Stendhal
Die Kartause von Parma
Stendhal

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Die einzigen Augenblicke, in denen Fabrizzio seinen Gram zu überwinden vermochte, waren die, die er, hinter jenem Fenster verborgen, dessen Ölpapier er hatte durch eine Scheibe ersetzen lassen, in seinem Stübchen gegenüber dem Palazzo Contarini zubrachte, wo, wie wir wissen, Clelia ihre Zuflucht gefunden hatte. Er war ihrer nur wenige Male seit Verlassen der Zitadelle ansichtig geworden, aber jedesmal hatte ihn ihre auffällige Veränderung tief betrübt; sie schien ihm von schlimmster Vorbedeutung. Seit ihrem Fehltritt hatte ihr Gesicht einen Ausdruck von edlem, innigem Ernst angenommen. Man konnte sagen, sie sah wie dreißig Jahre alt aus. Hinter diesem merkwürdigen Wandel stand offenbar ein unerschütterlicher Entschluß.

›Ach, in allen Augenblicken ihres Lebens‹, sagte sich Fabrizzio, ›schwört sie sich, treu das Gelübde zu halten, das sie der Madonna dargebracht hat: mich nie wiederzusehen.‹

Fabrizzio erriet Clelias Qualen nur zur Hälfte. Sie wußte, daß ihr Vater, der völlig in Ungnade gefallen war, erst am Tage ihrer Hochzeit mit dem Marchese Crescenzi nach Parma zurückkehren und wieder bei Hofe erscheinen durfte, und das war für ihn Lebensbedingung. Sie schrieb ihrem Vater, daß sie zur Hochzeit bereit sei. Der General hatte sich nach Turin geflüchtet und war krank vor Kummer. Tatsächlich war es der Rückschlag dieses bedeutsamen Entschlusses, der sie zehn Jahre älter gemacht hatte.

Clelia hatte sehr wohl bemerkt, daß Fabrizzio gegenüber dem Palazzo Contarini ein Fenster inne hatte, aber sie hatte nur einmal das Unglück gehabt, ihn zu erblicken. Sobald sie nur ein Stück Kopf oder Umrisse sah, die ein wenig den seinen ähnelten, schloß sie sofort die Augen. Ihre tiefe Frömmigkeit und ihr Vertrauen auf die Madonna waren fortan ihre einzige Stütze. Zu ihrem Schmerz empfand sie vor ihrem Vater keine Achtung; der Charakter ihres künftigen Gatten erschien ihr durch und durch seicht, sein Empfinden als das eines Höflings. Und schließlich betete sie einen Mann an, den sie niemals wiedersehen durfte und der doch Rechte auf sie hatte. Diese Schicksalsverkettung kam ihr als Inbegriff des Unglücks vor, und wir müssen gestehen, daß sie sich nicht täuschte. Sie hätte nach ihrer Hochzeit tausend Meilen von Parma entfernt leben müssen.

Fabrizzio kannte Clelias tiefe Züchtigkeit; er wußte, wie sehr ihr jeder außergewöhnliche Schritt mißfallen mußte, der, wenn er bekannt wurde, sie ins Gerede bringen konnte. Trotzdem trieben ihn seine grenzenlose Schwermut und Clelias beständig von ihm abgewandte Blicke zum Äußersten. Er wagte es, zwei Diener der Gräfin Contarini, ihrer Tante, zu bestechen. Eines Tages, bei Einbruch der Nacht, fand er sich als Landmann verkleidet am Tor des Palazzos ein, wo ihn einer der bestochenen Diener erwartete. Er ließ anmelden, er käme von Turin und brächte dem gnädigen Fräulein Briefe von ihrem Vater. Der Diener richtete diese Bestellung aus und führte ihn in ein riesiges Vorzimmer im ersten Stock des Hauses. Dort verlebte Fabrizzio die vielleicht angstvollste Viertelstunde seines Lebens. Wenn Clelia ihn abwies, so gab es für ihn keine Hoffnung mehr auf Frieden. ›Um der lästigen Sorgen schnell ledig zu werden, mit denen mich meine neue Würde überhäuft, werde ich die Kirche von einem schlechten Diener befreien und meine Zuflucht unter einem angenommenen Namen in irgendeiner Kartause suchen.‹ Endlich meldete ihm der Diener, Signorina Clelia sei bereit, ihn zu empfangen. Mit einem Male fehlte unserem Helden jeglicher Mut. Er war nahe daran, vor Angst umzusinken, als er die Treppe zum zweiten Stock hinaufstieg.

Clelia saß an einem kleinen Tisch, auf dem eine einzige Kerze brannte. Kaum hatte sie Fabrizzio unter seiner Verkleidung erkannt, als sie zurückwich und sich in einem Winkel des Zimmers verbarg.

»Also so sorgen Sie für mein Seelenheil!« rief sie ihm zu und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen. »Sie wissen doch: als mein Vater wegen des Giftes dem Tode nahe war, habe ich der Madonna gelobt, Sie nie wiederzusehen. Ich habe dieses Gelübde gehalten bis auf den einen Tag, den unglücklichsten meines Lebens, an dem ich mich vor meinem Gewissen für verpflichtet hielt, Sie dem Tode zu entreißen. Es ist schon viel, wenn ich Sie in gewaltsamer und zweifellos frevelhafter Auslegung meines Schwurs jetzt anhöre.«

Über diesen letzten Satz war Fabrizzio so erstaunt, daß er einige Sekunden brauchte, ehe er sich darüber freute. Er war auf den heftigsten Zorn gefaßt gewesen und darauf, daß Clelia entfliehen werde. Schließlich fand er seine Geistesgegenwart wieder und löschte die Kerze aus. Obgleich er Clelia wohl verstanden zu haben meinte, zitterte er doch am ganzen Leibe, als er nach dem Hintergrunde des Zimmers ging, wo sie sich hinter eine Ottomane geflüchtet hatte. Er wußte nicht, ob er sie verletze, indem er ihr die Hand küßte. Sie bebte vor Liebe und warf sich ihm in die Arme.

»Mein lieber Fabrizzio!« flüsterte sie ihm zu. »Wie lange hast du gezögert, zu kommen! Ich kann dich nur einen Augenblick sprechen, denn ich begehe zweifellos eine große Sünde. Als ich gelobte, dich nie wiederzusehen, hätte ich wohl auch versprechen müssen, nicht mit dir zu reden. Aber warum hast du den Racheplan meines armen Vaters so barbarisch vergolten? Ihn hat man doch zuerst fast vergiftet, um dein Fliehen zu erleichtern! Hättest du nicht etwas für mich tun können, die ich meinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt habe, um dich zu retten? Übrigens hast du dich nun ganz an den geistlichen Beruf gekettet. Du könntest mich nicht mehr heiraten, selbst wenn ich einen Ausweg fände, diesem gräßlichen Marchese zu entrinnen. Und dann, warum hast du bei der Prozession gewagt, mich am hell-lichten Tage sehen zu wollen und in himmelschreiender Weise das heilige Gelübde zu gefährden, das ich der Madonna dargebracht habe?«

Fabrizzio drückte sie an sich, außer sich vor Überraschung und Seligkeit. Eine Unterhaltung, bei der sich beide von Anfang an so viel zu erzählen hatten, mußte lange dauern. Fabrizzio berichtete ihr den genauen Hergang der Verbannung ihres Vaters. Die Duchezza sei nicht im geringsten bei dieser Angelegenheit beteiligt, aus dem einfachen Grunde, weil sie keinen Augenblick angenommen habe, daß der Vergiftungsplan von General Conti ausgehe; sie habe nie bezweifelt, daß es ein Streich der Partei Raversi sei, um den Grafen Mosca zu stürzen. Diese lang und breit erläuterte historische Tatsache machte Clelia sehr glücklich. Sie war untröstlich, jemanden hassen zu müssen, der zu Fabrizzio gehörte. Jetzt blickte sie nicht mehr mit den Augen der Eifersucht auf die Duchezza.

Das an diesem Abend begonnene Glück währte nur wenige Tage. Der treffliche Don Cesare kam aus Turin an. Mit der Kühnheit eines grundanständigen Herzens wagte er, der Duchezza einen Besuch zu machen. Nachdem er sie um ihr Wort gebeten hatte, sein Vertrauen in keiner Weise zu mißbrauchen, gestand er ihr, sein Bruder habe, von falschen Ehrbegriffen verleitet, geglaubt, daß er durch Fabrizzios Flucht im öffentlichen Ansehen tief herabgesetzt und erledigt sei, und es für seine Pflicht gehalten, sich zu rächen.

Don Cesare hatte keine zwei Minuten gesprochen, da war seine Sache gewonnen. Seine lautere Ehrbarkeit hatte die Duchezza gerührt. Derlei war ihr etwas Ungewöhnliches; es gefiel ihr wie etwas Neues.

»Beschleunigen Sie die Hochzeit der Tochter des Generals mit dem Marchese Crescenzi, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich alles tun will, was in meiner Macht steht, damit der General empfangen wird, als käme er von einer Reise. Ich werde ihn zu Tisch einladen. Sind Sie zufrieden? Zweifellos wird er zu Anfang etwas kühl behandelt werden, und keinesfalls darf er allzu eilig um seinen alten Posten in der Zitadelle nachsuchen. Aber Sie wissen, ich halte Freundschaft mit dem Marchese, und ich werde keinen Groll gegen seinen Schwiegervater bewahren.«

Auf diese Zusagen gestützt, erklärte Don Cesare seiner Nichte, das Leben ihres Vaters ruhe in ihren Händen. Er sei krank vor Kummer. Seit mehreren Monaten habe er an keinem Hofe verkehrt.

Clelia entschloß sich, ihren Vater in seiner Verbannung zu besuchen. Er hielt sich unter einem falschen Namen in einem Dorf bei Turin auf, in dem Wahne, der Hof von Parma unterhandle mit dem von Turin wegen seiner Auslieferung, um ihn vor Gericht zu stellen. Clelia fand ihn leidend und fast geistig gestört. Am selben Abend schrieb sie an Fabrizzio einen Brief, in dem sie auf ewig mit ihm brach.

Nach Empfang dieses Briefes zog sich Fabrizzio, der ganz ähnliche Charaktereigenschaften entwickelte wie seine Geliebte, ins Kloster Velleia zurück, das zehn Meilen westlich von Parma im Gebirge liegt. Ihr Brief war zehn Seiten lang. Sie hatte ihm einst geschworen, nie ohne seine Einwilligung zu heiraten. Jetzt bat sie ihn darum, und Fabrizzio gewährte sie ihr aus der Klause seines Retiros von Velleia in einem Brief voll der reinsten Freundschaft.

Als Clelia diese Antwort erhielt, an der sie der Ausdruck Freundschaft, wie eingestanden werden muß, erzürnte, setzte sie selbst den Tag ihrer Hochzeit fest, deren Feier den Glanz noch erhöhen sollte, in dem der Hof von Parma in jenem Winter erstrahlte.

Ranuccio Ernesto V. war im Grunde geizig, aber er war bis über die Ohren verliebt und hoffte, die Duchezza an seinen Hof zu fesseln. Er bat seine Mutter, eine sehr beträchtliche Summe anzunehmen und zu Festlichkeiten zu verwenden. Die Oberhofmeisterin verstand diese Vermehrung der Mittel in bewundernswürdiger Weise auszunutzen. Die Festlichkeiten dieses Winters in Parma erinnerten an die schönen Tage des Mailänder Hofes und an den liebenswürdigen Fürsten Eugen, den Vizekönig von Italien, dessen Milde ein so nachhaltiges Andenken hinterlassen hat.

Fabrizzios Pflichten als Koadjutor riefen ihn nach Parma zurück, aber er erklärte, er wolle aus frommen Gründen sein Retiro in der kleinen Wohnung fortsetzen, die ihm sein Gönner, der Monsignore Landriani, im erzbischöflichen Palast aufgenötigt hatte. Er schloß sich dort ein; nur ein einziger Diener war um ihn. So kam es, daß er an keinem der so glänzenden Hoffeste teilnahm, ein Umstand, der ihn in Parma und in seiner künftigen Diözese in den Geruch ungeheuerer Heiligkeit brachte. Dieses Retiro hatte eine unerwartete Wirkung. Obwohl Fabrizzio lediglich aus tiefer Schwermut und Hoffnungslosigkeit ins Kloster gegangen war, wurde der gute Erzbischof Landriani, der ihn immer geliebt hatte und von dem der Gedanke, ihn zum Koadjutor zu machen, in der Tat ausgegangen war, ein wenig eifersüchtig. Der Erzbischof hielt sich klugerweise für verpflichtet, zu allen Hoffesten zu gehen, wie das in Italien Brauch ist. Bei solchen Anlässen trug er seine große Amtstracht, fast die nämliche wie beim Hochamt in seiner Kathedrale. Die Hunderte von Dienern, die in dem säulengeschmückten Vorzimmer zusammengekommen waren, unterließen es nicht, Monsignore um seinen Segen zu bitten, der dann stehen blieb und ihn gnädigst erteilte. In einem solchen Augenblick feierlicher Stille hatte Landriani jemand flüstern hören: »Unser Erzbischof geht zum Ball, und Monsignore del Dongo ist Stubenhocker geworden!«

Von da an hatte die maßlose Bevorzugung, deren sich Fabrizzio beim Erzbischof erfreut hatte, ein Ende. Aber Fabrizzio konnte auf eigenen Füßen stehen. Seine jetzige Lebensführung, die ihre Ursache, wie gesagt, in der Trostlosigkeit hatte, in die ihn Clelias Heirat versetzte, galt als Ausfluß schlichter und erhabener Frömmigkeit, und die Gläubigen lasen die Übersetzung der Familienchronik des Hauses del Dongo, aus der die tollste Eitelkeit herausschaute, wie ein Erbauungsbuch. Der Verleger veröffentlichte Sonderabzüge von Fabrizzios Bildnis, die in wenigen Tagen vergriffen waren und ganz besonders von Leuten aus dem Volke gekauft wurden. Aus Unkenntnis hatte der Zeichner Fabrizzios Bildnis mit verschiedenen Sinnbildern umgeben, wie sie nur bei Bildern von Bischöfen statthaft sind, einem Koadjutor aber nicht zukommen. Der Erzbischof sah solch ein Bild, und sein Zorn kannte keine Grenzen mehr. Er ließ Fabrizzio kommen und fuhr ihn hart an, in Ausdrücken, die aus Leidenschaftlichkeit recht grob ausfielen. Fabrizzio war es, wie man sich wohl denken kann, ein leichtes, sich so zu benehmen, wie sich Fénelon bei gleichem Anlaß benommen hätte. Er hörte den Erzbischof mit größter Demut und Ehrerbietung an, und als der Prälat mit Reden fertig war, erzählte er die ganze Geschichte von der Übersetzung der Genealogie, die zur Zeit seiner ersten Gefangenschaft auf Veranlassung des Grafen Mosca angefertigt worden war. Sie sei aus weltlichen Absichten veröffentlicht worden, die ihm für einen Mann seines Berufes recht unschicklich erschienen seien. Was das Bildnis anlange, so hätte er mit den Sonderabzügen ebensowenig zu tun wie mit dem Buche. Während seines Retiros habe ihm der Buchhändler, an das erzbischöfliche Amt gerichtet, vierundzwanzig Abzüge des Bildes übersandt. Er habe seinen Diener beauftragt, ein fünfundzwanzigstes Exemplar zu kaufen, und nachdem er auf diesem Wege erfahren habe, daß ein Bild für dreißig Sous verkauft wurde, habe er dem Verlag hundert Franken als Bezahlung für die vierundzwanzig Exemplare geschickt.

Obgleich diese Rechtfertigung von einem Manne, dem andere Dinge das Herz schwer machten, im vernünftigsten Ton vorgetragen wurde, steigerte sich die Wut des Erzbischofs ins Sinnlose. Er ging so weit, Fabrizzio Heuchelei vorzuwerfen.

›Da haben wir es: Plebejer bleiben Plebejer,‹ sagte sich Fabrizzio, ›selbst wenn sie Geist haben!‹

Er hatte damals eine viel ernstlichere Sorge. Seine Tante bestürmte ihn mit Briefen, er solle unbedingt wieder in seine Wohnung im Palazzo Sanseverina zurückkehren, zum mindesten sie öfters besuchen. Dort mußte er sicherlich von den glänzenden Festen zu hören bekommen, die der Marchese Crescenzi zu seiner Hochzeit veranstaltete. Das zu ertragen, ohne sich zu verraten, traute er sich aber nicht zu.

Als die Vermählungsfeier stattfand, beobachtete Fabrizzio bereits acht Tage strengstes Stillschweigen. Er verbot seiner Dienerschaft und den Beamten der erzbischöflichen Kanzlei, mit denen er amtlich zu tun hatte, ihn anzureden. Monsignore Landriani, dem dieser neue Snobismus zur Kenntnis gekommen war, ließ Fabrizzio viel häufiger zu sich rufen als sonst. Er suchte ihn in die langwierigsten Unterhaltungen zu ziehen; er halste ihm sogar Unterredungen mit gewissen Dorfpfarrern auf, die sich beschwert hatten, daß der Erzbischof in ihre Vorrechte eingriffe. Fabrizzio nahm alle diese Scherereien mit der vollkommenen Gleichgültigkeit eines Mannes hin, der Höherem nachgeht. ›Es wäre das klügste für mich,‹ dachte er, ›ich würde Kartäuser. In den Bergen von Velleia würde ich weniger leiden.‹

Er besuchte seine Tante; als er sie umarmte, vermochte er die Tränen nicht zurückzuhalten. Sie fand ihn sehr verändert: seine Augen, durch seine außerordentliche Magerkeit wie vergrößert, traten stark hervor; er selber hatte in seinem engen und schäbigen schlichten schwarzen Priesterrock ein so dürftiges und unglückliches Aussehen, daß die Duchezza bei diesem ersten Wiedersehen gleichfalls weinen mußte. Aber im Augenblick darauf, als sie sich sagte, daß diese ganze Veränderung des vornehmen jungen Mannes ihre Ursache in Clelias Verheiratung hatte, hegte sie Empfindungen, die an Heftigkeit beinahe denen des Erzbischofs gleichkamen, wenngleich sie sich gewandter beherrschte. Sie war grausam genug, lang und breit gewisse malerische Einzelheiten zu schildern, die den vom Marchese Crescenzi veranstalteten Festen einen besonderen Reiz gegeben hatten. Fabrizzio antwortete nicht, aber er schloß die Augen mit fast krampfhafter Bewegung und wurde – was zunächst kaum möglich schien – noch bleicher, als er schon war. Während dieses lebhaften Schmerzes nahm seine Blässe eine grünliche Färbung an.

Graf Mosca kam hinzu, und was er sah, erschien ihm kaum glaublich, aber es heilte ihn gänzlich von der Eifersucht, die Fabrizzio fortwährend in ihm erregt hatte. Mit der ihm eigenen Gewandtheit versuchte er in den feinsten und geistreichsten Wendungen, in Fabrizzio wieder etwas Teilnahme für weltliche Dinge zu erwecken. Der Graf hatte ihm allezeit viel Achtung und große Freundschaft bewiesen. Jetzt, da diese Freundschaft kein Gegengewicht mehr in der Eifersucht hatte, ward sie beinahe herzlich. ›In der Tat,‹ sagte er sich, ›er hat sein äußeres Glück teuer genug er kauft!‹ Unter dem Vorwand, ihm das Gemälde Parmigianinos zu zeigen, das der Fürst der Duchezza geschenkt hatte, nahm Mosca Fabrizzio beiseite.

»Nun, mein Freund, sprechen wir wie Männer! Kann ich Ihnen in irgend etwas zu Diensten sein? Denken Sie nicht etwa, ich sei neugierig. Brauchen Sie Geld? Brauchen Sie meinen Einfluß? Sagen Sie es! Ich stehe Ihnen zur Verfügung. Wenn Sie es mir lieber schreiben wollen, so schreiben Sie mir!«

Fabrizzio umarmte ihn zärtlich und sprach von dem Gemälde.

»Ihr Benehmen«, fuhr der Graf im Plauderton fort, »ist ein Meisterstück der feinsten Diplomatie. Sie bereiten sich eine überaus angenehme Zukunft. Der Fürst schätzt sie. Das Volk verehrt Sie. Ihr abgeschabtes schwarzes Röckchen bereitet Monsignore Landriani schlaflose Nächte. Ich habe eine gewisse Welterfahrung, aber ich kann Ihnen feierlich versichern, ich wüßte nicht, welchen Rat ich Ihnen geben sollte, um das, was ich sehe, zu vervollkommnen. Mit dem ersten Schritt in die Welt, mit fünfundzwanzig Jahren, haben Sie die Meisterschaft erlangt.

Man spricht viel von Ihnen am Hofe; und wissen Sie, welchem Umstand Sie diese in Ihrem Alter einzig dastehende Auszeichnung zu verdanken haben? Ihrem schäbigen schwarzen Röckchen. Die Duchezza und ich, wir verfügen, wie Sie wissen, über die einstige Villa des PetrarcaStendhal hat hier offenbar das Haus Petrarcas in Arqua Petrarca bei Battaglia südlich von Padua im Sinne. auf dem schönen Hügel mitten im Walde, nahe am Po. Sollten Sie je des kleinlichen neidischen Treibens der Menschen müde werden, so hoffe ich, Sie werden der Nachfolger Petrarcas. Nehmen Sie seinen Ruhm zu dem Ihrigen!«

Der Graf marterte seinen Geist, um diesem Anachoretenantlitz ein Lächeln zu entlocken, aber es gelang ihm nicht. Was die Veränderung noch merkbarer machte, das war das völlige Verschwinden gewisser Züge in Fabrizzios Gesicht, die Sinnlichkeit und Heiterkeit verraten hatten. Mosca trennte sich nicht von ihm, ohne ihm zu sagen, es könne trotz seinem Retiro als Ziererei ausgelegt werden, wenn er am nächsten Sonnabend, zum Geburtstage der Fürstinwitwe, nicht bei Hofe erschiene. Das fuhr Fabrizzio wie ein Dolchstich durchs Herz. ›Mein Gott,‹ dachte er, ›was soll ich im Schloß?‹ Nur mit Beben vermochte er an die dort mögliche Begegnung zu denken. Dieser Gedanke verschlang alle anderen. Er überlegte sich, daß die einzige Rettung, die ihm verblieb, die sei, im Schloß als erster zu erscheinen, wenn gerade die Türen geöffnet wurden.

In der Tat ward der Name des Monsignore del Dongo bei dem großen Empfang an jenem Abend als einer der ersten gemeldet. Die Fürstin empfing ihn mit huldvollster Auszeichnung. Fabrizzios Augen hafteten auf der Standuhr, und als sie die zwanzigste Minute seiner Anwesenheit in ihrem Gemach verkündete, erhob er sich, um Abschied zu nehmen, gleichzeitig trat der Fürst zu seiner Mutter in den Saal. Nachdem Fabrizzio ihm einige Augenblicke gewidmet hatte, steuerte er geschickt nach der Ausgangstür hin; doch da erreichte ihn einer jener kleinen Zufälle des Hoflebens, die die Duchezza so geschickt herbeizuführen verstand. Der diensttuende Kammerherr kam auf ihn zu und teilte ihm mit, Serenissimus habe ihn zum Whist befohlen. Das ist in Parma eine hohe Auszeichnung, weit über dem Rang, den der Koadjutor in der Hofgesellschaft einnahm. Zum Whist befohlen zu werden, war selbst für den Erzbischof eine ganz besondere Ehre. Die Mitteilung des Kammerherrn durchbohrte Fabrizzio das Herz, und sosehr er jedes öffentliche Aufsehen verabscheute, war er nahe daran, sich mit einem plötzlichen Unwohlsein zu entschuldigen, aber er bedachte, daß er damit das Opfer von Nachfragen und Kondolenzen würde, die noch viel unerträglicher waren als das Spiel. An jenem Abend war ihm das Sprechen zum Ekel.

Zum Glück befand sich unter den vielen Gästen, die erschienen waren, um der Fürstinwitwe ihre Huldigung darzubringen, ein Minoritengeneral. Dieser sehr gelehrte Mönch, ein würdiger Schüler von Fontana und DuvoisinFrancesco Ludovico Fontana (1750-1822), ein italienischer, und Jean Baptiste Baron Duvoisin (1744-1813), ein französischer Prälat., hatte sich in einen Winkel des Saales verkrochen; Fabrizzio stellte sich so vor ihm auf, daß er die Eingangstür nicht sehen konnte, und begann ein theologisches Gespräch mit dem Franziskaner. Aber er konnte es nicht verhindern, daß die Namen des Marchese und der Marchesa Crescenzi, die eben angemeldet wurden, an seine Ohren drangen. Wider Erwarten empfand Fabrizzio eine starke Zornesregung.

›Wäre ich Borso Valserra,‹ sagte er sich (das war einer der Feldherren des ersten Sforza), ›so erdolchte ich diesen Tölpel von Marchese, und zwar mit dem kleinen Dolch mit Elfenbeingriff, den mir Clelia an jenem Glückstage gegeben hat. Er sollte mir die Unverschämtheit büßen, sich mit dieser Marchesa an einem Orte zu zeigen, wo ich bin!‹

Seine Züge veränderten sich so sehr, daß der Minorit ihn fragte: »Fühlen sich Eccellenza unwohl?«

»Ich habe tolle Kopfschmerzen, – das Licht macht mich krank. – Ich bleibe nur hier, weil mich Serenissimus zum Whist befohlen hat.«

Dieser Umstand brachte den Minoriten, der bürgerlich war, derartig aus der Fassung, daß er nicht mehr wußte, was er tun solle, und sich Fabrizzio empfehlen wollte. Der aber war noch viel verlegener als der Minoritengeneral und entwickelte nun erst recht die sonderlichste Beredsamkeit. Er merkte, daß hinter ihm alles still wurde, aber er wollte sich nicht umsehen. Plötzlich ward mit einem Violinbogen auf ein Notenpult geklopft. Man spielte ein Ritornell, und die berühmte Madame PastaÜber die Beziehungen, die Beyle zu dieser berühmten Sängerin hatte – sie ist geboren 1798, gestorben 1865 in ihrer eine Stunde nördlich von Como am Ostufer des Sees gelegenen Villa Pasta –, vergleiche die häufigen Erwähnungen in Stendhals ›Autobiographie‹; ferner George Sand: Histoire de ma vie V, 3. Ihr gilt auch das ganze 35. Kapitel in Stendhals ›Vie de Rossini‹ (1824). stimmte jene damals allbekannte Arie Cimarosas an: ›Quelle pupille tenere‹.

Bei den ersten Takten beherrschte sich Fabrizzio, aber bald verrauchte sein Zorn, und er fühlte das Bedürfnis, sich recht auszuweinen. ›Mein Gott,‹ sagte er sich, ›welch lächerliche Szene, noch dazu in meiner Tracht!‹ Er hielt es für klüger, von sich zu reden.

»Wenn ich diesen fürchterlichen Kopfschmerzen Trotz biete wie heute abend,« sagte er zu dem Franziskanergeneral, »so machen sie sich in Tränenausbrüchen Luft, die einen Mann unseres Standes leicht ins Gerede bringen können. Ich bitte also Euer Hochwürden, mir zu gestatten, daß ich weine, indem ich Sie anblicke, und nicht weiter darauf zu achten.«

»Unser Provinzial in Catanzara leidet an ganz demselben Übel«, meinte der Minorit und begann im Flüsterton eine endlose Geschichte über die Abendmahlzeiten des Provinzials, die Fabrizzio ein Lächeln abnötigte, was ihm seit langem nicht geschehen war. Aber bald hörte er dem Franziskaner nicht mehr zu. Madame Pasta sang mit ihrer göttlichen Stimme eine Arie von Pergolesi. (Die Fürstin liebte altmodische Musik.) Drei Schritt weit von Fabrizzio entstand ein leises Geräusch; zum ersten Male an diesem Abend sah sich Fabrizzio um. In dem Lehnstuhl, der dieses kleine Geräusch auf dem Parkett verursacht hatte, saß die Marchesa Crescenzi. Beider Augen begegneten sich tränenschimmernd. Die Marchesa senkte den Kopf; Fabrizzios Blicke verweilten einige Sekunden auf ihr. Er betrachtete ihr diamantengeschmücktes Haupt, und seine Augen nahmen einen Ausdruck von Zorn und Verachtung an. Dann flüsterte er vor sich hin: »Und nie sollen dich meine Augen wieder anschauen!« Er wandte sich von neuem dem Franziskanergeneral zu und sagte zu ihm: »Jetzt packt mich mein Übel heftiger denn je.« Tatsächlich weinte Fabrizzio länger als eine halbe Stunde heiße Tränen. Glücklicherweise kam ihm eine Mozartsche Sinfonie, greulich entstellt wie gewöhnlich in Italien, zustatten und half sie ihm trocknen.

Er blieb standhaft und wandte seine Augen nicht mehr zur Marchesa Crescenzi. Aber Madame Pasta sang von neuem, und Fabrizzios durch die Tränen erleichterte Seele erreichte einen Zustand völligen Friedens. Nun erschien ihm das Leben in neuem Lichte. ›Bilde ich mir denn ein, sie gleich mit einem Male gänzlich vergessen zu können? Ist das auch nur möglich?‹ fragte er sich. Schließlich kam er auf folgenden Gedanken: ›Kann ich unglücklicher werden, als ich es seit zwei Monaten bin? Und wenn nichts meine Herzensqualen steigern kann, warum soll ich da dem Vergnügen widerstehen, sie anzusehen? Sie hat ihr Gelübde vergessen. Sie ist leichtsinnig. Sind das nicht alle Frauen? Aber keine macht ihr ihre himmlische Schönheit streitig. Sie hat einen Blick, der mich in Verzückung versetzt, während ich mir sonst Zwang antun muß, wenn ich Frauen anblicke, die für die allerschönsten gelten. Wohlan, warum soll ich mich nicht bezaubern lassen? Zum mindesten ist das ein Augenblick der Ruhe.‹

Fabrizzio besaß etwas Menschenkenntnis, aber keinerlei Erfahrung in Herzensangelegenheiten, sonst hätte er sich gesagt, daß die flüchtige Freude, der er nachgab, alle Anstrengungen vereitelte, die er seit zwei Monaten gemacht hatte, um Clelia zu vergessen.

Die Ärmste war zu diesem Fest nur gezwungen gekommen, weil ihr Gatte es wollte; sie hatte die Absicht, sich spätestens nach einer halben Stunde, angeblich aus Gesundheitsrücksichten, wieder zu entfernen; aber der Marchese erklärte ihr, den Wagen vorfahren zu lassen, um wieder zu gehen, wo viele Wagen erst kämen, sei ganz und gar gegen die Hofsitte und könne leicht als abfällige Kritik an dem von der Fürstin veranstalteten Fest ausgelegt werden.

»In meiner Eigenschaft als Kammerherr«, fügte der Marchese hinzu, »muß ich mich im Schloß den Befehlen der Fürstin zur Verfügung halten, bis alle Welt gegangen ist. Es könnten Anordnungen nötig werden; ja, zweifellos. Die Diener sind so nachlässig. Und wollen Sie, daß sich ein einfacher Kammerjunker diesen Ehrendienst anmaßt?«

Clelia fügte sich. Noch hatte sie Fabrizzio nicht bemerkt; sie hoffte, er sei nicht zu diesem Fest erschienen. Aber als das Konzert beginnen sollte und die Fürstin das Zeichen gegeben hatte, daß sich die Damen setzten, ließ sich Clelia, die sehr wenig Sinn für dergleichen Dinge hatte, die besseren Plätze in der Nähe der Fürstin wegnehmen, so daß sie genötigt war, sich mit einem Sessel im hinteren Teile des Saales zu begnügen, just in der abgelegenen Ecke, wohin sich Fabrizzio geflüchtet hatte.

Als sie auf ihren Stuhl zuschritt, fiel ihr die an solchem Ort sonderbare Tracht des Minoritengenerals in die Augen, und zunächst übersah sie den schmächtigen Mann im einfachen schwarzen Rock, der mit ihm im Gespräch war. Aber etwas Geheimnisvolles zog ihre Augen zu diesem Menschen. Alle Welt war hier in Uniform oder reich gestickter Gala. Wer mochte der junge Mann im schlichten schwarzen Rock sein? Sie beobachtete ihn mit reger Aufmerksamkeit, als eine Dame, die sich hinsetzte, ihren Lehnsessel geräuschvoll verschob. Fabrizzio wandte den Kopf. Clelia erkannte ihn nicht wieder, so hatte er sich verändert. Zunächst dachte sie: ›Er ist ihm sehr ähnlich. Vielleicht ist es sein älterer Bruder, aber der ist doch nur wenige Jahre älter als er, und das da ist ein Vierziger.‹ Mit einem Male erkannte sie ihn an einer Bewegung des Mundes.

›Der Unglückliche! Was mag er gelitten haben!‹ sagte sie sich und neigte das Haupt, vom Schmerz gebeugt, aber nicht, um ihrem Gelübde treu zu bleiben. Ihr Herz schmolz vor Mitleid dahin. Die neun Monate Kerker hatten bei weitem nicht so auf ihn eingewirkt. Sie blickte ihn nicht mehr an, aber ohne die Augen auf ihn hinzuwenden, beobachtete sie alle seine Bewegungen.

Nach dem Konzert sah sie, wie Fabrizzio an den Spieltisch des Fürsten herantrat, der etliche Schritte vom Throne aufgestellt war. Sie atmete auf, als Fabrizzio sich nun so weit von ihr befand. Aber der Marchese Crescenzi war beleidigt, daß seine Frau so abseits saß. Er bemühte sich mehrfach, eine Dame, die den dritten Lehnsessel neben der Fürstinwitwe inne hatte und deren Gatte ihm Geld schuldete, zum Platzwechsel mit der Marchesa zu überreden. Die Ärmste widersetzte sich dem natürlich, und Crescenzi mußte den Gatten und Schuldner holen, der seiner Ehehälfte ein ernstes Wörtchen zuflüsterte, worauf der Marchese schließlich das Vergnügen hatte, den Platzwechsel durchzusetzen. Er holte seine Frau.

»Sie sind immer allzu bescheiden«, sagte er zu ihr. »Warum gehen Sie stets mit so niedergeschlagenen Blicken? Man wird Sie für eine von den Bürgerlichen halten, die verblüfft sind, bei Hofe zu sein, und über deren Erscheinen sich jedermann aufhält. Die verrückte Oberhofmeisterin macht doch keine anderen aus ihnen! Und da spricht man vom Rückgang des Jakobinertums! Denken Sie daran, daß Ihr Gatte die erste männliche Charge im Hofstaat Ihrer Hoheit einnimmt! Und selbst wenn es den Republikanern je gelingen sollte, den Hof und selbst den Adel abzuschaffen, so bliebe Ihr Gatte immer noch der reichste Mann in diesem Lande. Das sind Grundsätze, deren Sie sich nicht genug bewußt sind.«

Der Lehnsessel, auf den seine Frau zu setzen der Marchese das Vergnügen hatte, stand nur sechs Schritt vom Spieltisch des Fürsten entfernt. Clelia konnte Fabrizzio nur von der Seite sehen, aber sie fand ihn so abgemagert, er hatte vor allem eine so gleichgültige Miene gegen alles, was sich um ihn her zutrug, er, der sonst nicht das geringste Ereignis ohne eine Bemerkung vorübergehen ließ, daß sie schließlich zu der schrecklichen Folgerung gelangte, Fabrizzio sei durch und durch anders geworden; er habe sie vergessen. Seine auffällige Magerkeit sei die Wirkung des strengen Fastens, das er sich aus Frömmigkeit auferlege. In diesem traurigen Gedanken wurde Clelia durch die Gespräche der Umsitzenden bestärkt. Der Name des Koadjutors war in aller Munde. Man zerbrach sich den Kopf über den Anlaß der ungeheueren Auszeichnung, die ihm zuteil geworden war, daß er, ein so junger Mann, zum Whist mit Serenissimus befohlen war! Man bewunderte die höfliche Gleichgültigkeit und die vornehmen Gesten, mit denen er die Karten gab, selbst wenn der Fürst abhob.

»Das ist kaum zu glauben!« zischelten alte Hofschranzen. »Das Glück seiner Tante hat ihm den Kopf gänzlich verdreht. Aber, Gott sei Dank, das wird nicht von langer Dauer sein. Unser Monarch liebt solch überlegenes Auftreten gar nicht.«

Die Duchezza näherte sich dem Fürsten. Die Kavaliere, die sich in gehöriger Entfernung vom Spieltisch hielten, so daß sie von Allerhöchstdero Gespräch nur hier und da etliche Brocken aufschnappen konnten, beobachteten wie Fabrizzio plötzlich über und über errötete. »Seine Tante wird ihm einen Rüffel erteilt haben«, tuschelte man, »wegen seines gleichgültigen Getues.« In Wirklichkeit hatte Fabrizzio Clelias Stimme vernommen. Sie war von der Fürstin, die ihre Runde durch den Saal machte, als Gemahlin ihres Kammerherrn angesprochen worden.

Am Whisttisch wurden eben die Plätze gewechselt; nun saß Fabrizzio Clelia Auge in Auge gegenüber. Hin und wieder überließ er sich dem Glück, sie zu betrachten. Die arme Marchesa, die sich von ihm beobachtet fühlte, verlor alle Fassung. Etliche Male vergaß sie ihr Gelübde; in ihrem Verlangen, zu erraten, was in seinem Herzen vorging, wandte sie ihre Augen nicht von ihm ab.

Die Whistpartie des Fürsten war zu Ende. Die Damen erhoben sich, um in den Speisesaal zu gehen. Es entstand etwas Unordnung. Fabrizzio geriet in Clelias nächste Nähe. Noch war er fest entschlossen, da merkte er das ganz schwache Parfüm, das Clelias Kleidern anhaftete. Diese Wahrnehmung warf alle seine Vorsätze über den Haufen. Er näherte sich ihr und flüsterte, als ob er leise mit sich selbst spräche, zwei Verse aus dem Sonett Petrarcas vor sich hin, das er ihr vom Lago Maggiore, auf ein seidenes Taschentuch gedruckt, zugesandt hatte:

Wie war ich glücklich damals, da die Welt Mich wähnt' im Unglück! Ach, wie hat sich doch Mein Los gewandt!

›Nein! Er hat mich kein bißchen vergessen!‹ jubelte Clelia voll Glücksüberschwang. ›Seine edle Seele ist durchaus nicht wankelmütig!‹ Und sie wagte es, zwei andere Verse Petrarcas leise zu wiederholen:

Nein, ihr seht mich niemals wankelmütig, Schöne Augen, die mich lieben lehrten!

Sofort nach dem Abendessen zog sich die Fürstin zurück. Der Fürst geleitete sie bis an ihre Gemächer und zeigte sich dann nicht wieder in den Gesellschaftsräumen. Sobald dies bekannt wurde, wollte alle Welt mit einem Male aufbrechen. In den Vorzimmern entstand ein völliges Durcheinander.Wiederum kamen Clelia und Fabrizzio einander nahe. Das tiefe Unglück, das sich in seinen Zügen widerspiegelte, stimmte Clelia mitleidig. »Vergessen wir die Vergangenheit!« flüsterte sie ihm zu. »Und nehmen Sie dieses Pfand der Freundschaft!« Mit diesen Worten hielt sie ihm ihren Fächer so hin, daß er ihn nehmen konnte.

Für Fabrizzio war die Welt mit einem Schlage ganz verändert. Er war ein neuer Mensch geworden. Bereits am anderen Tage erklärte er sein Retiro für beendet und kehrte in seine prächtige Wohnung im Palazzo Sanseverina zurück. Der Erzbischof sagte und glaubte, die Huld des Fürsten, ihn zum Spiel zu befehlen, habe dem neuen Heiligen den Kopf verdreht.

Die Duchezza erkannte, daß er mit Clelia im Einverständnis war. Diese Einsicht verdoppelte die Qualen, die ihr die Erinnerung an ein schicksalsvolles Versprechen bereitete, und bestärkte sie in ihrem Entschluß, zu verreisen. Man hielt sie für verrückt. »Wie,« hieß es, »sie will sich jetzt vom Hofe entfernen, wo sie der Gegenstand der grenzenlosesten Gunst ist?«

Der Graf, der überglücklich war, seit er genau wußte, daß zwischen Fabrizzio und der Duchezza keine Liebe bestand, sagte zu seiner Freundin:

»Der junge Fürst ist die fleischgewordene Tugend, aber ich habe ihn ›dieses Kind‹ genannt. Wird er mir das je verzeihen? Ich weiß nur ein Mittel, mich wieder völlig mit ihm zu versöhnen; es heißt: weggehen! Ich werde mich dankbarst und ehrfurchtvollst benehmen; dann melde ich mich krank und reiche meinen Abschied ein. Sie werden es mir erlauben, da Fabrizzios Glück gesichert ist. Aber werden Sie mir das Riesenopfer bringen,« fügte er lachend hinzu, »den erlauchten Titel Duchezza gegen einen anderen recht minderwertigen einzutauschen? Um einen Spaß zu haben, übergebe ich die Geschäfte in tollster Verwirrung. Fünf oder sechs gute Arbeiter in meinen verschiedenen Amtsbereichen habe ich vor zwei Monaten in den Ruhestand versetzen lassen, weil sie sich französische Zeitungen hielten. Ich habe an ihre Stelle unglaubliche Dummköpfe gesetzt.

Nach unserer Abreise wird der Fürst in solche Verlegenheit geraten, daß er sich trotz allem Abscheu vor Rassis Charakter zweifellos genötigt sehen wird, ihn zurückzurufen. Ich harre nur eines Befehls des Despoten, der über mein Schicksal entscheiden soll, um meinem Freunde Rassi einen Brief voll zärtlicher Freundschaft zu schreiben und ihm mitzuteilen, daß ich allen Anlaß hätte, zu hoffen, man werde seinen Verdiensten bald Gerechtigkeit widerfahren lassen.«


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