Robert Falcon Scott
Letzte Fahrt - Auszug
Robert Falcon Scott

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29. Die letzten Märsche

Sonntag, 18. Febr. 1912. Nach der entsetzlichen Nacht gönnten wir uns beim untern Gletscherdepot 5 Stunden Schlaf und kamen heute gegen 3 Uhr im Schlachthauslager an. Der reichliche Pferdefleischvorrat hier bot uns ein gutes Abendessen; von jetzt an brauchen wir nicht mehr so sparsam zu sein – vorausgesetzt, daß wir dauernd gute Märsche machen. Mit der reichlicheren Nahrung kehrte auch fast augenblicklich neues Leben in uns zurück; aber die Oberfläche der Barriere macht mir Sorge.

19. Febr. Es war schon über Mittag, als wir uns heute in Bewegung setzten; wir mußten den Schlitten umtauschen, den neuen, den wir im Depot gefunden, mit einem Mast usw. versehen, dazu Pferdefleisch und allerlei persönliche Habe einpacken. Die Oberfläche war so schlecht, wie ich gefürchtet hatte: weicher, sandiger Schnee, auf den die Sonne hell brannte. Nach kurzer Zeit stießen wir auf unsere alte Spur.

Aber mehr als 9 Kilometer brachten wir nicht fertig! Es war ein Ziehen wie über Wüstensand – nicht ein bißchen Gleiten. Wenn das nur nicht so weitergeht! Im übrigen haben sich unsere Verhältnisse gebessert. Unsere Schlafsäcke fangen schon an, in der Sonne zu trocknen, vor allem aber: wir haben wieder unsere vollen Rationen. Heute abend gab es eine Art Schmorbraten von Pemmikan und Pferdefleisch, das uns als das beste warme Essen auf der ganzen Schlittenreise erschien.

20. Febr. Dieselbe entsetzliche Oberfläche; 4 Stunden mühsamen Trabens während des ganzen Morgens brachten uns nach unserm Trübsallager, wo wir auf dem Hinweg den 4tägigen Aufenthalt hatten. Wir sahen uns nach mehr Ponyfleisch um, fanden aber nichts! Die Gesamtkilometerzahl des Tages ist 13, und wir haben wieder ein Wegmal hinter uns – aber es geht schrecklich langsam! Wir sind nicht mehr so leistungsfähig wie früher, und die Jahreszeit schreitet immer weiter fort.

21. Febr. Es war finster und bewölkt, als wir uns auf den Weg machten, aber sehr viel wärmer. Schreckliche Plackerei den ganzen Tag, und zeitweise verfielen wir in trübe Gedanken. Es waren Trostblicke, wenn wir auf alte Fährten und Wegmale stießen.

Hier ist nun eine kritische Stelle mit weitem Abstand zwischen den Wegmalen! Wenn wir uns auf ihr zurechtfinden, kommen wir wieder auf die regelrecht bezeichnete Straße und werden mit einem bißchen Glück auch auf ihr bleiben; aber alles hängt vom Wetter ab. Noch auf keinem Marsch haben wir 16 Kilometer mit größerer Schwierigkeit zurückgelegt als heute! So darf es nicht weitergehen!

22. Febr. Es ist eine verwünscht unglückliche Zeit, in der wir heimwärts ziehen! Der nahende Winter kann unsern Rückmarsch noch ernstlich gefährden! Heute früh wehte ein frischer Südost den Schnee vor sich her, und wir verloren sofort die schwache Spur. Ein Wegmal wollte sich auch nicht zeigen. Nachmittags änderte Bowers die Marschrichtung, weil wir zu weit nach Westen geraten seien. Die Karte zeigt, daß wir viel zu weit östlich sind! Bei klarem Wetter wäre der Fehler schnell bemerkt worden. Kann sich dasselbe Versehen nicht jeden Tag wiederholen? Eine düstere Lage!

23. Febr. Wir brachen bei Sonnenschein auf, der Wind hatte sich fast gelegt. Glücklicherweise entdeckte plötzlich Bowers mit seinen wunderbar scharfen Augen ein altes Wegmal. Am Nachmittag fanden wir ein zweites, gingen darüber hinaus und schlugen das Lager nur 4 ½ Kilometer vor dem Depot auf. Wir können es zwar noch nicht sehen, aber – gutes Wetter vorausgesetzt – es auch nicht mehr verfehlen. Daher fühlen wir uns alle ungeheuer erleichtert. Wir legten in 7 Stunden 15 Kilometer zurück, könnten also auf dieser Oberfläche 18 bis 22 marschieren. Die Aussichten sind wieder heller: von hier bis nach Hause wird keine Lücke mehr zwischen den Wegmalen sein.

24. Febr. Wunderschöner Tag – zu schön – eine Stunde nach dem Abmarsch verdarb loser Schnee die Oberfläche gänzlich! Wir erreichten das Depot am Vormittag und fanden die Vorräte in guter Ordnung, nur zu wenig Öl – wir werden sehr sparsam mit dem Brennstoff umgehen müssen. Im übrigen haben, wir heute abend Proviant auf 10 Tage für weniger als 130 Kilometer bis zum nächsten Depot. Alle Besorgnis darf also schwinden. Der arme Wilson hat einen fürchterlichen Anfall von Schneeblindheit. Wenn wir nur mehr Öl hätten!

Abends. Bin wieder ein wenig mutlos. Das war heute nachmittag eine wirklich greuliche Oberfläche, und wir legten nur 7 ½ Kilometer auf unserer Spur zurück. Wir können dies anstrengende Ziehen unmöglich fortsetzen! Das schnelle Zuendegehen dieses Sommers ist ein böses Omen! Es wird ein Wettrennen zwischen Jahreszeit und schlechtem Wetter einerseits und unserer Leistungsfähigkeit und guten Ernährung andererseits.

26. Febr. Beim Abmarsch bedeckter Himmel; trotzdem konnten wir die Spuren und das nächste Wegmal in weiter Ferne deutlich erkennen. Es ging heute ein wenig besser, wir sind 22 Kilometer vorwärts gekommen. Bowers und Wilson waren Vorspann. Es ist geradezu eine Erholung, im zweiten Glied zu ziehen und nicht auf die Spur achten zu müssen. Wir haben jetzt sehr kalte Nächte und morgens zu Anfang des Marsches immer kalte Füße, weil unsere Schuhe nachts nicht trocknen. Wir müßten noch reichlicher zu essen haben, besonders Fett! Hoffentlich finden wir 80 Kilometer weiter im nächsten Depot so viel Vorrat, daß wir mehr verbrauchen können. Und der knappe Ölvorrat macht mich auch besorgt!

27. Febr. Die letzte Nacht war verzweifelt kalt: 36°, als wir aufstanden. Wir müssen uns unbedingt reichlicher ernähren. Wir sprechen kaum noch von etwas anderm als vom Essen, nur nicht unmittelbar nach den Mahlzeiten.

Das Land verschwindet uns endlich aus dem Gesicht! Wollte Gott, daß wir keine Rückschläge mehr hätten! Wir sprechen natürlich immer über die Möglichkeit, die Hundeabteilung zu treffen. Beim nächsten Lager sind wir vielleicht schon in Sicherheit!? Bis zum Depot noch 57 Kilometer – zur Not noch 3 Tage Brennstoff und auf 6 Tage Proviant. Die Dinge fangen an, ein bißchen besser auszusehen; von morgen abend an werden wir wohl etwas mehr essen können.

28. Febr. Bei leichtem Nordwestwind traten wir heute unsern Marsch an – und bei lähmender Kälte von 35 ½°. Viel kalte Füße heute morgen; aber wir sind früher aufgebrochen und werden früher das Lager aufschlagen, so daß uns wenigstens die Möglichkeit einer guten Nachtruhe winkt. Solange wir aber das Depot nicht erreicht haben, steht es bedenklich, und je mehr ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird mir, daß es auch nach dem Eintreffen dort wohl noch so bleiben wird! Eins steht fest: der mittlere Teil der Barriere ist ein grauenvoller Ort!

29. Febr. Entsetzliche Kälte beim Aufbrechen. Wir hatten uns auf einen schauderhaften Marsch gefaßt gemacht, und anfangs wurde er auch so. Dann ging es besser, und wir kampierten nach 5 ½ Stunden dicht neben einem alten Frühstückslager. Das nächste Lager ist unser Depot, es liegt genau 24 Kilometer von hier. Nur noch ein schöner Tag! Das Öl wird eben bis dahin reichen, und wir werden dort noch mit Lebensmitteln für 3 Tage eintreffen. Die Vergrößerung unserer Ration hat eine außerordentlich wohltätige Wirkung gehabt.

1. März. Wir machten uns um 8 auf den Weg und sind bis zu einer Stelle marschiert, von wo aus wir die Depotfahne schon flattern sehen können. Gestern war es ein mörderisches Ziehen und heute noch mehr! Sonst ist das Wetter wunderbar schön, wolkenlose Tage und Nächte und unbedeutender Wind. Nur ist es unser Pech, daß dieser Wind grade aus Norden kommt und uns greulich durchkältet.

2. März. Ein Unglück kommt selten allein. Wir marschierten gestern nachmittag ziemlich bequem zum Depot, und nun haben uns drei furchtbare Schläge getroffen, die alle meine Hoffnungen über den Haufen werfen. Erstens fanden wir zu wenig Öl vor, selbst bei strengster Sparsamkeit reicht es kaum für die 131 Kilometer bis zum nächsten Depot! Dann zeigte uns Oates seine Füße: seine Zehen sind augenscheinlich erfroren. Der dritte Schlag kam in der Nacht: das Thermometer ging unter 40° hinunter, und heute morgen brauchten wir zum Wechseln unserer Fußbekleidung 1 ½ Stunden! Trotzdem machten wir uns vor 8 Uhr auf den Weg, aber wir verloren Wegmale und Spuren aus dem Gesicht. Und das Schlimmste von allem: die Oberfläche ist einfach grauenhaft! trotz des starken Windes und des gefüllten Segels haben wir nur 10 Kilometer zurückgelegt. Wir können die unbedingt nötigen Märsche nicht mehr ausführen und leiden entsetzlich unter der Kälte!


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