Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel XXXVII.

Ein nächtliches Abenteuer.

Es entstand eine augenblickliche Stille, als alle die Hütte verlassen hatten, und der Hochländer, welcher das Kommando übernahm, und der nach Waverleys erwachender Erinnerung dieselbe hohe Gestalt zu sein schien, die als Lieutenant Donald Bean Leans handelte, gebot durch Flüstern und Zeichen das tiefste Schweigen, Er übergab Edward ein Schwert und ein Pistol, deutete die Schlucht hinauf und indem er die Hand auf den Griff seines eigenen Schwertes legte, gab er ihm zu verstehen, daß sie sich vielleicht den Durchweg würden erzwingen müssen. Er stellte sich hierauf an die Spitze des Zuges, welcher den Fußpfad nach Sitte der Indianer, d. h. einer hinter dem andern, dahinschritt, wobei Waverley zunächst hinter dem Führer ging. Dieser schritt sehr vorsichtig weiter, als wollte er jedes Geräusch vermeiden, und hielt an, als er den Saum der Höhe erreichte, Waverley erkannte bald den Grund hiervon, denn in nicht großer Entfernung hörte er eine englische Schildwache rufen: »Alles gut«. Der Nachtwind trug den lauten Ruf durch das waldige Thal und das Echo beantwortete ihn. Ein zweites, drittes und viertes Mal wurde der Ruf, schwächer und schwächer, in größerer und größerer Entfernung wiederholt. Offenbar stand eine Abtheilung Soldaten nahe und war wachsam, doch nicht hinreichend, um Leute zu entdecken, die in jeder Kunst des Kleinkrieges so erfahren waren.

Als diese Laute in der Stille der Nacht verstummt waren, beschleunigten die Hochländer ihren Marsch, doch mit Vorsicht und Schweigen. Waverley hatte wenig Zeit und in der That auch wenig Lust zur Beobachtung und konnte kaum bemerken, daß sie in einiger Entfernung vor einem großen Gebäude vorübergingen, in dessen Fenstern noch ein oder zwei Lichter flimmerten. Etwas weiter hin schnüffelte der Hochländer den Wind ein wie ein Spürhund, und gab dann seinen Leuten ein Zeichen, wieder zu halten. Er legte sich nieder auf die Hände, dicht in seinen Plaid gehüllt, so daß er von dem Haidegrunde, auf dem er sich bewegte, kaum zu unterscheiden war, und kroch in dieser Stellung vorwärts, um zu rekognosziren. Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und entließ seine Begleiter bis auf einen, und nachdem er Waverley zu verstehen gegeben hatte, daß er seine Vorsicht nachahmen müßte, krochen alle drei auf Händen und Knieen weiter.

Nachdem sie eine bedeutende Strecke auf diese unbequeme Weise zum Nachtheil für Waverleys Kniee und Schienbeine zurückgelegt hatten, roch dieser Rauch, welchen die schärferen Geruchsorgane seines Führers wahrscheinlich schon viel eher bemerkt hatten. Er stieg von der Ecke eines niedrigen halbverfallenen Schafpferches auf, dessen Wände, wie es in Schottland gebräuchlich ist, von losen Steinen aufgeführt waren. Dicht an dieser niedrigen Mauer führte der Hochländer unsern Waverley hin, und wahrscheinlich, um ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen, vielleicht auch, um ihm einen glänzenden Begriff von seiner eigenen Gewandtheit beizubringen, deutete er ihm durch Zeichen und Beispiel an, daß er den Kopf in die Höhe heben und über die Mauer in den Pferch blicken möchte, Waverley that dies und erblickte einen Außenposten von vier bis fünf Soldaten, die um das Wachtfeuer lagen. Alle schliefen, ausgenommen die Schildwache, welche auf- und niederschritt, auf der Schulter die Muskete, die roth in dem Lichte des Feuers glänzte, wenn sie vor demselben vorbeikam; häufig sah sie nach dem Theile des Himmels, an dem der Mond, der bisher durch Wolken verdeckt war, erscheinen sollte.

Nach einer oder zwei Minuten erhob sich ein heftiger Wind, trieb die Wolken vor sich her, die den Horizont umzogen hatten, und das Mondlicht ergoß sich voll über eine weite offene Haide, die mit Unterholz und verkrüppelten Bäumen in der Richtung bewachsen war, woher sie kamen, aber dem Blicke der Schildwache gänzlich frei lag in der, nach welcher hin sie krochen. Die Mauer des Pferchs verbarg sie freilich, so lange sie lagen, aber jedes Vordringen darüber hinaus schien ohne gewisse Entdeckung unmöglich.

Der Hochländer blickte zu dem blauen Gewölbe hinauf, aber weit entfernt, das nützliche Licht zu segnen, stieß er einen gälischen Fluch gegen den unzeitigen Glanz von Mac-Farlanes buat, d. h, Laterne, aus. Er blickte einige Minuten unruhig umher und faßte dann einen Entschluß. Seinen Gefährten bei Waverley lassend, nachdem er diesem angedeutet hatte, ruhig zu bleiben, und nachdem er seinem Kameraden kurze Weisungen zugeflüstert hatte, zog er sich, begünstigt durch die Unebenheit des Bodens, in der Richtung und auf dieselbe Weise, wie er gekommen war, zurück. Edward sah ihm nach und konnte bemerken, wie er mit der Gewandtheit eines Indianers auf allen Vieren kroch und dabei jeden noch so kleinen Busch, jede Erhöhung benutzte, um der Entdeckung zu entgehen; über die ausgesetzteren Stellen seines Weges schlüpfte er nie anders, als wenn die Schildwache ihm den Rücken zuwendete. Endlich erreichte er das Dickicht des Unterholzes, welches sich bis zum Rande des Thales erstreckte, dessen Bewohner Waverley so lange gewesen war. Hier verschwand er, doch nur für wenige Minuten, denn plötzlich trat er an einer andern Stelle wieder hervor, ging kühn vorwärts, als fordere er die Entdeckung heraus, zielte auf die Schildwache und feuerte. Eine Wunde im Arm war eine unangenehme Unterbrechung für des armen Burschen Himmelsbeobachtungen, sowie für die lustige Melodie, die er grade pfiff. Er erwiderte den Schuß, doch ohne zu treffen, und seine Kameraden, die erschrocken aufgesprungen waren, eilten nach dem Orte, von wo der erste Schuß gekommen war. Der Hochländer zeigte sich ihnen in voller Gestalt und tauchte dann ins Dickicht.

Während die Soldaten die Ursache der Störung in der einen Richtung verfolgten, eilte Waverley, den Wink seines übrig gebliebenen Begleiters befolgend, so schnell als möglich in derjenigen vorwärts, die sie ursprünglich eingeschlagen hatten, und die jetzt, wo die Aufmerksamkeit der Soldaten auf eine andere Weise in Anspruch genommen war, unbeobachtet und unbewacht blieb. Als sie ungefähr eine Viertelmeile weit gelaufen waren, schützte sie der Saum einer Höhe, die sie erstiegen, vor der Gefahr der Entdeckung. Aber noch immer hörten sie in der Entfernung das Geschrei der Soldaten, die einander auf der Haide zuriefen, sowie das Rasseln einer Trommel, die in derselben Richtung Allarm schlug. Indessen ertönten diese feindlichen Klänge jetzt weit hinter ihrem Rücken und erstarben endlich gänzlich, als sie rasch vorwärts schritten.

Nachdem sie eine halbe Stunde weit durch eine offene öde Gegend gegangen waren, kamen sie zu dem Rumpfe einer alten Eiche, die, nach ihren Ueberbleibseln zu urtheilen, ein Baum von bedeutendem Umfange gewesen zu sein schien. In einer unfern gelegenen Höhle fanden sie mehrere Hochländer mit ein paar Pferden. Sie waren erst wenige Minuten mit ihnen zusammen, als Duncan Duroch, ihr voriger Führer, selbst erschien, zwar außer Athem und mit allen Zeichen, daß er für sein Leben gelaufen war, aber lachend und sehr vergnügt über das Gelingen der List, durch die er seine Verfolger getäuscht hatte. Waverley sah leicht ein, daß das Verdienst des Bergbewohners dabei in der That nicht groß war, denn er kannte die Gegend genau und verfolgte seinen Weg mit einer Sicherheit und Zuversicht, wie sie seinen Verfolgern durchaus fehlte. Der Allarm schien noch immer fortzudauern, denn dann und wann hörte man in großer Entfernung einzelne Schüsse, durch welche die Heiterkeit Duncans und seiner Kameraden nicht wenig erhöht wurde.

Der Hochländer nahm jetzt die Waffen zurück, die er unserm Helden anvertraut hatte, indem er ihm zu verstehen gab, daß die Gefahr der Reise glücklich überstanden wäre. Unserm Waverley wurde hierauf eines der Pferde angeboten, ein Tausch, der ihm nach den Anstrengungen dieser Nacht und seiner unlängst überstandenen Krankheit sehr annehmbar vorkam. Sein Mantelsack wurde auf ein anderes Pferd gelegt, Duncan bestieg ein drittes, und, begleitet von ihrer Eskorte, verfolgten sie in scharfem Trabe ihren Weg. Kein anderes Ereigniß bezeichnete die Reise dieser Nacht, und mit Tagesanbruch erreichten sie die Ufer eines reißenden Flusses. Die Gegend wurde auf einmal fruchtbar und romantisch. Die steilen waldbewachsenen Ufer waren von Kornfeldern unterbrochen, welche dies Jahr eine reiche, dem Schnitte nahe Ernte boten.

Am entgegengesetzten Ufer des Flusses, und von einer Windung desselben beinahe umgeben, stand ein großes festes Schloß, dessen halb verfallene Thürme schon in den ersten Strahlen der Sonne funkelten. Es hatte die Gestalt eines länglichen Vierecks und war groß genug, um im Innern einen geräumigen Hof einzuschließen. Die Thürme an jeder Ecke waren höher als die Mauern, und wurden wieder von Thürmchen überragt, die in Höhe und Bauart von einander abwichen. Auf einem dieser letztern stand eine Schildwache, deren Mütze und der im Winde flatternde Plaid einen Hochländer erkennen ließen, wie auch eine große weiße Fahne, die auf einem andern Thurme wehte, ankündigte, daß die aufrührerischen Anhänger des Hauses Stuart die Garnison des Schlosses bildeten.

Die kleine Abtheilung ritt schnell durch ein unbedeutendes Dorf, in welchem ihr Erscheinen weder Ueberraschung noch Neugier erregte, kam dann über eine alte schmale Brücke, und links in eine große Allee von Sykomoren einbiegend, erblickte sich Waverley dem finstern, doch malerischen Gebäude gegenüber, das er aus der Ferne bewundert hatte. Ein schweres eisernes Gitterthor, welches die äußerste Schutzwehr bildete, war bereits zu ihrem Empfange geöffnet worden, und ein zweites schweres Eichenthor, dicht mit eisernen Nägeln beschlagen, ließ sie in den Hofraum ein. Ein Edelman in Hochlandstracht, eine weiße Kokarde an der Mütze, half Waverley vom Pferde, und hieß ihn mit vieler Artigkeit in dem Schlosse willkommen.

Nachdem der Gouverneur, denn so müssen wir ihn nennen, Waverley nach einem kleinen halbverfallenen Stübchen mit einem Feldbett geführt hatte, bot er ihm jede Erfrischung an, die er verlangen würde, und wollte sich entfernen.

»Wollt Ihr Eure Artigkeiten nicht noch dadurch erhöhen,« sagte Waverley, »daß Ihr die Güte habt, mir zu sagen, wo ich bin, und ob ich mich als Gefangenen betrachten muß?«

»Ich darf in dieser Beziehung nicht so ausführlich sein, wie ich wünschte. Ihr seid, um es kurz zu sagen, in dem Schlosse Doune, im Distrikt Menteith, und in durchaus keiner Gefahr.«

»Und wer bürgt mir dafür?«

»Das Ehrenwort Donald Stuarts, des Garnison-Gouverneurs und Oberstlieutenants im Dienste Sr. königlichen Hoheit des Prinzen Karl Eduard.« Mit diesen Worten verließ er hastig das Gemach, als wünsche er ein weiteres Gespräch zu vermeiden.

Erschöpft durch die Anstrengungen der Nacht warf unser Held sich auf das Bett und lag nach einigen Minuten in festem Schlafe.


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