Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XXXIX.

Eine alte und eine neue Bekanntschaft.

Während er in seine Träumereien noch tief versunken war, hörte er das Rauschen eines Plaids hinter sich, ein Arm umschloß ihn, und eine befreundete Stimme rief: »Sprach der Hochlandsprophet wahr, oder gilt das zweite Gesicht gar nichts?«

Waverley wendete sich um, und Fergus Mac-Ivor umarmte ihn herzlich, »Tausendmal willkommen in Holyrood,« rief er, »das abermals im Besitze seiner rechtmäßigen Herrscher ist! Sagte ich nicht, daß wir glücklich sein, und Ihr in die Hände der Philister fallen würdet, wenn Ihr uns verließet?« »Theurer Fergus!« sagte Waverley, den Gruß feurig erwidernd. »Es ist lange her, seit ich eines Freundes Stimme hörte. – Wo ist Flora?«

»In Sicherheit, und triumphirende Zuschauerin unseres Erfolges.«

»Hier?« fragte Waverley.

»Ja, wenigstens in dieser Stadt,« antwortete sein Freund; »und Ihr sollt sie sehen, aber vorher müßt Ihr einen Freund begrüßen, an den Ihr gar nicht denkt, und der sich oft nach Euch erkundigt hat,«

Mit diesen Worten zog er Waverley am Arme aus dem Vorzimmer, und ehe er noch wußte, wohin er geführt wurde, erblickte sich Edward in einem Empfangzimmer, dessen Ausschmückung königliche Pracht nachzuahmen versuchte.

Ein junger Mann, der sein eigenes schönes Haar trug, und sich durch die Würde seines Aeußern, sowie durch den edlen Ausdruck seiner wohlgeformten und regelmäßigen Züge auszeichnete, trat aus einem Kreise von Offizieren und Hochlandshäuptlingen, von denen er umringt war, hervor. Waverley glaubte später, daß er an seinem leichten und anmuthigen Benehmen dessen hohe Geburt und ausgezeichneten Rang erkannt haben würde, waren auch der Stern auf der Brust und das gestickte Band um das Knie keine äußeren Zeichen davon gewesen.

»Erlauben mir Ew. königliche Hoheit,« sagte Fergus, indem er sich tief verbeugte, »Ihnen« –

»Den Abkömmling einer der ältesten und treuesten Familien in England vorzustellen?« sagte der junge Chevalier, ihn unterbrechend. »Ich bitte Sie um Verzeihung, mein theurer Mac-Ivor, daß ich Sie unterbreche, aber es bedarf keines Ceremonienmeisters zu der Vorstellung eines Waverley vor einem Stuart.«

Mit diesen Worten reichte er Edward die Hand mit einer solchen Freundlichkeit, daß dieser, hätte er auch gewollt, es nicht vermocht hätte, ihm die Huldigung zu versagen, die seinem Range zu gebühren schien, sicher aber ein Recht seiner Geburt war. »Ich erfahre mit Betrübniß, Herr Waverley,« fuhr der Prinz fort, »daß Sie infolge von Umständen, die mir bisher nur mangelhaft auseinander gesetzt wurden, unter meinen Anhängern in Perthshire und während Ihres Marsches einigen Zwang zu erdulden hatten; aber wir befinden uns in einer solchen Lage, daß wir unsere Freunde kaum kennen, und selbst jetzt weiß ich noch nicht, ob ich das Vergnügen haben kann, Herrn Waverley als einen der Meinigen zu betrachten.«

Er hielt hierauf einen Augenblick inne, aber ehe noch Edward eine angemessene Antwort geben oder auch nur seine Gedanken dazu ordnen konnte, zog der Prinz ein Papier aus der Tasche und fuhr dann fort: »Ich sollte in der That kaum daran zweifeln, dürfte ich dieser Proklamation trauen, welche von den Freunden des Kurfürsten von Hannover erlassen wurde, und in der sie Herrn Waverley unter den Edlen nennen, welche mit der Strafe des Hochverraths bedroht werden wegen treuer Anhänglichkeit für ihren angebornen Herrscher. Aber ich wünsche nur durch Zuneigung und Ueberzeugung Anhänger zu gewinnen, und wenn Herr Waverley geneigt ist, seine Reise nach dem Süden fortzusetzen, oder zu den Truppen des Kurfürsten von Hannover zu stoßen, so soll er dazu von mir einen Paß und freie Erlaubniß erhalten; ich kann jedoch nur bedauern, daß meine gegenwärtige Macht nicht hinreicht, ihn gegen die wahrscheinlichen Folgen eines solchen Schrittes zu schützen. – Wenn aber,« fuhr Karl Eduard nach einer abermaligen kurzen Pause fort, »Herr Waverley, gleich seinem Vorfahren, Sir Nigel, geneigt sein sollte, eine Sache zu ergreifen, die sich durch wenig mehr als ihre Gerechtigkeit empfiehlt, und einem Prinzen zu folgen, der sich auf die Anhänglichkeit seines Volkes verläßt, um den Thron seiner Väter wieder zu gewinnen, oder, indem er es versucht, unterzugehen, so kann ich nur sagen, daß er unter diesen Großen und Edlen würdige Theilnehmer einer muthigen Unternehmung finden und einem Gebieter folgen wird, der wohl unglücklich sein kann, aber nie undankbar sein wird.«

Der politische Häuptling des Stammes Ivor kannte seinen Vortheil wohl, als er Waverley so zu einem persönlichen Zusammentreffen mit dem königlichen Abenteurer geleitete. Nicht gewohnt an die Manieren und das Wesen der Höfe war das Herz unseres Helden von den artigen und freundlichen Worten des Prinzen so eingenommen, daß dies jede Rücksicht der Klugheit aufwog. So persönlich um seinen Beistand durch einen Prinzen ersucht zu werden, dessen Formen und Benehmen seinen Begriffen von einem kühnen Romanhelden entsprachen; von ihm in den alten Hallen seines väterlichen Palastes empfangen zu werden, den er durch sein Schwert wieder gewonnen hatte, welches er zu neuen Eroberungen zu ziehen bereit war, das gab Edward in seinen eigenen Augen die Würde und Wichtigkeit wieder, die er beinahe als verloren betrachtet hatte. Auf der einen Seite verworfen, verfolgt, bedroht, wurde er unwiderstehlich zu der Sache hingerissen, welche die Vorurtheile der Erziehung und Familiengrundsätze ihm bereits als die gerechteste dargestellt hatten. Diese Gedanken ergossen sich über sein Gemüth gleich einem Strome und rissen jede entgegenstehende Rücksicht mit sich fort; die Zeit erlaubte überdies kein Besinnen, und so kniete denn Waverley vor Karl Eduard nieder und gelobte sein Herz und sein Schwert der Wiedergewinnung seiner Rechte.

Der Prinz hob Waverley vom Boden auf und umarmte ihn mit einem Ausdrucke des Dankes, der zu warm war, um nicht aufrichtig zu sein. Er dankte auch Fergus Mac-Ivor wiederholt dafür, ihm einen solchen Anhänger zugeführt zu haben, alsdann stellte er Waverley den verschiedenen Edelleuten, Häuptlingen und Offizieren, die seine Person umgaben, als einen jungen Edelmann von den höchsten Hoffnungen und Aussichten vor, in dessen kühnem und enthusiastischem Geständnisse sie in dieser wichtigen Krisis einen Beweis für die Gefühle der englischen Familien von Rang erblicken möchten. In der That war gerade dies ein Punkt, den die Anhänger des Hauses Stuart sehr bezweifelten, und da der wohlbegründete Unglaube an die Mitwirkung der englischen Jakobiten manchen Schotten von Rang von den Fahnen Eduards fern hielt und den Muth derer schwächte, die zu ihm gestoßen waren, konnte für den Ritter nichts erwünschter sein, als die offene Erklärung zu seinen Gunsten von Seiten eines Repräsentanten des Hauses Waverley, welches so lange als ritterlich und royalistisch gesinnt bekannt gewesen war. Das hatte Fergus von allem Anfange vorausgesehen. Er liebte Waverley wirklich, weil ihre Gefühle und Pläne einander nie durchkreuzten, er hoffte, ihn mit Flora vereinigt zu sehen, und er freute sich, daß beide zu einer und derselben Sache verbunden waren. Wie wir aber früher andeuteten, triumphirte er auch als Politiker, da er seiner Partei einen Anhänger von solcher Wichtigkeit geworben hatte, und war weit entfernt, unempfindlich gegen die persönliche Wichtigkeit zu sein, welche er bei dem Prinzen dadurch gewann, daß er ihm durch diese Erwerbung materiell so genutzt hatte.

Karl Eduard seinerseits schien seiner Umgebung das Gewicht zeigen zu wollen, welches er auf seinen neuen Anhänger legte, indem er auf die Umstände seiner Lage sogleich wie in vertraulichem Gespräch einging,

»Herr Waverley, Sie sind aus Ursachen, von denen ich nur unvollkommen unterrichtet bin, so sehr von allen Nachrichten abgeschnitten gewesen, daß ich vermuthe, Sie sind selbst mit den wichtigsten Einzelnheiten meiner gegenwärtigen Lage noch unbekannt. Sie werden indeß von meiner Landung in dem fernen Distrikt Moidart mit nur sieben Begleitern gehört haben, sowie von den vielen Häuptlingen und Clans, deren enthusiastische Treue einen einzelnen Abenteurer schnell an die Spitze einer ritterlichen Armee stellte. Sie werden, wie ich glaube, auch erfahren haben, daß der Höchstkommandirende des Kurfürsten von Hannover, Sir John Cope, an der Spitze einer zahlreichen und wohlgerüsteten Armee in das Hochland mit der Absicht einrückte, uns eine Schlacht zu liefern, daß ihm aber der Muth dazu gebrach, als wir noch drei Tagemärsche weit von einander entfernt waren, und daß er endlich, uns entschlüpfend, gegen Aberdeen marschirte, indem er das Tiefland offen und unvertheidigt ließ. Um eine so günstige Gelegenheit nicht zu verlieren, rückte ich gegen diese Hauptstadt vor und trieb die beiden Kavallerieregimenter Gardiner und Hamilton, welche gedroht hatten, jeden Hochländer, der sich über Stirling hinaus wagen würde, in Stücke zu hauen, vor mir her. Während der Magistrat und die Bürgerschaft von Edinburg sich dann darüber stritten, ob sie sich vertheidigen oder ergeben sollten, ersparte mein Freund Lochiel, hier legte er die Hand auf die Schulter dieses tapfern Häuptlings, ihnen die Mühe weiterer Berathung, indem er mit 500 Cameronmännern in die Stadt einzog. So weit ist also die Sache gut gegangen, doch während dessen scheinen sich die Nerven der Generals durch die frische Luft in Aberdeen gestärkt zu haben; er schiffte sich nach Dunbar ein, und ich habe eben bestimmte Nachricht erhalten, daß er gestern dort landete. Seine Absicht muß unstreitbar die sein, gegen uns zu marschiren, um die Hauptstadt wieder in seinen Besitz zu bekommen. Nun gibt es in unserm Kriegsrath zwei Meinungen: die eine behauptet, da wir wahrscheinlich an Zahl und ganz gewiß an Disciplin und militärischer Ausrüstung dem Feinde nachstehen, unsern gänzlichen Mangel an Artillerie und die Schwäche unserer Kavallerie nicht zu erwähnen, daß es das Sicherste sein würde, uns gegen die Berge zurückzuziehen, und dort den Krieg in die Länge zu ziehen, bis frische Verstärkungen aus Frankreich einträfen, und die gesammten Hochland-Clans die Waffen zu unsern Gunsten ergriffen haben würden. Dagegen machen die Andersdenkenden geltend, daß eine rückgängige Bewegung in unserer Lage unsere Waffen und unser Unternehmen herabsetzen würde, und weit entfernt, uns neue Anhänger zu gewinnen, im Gegentheil die entmuthigen müßte, die bereits zu unseren Fahnen gestoßen wären. Die Offiziere, welche dieser letzten Meinung sind, und unter denen sich auch Ihr Freund Fergus Mac-Ivor befindet, behaupten, wenn den Hochländern die gewöhnliche militärische Disciplin Europas fremd wäre, so wäre den Soldaten, mit welchen sie zusammentreffen sollen, die eigentümliche und ungestüme Art ihres Angriffes nicht minder fremd, die Anhänglichkeit und der Muth der Häuptlinge ließen keinen Zweifel zu, und wenn diese sich in die Mitte des Feindes stürzten, würden ihre Clansleute ihnen sicher folgen; schließlich, da wir einmal das Schwert gezogen hätten, sollten wir die Scheide von uns werfen und unsere Sache der Schlacht und dem Gott der Schlachten anheimstellen. Will Herr Waverley uns seine Meinung in dieser Sache mittheilen?«

Waverley erröthete vor Freude und Bescheidenheit über die Auszeichnung, die in dieser Frage lag, und antwortete mit eben so viel Geist als Promptheit, daß er nicht wagen könnte, eine Meinung auszusprechen, die aus militärischer Tüchtigkeit entspränge, daß ihm aber der Rath bei weitem der annehmbarste sei, der ihm die erste Gelegenheit böte, seinen Eifer für den Dienst Sr. königlichen Hoheit zu zeigen.

»Gesprochen wie ein Waverley,« antwortete Karl Eduard; »und damit Sie einen Rang einnehmen, der mit Ihrem Namen übereinstimmt, erlauben Sie mir, statt des Kapitänpatentes, das Sie verloren haben, Ihnen das Patent eines Majors in meinem Dienste zu ertheilen, mit dem Vorzüge, mein Adjutant zu sein, bis Sie einem von den Regimentern zugetheilt werden können, von denen, wie ich hoffe, bald mehrere organisirt werden sollen.«

»Ew. königliche Hoheit mögen mir verzeihen,« antwortete Waverley, denn er erinnerte sich an Balmawhapple und dessen geringe Schwadron, »wenn ich die Annahme irgend eines Ranges ablehne, bis ich genug Einfluß besitze, selbst eine hinlängliche Zahl von Leuten zu stellen, um mein Kommando für den Dienst Ew. königl. Hoheit nützlich zu machen. Inzwischen bitte ich um Ihre Erlaubniß, als Freiwilliger unter meinem Freunde Fergus Mac-Ivor dienen zu dürfen.«

»Wenigstens,« sagte der Prinz, dem dieser Vorschlag offenbar zusagte, »gönnen Sie mir die Freude, Sie nach Hochlandsweise zu bewaffnen.« Mit diesen Worten koppelte er das Schwert los, welches er trug, dessen Gefäß mit Silber plattirt, und dessen stählerner Korb reich und schön ausgelegt war. »Die Klinge,« sagte der Prinz, »ist ein echter Andrea Ferrara, sie ist ein Erbtheil meiner Familie, aber ich bin überzeugt, daß ich sie in bessere Hände lege, als meine eigenen sind, und ich werde ein paar Pistolen von derselben Arbeit hinzufügen. Oberst Mac-Ivor, Sie werden Ihrem Freunde viel zu sagen haben, ich will Sie Ihrer besondern Unterhaltung nicht länger entziehen, aber erinnern Sie sich, daß wir Sie heute Abend beide erwarten. Es ist vielleicht die letzte Nacht, die wir in diesen Hallen zubringen, und da wir mit reinem Gewissen in das Feld rücken, wollen wir den Vorabend der Schlacht hier, verleben.« So entlassen, verließen der Häuptling und Waverley das Audienzzimmer.


 << zurück weiter >>