Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LXIX

Dulce domum

Der Eindruck des Entsetzens, mit welchem Waverley Carlisle verließ, milderte sich endlich zur Melancholie, und diese Milderung wurde durch die peinliche und doch beruhigende Aufgabe beschleunigt, an Rosa zu schreiben. Während er seine eigenen Gefühle über das Unglück nicht unterdrücken konnte, war er bemüht, es in einem Lichte zu zeigen, welches ihre Theilnahme erregen mußte, ohne ihre Vorstellung schmerzlich zu berühren. Das Bild, das er ihretwegen entwarf, nahm er allmählich auch in sein eigenes Gemüth auf, und seine nächsten Briefe wurden heiterer und bezogen sich auf die Aussichten des Friedens und Glückes, die vor ihnen lagen. Aber obgleich seine ersten Gefühle zur sanften Melancholie geworden waren, erreichte Edward seine Heimat doch, ehe er, wie sonst gewöhnlich, Erheiterung aus dem Antlitze der Natur zu finden vermochte.

Zum ersten Male, seitdem er Edinburg verließ, begann er jetzt das Vergnügen zu empfinden, welches beinahe alle fühlen, die von Scenen der Oede, der Verheerung, oder einsamer und melancholischer Größe zu einer üppig grünen, bevölkerten und reich kultivirten Gegend zurückkehren. Aber wie steigerten sich diese Gefühle, als er die Besitzung betrat, die seit so langen Jahren Eigenthum seiner Vorfahren gewesen war, als er die alten Eichen des Waverley-Geheges wieder erkannte, als er daran dachte, mit welchem Entzücken er Rosa an alle seine Lieblingsorte führen würde, als er endlich die Thürme der ehrwürdigen Halle über die Bäume, von denen sie umgeben war, emporsteigen sah, als er sich zuletzt in die Arme seiner ehrwürdigen Verwandten warf, denen er so viel Liebe und Dankbarkeit schuldete.

Das Glück ihres Wiedersehens wurde durch kein einziges Wort des Vorwurfs getrübt. Im Gegentheil, welche Schmerzen Sir Everard und Mrs. Rahel auch während Waverleys Unternehmung mit dem jungen Chevalier gefühlt haben mochten, stimmte dieselbe doch zu sehr zu den Grundsätzen, in denen sie erzogen waren, als daß sie zu Vorwürfen oder auch nur zu Tadel geneigt gewesen wären. Oberst Talbut hatte den Weg zu Edwards günstigem Empfange gleichfalls mit großer Geschicklichkeit geebnet, indem er seinen Muth und besonders sein tapferes großmüthiges Benehmen bei Preston mit vieler Wärme schilderte, bis endlich, bei dem Gedanken, daß ihr Neffe bei einem Einzelkampfe einen so ausgezeichneten Offizier, wie den Obersten, selbst zum Gefangenen gemacht und vor der Niedermetzelung bewahrt hatte, die Einbildungskraft des Baronets und seiner Schwester die Thaten Edwards denen eines Wilibert, Hildebrand und Nigel, der gerühmten Helden ihres Stammes, gleichstellte.

Das Aeußere Waverleys, den die Sonne gebräunt, und dem die Gewohnheit militärischer Disciplin eine würdevolle Haltung verliehen hatte, war jetzt von kräftigem und kühnem Charakter, der nicht nur die Schilderung des Obersten zur Wahrheit stempelte, sondern auch alle Bewohner von Waverley-Hall überraschte und entzückte. Sie drängten sich herbei ihn zu sehen, zu hören und ihn zu preisen. Herr Pembroke, der insgeheim seinen Muth rühmte, weil er die erhabene Sache der Kirche von England vertheidigte, machte nichtsdestoweniger seinem Zöglinge freundliche Vorwürfe darüber, daß er mit seinen Manuskripten sorglos umgegangen war, woraus ihm in der That einige Uebelstände erwuchsen, denn als der Baronet durch königliche Beamte verhaftet wurde, hatte er es für klug gehalten, sich in ein Versteck zurückzuziehen, das nach dem Gebrauche, zu dem es in früheren Zeiten gedient hatte, das Priesterloch genannt wurde. Hierher, versicherte er unsern Helden, hätte der Haushofmeister oft nur einmal Nahrung zu bringen gewagt, so daß er mehrmals gezwungen gewesen wäre, kalte Speisen zu sich zu nehmen, oder, was noch schlimmer wäre, halbwarme, nicht zu erwähnen, daß sein Bett oft zwei Tage hintereinander nicht gemacht worden wäre. Waverleys Gedanken wendeten sich unwillkürlich auf das Patmos des Barons von Bradwardine, der mit Janets Kost und mit einigen Bündeln Stroh in einer Sandsteinhöhle wohl zufrieden war, aber er machte keine Bemerkungen über diesen Gegensatz, der seinen würdigen Lehrer nur verletzen konnte.

Alles war jetzt geschäftig bei den Vorbereitungen zu Edwards Heirat, ein Ereigniß, dem der gute alte Baronet und Mrs. Rahel wie der Erneuerung ihrer eigenen Jugend entgegensahen. Die Heirat schien, wie Oberst Talbot angedeutet hatte, beiden in hohem Grade erwünscht, da sie alles für sich hatte, außer Reichthum, und davon besaßen sie für sich selbst mehr als genug. Herr Clippurse wurde daher unter besseren Aussichten nach Waverley-Haus beschieden als im Beginn unserer Geschichte. Aber Herr Clippurse kam nicht allein, denn da er jetzt in hohem Alter stand, hatte er sich mit einem Neffen vereinigt, und beide führten jetzt das Geschäft als die Herren Clippurse und Hookem. Diese würdigen Herren erhielten den Auftrag, alle nöthigen Anstalten auf das glänzendste zu treffen, als ob Edward eine Pairstochter heiraten sollte.

Der Tag seiner Verheiratung war auf den sechsten nach seiner Ankunft festgesetzt. Der Baron von Bradwardine, für den Hochzeiten und Kindtaufen und Begräbnisse Feste von hoher und feierlicher Wichtigkeit waren, fühlte sich etwas gekränkt, daß mit Inbegriff der Familie Duchran und der ganzen Nachbarschaft, die Anspruch darauf hatte, bei einer solchen Gelegenheit gegenwärtig zu sein, nur dreißig Personen zusammenkamen. Als er heiratete, bemerkte er, waren 300 Pferde geborner Edelleute, außer den Dienern und einigen Dutzend Hochlandslairds, die nie ein Pferd bestiegen, anwesend.

Aber sein Stolz fand einigen Trost darin, daß er und sein Schwiegersohn so kürzlich gegen die Regierung in Waffen gestanden hatten, und daß es daher als eine Veranlassung zur Besorgniß und als Beleidigung der herrschenden Macht betrachtet werden konnte, wenn sie alle Verwandten und Angehörigen ihrer Häuser mit kriegerischem Gefolge, wie es sonst bei solchen Gelegenheiten in Schottland üblich war, einlüden. »Und ohne Zweifel,« schloß er mit einem Seufzer, »sind viele von denen, die sich außerdem an dieser fröhlichen Hochzeit ergötzt haben würden, entweder zu einem bessern Orte eingegangen, oder aus ihrem Vaterlande verbannt.«

Die Hochzeit fand an dem bestimmten Tage statt, der ehrwürdige Herr Rubrick, ein Verwandter des gastlichen Hauses, in dem sie gefeiert wurde, hatte die Genugthuung, die Hände des Brautpaares in einander zu legen. Frank Stanley war Brautführer, zu welchem Zwecke er wenig Tage nach Edwards Ankunft eintraf. Lady Emily und Oberst Talbot wollten auch zugegen sein, aber als der Tag der Abreise kam, war Lady Emilys Gesundheit dazu nicht stark genug. Als Ersatz dafür wurde verabredet, daß Edward Waverley und seine Gattin, die in Begleitung des Barons sogleich eine Reise nach Waverley-Haus unternehmen wollten, auf ihrem Wege dahin einige Tage auf einer Besitzung zubringen sollten, welche Oberst Talbot in Schottland gekauft hätte, und wo er sich einige Zeit aufzuhalten gedächte.


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