Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LIII

Unbeständigkeit

»Ich bin das wahre Kind der Laune,« sagte Waverley zu sich selbst, als er die Thür seines Zimmers hinter sich verriegelte und mit hastigen Schritten auf und nieder ging. »Was kümmert es mich, daß Fergus Mac-Ivor Miß Rosa Bradwardine zu heiraten wünscht? – Ich liebe sie nicht, ich hätte vielleicht ihre Liebe gewonnen, aber ich verwarf ihre einfache, natürliche, innige Anhänglichkeit, statt sie durch Freundlichkeit bis zur Zärtlichkeit zu steigern, und ich widmete mich einem Wesen, das nie einen sterblichen Mann lieben wird, der alte Warwick, der Königsmacher, müßte denn von den Todten erstehen. Auch der Baron – ich hätte mich um seine Güter nicht gekümmert, und so wäre denn der Name kein Stein des Anstoßes gewesen. Der Teufel hätte die öden Moräste nehmen und die königlichen caligae ausziehen mögen, ich hätte mich nicht deshalb bemüht. Aber, geschaffen wie sie ist für häusliche Neigung und Zärtlichkeit, die denen das Leben versüßt, die es zusammen hinbringen, wird sie von Fergus Mac-Ivor gesucht. Er wird sie nicht schlecht behandeln, dazu ist er unfähig, aber er wird sie nach dem ersten Monat vernachlässigen, er wird zu sehr damit beschäftigt sein, einen Häuptling, der so mächtig sein will wie er, zu unterwerfen, oder einen Günstling bei Hofe zu stürzen, oder irgend einen waldigen Berg oder See zu gewinnen, oder seiner Bande einige neue Cateranshaufen zu erwerben, um viel danach zu fragen, was sie macht oder wie sie sich unterhält.

Dann wird der Sorge Gift die Knospe nagen,
Dann von der Wang die holde Schönheit scheuchen,
Dann wird sie blicken wie ein Geist, hohläugig,
Dann schwach und mager wie in Fieberhitze,
Dann wird sie sterben.

Und ein solches Geschick des lieblichsten Geschöpfes auf Erden hätte verhindert werden können, wenn Edward Waverley seine Augen offen gehabt hätte! – Auf mein Wort, ich kann nicht begreifen, weshalb ich Flora so hübsch, d. h. so viel hübscher als Rosa fand. Sie ist in der That größer und ihr Wesen bestimmter, aber viele finden Miß Bradwardine natürlicher, gewiß ist sie viel jünger. Ich dächte auch, Flora wäre zwei Jahre älter als ich selbst. Ich will diesen Abend beide genau betrachten.«

Mit diesem Entschlusse ging Waverley zum Thee in das Haus einer Dame von Rang, die der Sache des Chevalier zugethan war. Hier fand er, wie er erwartet hatte, die beiden jungen Mädchen. Alle standen auf, als er eintrat, aber Flora setzte sich sogleich wieder und fuhr in ihrer Unterhaltung fort. Rosa dagegen machte in dem dichten Kreise eine beinahe unmerkliche Bewegung, so daß er sich der Ecke ihres Stuhles nähern konnte. – »Ihr Wesen,« sagte Waverley bei sich selbst, »ist im ganzen recht zuvorkommend.«

Es entstand ein Streit, ob die gälische oder die italienische Sprache am fließendsten oder für die Poesie am geeignetsten sei. Das Gälische, welches wahrscheinlich anderwärts keine Verteidigung gefunden hätte, wurde hier tapfer durch sieben Hochlandsdamen vertreten, welche mit der ganzen Kraft ihrer Lungen sprachen und die Gesellschaft halb taub schrieen. Flora, welche bemerkte, daß die Damen des Tieflandes lächelten, führte einige Gründe dafür an, daß der Vergleich durchaus nicht abgeschmackt sei. Als Rosa um ihre Meinung befragt wurde, sprach sie sich lebhaft für das Italienische aus, das sie mit Waverleys Hilfe erlernt hatte. »Sie hat ein gebildeteres Ohr als Flora, wenn sie ihr auch in der Musik etwas nachsteht,« sagte Waverley bei sich selbst. »Ich glaube, Miß Mac-Ivor wird nächstens Mac-Murrough nan Fonn mit Ariost vergleichen.«

Zuletzt wollte die Gesellschaft darüber entscheiden, ob Fergus auf der Flöte spielen, oder Waverley aufgefordert werden sollte, ein Stück von Shakespeare vorzulesen. Die Frau vom Hause übernahm es mit freundlicher Laune, die Stimmen zu sammeln, unter der Bedingung, daß derjenige der beiden Herren, dessen Talent für diesen Abend nicht in Anspruch genommen würde, den nächsten damit erheitern sollte. Es traf sich zufällig, daß Rosa die entscheidende Stimme hatte. Flora, welche es sich zur Regel gemacht zu haben schien, nie etwas zu thun, was Waverley ermuthigen konnte, stimmte für Musik, vorausgesetzt, daß der Baron seine Violine nähme, um Fergus zu begleiten. – »Ich wünsche Euch viel Freude an Eurem Geschmack, Miß Mac-Ivor,« sagte Edward zu sich selbst, während man nach seinem Buche suchte. »Als wir in Glennaquoich waren, hielt ich ihn für besser, aber sicher ist der Baron kein ausgezeichneter Violinspieler, und Shakespeare es wohl werth, daß man ihn anhört.«

Romeo und Julia wurden gewählt, und Edward las mit Geschmack, Gefühl und Geist einige Scenen daraus vor. Die ganze Gesellschaft klatschte Beifall und vielen stand eine Thräne im Auge. Flora, der das Drama wohlbekannt war, befand sich unter den ersteren, Rosa, der es ganz neu war, unter den letzteren. »Sie hat auch mehr Gefühl,« dachte Waverley.

Das Gespräch wendete sich nun auf die Handlung und auf die Charaktere, und Fergus erklärte, der einzige, der ein Mann von Welt und Geist genannt zu werden verdiene, sei Mercutio. »Ich konnte,« sagte er, »nicht all seinem altmodischen Witze folgen, aber nach den Begriffen seiner Zeit muß er ein sehr netter Bursche gewesen sein.«

»Und es ist eine Schande,« sagte Fähnrich Maccombich, der seinem Herrn gewöhnlich überall hin folgte, »daß der Tibbert, oder Taggart, oder wie er heißt, ihn unter dem Arme des andern Edelmannes hindurch ersticht, während er den Kampf schlichtete.«

Die Damen erklärten sich offen für Romeo, doch ging diese Meinung nicht unangefochten durch. Die Herrin vom Hause und mehrere andere Damen tadelten besonders den Leichtsinn, mit dem er seine Neigung von Rosalinde auf Julia überträgt. Flora schwieg, bis man sie wiederholt um ihre Meinung fragte, dann sagte sie, nach ihrer Ansicht wäre die Schilderung nicht nur mit der Natur verträglich, sondern bewiese sogar im höchsten Grade die Kunst des Dichters. »Romeo,« sagte sie, wird wie ein junger Mann geschildert, welcher für zartere Leidenschaften besonders empfänglich ist, seine Liebe fiel zuerst auf ein Mädchen, das sie nicht erwidern konnte, das erzählt er uns wiederholt:

Von Amors schwachem kind'schem Joch verschont;

und dann wieder:

– die Liebe hatte sie verschworen.

Nun war es unmöglich, daß Romeos Liebe, vorausgesetzt, daß man ihn für ein vernünftiges Wesen ansieht, ohne Hoffnung fortbestehen konnte; der Dichter hat deshalb mit großer Kunst den Augenblick ergriffen, der ihn zur Verzweiflung trieb, um ihm einen Gegenstand in den Weg zu führen, der vollkommener ist als die, welche ihn verwarf, und der geneigt ist, seine Liebe zu vergelten. Ich kann mir kaum eine Lage denken, die mehr geeignet wäre, die Glut von Romeos Neigung für Julien zu zeigen, als daß er aus dem Zustande trüber Melancholie, in welchem er in der ersten Scene erscheint, in die exaltirte Stimmung versetzt wird, in welcher er ausruft:

– – Nah' Kummer noch so schwer,
Er wiegt nicht auf die Freude und das Glück
Darf ich nur einen Augenblick sie sehn.«

»Ei, Miß Mac-Ivor,« sagte eine junge Dame von Rang, »Sie wollen uns doch nicht unseres Vorrechtes berauben? Wollen Sie uns überreden, die Liebe könnte nicht ohne Hoffnung leben, oder der Liebhaber müßte unbeständig werden, wenn seine Dame grausam ist? Ich hätte einen so wenig gefühlvollen Schluß nicht erwartet.«

»Ein Liebhaber, meine theure Lady Betty,« sagte Flora, »setzt, wie ich glaube, seine Bewerbungen unter sehr entmutigenden Umstanden fort. Die Neigung kann dann und wann sehr heftigen Stürmen der strengen Zurückhaltung widerstehen, doch nicht einer langen Polarkälte offenbarer Gleichgültigkeit. Liebe kann von wunderbar wenig Hoffnung leben, doch nicht ganz ohne dieselbe.«

»Das ist gerade wie bei Duncan Mac-Girdies Pferd,« sagte Evan, »mit der Lady Erlaubniß. Er wollte es allmählich daran gewöhnen, ohne Futter zu leben, und eben als er es bis auf einen Strohhalm täglich herabgebracht hatte, krepirte es.«

Bei dieser Illustration Evans brach die Gesellschaft in ein schallendes Gelächter aus, und das Gespräch nahm eine andere Wendung. Bald darauf brachen die Gäste auf, und während Edward nach Haus zurückkehrte, dachte er über das nach, was Flora gesagt hatte. »Ich will meine Rosalinde nicht mehr lieben,« sagte er, »sie hat mir einen zu deutlichen Wink gegeben, und ich will mit ihrem Bruder sprechen und meine Bewerbung zurücknehmen. Aber was Julien angeht – wäre es hübsch, seinen Bewerbungen in den Weg zu treten, obgleich sie aussichtslos sind? Und sollten sie mißglücken, was dann? – Je nun, alors comme alors

Mit diesem Entschlusse, der Gelegenheit zu vertrauen, begab sich unser Held zur Ruhe.


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