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Montag, 6. März 1911. Als wir Freitag abend mit dem Aufrichten unseres Zeltes beschäftigt waren, sah ich 4 Gestalten auf uns zukommen. Es waren Evans, Atkinson, Forde und Keohane mit seinem Pony, alle wohlauf. Als sie am Montag, vom Ecklager mir folgend, auf offenes Wasser stießen, waren sie wieder umgekehrt, hatten sich unterhalb des Burgfelsens auf festes Land gerettet und auf der Höhe einen guten Lagerplatz gefunden. Mir fiel ein Stein vom Kerzen, als ich hörte, daß ein gangbarer Weg dort hinaufführe. Nachher kehrten sie wieder in ihr Lager zurück.
Gestern morgen begab sich Atkinson nach der Hüttenspitze, um Wilson von unserer Ankunft zu benachrichtigen. Evans kam uns mit seinen Leuten entgegen und war uns bei dem Aufstieg zu seinem Lager behilflich. Oates führte unsern Pony ohne große Schwierigkeit hinauf, und als wir oben frühstückten, kam Atkinson bereits von der Hüttenspitze zurück, und mit ihm Gran, den er auf halbem Weg getroffen hatte. Gran schickte ich zum Sicherheitslager Zucker und Schokolade holen, ließ dann Evans, Oates und Keohane zurück und zog mit den andern 6 nach der Hüttenspitze.
Hier verbrachten wir die Nacht. Wilson, Gran und Meares hatten sich notdürftig eingerichtet. Mit Holz und Zündhölzern waren sie mehr als sparsam umgegangen; sie konnten ja nicht wissen, ob Bowers' Gepäck gerettet worden war; es enthielt die Vorräte, von denen unter Umständen 12 Personen 2 Monate lang leben mußten. So hatten sie täglich nur 1 Stunde zum Kochen geheizt; dabei besaßen sie nur 2 Schlafsäcke, mußten also abwechselnd schlafen und zitterten nachts vor Kälte. Einen Teil der Hunde hatten sie aus der Schlucht glücklich heraufgeschafft.
Am andern Morgen brachte Evans unser übriges Gepäck, und Oates und Keohane führten die beiden Ponys. Nachher holten wir den Rest der Hunde und erreichten alle wohlbehalten die Hütte. Da ich Leute und Tiere in Sicherheit wußte, konnte ich diese Nacht wieder einmal in Ruhe schlafen.
9. März. Als ich Dienstag mit Wilson zur Prahmspitze hinüberging, war das Meereis der Prahmspitzenbucht nicht fortgetrieben. Es wimmelte von Seehunden; wir erlegten einen und kamen mit einer stattlichen Beute Fleisch und Speck zurück. Unterdes hatten die übrigen mit Einrichten der Hütte Fortschritte gemacht. Wir haben ein großes L-förmiges inneres Gemach mit Packkisten abgestellt und die Lücken zwischen den Kisten mit Filzdecken verstopft. Aus einer Petroleumkanne und einigen Schamottesteinen bauten wir einen kleinen Ofen, der an das alte Ofenrohr paßte. Auf ihm kochen wir unsere Mahlzeiten, während wir Tee oder Kakao auf einem Primuskocher bereiten. Der Ofen fraß aber so viel Feuerung, daß er gleich in einen Speckofen verwandelt werden mußte. Die Temperatur in der Hütte ist natürlich niedrig. Im übrigen haben wir es ganz behaglich. Schiffszwieback ist in unbegrenzter Menge vorhanden, Kakao, Kaffee und Tee ziemlich viel, Salz und Zucker werden ausreichen. Die Robben an der Prahmspitze müssen uns mit Fleisch versorgen – Schiffszwieback in Robbenspeck gebraten, schmeckt sogar köstlich – , und ein kleines Lager von Delikatessen, wie Schokolade, Linsen, Rosinen, Hafermehl, Sardinen und Marmelade, wird einige Abwechslung in unsere Küche bringen.
13. März. Unser Speckofen macht uns Verdruß. Er raucht so, daß wir alle schwarz werden wie Schornsteinfeger. Die Rückkehr nach Kap Evans steht noch in weiter Ferne, unser ganzes Denken konzentriert sich daher auf den Ofen, die Kocherei und die verschiedenen häuslichen Arbeiten. Die Hütte stinkt greulich nach Tran und Speck.
16. März. Es weht unausgesetzt aus Süden; ich kann mich nicht erinnern, je einen so hartnäckigen Südwind hier erlebt zu haben. Alle Tage ging ich zum Kraterhügel hinauf voll Furcht, unser Eisfeld an der Prahmspitze werde wegtreiben. Dann wäre es aus mit unsern Seehundsbraten. Einstweilen ist es noch da; wir machten gestern große Jagd auf Seehunde, erlegten 11 Stück und schleppten 5 Zentner Speck und Fleisch zur Hütte hinauf.
21. März. Die See tost und brandet unaufhörlich auf dem Eisfuß; das Spritzwasser ging gestern direkt über die Hüttenspitze weg, setzte alle Sachen draußen unter Wasser und regnete uns aufs Dach. Seit unserer Ankunft ist das der dritte Südsturm – eine durchaus ungewöhnliche Erscheinung. Der Eisfuß an der Südwestecke der Bucht ist abgebrochen, so daß das nackte Gestein zum erstenmal zutage tritt. Auch unsere Robbenscholle ist leider fortgetrieben.
24. März . Wir haben unsere Lebensmittel gezählt und uns auf weitere 20 Tage Hierbleiben eingerichtet. Ja, das Glück lächelt mir nicht gerade! Aber es könnte noch schlimmer stehen. Wäre ich nur nicht des Wartens so überdrüssig! Und wäre nicht das ewige Grübeln über das Unheil, das unsere Transportmittel getroffen hat! Mein ursprünglicher Marschplan muß völlig geändert werden! – Auch im Winterquartier werde ich vor Ungeduld vergehen. Bis an den Pol ist noch ein weiter, weiter Weg!
Sonntag, 26. März. Morgen in 8 Tagen wollte ich wieder in Kap Evans sein! Aber das Eis macht noch keine Miene, fest zu werden. Südlich von der Hüttenspitze hat es sich gehalten, aber nach Norden, also gerade in unserer Richtung, hat es sich auf 1 1/2 Kilometer weit geöffnet. Recht verdrießlich!
28. März. Langsam, langsam friert das Meer zu! Es sollte mich nicht wundern, wenn wir bis zum Mai warten müßten! Doch wir haben zu leben, und das ist schon etwas. Eine Woche lang können wir uns noch allerhand leisten, dann werden wir allerdings mit den »Delikatessen« sparsamer umgehen müssen. Aber Robbenfleisch, Speck und Schiffszwieback reichen noch lange. Heute tauchten dicht neben der Hüttenspitze zwei Finnwale auf. Obgleich das Eis nirgends dick ist, schwammen sie doch zum Atemholen immer nach den offenen Rinnen und dünnen Stellen.
Sonntag, 2. April. In der Nacht hatten wir ein wunderbares Südlicht. Ein breites Lichtband zog sich von Südsüdwest nach Ostnordost über den Himmel, mit zwei flimmernden Spiralen 10° vom Zenit entfernt. Die tiefste Temperatur betrug in der Nacht 21° unter 0, und das Meer war heute morgen nach Norden hin mit Eis bedeckt. Bis nach Kap Evans bildet es jetzt schon eine zusammenhängende Straße, nur ist es bis zur Gletscherzunge noch sehr dünn. Ein paar windstille Tage, und wir wären erlöst!
5. April. Heute morgen ist überall Eis; ich denke, jetzt wird es liegen bleiben. Zum erstenmal seit vielen Tagen endlich wieder Sonnenschein! Wenn dies Wetter nur einen Tag hält, bin ich aus all meinen Sorgen heraus. Es wird Zeit aufzubrechen; Zucker haben wir fast gar nicht mehr. Die Robben kommen jetzt häufig in unsere Bucht hinein; gestern abend fünf. Die Hunde haben glücklicherweise nichts von ihnen gemerkt, auch sind sie noch nicht dahinter gekommen, daß das Eis sie schon tragen kann.
7. April. Als ich heute nordwärts über das Eis ging, stellte ich fest, daß es überall etwa 13 Zentimeter dick war, ausgenommen in den Wasserrinnen, die vielfach ganz offen waren. Je weiter ich vom Land abkam, um so eigenartiger wurde die Eisfläche; sie zeigte kleine, eierkuchenartige Eisscheiben, die kreuz und quer übereinandergeschoben und zu einer Art Mosaik emporgepreßt waren. Soweit wäre für unsere morgige Heimreise alles in Ordnung; aber heute abend überzieht sich der Himmel so dunkel, daß ein Wetterumschlag zu befürchten steht. Mehr als 3 schöne Tage hintereinander scheint es hier unten nicht zu geben. In unserer Hütte ist es unterdes so behaglich geworden, daß wir fast ungern von ihr fortziehen.