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Sonntag, 15. Jan. 1911. Ein prächtiger Ruhetag mit glänzendem Sonnenschein und ohne Wind! Wir standen erst spät auf, da das Frühstück nicht vor 9 Uhr angesetzt war. Um 10 Uhr strömten Offiziere und Matrosen vom Schiff herüber, und ich hielt am Strande unsern ersten Feldgottesdienst ab, der auf uns alle einen tiefen Eindruck machte.
Nach dem zweiten Frühstück wanderte ich mit einem Schlitten, 9 Hunden und Meares als Lenker über das Meereis nach der Hüttenspitze. Einen Weg über das Vorgebirge, der mit dickem Schnee bedeckt war, hatte Meares ausgekundschaftet, und da die Hunde gut zogen, erreichten wir in schnellem Tempo die Gletscherzunge. Als wir den Gletscher erstiegen hatten, sahen wir ein wenig rechts das alte, vom »Nimrod« auf Shackletons Expedition im Jahre 1908 angelegte Depot und gingen darauf los; es enthielt viel Preßheu und mehrere Büchsen Mais. Das offene Wasser reichte schon bis an die Gletscherzunge.
Nun fuhren wir einen bequemen Abhang hinunter, sahen uns aber durch eine 5 Meter breite Spalte abgeschnitten, mußten also den Gletscher wieder hinauf und ein paar 100 Meter nach links. Auch hier trafen wir auf eine Spalte, konnten aber an ihrem Rand entlang ziehen und hatten von da ab glatte Fahrt bis zur Hüttenspitze. Allenthalben an den Spalten lagen Hunderte von Robben.
Meine alte, im Februar 1902 erbaute Hütte fanden wir zu unserm Verdruß mit Schnee gefüllt. Shackleton erzählt, die Tür sei vom Wind gesprengt, der Eingang also verschneit gewesen und er sei durchs Fenster eingedrungen; außer ihm haben andere Mitglieder seiner Gesellschaft die Hütte als Obdach benutzt. Aber sie haben, als sie fortgingen, das erbrochene Fenster offen gelassen; infolgedessen war fast die ganze Hütte mit eishartem Schnee gefüllt. An einen Unterschlupf war nicht zu denken, und wir mußten sehen, wie wir uns einen geschützten Winkel zum Kochen unseres Kakaos zurecht machen konnten.
16. Jan. Die Nacht war unter diesen Umständen wenig erfreulich, und wir standen ziemlich spät auf. Als wir in scharfem Südostwind, aber bei hellem Sonnenschein den Hügel hinaufgingen, war mein Ärger verraucht; doch wird die Instandsetzung der Hütte eine böse Arbeit werden. Auf dem alten Beobachtungshügel, in der Schlucht, überall lag viel weniger Schnee, als ich erwartet hatte, und auf den Kraterhöhen zeigte sich ein ungeheures schneeloses Tafelland. Im Süden sahen wir jenseits der Prahmspitze, wie ehemals, die Preßeisrücken; ein neuer Rücken erstreckte sich etwa 3 Kilometer entfernt um Kap Armitage herum. Die alten Thermometerröhren guckten noch aus dem Schneehang heraus, als ob sie erst gestern hineingesteckt worden seien, und ein Kreuz, das wir damals zum Gedächtnis eines verunglückten Gefährten errichteten, hätte erst gestern aufgestellt sein können – so frisch war die Farbe und so deutlich die Inschrift.
Auf demselben Weg, den wir gekommen waren, erreichten wir um die Teestunde wieder unser Lager. Die heutige Wanderung hat mir aber doch zu denken gegeben. Wenn auch das Eis beider Buchten schon im März zufrieren mag – um diese Zeit schon Ponys hinüberzuführen, dürfte doch recht schwer werden. Wir müssen uns also darauf gefaßt machen, auf unserer Depotreise länger vom Winterquartier abgeschnitten zu werden, als ich mir gedacht hatte.
17. Jan. Heute war feierlicher Einzug in die Hütte. Wir sind alle geradezu überwältigt von ihrer praktischen Anlage und ihrer Bequemlichkeit. 14 Tage erst sind wir im McMurdo-Sund und schon so weit, daß ich ruhig die Depotreise antreten kann.
Das Eisfeld zwischen unserm Vorgebirge und dem Schiff bricht los, wunderbarerweise parallel unserm Verbindungsweg, der noch immer fest ist. Gestern konnte das Walfischboot schon dicht ans Lager heranrudern. Lange kann jedenfalls das Eis, an dem die »Terra Nova« verankert ist, nicht mehr halten. Heute trieb ein großer Eisberg nahe an ihr vorüber.
18. Jan. Wie ich voraussah: um 1 Uhr nachts begann das Eisfeld schnell zu bersten, und kaum war angeheizt, da geriet das Schiff ins Treiben. Doch konnte es sich am Morgen wieder am Eisrand festmachen. Jetzt liegt es nur 350 Meter von der Hütte entfernt. Allzusicher dürfen wir aber doch nicht sein – Überraschungen sind erfahrungsgemäß nie ausgeschlossen.
20. Jan. Unsere Hütte streckt schon nach allen Seiten ihre Glieder aus. Bowers' Anbau an der Südseite, ein Schuppen für schnell herbei zu schaffende Vorräte, Pelzsachen, überflüssige Kleidungsstücke usw., springt so weit vor, daß die Eingangshalle der Hütte dadurch Schutz erhält. Die Ställe an der Nordseite sind so gut wie fertig. Nelson hat einen kleinen Ausbau an der Ostseite und Simpson einen Vorsprung an der Südostecke. Ponting hat sich eine Dunkelkammer eingerichtet und alle Zimmermannsarbeit dazu mit staunenswerter Geschicklichkeit selbst ausgeführt. Rennick hat heute das Pianola aufgestellt, das, in einzelne Teile zerlegt, aus dem Schiff herüber gebracht wurde, obgleich es sich eigentlich nicht der Mühe verlohnt. Auch Simpsons Eisgrotte ist schon fast fertig eingerichtet, mit lichtdichter Wandbekleidung, Nischen, Fußboden und allem, was zu seiner wissenschaftlichen Arbeit gehört, und unser Biologe Atkinson hat bereits eine Entdeckung gemacht: Auf dem Vorgebirge wurde ein schon ziemlich weit in der Mauserung vorgeschrittener Kaiserpinguin gefangen, und in seinen Eingeweiden fanden sich Blasen eines Eingeweidewurms – eine Entdeckung von großer Bedeutung auf dem Gebiet der Parasitenkunde, wie Atkinson versichert.
Am 25. soll unsere Depotreise beginnen. Deckoffizier Evans setzt schon die Schlitten zusammen; Bowers sorgt für den Proviant. Schlittenanzüge, Filzstiefel und -schuhe, Sommerwindanzüge, Fausthandschuhe aus Pelz, Finnenschuhe, Pelzstiefel zum Schneeschuhlaufen und Pelzschlafsäcke sind schon ausgegeben. Die Möglichkeit, auf unserer Reise vom Winterquartier abgeschnitten zu werden, zwingt uns, ziemlich viel Lebensmittel und Futter mitzunehmen. Day hofft noch immer viel von den Motorschlitten; ich bin etwas zweifelhafter. Hunde und Ponys vertragen die Kälte gut; nur gegen den Wind sind letztere sehr empfindlich. Doch werden sie sich wohl daran gewöhnen, hat doch die Natur selbst schon dafür gesorgt, indem sie ihnen mit wunderbarer Schnelligkeit dicke Pelze wachsen läßt. Wenn wir nur die Ponys und unsere Vorräte glücklich über die Gletscherzunge hinausbringen, dann habe ich die schönsten Hoffnungen.
2l. Jan. Die Sorge um das Schiff ließ mich nicht ruhen, und als ich während der Nacht die Hütte verließ, sah ich gleich, daß es sich in übelster Lage befand. Bei anschwellendem Wind und nördlicher Dünung begann das Eis aufzubrechen, und die »Terra Nova« war völlig dem Winde preisgegeben. Zum Glück hielten noch einige Eisanker. Pennell hatte anheizen lassen, und ich weckte unsere Leute zur Hilfe. Am 6 war Dampf auf, und das Schiff bewegte sich windwärts nach Westen; fast unmittelbar hinterher trieb ein großer Eisberg heran und geriet an der Stelle, wo es noch eben gelegen hatte, auf Grund.
Nachmittags kehrte das Schiff an den nördlichen Eisrand zurück. Als ich aber nachher auf das Eisfeld hinausging, war es auf Grund geraten. Ich sandte Evans als Beobachter im Walfischboot hinaus, ließ die Eisanker einsammeln und verfolgte mit größter Spannung jede Bewegung unseres Schiffes. Wenn es zu Grunde ging oder nicht mehr nach Neuseeland zurückkehren konnte und hier 60 Menschen vergebens auf Erlösung warteten – Vorstellungen dieser Art zermarterten mein Gehirn. Mein einziger Trost war der feste Vorsatz, mich durch nichts in meiner Aufgabe irremachen zu lassen.
Da begann sich das Schiff langsam zu drehen. Ich sah die Matrosen von der einen Seite zur andern laufen, um es abzubringen, und durch das Seitwärtsrollen verstärkte sich die Drehbewegung. Dann saß es abermals fest. Bange Minuten vergingen – die Maschine arbeitete immerfort rückwärts. Endlich wieder eine leichte Bewegung! Ein Hurra an Bord und ein noch lauteres aus dem Walfischboot – die »Terra Nova«, an deren glücklicher Heimkehr unser aller Schicksal hing, war wieder flott! Jetzt liegt sie sicher verankert am Rand des nördlichen Eises.
24. Jan. Morgen soll nun unsere Wanderung beginnen. Wir sind im ganzen 12 Mann: Atkinson und Crean, Leutnant Evans, Forde und Keohane, Meares, Wilson und ich; schließlich Bowers, Oates, Cherry-Garrard und Gran. Dazu 8 Ponys und 26 Hunde. Lebensmittel, Futter und Brennstoff habe ich auf 14 Wochen berechnet. Dazu die Schlitten mit Geschirr, Riemen und Wasserbehälter, Zelt mit Stangen, Seile, Öl, Spirituskocher und Primusofen, Schlafsäcke, Schneeschuhe, Werkzeuge, die Reserveausrüstung an Kleidern usw. – alles in allem eine Last, mit der Ponys und Hunde ihre Arbeit haben werden.
26. Jan. Der letzte Tag auf der »Terra Nova«. Gestern begab ich mich mit einem Hundegespann aufs Schiff. Die Fahrt ging soweit ganz gut, bis die Hunde in einer 9 Meter breiten Spalte einen Walfisch erblickten und sofort darauf los stürmten! Es gelang uns nur noch eben, sie zum Stehen zu bringen, ehe sie das Wasser erreichten. Den Tag verbrachte ich mit Briefschreiben und Anordnungen für das Schiff.
Heute nachmittag um 5 Uhr begaben wir uns alle hinaus, um endgültig aufzubrechen. Kurz vorher hatte Pennell die Mannschaft auf dem Achterdeck antreten lassen, und ich dankte ihnen allen für ihre tüchtigen Leistungen. Sie haben sich sämtlich als tapfere Kerle benommen, eine prächtigere Gesellschaft ist nie zusammen in einem Schiff gesegelt. Schließlich galt es Abschied zu nehmen von all den guten Kameraden, von Campbell und seinen Leuten. Gott schütze sie – und uns!