist?« fragte er sie von oben herab wie ein junger Dandy, der im ersten Rang der Opera buffa in Paris von sich reden machen will.
»Fünfzig Taler.«
»Du lügst wie immer. Sprich die Wahrheit, oder, bei Gott, du kriegst keinen Soldo mehr!«
»Nun, sie verdiente bei unserer Truppe in Parma zweiundzwanzig Taler, als wir das Unglück hatten, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich, ich hatte zwölf Taler Gage. Wir haben Giletti, unserem Beschützer, jede ein Drittel unseres Verdienstes abgegeben. Dagegen machte Giletti ungefähr alle Monate der Marietta ein Geschenk, das etwa zwei Taler wert war ...«
»Du lügst immer noch. Du, du hast nur vier Taler bekommen! Wenn du aber nett mit Marietta sein willst, dann stelle ich dich an, als ob ich Impresario wäre. Du kriegst alle Monate zwölf Taler für dich und zweiundzwanzig für sie. Sehe ich sie jedoch wieder mit rotgeweinten Augen, dann erkläre ich mich für bankrott.«
»Sie spielen den Hochmütigen, jawohl, aber mit Ihrer schönen Großmut kommen wir auf den Hund!« antwortete die Alte mit wütender Miene. »Wir verlieren die Kundschaft. Wenn wir das Riesenpech hätten, den Beistand Eurer Exzellenz einzubüßen, wird keine Truppe mehr was von uns wissen wollen. Keine wird uns nehmen. Wir werden nirgends eine Anstellung kriegen und Ihretwegen Hunger leiden.«
»Scher dich zum Teufel!« sagte Fabrizzio und wollte sie verlassen.
»Ich werde nicht zum Teufel gehen, Sie abscheulicher Heide, sondern ganz einfach auf das Polizeiamt, wo man von mir erfahren soll, daß Sie ein Monsignore sind, der aus der Kutte gesprungen ist, und daß Sie ebensowenig Giuseppe Bossi heißen wie ich!«
Fabrizzio war schon ein paar Stufen hinunter, da kehrte er wieder um.
»Erstens weiß die Polizei meinen richtigen Namen besser als du. Aber wenn du dir einfallen läßt, mich anzuzeigen, wenn du diese Niedertracht begehst,« sagte er todernst, »dann wird Ludovico ein Wörtchen mit dir reden und dir den Dolch ins Gerippe stoßen, und nicht sechsmal, sondern ein dutzendmal, so daß du ein halbes Jahr lang im Spittel liegst, – und ohne einen Pfifferling!«
Die Alte wurde bleich, stürzte auf Fabrizzios Hand zu und wollte sie küssen: »Ich nehme das Los mit Dank an, das Sie Marietta und mir bieten. Sie sehen so gutmütig aus, und da habe ich Sie für einen Toffel gehalten. Glauben Sie mir, jede andere wäre demselben Irrtum verfallen wie ich. Ich rate Ihnen, schauen Sie immer ein bißchen mehr wie ein großer Herr drein!« Und mit bewundernswürdiger Unverfrorenheit fuhr sie fort: »Vergessen Sie diesen guten Rat nie! Der Winter ist nicht mehr allzu fern. Machen Sie der Marietta und mir ein Geschenk: zwei gute Kleider von dem englischen Tuch, wie es der dicke Kaufmann da auf der Piazza di San Petronio zu verkaufen hat.«
Die Liebe der hübschen Marietta gewährte Fabrizzio alle Reize der innigsten Freundschaft und eine Vorstellung von dem ähnlichen Glück, das er hätte bei der Duchezza finden können.
›Aber ist es nicht drollig,‹ sagte er sich zuweilen, ›daß ich jener grenzenlosen und leidenschaftlichen Befangenheit unfähig bin, die man die Liebe nennt? Bin ich je bei den Liebeleien, in die mich der Zufall in Novara oder in Neapel geführt hat, einem Weibe begegnet, dessen Gegenwart mir auch nur in den ersten Tagen lieber gewesen wäre als ein Spazierritt auf einem hübschen neuen Pferd? Was man Liebe nennt,‹ fuhr er fort, ›ist das nicht doch eine Lüge? Zweifellos bin ich verliebt, ebenso wie ich um sechs Uhr tüchtigen Hunger habe. Haben die Dichter aus diesem etwas gewöhnlichen Gefühl die Liebe Othellos, die Liebe Tankreds zusammengelogen? Oder soll ich glauben, ich sei anders geartet als die übrigen Menschen? Sollte meiner Seele eine Leidenschaft fehlen? Warum nur? Das wäre ein sonderbares Verhängnis!‹
In Neapel war Fabrizzio, zumal in der letzten Zeit, Frauen begegnet, die, stolz auf ihre Schönheit, ihren Rang und die gesellschaftliche Stellung der Liebhaber, die sie ihm geopfert hatten, ihn am Gängelband zu führen wähnten. Solchem Vorhaben gegenüber hatte er unverzüglich und auf empörende Art einen Bruch herbeigeführt. ›Also,‹ schloß er, ›wenn mich der zweifellos sehr lebhafte Genuß, mit jenem hübschen Weibe, der sogenannten Duchezza Sanseverina, gut zu stehen, niemals hingerissen hat, so gleiche ich auf ein Haar jenem leichtsinnigen Franzosen, der eines Tages die Henne mit den goldenen Eiern getötet hat. Gerade der Duchezza verdanke ich das einzige Glück, das ich je durch zärtliche Empfindungen erfahren habe. Meine Freundschaft zu ihr ist mein Leben, und überdies, was wäre ich ohne sie? Ein armer Geächteter, gezwungen, mein Leben in einem baufälligen Schlosse bei Novara zu fristen. Ich erinnere mich, während der langen Herbstregen mußte ich abends, um nicht naß zu werden, noch einen Regenschirm an meinem Betthimmel anbringen. Ich ritt die Pferde des Verwalters, der dies wohl aus Achtung vor meinem blauen Blut duldete, aber mein Aufenthalt deuchte ihn schon zu lang. Mein Vater hatte mir ein Jahresgeld von zwölfhundert Franken ausgesetzt, kam sich dabei aber wie ein der Hölle Verfallener vor, weil er einem Jakobiner das tägliche Brot gewährte. Meine arme Mutter und meine Schwestern darbten es sich an ihren Kleidern ab, um mich in den Stand zu setzen, meinen Geliebten kleine Geschenke zu machen. Diese Art Edelmut durchbohrte mir das Herz. Obendrein begann man mein Elend zu durchschauen; die jungen Edelleute der Umgegend bemitleideten mich bereits. Früher oder später hätte sich einer dieser Gecken seine Verachtung für einen armen entgleisten Jakobiner merken lassen, denn in ihren Augen war ich nichts anderes. Ich hätte einen gut sitzenden Degenstoß versetzt oder bekommen und wäre dann in die Festung Fenestrella gesteckt worden oder hätte mich wieder nach der Schweiz geflüchtet, und das alles mit zwölfhundert Franken Jahresgeld. Daß ich vor all dem Elend bewahrt geblieben bin, danke ich zum Glück der Duchezza. Überdies hegt sie zu mir eine leidenschaftliche Freundschaft, und ich sollte doch Gleiches mit Gleichem vergelten.
An Stelle dieses lächerlichen und erbärmlichen Lebens, das mich zum traurigen Tier, zum Narren machte, lebe ich seit vier Jahren in einer Hauptstadt und führe ein vornehmes Dasein, das mich davor schützt, den Neid und die niedrigen Gefühle der Provinzler kennen zu lernen. Meine allzu liebenswerte Tante schilt mich immer aus, ich holte mir nicht genügend Geld vom Bankier. Soll ich mir diese herrliche Lebenslage auf ewig verscherzen? Soll ich die einzige Freundin verlieren, die ich in der Welt habe? Ich brauche nur eine Lüge auszusprechen, ich brauche nur einer reizenden Frau, die vielleicht auf Erden nicht ihresgleichen hat und für die ich die leidenschaftlichste Freundschaft hege, zu sagen: ›Ich liebe dich!‹ Ich, der ich nicht weiß, was Lieben aus Liebe ist –. Sie würde es mir ewig als Verbrechen vorwerfen, daß diese leidenschaftlichen Wallungen mir unbekannt sind. Im Gegensatz dazu glaubt Marietta, die mir nicht ins Herz sieht und Liebkosungen für Seelenwallungen nimmt, ich sei toll in sie verliebt, und hält sich für die Glücklichste aller Frauen.
Etwas von jener zärtlichen Befangenheit, die man wohl Liebe nennt, habe ich nur einmal wirklich empfunden; das war für das junge Ännchen im Gasthof von Zoonders an der belgischen Grenze.‹
Bedauerlicherweise muß hier eine der schändlichsten Missetaten Fabrizzios ihren Platz finden. Mitten in diesem friedsamen Leben traf sein der Liebe so widerspenstiges Herz ein elender Stachel der Eitelkeit und trieb ihn recht weit vom Wege ab.
In Bologna gastierte gerade die berühmte Fausta F.Die Episode der Fausta hat Stendhal einer alten italienischen Chronik entlehnt. Der Codex italianus 171 der Pariser Nationalbibliothek, der aus Stendhals Nachlaß stammt, enthält unter anderem: Racheakt des Kardinals Aldobrandini an Girolamo Langobardi, römischem Edelmann. Folgende charakteristische Parallelstellen seien hier wiedergegeben: ›... Es gab damals in Rom eine gewisse Anna Felicia Brocchi, eine Sängerin von hohem Rufe, deren süße Stimme und musikalische Begabung sich mit übernatürlicher Schönheit paarten... Sie wurde von Langobardi ausgehalten, der mit ängstlicher Eifersucht über sie wachte... Durch die Lobreden seines ganzen Hofes hörte der Kardinal von dem Zauber und der Schönheit der Dame und begehrte glühend ihre Bekanntschaft. In dieser Absicht ging er täglich vor der Wohnung der Anna auf und ab und folgte ihr in die Kirche della Pace, wo sie die Mittagsmesse zu hören pflegte. Eines Tages hielt es Anna für klug, Girolamo von ihrem Anbeter im Purpurkleid zu erzählen. Langobardi war höchst aufgebracht... Er entschloß sich, seine Geliebte beobachten zu lassen... Die Berichte der Spione bewirkten, daß die Liebe zwischen dem Kardinal und der Brocchi täglich wuchs. Um sich selbst davon zu überzeugen, ging er am Sankt-Matthäus-Tage nach der Kirche Santa Maria della Pace... und verbarg sich daselbst im Hintergrund einer Kapelle so, daß er alles sehen konnte, ohne gesehen zu werden...‹ Nun folgt fast wörtlich die Szene in der Kirche und die nachfolgende im Hause der Sängerin, die von ihrem Liebhaber mit dem Dolche bedroht wird... ›Erschrocken gestand die Sängerin alles ein und gab als Grund ihres beharrlichen Schweigens an, sie habe Zwistigkeiten zwischen ihrem Geliebten und dem Kardinal befürchtet...‹
Der Chronist berichtet schließlich einen tragischen Ausgang: ›Eines Morgens fand man mitten auf der Piazza di San Pietro, auf eine Pike gespießt, das Haupt des unglücklichen Girolamo...‹ Der Kardinal wurde als Täter dieses Verbrechens erkannt. Aber als Neffe des Papstes entrann er den Gerichten und verlor nur seine Titel, Würden und Pfründe.
Bereuen, was im Augenblick sie wollte,
Anbeten, was sie kaum geschmäht im Spott,
Im Wankelmut zu sehn den höchsten Gott
Und hassen, wenn die Menge Beifall zollte.
Das und noch viel ists, was von Fausta droht.
Es flieh die Schlange, wem sie nahen sollte!
Sie fesselt den, der vorher wild ihr grollte,
Bis er vergißt, was Klugheit ihm gebot.
Er lauscht der Circe voller Glücksverlangen,
Und unversehens ist es ihm ergangen
Wie einstmals den Gefährten des Odyß ...
Für den Augenblick war dieses Wunder an Schönheit im Banne des riesigen Backenbartes und der großen Unverschämtheit des jungen Grafen Martinengo, und zwar derart, daß sie sich sogar seine gräßliche Eifersucht gefallen ließ. Fabrizzio sah den Grafen öfters in den Straßen von Bologna und fühlte sich unangenehm von der anmaßenden Weise berührt, in der er über das Pflaster stolzierte und mit seinen Reizen prahlte. Der junge Mann war sehr reich, dachte, es sei ihm alles erlaubt, und zeigte sich, da ihm seine Anmaßung einige Drohungen eingebracht hatte, stets mit einem Gefolge von acht bis zehn Buli, einer Art Messerhelden, die seine Dienertracht trugen und die er von seinen Gütern bei Brescia hatte kommen lassen. Ein- oder zweimal hatten sich Fabrizzios Blicke und die des schrecklichen Grafen gekreuzt, als Fabrizzio die Fausta singen hörte. Der himmlische Zauber ihrer Stimme berauschte ihn; er glaubte nie etwas Ähnliches vernommen zu haben. Ihr verdankte er Empfindungen des höchsten Glückes, die zu der Beschaulichkeit seines gegenwärtigen Lebens in einem starken Gegensatz standen. ›Wird das endlich die Liebe sein?‹ fragte er sich. Er war höchst begierig, dieses Gefühl zu erfahren, und obendrein froh über die Aussicht, dem Grafen Martinengo die Stirn zu bieten, dessen Miene grimmiger war als die eines Tambourmajors. So stürzte sich unser Held in die Kinderei, viel zu häufige Fensterpromenaden vor dem Palazzo Tanari zu machen, den der Graf für Fausta gemietet hatte.
Eines Tages, bei Anbruch der Nacht, versuchte Fabrizzio, von Fausta bemerkt zu werden, wobei er von den Buli des Grafen, die am Tor des Palazzos Tanari lungerten, mit einem kräftigen Gelächter empfangen ward. Er eilte in seine Wohnung, versah sich mit guten Waffen und erschien von neuem vor dem Palast. Fausta, die hinter den Vorhängen verborgen lugte, hatte sein Wiederkommen erwartet und rechnete es ihm hoch an. Der Graf, auf alle Welt eifersüchtig, ward es ganz besonders auf Herrn Giuseppe Bossi und erging sich in lächerlichen Reden.
Fortan ließ ihm unser Held allmorgendlich Kärtchen zukommen, die nichts als folgende Worte enthielten:
Signor Giuseppe Bossi
empfiehlt sich
zur Vertreibung lästiger Insekten.
Albergo del Pellegrino, Via larga, Nr. 79.
Der Graf Martinengo, gewöhnt an die Hochachtung, die ihm allerorts sein Riesenvermögen, sein blaues Blut und die Unerschrockenheit seiner dreißig Lakaien sicherten, spürte nicht die geringste Lust, vom Sinn dieser Karten Kenntnis zu nehmen.
Fabrizzio schrieb andere an Fausta. Der Graf ließ diesen Nebenbuhler, der vielleicht Erfolg haben konnte, mit Aufpassern umgeben. Zunächst kundschaftete er seinen richtigen Namen aus und dann die Tatsache, daß er augenblicklich Parma meiden mußte. Ein paar Tage darauf reisten der Graf, seine Buli, seine prächtigen Pferde und die Fausta nach Parma ab.
Fabrizzio kitzelte es, ihm am nächsten Tage zu folgen. Umsonst machte ihm der brave Ludovico feierliche Vorhaltungen. Fabrizzio lachte ihn aus, und Ludovico, der selber seinen Mann stellte, bewunderte ihn. Überdies brachte ihn diese Reise seinem hübschen Schätzchen in Casalmaggiore näher. Ludovico trug also Sorge, daß acht bis zehn ausgediente Soldaten aus napoleonischen Regimentern als Diener in Herrn Giuseppe Bossis Dienste traten. ›Vorausgesetzt, daß ich bei der Verrücktheit, Fausta zu folgen,‹ sagte sich Fabrizzio, ›weder mit dem Polizeiminister, dem Grafen Mosca, noch mit der Duchezza in Berührung komme, setze ich nur mich einer Gefahr aus. Hinterher werde ich meiner Tante sagen, ich sei der Liebe nachgejagt, der schönen Sache, die ich noch nie gefunden habe. Tatsächlich, ich denke an Fausta, sogar wenn ich sie nicht sehe. Aber ist es die Erinnerung an ihre Stimme, die ich liebe, oder sie selber?‹ Fabrizzio, der nicht mehr an seine geistliche Laufbahn dachte, hatte sich den Schnurrbart und fast ebenso schreckliche Koteletten wie der Graf Martinengo stehen lassen. Das machte ihm ein wenig Spaß. Sein Hauptquartier schlug er nicht in Parma auf – das wäre zu unvorsichtig gewesen –, sondern in einem Dorf der Umgegend, mitten im Walde, an der Straße nach Sacca, wo das Schloß seiner Tante lag. Auf Ludovicos Rat meldete er sich in diesem Dorf als Kammerdiener eines englischen Lords an, eines großen Sonderlings, der jährlich hunderttausend Franken für Jagdvergnügungen ausgab und der binnen kurzem vom Comer See, wo ihn der Forellenfang fesselte, eintreffen werde.
Glücklicherweise lag der hübsche kleine Palast, den der Graf Martinengo für die schöne Fausta gemietet hatte, am Südende der Stadt Parma, gerade an der Straße nach Sacca, und Faustas Fenster gingen auf die schönen alten Baumalleen, die sich unter dem großen Turm der Zitadelle hinziehen. Fabrizzio war in diesem entlegenen Viertel gänzlich unbekannt. Er ließ den Grafen Martinengo unausgesetzt beobachten, und eines Tages, als dieser soeben die bewunderungswürdige Sängerin verlassen hatte, besaß Fabrizzio die Keckheit, am hellen, lichten Tag auf der Straße zu erscheinen; allerdings ritt er ein vorzügliches Pferd und war gut bewaffnet. Musikanten von der Sorte, wie sie in Italien immer auf den Straßen umherziehen und die mitunter vortrefflich sind, mußten ihre Kontrabässe unter Faustas Fenstern aufpflanzen. Nach einer Ouvertüre stimmten sie zu Faustas Ehren eine recht leidliche Kantate an. Fausta zeigte sich am Fenster und sah sofort einen überaus artigen jungen Mann, der zu Pferd mitten auf der Straße hielt, sie zunächst grüßte und sie dann mit kaum zu mißdeutenden Blicken bombardierte. Trotz seiner übertrieben englischen Kleidung erkannte sie sehr bald den Verfasser jener leidenschaftlichen Briefe, die ihre Abreise von Bologna zur Folge gehabt hatten.
»Ein sonderbarer Mensch!« sagte sie sich. »Ich glaube, ich bin schon in ihn verliebt. Ich habe hundert Louis erübrigt; da könnte ich diesem gräßlichen Grafen Martinengo getrost den Laufpaß geben. Er hat wirklich gar kein bißchen Geist, so gar nichts Unberechenbares, und kurzweilig ist er höchstens ein wenig wegen des grimmigen Gebarens seiner Leute.«
Tags darauf hatte Fabrizzio erkundet, daß Fausta tagtäglich gegen elf Uhr in das Stadtinnere zur Messe ging, in die nämliche Kirche San Giovanni, wo sich das Grabmal seines Großonkels, des Erzbischofs Ascanio del Dongo befand. Er wagte, ihr dahin zu folgen. Allerdings hatte ihm Ludovico eine schöne Engländerperücke mit knallroten Haaren besorgt. Auf die Farbe dieser Perücke, rot wie die Flammen, die sein Herz versengten, machte er ein Sonett, das Fausta entzückend fand. Eine unbekannte Hand sorgte dafür, daß es auf ihrem Klavier lag.
Dieser Kleinkrieg währte reichlich acht Tage. Fabrizzio fand, daß er trotz seinen mannigfaltigen Vorstößen keine richtigen Fortschritte mache: Fausta gewährte ihm kein Stelldichein. Er übertrieb die seltsamen Verkleidungen. Später gestand ihm Fausta, daß sie Angst vor ihm gehabt habe. Trotzdem ließ Fabrizzio nicht ab; er hegte immer noch einen Rest von Hoffnung, das zu erfahren, was man Liebe nennt; zuweilen freilich langweilte er sich.
»Monsignore, reisen wir ab!« bat Ludovico immer wieder. »Sie sind kein bißchen verliebt. Ich sehe, Sie sind so kaltblütig und vernünftig, daß Hopfen und Malz verloren ist. Und dann kommen Sie auch gar nicht vorwärts. Ehe wir uns bloßstellen, lieber fort!«
Im ersten Augenblick der Mißstimmung wäre Fabrizzio beinahe abgereist; da erfuhr er, daß die Fausta im Hause der Duchezza Sanseverina singen werde. »Vielleicht wird ihre erhabene Stimme mein Herz endlich entflammen«, sagte er sich und unternahm es tatsächlich, verkleidet in den Palast einzudringen, wo ihn aller Augen kannten. Man kann sich die Aufregung der Duchezza vorstellen, als sie gegen Ende des Konzertes mit einem Male einen Menschen in Jägertracht dicht an der Tür des großen Saales bemerkte, dessen Art und Weise sie an einen gewissen Jemand erinnerte. Sie winkte den Grafen Mosca heran, der ihr jetzt erst den großartigen und wirklich unglaublich tollen Streich Fabrizzios mitteilte. Er faßte die Geschichte durchaus heiter auf. Diese Liebe zu einer anderen als der Duchezza gefiel ihm über die Maßen. Durch und durch ritterlich, wie der Graf war, wenn es sich nicht um Politik drehte, pflegte er nach dem Grundsatz zu handeln, daß er nur dann glücklich sein könne, wenn es die Duchezza auch sei. »Ich werde ihn vor sich selbst schützen«, beruhigte er seine Freundin. »Bedenken Sie, wie sich unsere Feinde freuten, wenn man ihn in diesem Palais verhaftete. Ich habe mehr als hundert Mann in der nächsten Nähe. Deshalb ließ ich Sie auch um die Schlüssel zum großen Wasserbehälter bitten. Fabrizzio tut, als sei er toll verliebt in die Fausta, aber bis jetzt ist es ihm nicht gelungen, sie dem Grafen Martinengo abspenstig zu machen, der dieser Närrin das Dasein einer Königin gewährt.«
Das Antlitz der Duchezza verriet den tiefsten Schmerz: Fabrizzio war also doch nur ein leichtsinniger Mensch, keiner zärtlichen und ernsthaften Empfindung fähig! »Und mir keinen Besuch zu machen,« sagte sie schließlich, »mir, die ich ihm tagtäglich nach Bologna geschrieben habe!«
»Ich rechne ihm diese Zurückhaltung sehr hoch an«, entgegnete der Graf. »Er will uns mit seinen losen Geschichten nicht gefährden. Ich freue mich schon darauf, ihn hinterher erzählen zu hören.«
Fausta war viel zu närrisch, über das, was sie beschäftigte, schweigen zu können. Während des Konzertes verrieten ihre Blicke, daß alle ihre Arien dem schlanken jungen Mann in Jägertracht galten; und tags darauf erzählte sie dem Grafen Martinengo von einem aufmerksamen Unbekannten.
»Wo haben Sie ihn gesehen?« fragte der Graf wütend.
»Auf der Straße, in der Kirche...«, antwortete Fausta verlegen. Sie wollte ihre Unvorsichtigkeit wieder gutmachen oder wenigstens alles tun, um Martinengos Augenmerk von Fabrizzio abzulenken. Sie verlor sich in die endlose Beschreibung eines schlanken jungen Mannes mit roten Haaren und blauen Augen; ohne Zweifel sei es irgendein steinreicher und sehr linkischer Engländer oder irgendein Fürst. Dieses letzte Wort hatte zur Folge, daß der Graf, der alles für bare Münze nahm, sich einbildete – und das war etwas Köstliches für seine Eitelkeit –, sein Nebenbuhler sei kein anderer als der Erbprinz von Parma. Dieser arme junge Kopfhänger in der Obhut seiner fünf oder sechs Erzieher, Hofmeister und Präzeptoren, die ihn nur nach gemeinsamer Beratung ausgehen ließen, pflegte allerdings allen leidlich hübschen Frauen, in deren Nähe zu kommen ihm erlaubt war, sonderbare Blicke zu widmen. Im Konzert bei der Duchezza hatte er, seinem Rang gemäß, einen Platz vor allen Zuhörern, in einem einzeln stehenden Lehnstuhl, drei Schritt von der schönen Fausta entfernt, und seine Blicke hatten den Grafen Martinengo höchlichst geärgert. Dieser ausgesucht eitle Wahn, er habe einen Prinzen zum Nebenbuhler, machte der Fausta unbändigen Spaß; sie suchte ein Vergnügen darin, den Grafen durch tausend hingeworfene Einzelheiten in seiner Vermutung zu bestärken.
»Ist Ihre Familie«, fragte sie den Grafen, »ebenso alt wie die der FarnesenPier Luigi Farnese, der erste Souverän aus der Familie Farnese, der 1545 zum Herzog von Parma und Piacenza erhoben ward und wegen seines Lebenswandels einen üblen Ruf genoß, ist bekanntlich ein natürlicher Sohn Seiner Heiligkeit des Papstes Paul III. (Alessandro Farnese). (Stendhal.) Er wurde 1547 ermordet., der dieser junge Mann angehört ?«
»Was meinen Sie? Ebenso alt? Ich, ich habe keine Bastarde unter meinen Ahnen!«
Der Zufall fügte es, daß der Graf Martinengo seinen vermeintlichen Nebenbuhler niemals zu Gesicht bekommen konnte, was ihn erst recht in seinem schmeichelhaften Wahn förderte, einen Prinzen zum Widersacher zu haben. Dazu kam, daß Fabrizzio, sobald er seines Planes wegen nicht unbedingt an Parma gefesselt war, sich in den Wäldern bei Sacca und an den Ufern des Po aufhielt. Graf Martinengo wurde noch einmal so stolz, aber auch ebenso vorsichtig, seitdem er sich einbildete, mit einem Prinzen um Faustas Herz zu ringen. In vollem Ernst bat er sie, bei allem, was sie tue, sich der größten Zurückhaltung zu befleißigen. In seiner eifersüchtigen und leidenschaftlichen Liebe fiel er vor ihr auf die Kniee und setzte ihr klar und deutlich auseinander, es sei ihm Ehrensache, daß sie sich nicht von dem jungen Prinzen betören lasse.
»Erlauben Sie, ich wäre nicht betört, wenn ich ihn liebte. Ich habe nie einen Prinzen mir zu Füßen gehabt.«
»Wenn Sie ihm nachgeben,« entgegnete er mit einem hochmütigen Blick, »kann ich mich vielleicht nicht am Prinzen rächen, aber rächen werde ich mich sicherlich.«
Damit ging er und warf die Tür hinter sich mit aller Gewalt zu. Wäre Fabrizzio in diesem Augenblick zur Stelle gewesen, so hätte er seine Sache gewonnen.
»Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist,« sagte Martinengo zu ihr am Abend, als er nach dem Theater von ihr ging, »so lassen Sie mich nie hören, daß der junge Prinz in Ihr Haus gedrungen ist. Ich kann ihm nichts anhaben, beim Teufel, aber vergessen Sie nicht, daß ich Ihnen alles antun kann!«
»O mein kleiner Fabrizzio,» dachte Fausta, »wenn ich nur wüßte, wo ich dich finden könnte!«
Bei einem reichen jungen Manne, der von seiner Wiege an immer von Schmeichlern umgeben war, ist die verletzte Eitelkeit besonders heftig. Die durch und durch echte Leidenschaft, die der Graf Martinengo für Fausta hegte, steigerte sich bis zur Raserei. Sie wurde keineswegs durch die gefährliche Aussicht gehemmt, mit dem einzigen Sohne des Fürsten, in dessen Land er sich aufhielt, in Streit zu geraten. Aber er hatte auch nicht Unternehmungsgeist genug, zu versuchen, dieses Prinzen ansichtig zu werden oder ihn wenigstens beobachten zu lassen. Da er ihm sonst nichts Ernstliches antun konnte, kam er auf den kühnen Gedanken, ihn lächerlich zu machen. »Ich werde für ewige Zeiten aus den Parmaer Landen verwiesen«, sagte er sich. »Nun, was tuts?«
Wenn der Graf Martinengo sich bemüht hätte, die feindliche Stellung ordentlich zu erkunden, so hätte er erfahren, daß der arme junge Prinz niemals ausging, außer in Begleitung von drei bis vier Mummelgreisen, langweiligen Hütern der Etikette, und daß das einzige selbstgewählte Vergnügen, das man ihm hienieden gestattete, die Mineralogie war.
Der kleine Palazzo, den die Fausta bewohnte und der ein Treffpunkt der guten Gesellschaft geworden war, wurde Tag und Nacht von Beobachtern umlagert. Der Graf Martinengo wußte Stunde für Stunde, was sie tat, und besonders, was um sie her geschah. Lobenswert war an diesen Vorsichtsmaßregeln des Eifersüchtigen, daß das so launenhafte Weib zunächst keine Ahnung von der verdoppelten Überwachung hatte. Die Berichte aller seiner Aufpasser meldeten dem Grafen, daß ein sehr junger Mann mit einer roten Perücke Fausta tagtäglich Fensterpromenaden mache, aber in immer anderer Verkleidung. »Augenscheinlich der Erbprinz!« sagte sich Martinengo. »Warum sonst diese Verkleidungen? Donnerwetter! Ein Kavalier wie ich ist nicht der Mann, ihm das Feld zu räumen. Ohne die Übergriffe der Republik Venedig wäre ich geradesogut Prinz aus einem regierenden Hause!«
Am Sankt-Stephans-Tag lauteten die Berichte der Spitzel bedenklicher; es schienen Anzeichen vorhanden, daß Fausta auf die Huldigungen des Unbekannten einzugehen begann. »Ich könnte auf der Stelle mit diesem Weibe abreisen!« sagte sich der Graf. »Aber wozu? In Bologna bin ich vor del Dongo ausgerissen. Hier soll ich vor einem Prinzen weichen? Dieser junge Mann bildet sich dann wer weiß was ein! Etwa gar, er habe mir Angst eingejagt! Beim Teufel, ich stamme aus einem ebenso guten Hause wie er!«
Martinengo war wütend, und sein Unglück erreichte dadurch sein volles Maß, daß er sich in Gegenwart Faustas, die zu spötteln liebte, nicht durch Eifersucht lächerlich machen durfte.
Am Stephanstag also verbrachte er vormittags eine Stunde bei ihr; sie empfing ihn mit einer Liebenswürdigkeit, die ihn der Inbegriff aller Falschheit deuchte. Gegen elf Uhr trennte er sich von ihr, um sich zur Messe in der Kirche San Giovanni umzukleiden. Martinengo ging nach Hause, zog ein schäbiges schwarzes Seminaristenröckchen an und rannte nach San Giovanni. Er suchte sich einen Platz hinter einem der Grabmäler aus, die die dritte Kapelle im rechten Seitenschiff zieren; von dort konnte er alles beobachten, was in der Kirche vorging, unter dem Arm eines Kardinals weg, der auf dem Grabmal knieend dargestellt war. Dieses Standbild verdunkelte die Kapelle und verbarg ihn hinlänglich. Nach einer Weile erschien Fausta, schöner denn je. Sie kam im Gesellschaftskleid; um sie herum ein Schwarm von zwanzig Verehrern aus dem Hofkreise. Aus ihren Augen und um ihren Mund lachte sonnige Freude. »Es ist klar,« sagte sich der unglückliche Eifersüchtige, »sie rechnet darauf, hier ihren Liebsten zu treffen, den sie dank meinen Maßregeln vielleicht lange nicht hat sehen können.«
Mit einem Male strahlten Faustas Augen in verdoppeltem Glänze. »Mein Nebenbuhler ist da!« sagte sich Martinengo, und seine eitle Wut ward grenzenlos. »Was für eine Rolle spiele ich hier als Gegenstück zu einem verkleideten Prinzen!« Aber soviel Mühe er sich geben mochte, es gelang ihm nicht, den Nebenbuhler zu entdecken, den seine gierigen Blicke überall suchten.
Jedesmal, wenn Fausta ihre Blicke durch die ganze Kirche schweifen ließ, blieben sie schließlich immer voll Liebe und Glück an dem dunklen Winkel hängen, wo sich Martinengo verborgen hielt. Ein leidenschaftliches Herz wird durch die Liebe dazu verleitet, die leisesten Wahrnehmungen zu übertreiben und die lächerlichsten Folgerungen daraus zu ziehen. Der arme Martinengo redete sich zuletzt wirklich ein, Fausta habe ihn trotz seinen Bemühungen entdeckt und wolle ihm seine tödliche Eifersucht mit diesen zärtlichen Blicken vorwerfen und ihn gleichzeitig trösten.
Das Grabmal des Kardinals, hinter dem Martinengo seinen Beobachtungsposten inne hatte, erhob sich vier bis fünf Fuß über die Marmorfliesen der Kirche. Der Modegottesdienst war gegen ein Uhr zu Ende; der größte Teil der Gläubigen ging weg, und Fausta entließ die Dandys der Stadt unter dem Vorwand, eine stille Andacht verrichten zu wollen. Sie verharrte in knieender Stellung vor ihrem Sitz, während ihre Augen noch zärtlicher und strahlender unverwandt auf Martinengo blickten. Als kein Mensch mehr in der Kirche war, gaben sich ihre Augen nicht mehr die Mühe, erst in der ganzen Kirche umherzuschweifen, ehe sie glückselig am Standbilde des Kardinals haften blieben. »Welches Zartgefühl!« sagte sich der Graf, im Wahn, daß diese Blicke ihm galten. Endlich stand Fausta auf und schritt hastig zur Kirche hinaus, nachdem sie mit den Händen ein paar seltsame Bewegungen gemacht hatte.
Liebestoll und seiner verrückten Eifersucht fast ledig, verließ Martinengo seinen Platz, um nach dem Palast seiner Favoritin zu eilen und ihr tausend- und aber tausendmal zu danken; da gewahrte er beim Umgehen des Grabmals einen ganz schwarz gekleideten jungen Herrn. Diese Trauergestalt hatte bisher dicht am Grabmal gekniet, und zwar so, daß die Blicke des eifersüchtigen Suchers über seinen Kopf hinweggegangen waren, ohne ihn im geringsten gewahren zu können.
Der junge Mann erhob sich und eilte davon. Im Nu umringten ihn sieben bis acht handfeste Männer von verdächtigem Aussehen, die offenbar zu ihm gehörten. Der Graf beschleunigte seine Schritte, wurde aber in der Windfangtür des Ausganges scheinbar zufällig von den handfesten Männern aufgehalten. Als er endlich hinter ihnen auf die Straße gelangte, sah er nichts weiter als die geschlossene Tür einer Kutsche von dürftigem Aussehen, vor die in wunderlichem Widerspruch zwei prächtige Pferde gespannt waren. Einen Augenblick später war der Wagen außer Sehweite.
Wutschnaubend ging er nach Hause. Alsbald kamen seine Aufpasser, die ihm herzlos berichteten, der geheimnisvolle Verliebte habe heute, als Priester verkleidet, sehr andächtig dicht an einem Grabmal, am Eingang zu einer dunklen Kapelle, in der Kirche San Giovanni gekniet. Fausta sei in der Kirche geblieben, bis sie fast ganz leer geworden sei, und habe dann rasch ein gewisses Zeichen mit dem Unbekannten gewechselt. Mit den Händen habe sie so etwas wie Kreuze geschlagen.
Der Graf eilte zu der Treulosen. Zum ersten Male gelang es ihr nicht, ihre Unruhe zu verbergen. Sie erzählte mit der verlogenen Einfalt einer leidenschaftlichen Frau, sie sei ihrer Gewohnheit gemäß in die Kirche San Giovanni gegangen, habe aber den Menschen, der sie immer verfolge, dort nicht bemerkt. Außer sich über diese Worte, schmähte sie der Graf, sie sei das verworfenste Geschöpf, und sagte ihr alles, was er mit eigenen Augen beobachtet hatte. Je heftiger seine Vorwürfe wurden, um so mehr wuchs die Kühnheit der Lügnerin. Er zog seinen Dolch und stürzte auf sie los. Kaltblütig entgegnete ihm Fausta: »Gut! Alles, worüber Sie sich beklagen, ist reine Wahrheit; ich habe jedoch versucht, es vor Ihnen geheim zu halten, um Ihr Liebesfeuer nicht in eine sinnlose Rachsucht zu verwandeln, die uns alle beide verderben könnte. Denn, verstehen Sie wohl, meiner Mutmaßung nach ist der Mann, der mich mit seinen Aufmerksamkeiten verfolgt, einer von denen, deren Willen kein Hindernis kennt, am wenigsten in diesem Staate.«
Nachdem sie dem Grafen sehr geschickt nahegelegt hatte, daß er gar kein Recht auf sie habe, schloß sie mit der Erklärung, sie ginge wahrscheinlich nicht wieder in die Kirche San Giovanni.
Martinengo war kopflos verliebt. Ein bißchen Schöntun, im Verein mit der Klugheit im Herzen des jungen Weibes, beschwichtigte ihn. Erst dachte er daran, Parma zu verlassen; der junge Prinz konnte ihm, so mächtig er sein mochte, nicht folgen, oder wenn er es täte, wäre er nur noch seinesgleichen. Aber der Stolz flüsterte ihm von neuem ein, daß eine solche Abreise immer wie eine Flucht aussähe, und diesen Gedanken wehrte Graf Martinengo ab.
»Er hat keine Ahnung davon, daß mein kleiner Fabrizzio hier ist!« frohlockte die Sängerin. »Jetzt können wir uns in der köstlichsten Weise über ihn lustig machen!«
Fabrizzio ahnte sein Glück nicht. Als er am anderen Morgen die Fenster der Sängerin sorglich verhängt fand und keine Spur von ihr wahrnahm, begann ihm der Spaß langweilig zu werden. Er verspürte Reue. »In welche Lage habe ich den armen Grafen Mosca in seiner Eigenschaft als Polizeiminister gebracht! Man wird ihn für meinen Spießgesellen halten, und am Ende bin ich nur in dieses Land gekommen, daß ich die Ursache seines Sturzes werde. Gebe ich anderseits eine so weit gediehene Sache auf, was wird die Duchezza sagen, wenn ich ihr meine Liebesfahrten erzähle?«
Eines Abends, als er, so mit sich hadernd und nahe daran, die Flinte ins Korn zu werfen, unter den großen Bäumen zwischen Faustas Palazzo und der Zitadelle umherschlich, bemerkte er, daß er von einem Aufpasser von recht schmächtiger Gestalt verfolgt wurde. Vergeblich bog er in mehrere Straßen ein, um sich seiner zu entledigen; der Knirps schien an seine Fersen gebannt. Ärgerlich lief er in eine abgelegene Gasse am Ufer der Parma, wo seine Leute im Hinterhalt standen. Auf sein Zeichen fielen sie über den armen kleinen Spitzel her, der sich ihnen zu Füßen warf: es war Bettina, Faustas Kammerzofe. Nach drei Tagen des Mißvergnügens, die Fausta hinter verschlossenen Türen zugebracht hatte, war Bettina in Männerkleidern entschlüpft, um dem Dolche des Grafen Martinengo zu entgehen, vor dem sie ebenso wie ihre Herrin eine Heidenangst hatte. Sie wollte Fabrizzio wissen lassen, daß man ihn leidenschaftlich liebe und in Sehnsucht nach ihm vergehe; nur in die Kirche San Giovanni könne man nicht mehr kommen.
»Es war Zeit!« sagte sich Fabrizzio. »Es lebe die Ausdauer!«
Die kleine Kammerzofe war sehr hübsch, was Fabrizzio seinen moralischen Gedanken entriß. Sie teilte ihm mit, daß die Promenade und alle Straßen, durch die er gegangen sei, diesen Abend durch Martinengos Spitzel sorgsam beobachtet worden seien, ohne daß er es bemerkt habe. Man habe Zimmer in verschiedenen Erdgeschossen und ersten Stockwerken gemietet; hinter Vorhängen und bei tiefem Schweigen beobachte man alles, was auf der so unbelebt scheinenden Straße vorgehe, und belausche, was unten gesprochen werde.
»Wenn diese Aufpasser meine Stimme erkannt hätten,« sagte die kleine Bettina, »dann wäre ich ohne Gnade beim Nachhausekommen erdolcht worden und meine arme Herrin vielleicht mit mir.«
Diese schreckliche Gefahr machte sie in Fabrizzios Augen verführerisch.
»Graf Martinengo«, fuhr sie fort, »ist wütend. Und meine Herrin weiß, daß er zu allem fähig ist. Sie hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, sie wünsche, mit Ihnen hundert Meilen weit weg von hier zu sein.«
Dann erzählte sie von dem Vorfall am Sankt-Stephans- Tag und von der Wut Martinengos, dem kein Blick und keines der verliebten Zeichen entgangen sei, die ihm Fausta an jenem Tage in ihrer Narretei für Fabrizzio gemacht habe. Der Graf habe seinen Dolch gezückt, Fausta an den Haaren gepackt, und nur durch ihre Geistesgegenwart sei sie gerettet worden.
Fabrizzio führte die hübsche Bettina in ein Stübchen, das er in der Nähe hatte. Er erzählte ihr, er sei aus Turin, der Sohn einer hohen Persönlichkeit, die sich augenblicklich in Parma aufhalte, deshalb genötigt, sich sehr in acht zu nehmen. Bettina erwiderte ihm lachend, er sei ein viel größerer Herr, als er es scheinen wolle. Unser Held begriff erst nach einer Weile, daß das reizende Mädchen ihn für keinen Geringeren als den Erbprinzen selbst hielt. Fausta empfand, seit sie für Fabrizzio glühte, Angst um ihn und hatte es auf sich genommen, ihrer Kammerzofe seinen wahren Namen nicht zu sagen, sondern ihr von dem Prinzen zu fabeln. Fabrizzio gestand dem hübschen Mädchen schließlich, daß sie richtig vermutet habe, und setzte hinzu:
»Wenn mein Name aber ruchbar wird, so darf ich deine Herrin trotz meiner großen Leidenschaft, von der ich ihr so viele Beweise gegeben habe, nie wiedersehen. Die Minister meines Vaters, diese hämischen Kunden, die ich eines Tages absetzen werde, würden dann nicht eher ruhen, als bis sie des Landes verwiesen wird, das sie jetzt durch ihre Gegenwart verschönt.«
Gegen Morgen beriet Fabrizzio mit dem Kammerkätzchen mehrere Pläne, um ein Stelldichein mit Fausta zu ermöglichen. Er ließ Ludovico und einen anderen recht handfesten Mann von seinen Leuten herbeiholen, die sich mit Bettina verabredeten, während er einen überschwenglichen Brief an Fausta schrieb. Die Lage brachte alle Übertreibungen einer Tragödie mit sich, was Fabrizzio nicht unausgenutzt ließ. Es war heller Tag, als er sich von der kleinen Zofe trennte, die mit dem Verhalten des jungen Prinzen höchlichst zufrieden war.
Es war ihm hundertfach eingeschärft worden, daß er nun, da Fausta mit dem Geliebten einig war, keine Fensterpromenaden mehr machen solle, bis er zu einem Stelldichein in den Palast schleichen könne. Dazu werde er ein Zeichen bekommen. Aber Fabrizzio, der in Bettina verliebt war und sich bei Fausta dicht am Ziel wähnte, hielt es in seinem Dorf zwei Meilen von Parma nicht aus. Am folgenden Tag kam er gegen Mitternacht unter sicherer Begleitung geritten, um unter Faustas Fenster ein Lied zu singen, das damals Mode war und dessen Text er umgeändert hatte. »Tun die Herren Verliebten nicht derlei?« sagte er sich.
Seitdem ihm Fausta die Sehnsucht nach einem Beisammensein eingestanden hatte, kam ihm dies ganze Werben recht langweilig vor. »Nein, ich liebe kein bißchen«, sagte er sich, während er unter den Fenstern des kleinen Palazzos drauflos sang. »Eigentlich ist die Bettina hundertmal reizvoller als die Fausta; ihretwegen möchte ich jetzt Einlaß finden.«
Reichlich gelangweilt, ritt er nach seinem Dorfe zurück. Fünfhundert Schritt von Faustas Palast fielen fünfzehn bis zwanzig Männer über ihn her; vier davon griffen seinem Pferd in die Zügel, zwei packten ihn an den Armen. Ludovico und Fabrizzios Bravi wurden umringt, vermochten sich aber zu retten. Sie gaben ein paar Pistolenschüsse ab. Alles war das Ereignis eines Augenblicks. Im Nu und wie hergezaubert tauchten fünfzig brennende Fackeln auf; ihre Träger waren alle wohlbewaffnet. Fabrizzio war aus dem Sattel gesprungen, obgleich ihn die Männer festhielten. Er versuchte, sich Bahn zu brechen; einen von den Männern, dessen Hände ihn wie Schraubstöcke gepackt hatten, verwundete er sogar. Zu seinem Erstaunen vernahm er, wie dieser Mensch in unterwürfigstem Ton sagte: »Eure Hoheit werden mir für diese Wunde eine anständige Pension bewilligen. Das wird besser für mich sein, als wenn ich mich eines Majestätsverbrechens schuldig mache, indem ich den Degen gegen meinen Fürsten ziehe.«
»Das ist die gerechte Strafe für meine Dummheit!« sagte sich Fabrizzio. »Ich werde eine Sünde büßen müssen, die mich gar nicht einmal lockte.«
Kaum hatte der kleine Handel ein Ende, da erschienen mehrere Lakaien in Galalivree mit einer vergoldeten und seltsam bemalten Sänfte. Es war eines der schnurrigen Beförderungsmittel, die man zu Karnevalsmaskeraden benutzt. Sechs Männer, Dolche in der Hand, ersuchten Seine Hoheit, einzusteigen, indem sie sagten, die frische Nachtluft könne seiner Stimme schaden. Man wahrte aufs äußerste die Form; das Wort Hoheit wurde alle Augenblicke wiederholt und geradezu laut gerufen. Der Zug begann sich in Bewegung zu setzen. Fabrizzio zählte auf der Straße mehr als fünfzig Mann mit Pechfackeln.
Es mochte ein Uhr morgens sein. Alle Welt lief an die Fenster; der Zug zog mit einer gewissen Feierlichkeit dahin.
»Ich fürchtete Dolchstöße Martinengos«, sagte sich Fabrizzio. »Er begnügt sich, mich zu verhöhnen. So viel guten Geschmack hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Oder sollte er wirklich glauben, es mit dem Erbprinzen zu tun zu haben? Wenn er wüßte, daß ich nur Fabrizzio bin, dann Achtung vor Dolchstößen!«
Die fünfzig Mann mit den Pechfackeln und die zwanzig Bewaffneten hielten erst lange unter den Fenstern Faustas und zogen dann feierlich an den vornehmsten Palästen vorüber. Zu beiden Seiten der Sänfte liefen zwei Haushofmeister, die Seine Hoheit von Zeit zu Zeit fragten, ob er Befehle für sie habe. Fabrizzio verlor seine Fassung nicht einen Augenblick; dank der Helle, die die Fackeln verbreiteten, bemerkte er, daß Ludovico und seine Leute dem Zuge nach Möglichkeit folgten. Fabrizzio sagte sich: »Ludovico hat nur acht bis zehn Mann und kann keinen Angriff wagen.« Aus seiner Sänfte heraus sah er sehr wohl, daß die Männer, die mit der Ausführung dieses üblen Spaßes betraut waren, alle miteinander bis an die Zähne bewaffnet waren. Er zwang sich, mit den Haushofmeistern, die sich um ihn zu kümmern hatten, zu scherzen.
Als dieser Festzug bereits länger als zwei Stunden gedauert hatte, zog man, wie er sah, auch durch die Straße, in der der Palazzo Sanseverina lag. Beim Einbiegen in diese Straße öffnet Fabrizzio rasch die Tür der Sänfte, die nach vorn geht, springt über die Tragstange, sticht einen Lakaien, der ihm seine Fackel ins Gesicht hält, mit einem Dolchstoß über den Haufen. Er bekommt einen Messerstich in die Schulter; ein anderer Lakai versengt ihm mit seiner lodernden Pechfackel den Bart; aber schließlich dringt Fabrizzio zu Ludovico durch und schreit ihm zu:
»Nieder mit den Fackelträgern!«
Ludovico teilt Degenstöße aus und befreit Fabrizzio von zwei Männern, die hinter ihm hersetzen. Fabrizzio rennt bis zum Tor des Palazzos Sanseverina. Der Pförtner hatte aus Neugier die kleine niedrige Tür, die in das Tor eingelassen war, geöffnet und glotzte ganz verwundert den großen Fackelzug an. Fabrizzio ist mit einem Satz im Haus und schließt das Pförtchen hinter sich, eilt durch den Garten und entkommt durch eine Tür, die auf eine einsame Straße führt.
Eine Stunde später war er außerhalb der Stadt. Bei Tage überschritt er die Grenze nach dem Gebiet von Modena und war in Sicherheit. Am Abend befand er sich wieder in Bologna.
»Das war ja eine hübsche Geschichte!« sagte er bei sich. »Ich habe mit meiner Schönen nicht einmal reden können.«
Schleunigst schrieb er zwei Entschuldigungsbriefe an den Grafen Mosca und an die Duchezza, vorsichtige Briefe, die die Vorgänge seines Herzens schilderten, ohne daß sie einem Feinde das geringste verraten hätten. »Ich war verliebt in die Liebe«, schrieb er der Duchezza. »Alles in der Welt habe ich getan, um sie zu erfahren. Aber offenbar hat mir die Natur das Herz zur Liebe und zur Schwermut versagt. Ich kann mich nicht über die gewöhnliche Sinnenlust hinaus erheben.«
Man kann sich keinen Begriff machen, was für Staub dieses Abenteuer in Parma aufwirbelte. Das Geheimnisvolle erweckt die Neugier. Zahllose Menschen hatten den Fackelzug und die Sänfte gesehen. Aber wer war der Mann, den man entführt und dem die ganze Feierlichkeit gegolten hatte? Am Morgen wurde keine bekannte Persönlichkeit in der Stadt vermißt.
Das niedere Volk, das in der Straße wohnte, wo der Gefangene entronnen war, munkelte, es wäre ein Leichnam zu sehen gewesen; aber am hell-lichten Tage, als die Einwohner aus ihren Häusern herauszukommen wagten, fand man keine anderen Spuren als ein paar Blutlachen auf dem Pflaster. Mehr als zwanzigtausend Neugierige besuchten tagsüber jene Straße. Die italienischen Städte sind an sonderbare Schauspiele gewöhnt, aber immer erfährt man das Warum und das Wie. Was Parma bei diesem Vorkommnis verblüffte, das war, daß niemand, auch nach vier Wochen nicht, als dieser Fackelzug nicht mehr den einzigen Gesprächsstoff bildete, imstande war, den Namen des Nebenbuhlers zu erraten, der Fausta dem Grafen Martinengo hatte abspenstig machen wollen. Das war der Umsicht des Grafen Mosca zu danken. Der eifersüchtige und rachedurstige Verliebte hatte zu Beginn des Festzuges die Flucht ergriffen; Fausta war auf Befehl Moscas in die Zitadelle gesperrt worden. Die Duchezza lachte herzhaft über diese kleine Ungerechtigkeit, die sich der Graf erlauben mußte, um die Neugier des Fürsten irrezuführen, da dieser sonst unserem Fabrizzio auf die Spur gekommen wäre.
Es hielt sich damals in Parma ein Gelehrter auf, ein Nordländer, der eine Geschichte des Mittelalters schreiben wollte. Er durchstöberte die Handschriften der Bibliotheken, und der Graf hatte ihm weitgehende Befugnisse gewährt. Dieser noch jugendliche Gelehrte war nun sehr jähzornig; zum Beispiel argwöhnte er, in Parma wolle sich alle Welt über ihn lustig machen. Allerdings liefen ihm zuweilen die Gassenjungen nach wegen der knallroten Riesenperücke, die er stolz zur Schau trug. Er argwöhnte, man verlange ihm in seinem Gasthof für alle Dinge erhöhte Preise ab, und bezahlte nicht die geringste Kleinigkeit, ohne den Preis im Reiseführer einer Mrs. Starke nachzuschlagen, der die zwanzigste Auflage erreicht hatte, weil er den vorsichtigen Engländern den Preis eines Truthahns, eines Apfels, eines Glases Milch genau angab. Der Gelehrte mit der roten Mähne war am nämlichen Tage, als Fabrizzio jenen unfreiwilligen Umzug machte, in seinem Gasthof wütend geworden und hatte aus seiner Tasche ein Paar kleine Pistolen gezogen, um sich am Kammerdiener zu rächen, der für einen mäßigen Pfirsich zwei Soldi verlangte. Man nahm ihn fest, denn das Tragen kleiner Pistolen ist ein großes Verbrechen!
Da dieser jähzornige Gelehrte lang und mager war, kam der Graf am anderen Morgen auf den Einfall, ihn dem Fürsten als jenen Missetäter hinzustellen, der bei seinem Unterfangen, Fausta dem Grafen Martinengo zu entführen, zum Narren gehalten worden sei. Auf das Tragen von Taschenpistolen steht in Parma eine Strafe von drei Jahren Zuchthaus, aber sie war niemals verhängt worden. Nach vierzehn Tagen Untersuchungshaft, in denen der Gelehrte keinen Menschen zu sehen bekommen hatte außer einem Advokaten, der ihm fürchterliche Angst machte vor den harten Gesetzen, die die Machthaber in ihrer Angst gegen das Tragen verborgener Waffen erlassen hatten, erschien ein anderer Advokat im Gefängnis und erzählte ihm von dem Umzug, durch den sich der Graf Martinengo an einem unbekannt gebliebenen Nebenbuhler gerächt hatte. Der Polizei sei es unangenehm, dem Fürsten einzugestehen, sie habe nicht herausbekommen können, wer jener Nebenbuhler gewesen sei. »Gestehen Sie, Sie hätten der Fausta ein Vergnügen bereiten wollen; als Sie unter ihren Fenstern gesungen hätten, wären Sie von fünfzig Wegelagerern überfallen und eine Stunde lang in einer Sänfte umhergetragen worden, ohne daß Ihnen irgend etwas anderes als Ehrenbezeigungen erwiesen worden seien. Dieses Geständnis hat gar nichts Demütigendes: man wird Sie ganz kurz verhören. Sofort nach dem Geständnis werden Sie einen Geleitbrief erhalten. Man wird Sie in eine Postkutsche setzen und an die Grenze fahren, wo man Ihnen guten Abend wünschen wird.«
Vier Wochen lang sträubte sich der Gelehrte. Zweidreimal war der Fürst nahe daran, sich ihn im Ministerium des Inneren vorführen und in seiner Gegenwart vernehmen zu lassen. Aber schließlich dachte er schon nicht mehr daran, als der Historiker sich aus Langerweile entschloß, alles zu gestehen. Er ward über die Grenze abgeschoben. Serenissimus blieb zeit seines Lebens bei dem Glauben, der Nebenbuhler des Grafen Martinengo sei ein verrückter Kauz mit roten Haaren gewesen.
Drei Tage nach dem Umzug erfuhr Fabrizzio, der sich in Bologna verborgen hielt und mit Hilfe des treuen Ludovico Erkundigungen nach dem Grafen Martinengo angestellt hatte, daß dieser sich in einem Gebirgsdorf an der Straße nach Florenz ebenfalls verborgen halte. Der Graf habe nur drei seiner Buli bei sich. Wiederum einen Tag später wurde der Graf, gerade als er von einem Spaziergang heimkam, von acht maskierten Männern, die sich für Schergen von Parma ausgaben, überfallen. Nachdem man ihm die Augen verbunden hatte, schleppte man ihn in eine Herberge, zwei Meilen tiefer im Gebirge, wo man ihm alle möglichen Ehren erwies und ein sehr reichliches Abendessen vorsetzte. Man trug ihm die besten italienischen und spanischen Weine auf.
»Bin ich denn ein Staatsgefangener?« fragte der Graf.
»Nicht im geringsten«, antwortete ihm der maskierte Ludovico äußerst höflich. »Sie haben einen einfachen Privatmann beleidigt, indem Sie ihn einen Umzug in einer Sänfte haben machen lassen. Morgen früh will er sich mit Ihnen schlagen. Falls Sie ihn töten, werden Sie zwei gute Pferde bereit finden sowie Geld und vorbestellte Wechselpferde auf der Straße nach Genua.«
»Wie heißt der Raufbold?« fragte der Graf gereizt.
»Er nennt sich Bombaccio. Sie können Waffen und Sekundanten wählen, ganz wie es Brauch ist, aber einer von beiden muß fallen!«
»Das ist ja Meuchelmord!« rief der Graf entsetzt.
»Gott bewahre! Das ist ganz einfach ein Zweikampf auf Tod oder Leben mit dem jungen Manne, den Sie mitten in der Nacht durch die Straßen von Parma haben umhertragen lassen. Wenn Sie am Leben blieben, wäre er auf ewig entehrt. Einer von Ihnen beiden ist zuviel auf Erden. Versuchen Sie also, ihn zu töten! Sie können wählen zwischen Degen, Pistolen, Säbeln und jeglicher Waffe, die man innerhalb weniger Stunden auftreiben kann. Denn Eile ist geboten. Die Polizei von Bologna ist sehr flink, wie Sie wohl wissen; aber sie soll diesen Zweikampf nicht verhindern; es ist zur Wiederherstellung der Ehre des von Ihnen beleidigten Mannes unerläßlich.«
»Wenn aber dieser junge Mann ein Prinz ist?«
»Er ist ein einfacher Privatmann wie Sie und sogar weniger reich als Sie, aber er will sich auf Leben oder Tod schlagen und Sie zwingen, sich ihm zu stellen. Ich teile Ihnen dies mit.«
»Ich fürchte nichts auf der Welt!« rief der Graf.
»Das gerade ersehnt sich Ihr Gegner auf das leidenschaftlichste!« entgegnete Ludovico. »Halten Sie sich morgen in aller Frühe bereit, Ihr Leben zu verteidigen. Es wird von einem Mann angegriffen werden, der zu heftigem Zorn berechtigt ist und Sie nicht schonen wird. Ich wiederhole Ihnen, Sie haben die Wahl der Waffen. Und machen Sie Ihr Testament!«
Am anderen Morgen gegen sechs Uhr trug man dem Grafen Martinengo ein Frühstück auf; dann öffnete man eine Tür der Stube, in die er eingesperrt worden war, und ersuchte ihn, auf den Hof des ländlichen Gasthauses hinauszukommen. Dieser Hof war von Zäunen und Mauern von leidlicher Höhe umgeben; die Tore waren sorglich verschlossen.
In einer Ecke stand ein Tisch, an den zu treten man den Grafen einlud. Er fand darauf einige Flaschen Wein und Schnaps, zwei Pistolen, zwei Degen, zwei Säbel, Papier und Tinte. Einige zwanzig Bauern lagen in den Fenstern der Herberge, die auf den Hof hinaus gingen. Der Graf flehte sie um Mitleid an.
»Man will mich morden!« rief er aus. »Rettet mein Leben!«
»Sie irren sich oder wollen sich irren!« rief ihm Fabrizzio zu, der an der entgegengesetzten Ecke des Hofes an einem mit Waffen bedeckten Tisch stand. Er war in Hemdärmeln und hatte vor dem Gesicht eine Drahtmaske, wie man sie auf dem Fechtboden trägt.
»Ich fordere Sie auf,« fuhr Fabrizzio fort, »die Drahtmaske aufzusetzen, die auf Ihrem Tische liegt! Dann treten Sie mit einem Degen oder einer Pistole an! Wie man Ihnen gestern abend erklärt hat, können Sie die Waffen wählen.«
Graf Martinengo machte zahllose Schwierigkeiten und zeigte gar keine Lust, sich zu schlagen. Fabrizzio anderseits befürchtete, die Polizei könne dazwischenkommen, obgleich man im Gebirge, gut fünf Meilen von Bologna entfernt war. Schließlich schleuderte er seinem Gegner die gräßlichsten Beleidigungen an den Kopf. Endlich glückte es ihm, den Grafen Martinengo in Wut zu bringen. Er ergriff einen Degen und ging auf Fabrizzio los. Der Kampf begann ziemlich lässig.
Nach etlichen Minuten wurde der Zweikampf durch lauten Lärm unterbrochen. Unser Held hatte wohl erkannt, daß er sich in einen Handel einließ, der ihm zeit seines Lebens Vorwürfe oder zum mindesten verleumderische Anschuldigungen eintragen konnte. Deshalb hatte er Ludovico ausgeschickt, um Zeugen aufzutreiben. Ludovico hatte fremden Leuten, die im benachbarten Walde arbeiteten, Geld gegeben. Unter lautem Geschrei kamen sie herbeigeeilt, in der Meinung, es handle sich darum, einen Feind des Mannes zu töten, der sie bezahlt hatte. In der Herberge angekommen, ersuchte sie Ludovico, die Augen aufzusperren und genau aufzupassen, ob keiner der beiden Kämpfenden sich unehrlich benähme und sich unerlaubter Vorteile bediente.
Durch das Mordsgeschrei der Bauern unterbrochen, begann der Zweikampf langsam von neuem. Fabrizzio warf dem Grafen abermals seine Schlappheit vor.
»Herr Graf,« rief er ihm zu, »wenn man unverschämt ist, muß man tapfer sein. Ich sehe, das fällt Ihnen schwer. Lieber besolden Sie andere, die tapfer sind.«
Der gereizte Graf entgegnete ihm laut, er habe lange Zeit den Paukboden des berühmten Battistini in Neapel besucht; er werde ihm seine Unverschämtheit schon eintränken. Nun war die Wut des Grafen Martinengo entfacht, und er focht mit leidlichem Kraftaufwand. Nichtsdestoweniger brachte ihm Fabrizzio einen vorzüglich sitzenden Stich in die Brust bei, der ihn für mehrere Monate ans Bett fesselte.
Ludovico legte ihm einen Notverband an und flüsterte ihm dabei ins Ohr:
»Wenn Sie diesen Zweikampf der Polizei anzeigen, erdolche ich Sie in Ihrem Bett!«
Fabrizzio flüchtete nach Florenz. Da er sich in Bologna unauffindbar gemacht hatte, erhielt er erst jetzt alle die vorwurfsvollen Briefe der Duchezza. Sie konnte es ihm nicht verzeihen, daß er in ihr Konzert gekommen war, ohne den Versuch zu machen, mit ihr zu sprechen. Die Briefe des Grafen Mosca entzückten Fabrizzio; sie atmeten freimütige Freundschaft und die vornehmste Gesinnung. Augenscheinlich hatte Graf Mosca absichtlich nach Bologna geschrieben und dadurch etwaige Untersuchungen in der Angelegenheit des Zweikampfs gegen ihn niedergeschlagen. Die Polizei waltete rasch ihres Amtes; sie stellte fest, daß zwei Fremde, von denen nur der eine, der Verwundete, Graf Martinengo, zu ermitteln war, einen Zweikampf auf Degen gehabt hatten, dessen Zeugen dreißig Bauern gewesen waren. Zu diesen habe sich gegen Ende des Zweikampfes der Dorfpfarrer gesellt und vergebliche Versuche gemacht, die Kämpfer auseinanderzubringen. Da der Name Giuseppe Bossi bei der ganzen Angelegenheit nicht erwähnt wurde, so wagte es Fabrizzio, nach kaum acht Wochen nach Bologna zurückzukehren, mehr denn je überzeugt, sein Geschick habe ihn verdammt, das Geistige und Edle an der Liebe niemals zu erfahren. Mit wahrem Vergnügen setzte er das der Duchezza lang und breit auseinander. Seines Einsiedlerlebens war er sattsam überdrüssig und voll leidenschaftlicher Sehnsucht nach jenen entzückenden Abenden, die er ehedem mit seiner Tante und dem Grafen verbracht hatte. Seitdem hatte er die Reize der guten Gesellschaft nicht gekostet.
Er schrieb der Duchezza: ›Ich bin so mißgestimmt über die Liebe, die ich mir verschaffen wollte, und über Fausta, daß ich nun, selbst wenn mir ihre launische Gunst noch gälte, keine sieben Meilen zurücklegte, um sie beim Wort zu nehmen. Fürchte also nicht, wie Du mir schriebst, daß ich nach Paris gehe, wo sie, wie ich erfahren habe, mit Bombenerfolg auftritt. Bis ans Ende der Welt wollte ich wandern, um wieder einen Abend mit Dir und dem Grafen zu verbringen, der seinen Freunden ein so guter Helfer ist.‹