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Sonntag, 11. Dez. 1910. Das Eis schloß sich während der Nacht enger zusammen, und um 6 Uhr erschien jeder Versuch, vorwärts zu kommen, aussichtslos; wir ließen also das Feuer ausgehen. Die Eisfelder sind fast 1 Meter dick, sehr fest und eng aneinander gedrängt.
12. Dez. Das Packeis war heute morgen etwas lockerer und eine langgezogene Dünung deutlich bemerkbar. Die Eisfelder, die gestern fest aneinander gepreßt waren, berührten sich nur noch mit den Ecken. Um Mittag haben wir wieder angeheizt und machen gute, aber ungleichmäßige Fortschritte. Bald dünne Eisfelder, die sich leicht zerbrechen lassen, bald ältere, die uns völlig lahm legen; hin und wieder auch ein massiger aufgepreßter Eisberg.
Ich sprach heute mit Wright, einem unserer Geologen, über die merkwürdige Erscheinung, die für Polarreisen von großer Wichtigkeit ist: emporgepreßtes Meereis scheidet, wenn es vom Seewasser nicht mehr benetzt wird, sein Salz vollständig aus; durch Schmelzen kann man daraus Süßwasser zum Trinken und zum Füllen der Dampfkessel gewinnen.
13. Dez. Einen so schnellen, immerwährenden Wechsel aller Aussichten habe ich noch nie erlebt. Eisschlamm, in dem das Schiff unter vollen Segeln 7 bis 9 Kilometer in der Stunde machte, wechselte mit festem Eis, gegen das aller Kampf vergeblich war. Dann kamen offene Kanäle oder nur leicht überfrorene Rinnen, aber mit einemmal saßen wir wieder in mächtigen Feldern mit höckrigem Buchteis, das 2 bis 3 Meter über Wasser emporragte und tief hinabreichte. Schließlich konnten wir nicht mehr von der Stelle und mußten die Feuer ausgehen lassen. Was soll unter diesen Umständen aus unsern Kohlenvorräten werden?
14. Dez. Vom »Krähennest« (der Ausgucktonne) aus ist an mehreren Selten offenes Wasser zu sehen, im übrigen aber ist die Szene unverändert: ödes, hügeliges Packeis. Das Schiff dreht sich mit dem Wind, und die Eisfelder ringsum sind in langsamer, verstohlen schleichender Bewegung. Dabei haben wir prächtigsten Sonnenschein und waren alle mit Schneeschuhen auf dem Eisfeld, an dem wir uns am Morgen verankerten. Es war so heiß, daß wir ein Kleidungsstück nach dem andern ablegten und einige Zeit nackt bis zum Gürtel umherliefen.
17. Dez. Gestern morgen setzte Wind aus Nordosten ein und brachte Schnee, leichten Hagel und Regen, der bis heute währte. Es ist das erstemal, daß ich jenseits des Südpolarkreises Regen erlebe. Das Eisfeld, auf dem wir Schneeschuh liefen, hat sich zerteilt; wir zogen daher gestern die Eisanker wieder ein, und mit Hilfe der Segel drängte sich das Schiff langsam etwa 6 Kilometer vorwärts. Schließlich mußten wir aber wieder an einem ungeheuern Eisfeld anlegen, und heute haben wir uns kaum von der Stelle gerührt. Eisberge, die uns im Lauf der Woche schon alte Freunde wurden, setzen sich in Bewegung, einer hat sich genähert und uns fast umkreist. – Heute abend sahen wir den ersten Kaiserpinguin.
19. Dez. In der Nacht drängten wir uns durch einige der ungeheuersten Eisfelder, die ich je gesehen habe. Die Preßeisrücken ragten 7 Meter über Wasser empor, das Eis ging also mindestens 9 Meter in die Tiefe. Später kamen wir in lange Wasserkanäle und machten Fortschritte. Aber der Ausblick heute morgen ist der schlimmste bisher: ringsum mächtiges, aufgepreßtes Packeis, soweit das Auge reicht! Es ist wirklich Pech!
Gegen ½ 5 kamen wir an einem halben Dutzend tafelförmiger Eisberge von 5 bis 6 Meter Höhe vorüber. Jenseits dieser Berge, wurde dann gemeldet, gebe es kein offenes Wasser mehr! Was nun? Mich packte die heftigste Unruhe. Ich sah uns schon endlose Wochen im Eis gefangen und erst in weit vorgeschrittener Jahreszeit wieder frei werden. Um so erfreulicher war gegenüber dieser trübseligen Vorstellung die Wirklichkeit. Das Eis ringsum erwies sich als kaum 1 Meter dick, Wassertümpel standen darauf, und allenthalben öffneten sich Durchfahrten mit losem Packeis. Welch eine Erleichterung! Es schien mir fast wie eine Erlösung aus langer, grauenhafter Gefangenschaft.
Wir sahen heute morgen einen jungen Kaiserpinguin; als wir ihn zu fangen versuchten, tauchte ein Walfisch mit einer über 1 Meter hohen, säbelförmigen Rückenflosse dicht neben dem Schiff auf; Dr. Wilson, der Leiter des wissenschaftlichen Stabes meiner Expedition, hält ihn für eine neue Art. Am Abend beobachteten wir 2 Seeleoparden; der eine machte kurze, lässige Tauchversuche unter den Eisfeldern und hatte schöne, schlängelnde Bewegungen.
20. Dez. Das Eis hat sich abermals geschlossen, und wir haben das Feuer ausgehen lassen müssen! Die Pressungen haben sich wieder verstärkt. Eisberge waren vorige Nacht nur wenige sichtbar, aber heute erscheinen sie wieder. Meine größte Sorge sind augenblicklich die Kohlen – wir reißen entsetzliche Lücken in unsere Vorräte.
21. Dez. In der Nacht waren wir an zwei große Eisberge beängstigend nahe herangetrieben, und im Südosten schien offenes Wasser zu sein. Wir heizten deshalb an und entgingen der drohenden Gefahr. Aber jetzt sitzen wir wieder fest, und auf unserer Leeseite zeigen sich neue Eisberge. Wir dürfen daher das Feuer nicht ausgehen lassen.
Wilson versuchte auf dem Eisfeld einige Pinguine zu fangen. Er legte sich der Länge nach auf den Boden und begann zu singen, worauf die Tiere eilig auf ihn zuwatschelten; aber sobald er aufhörte, machten sie sich wieder davon. Gesang übt auf sie die größte Anziehungskraft aus, Meares mit seiner vollen Stimme lockt sie am besten.
22. Dez. Alles ist unverändert, nur haben wir das Feuer ausgehen lassen, obgleich sich Eisberge dem Schiff nähern. Wir dürfen keine Kohlen mehr vergeuden. Auch mit den Ponys geht es beständig bergab.
23. Dez. Gestern Abend gegen 10 Uhr wurde der Wind gelinder, und das Schiff drehte sich um seinen Anker. Wir setzten die Segel auf dem Fockmast und drangen ½ Kilometer nordwärts vor, aber dann war es wieder aus. Der Wind trieb uns dicht an einen großen Eisberg heran, aber mit Hilfe aller Segel bewegte sich die »Terra Nova« mit dem Packeis langsam um ihn herum. Dann ließ das Pressen des Eises nach, und wir glitten dicht neben dem Berg in offenes Wasser hinaus. Ich befahl deshalb, anzuheizen. Ob wir wohl zum Heiligen Abend aus dem Packeis heraus sind?
24. Dez. Um 4 Uhr hörten alle fahrbaren Rinnen auf, um 7 Uhr lagen wir vor dem mächtigsten Eisfeld, das wir bisher sahen, und es blieb nichts übrig, als das Feuer abermals ausgehen zu lassen.
Sonntag, 25. Dez., Weihnachten. Wir sind regelrecht gefangen und können weder unter Segel noch unter Dampf einen Schritt vorwärts. Wieder heißt es Geduld und abermals Geduld! Doch sind wir hier wenigstens in ziemlicher Sicherheit. Das Eis ist so dünn, daß sein Pressen uns nichts anhaben kann, und Eisberge sind nur in weiter Ferne zu sehen.
Trotz unserer traurigen Lage ist die Offiziersmesse zur Weihnachtsfeier mit bunten Fahnen geschmückt, und heute morgen war allgemeiner Gottesdienst, wobei die Kirchenlieder kräftig über das Eis schallten. Unser Abendessen bestand aus Tomatensuppe, gedämpfter Pinguinbrust als Vorgericht, Rinderbraten, Plumpudding, kleinen Pasteten, Spargel, dazu Champagner, Portwein und Liköre, ein wahres Festmahl. 5 Stunden lang hat die Gesellschaft unter fröhlichen Gesängen bei Tafel gesessen. Die Mannschaft hatte ihr Festessen mit ungefähr den gleichen Speisen um Mittag, aber mit Bier und etwas Whisky, und schien ebenfalls sehr vergnügt.
Heute abend setzte sich eine Skuamöwe auf den Rand einer Eisscholle, auf der sich verschiedene Pinguine zur Nachtruhe vorbereiteten. Zwischen diesen begann eine lärmende Beratung, deren Gegenstand offenbar die Möwe war. Endlich faßten sie sich ein Herz und rückten in geschlossener Reihe auf sie los. Ein paar Schritte vor ihr drückte sich der vorderste Pinguin beiseite, und so sehr die andern auch nachdrängten, scheute sich immer wieder der an der Spitze, als erster an den Feind heranzugehen. Die Möwe saß auf einem Eisblock und tat sehr gleichgültig. Als schließlich die Pinguine sich immer näher herandrängelten, flatterte sie auf die andere Seite der Angreifer. Diese machten kehrt und wiederholten ihre frühere Taktik, bis die Skua schließlich endgültig fortflog. Die schüchternen Protestbewegungen der Pinguine verrieten deutlich bestimmte Gemütszustände, die sich ohne weiteres in menschliche Empfindungen übersetzen ließen.
Auf der andern Seite des Schiffes zankten sich mehrere Pinguine um einen kleinen Eisblock, der noch dazu einen sehr unsichern Sitzplatz bot. Es war ungemein unterhaltend, wie jeder Vogel sich aufs äußerste anstrengte, den Platz zu behaupten, der eine den andern fortstieß, der glückliche Sieger, sobald er den Gipfel erklommen, sofort wieder das Gleichgewicht verlor und der Kampf aufs neue begann.
28. Dez. Wir haben gestern und heute einige Kilometer gewonnen; wir müssen der Südgrenze des Packeises ganz nahe sein; ich habe deshalb befohlen, anzuheizen.
Heute morgen tauchten um das Schiff herum und unter ihm eine Anzahl Pinguine. Der Adeliepinguin ist gar zu drollig, ob er nun schläft, zankt oder spielt, ob er neugierig, erschrocken oder böse ist; Bewunderung aber erweckt er, wenn er in 3 bis 4 Meter Tiefe pfeilschnell umherschießt, sich wie ein Delphin in die Luft schnellt oder über die gekräuselte Fläche einer Wasserrinne hinschwimmt. Seine Geschwindigkeit wird vermutlich überschätzt, aber seine Geschicklichkeit im Drehen und Wenden und seine vollkommene Herrschaft über alle Bewegungen sind eben so schön wie erstaunlich.
Blickt man über die öde Fläche des Packeises hin, so kann man sich schwer vergegenwärtigen, wieviel fruchtbares Leben unmittelbar unter seiner Oberfläche gedeiht. Das schwimmende Pflanzenleben hier ist sogar viel reicher, als in den Meeren gemäßigter oder tropischer Zonen! Ein Schleppnetz füllt sich in kurzer Zeit mit Algen. Von diesen Algen leben Tausende kleiner Krebse, die am Rand jedes Eisfeldes schwimmen. Diese Krebse sind die Nahrung der Krabbenfresser-Seehunde, Pinguine, Eissturmvögel und Schneesturmschwalben und einer Unzahl großer und kleiner Fische, die wieder die Beute der Robben und Pinguine, Raubmöwen und Sturmvögel werden. Und dann die größeren Säugetiere. Da ist zunächst der lange, geschmeidige Seeleopard, der einen Pinguin oder zwei, vielleicht sogar einen jungen Seehund im Magen hat, denn er ist mit fürchterlichen Reißzähnen bewaffnet. Der gefräßige Schwertwal zeigt sich selten im Packeis, mehr an den Küsten. Überaus zahlreich sind aber hier draußen die andern Wale, vom Riesenwal bis zum kleineren Schnabelwal und andern, noch namenlosen Arten. Welche Unmasse Nahrungsstoff ist zur Erhaltung dieser Riesen erforderlich; wie ungeheuer groß muß also in diesem Meer der Vorrat an kleinen Seetieren sein! So tobt auch unter den riesigen Eisfeldern unaufhörlich der alte Kampf ums Dasein.
29. Dez. Endlich der langersehnte Umschwung! Wir dampfen zwischen Eisfeldern von geringem Umfang. Der Übergang vollzog sich urplötzlich. Einmal hatten wir in der Nacht eine Stunde lang gar kein Eis. Heute morgen durchbrachen wir große, zusammenhängende Eisfelder, und jetzt werden die Eisschichten immer dünner und lockerer – der beste Beweis für die Nähe offenen Wassers. Nordwind hilft uns vorwärts, der Himmel ist bewölkt, und leichter Graupelregen fällt. In der letzten Nacht hatten wir Glatteis; jede Planke und jedes Tau war von einer dünnen Eisschicht überzogen. Kein Zweifel mehr; unsere Gefangenschaft geht zu Ende!