Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel V.

Abschied von Waverley.

Es war gegen den Abend dieses denkwürdigen Sonntags, als Sir Everard in die Bibliothek trat, wo er unsern jungen Helden vermuthete. »Neffe,« sagte er, und dann, als wollte er sich verbessern, »mein lieber Edward, es ist Gottes Wille und auch der Wille Deines Vaters, daß Du uns verlassen sollst, um das Waffenhandwerk zu ergreifen, in welchem so viele Deiner Vorfahren sich ausgezeichnet haben. Ich habe Anordnungen getroffen, die Dich in den Stand setzen, in das Feld als ihr Abkömmling zu ziehen, und als der muthmaßliche Erbe des Hauses Waverley, und, Sir, auf dem Schlachtfelde werdet Ihr Euch daran erinnern, welchen Namen Ihr tragt. Und, Edward, mein lieber Junge, erinnere Dich auch daran, daß Du der letzte des Stammes bist, und daß die einzige Hoffnung seines Wiederaufblühens auf Dir ruht; deshalb vermeide, so weit Pflicht und Ehre es erlauben, die Gefahr – ich meine die unnöthige Gefahr – und halte keine Gemeinschaft mit Schurken, Spielern und Whigs, von denen, wie zu fürchten steht, nur zu viele in dem Dienste sind, in den Du eintrittst. Dein Oberst ist, wie ich gehört habe, ein vortrefflicher Mann, denn er ist ein Presbyterianer; erinnere Dich an Deine Pflichten gegen Gott, gegen die Kirche von England und den« – diese Lücke sollte der Rubrik nach mit dem Worte König ausgefüllt werden – »die Kirche von England und alle eingesetzten Behörden.«

Er traute sich hiernach keine weitere Leistung zu und führte den Neffen hinab in den Stall, um ihm die zu seiner Ausrüstung bestimmten Pferde zu zeigen. Zwei waren schwarz, die Regimentsfarbe, beides ausgezeichnete Streitrosse, die drei andern waren tüchtige schnelle Pferde, zum Reisen und für seine Bedienten bestimmt, von denen zwei ihn vom Schlosse aus begleiten sollten, ein Stallknecht konnte, wenn es nöthig war, noch in Schottland gemiethet werden.

»Du wirst,« sagte der Baronet, »mit einem geringeren Gefolge aufbrechen als Sir Hildebrand, der vor dem Schloßthore einen stärkeren Reiterhaufen musterte als Dein ganzes Regiment. Ich würde gewünscht haben, daß die zwanzig jungen Burschen von meinen Gütern, die in Dein Regiment eintreten, Dich auf Deiner Reise nach Schottland begleiteten. Das wäre doch wenigstens etwas gewesen, aber man sagte mir, ihre Begleitung würde in diesen Tagen für ungebräuchlich gehalten werden, wo jede neue und thörichte Mode eingeführt wird, um die natürliche Abhängigkeit des Volkes von seinem Grundbesitzer zu zerreißen.«

Sir Everard hatte sein Bestes gethan, diese unnatürliche Stimmung der Zeit zu verbessern, denn er verstärkte das Band der Anhänglichkeit der Rekruten an ihren jungen Kapitän nicht nur durch eine reichliche Mahlzeit von Rinderbraten und Bier unter der Form eines Abschiedsschmauses, sondern auch durch Geschenke an jeden einzelnen. Nach der Besichtigung der Pferde führte Sir Everard seinen Neffen zurück in die Bibliothek, wo er ihm einen Brief übergab, der sorgfältig zusammengefaltet, nach alter Sitte mit einem seidenen Faden umwunden, und mit einem Abdrucke des Wappens der Waverley versiegelt war. Er trug mit großer Formalität die Adresse an »Cosmo Comyne Bradwardine, Esqu. von Bradwardine, auf seinem Hauptsitze zu Tully-Beolan in Perthshire, Nordbritannien. Eingehändigt durch Kapitän Edward Waverley, Neffen des Sir Everard Waverley von Waverley-Haus, Baronet.«

Der Edelmann, an den dieser gewaltige Gruß gerichtet wurde, und von dem wir in der Folge mehr zu sagen haben werden, hatte 1715 für die verbannte Familie der Stuarts zu den Waffen gegriffen und war bei Preston in Lancashire gefangen genommen worden. Er war von sehr alter Familie und etwas zerrüttetem Vermögen, ein Gelehrter, nach der Gelehrsamkeit der Schotten einer, der mehr oberflächlich als gründlich gelernt und mehr gelesen als studirt hat. Von seinem Eifer für die klassischen Autoren soll er einen ungewöhnlichen Beweis gegeben haben. Auf dem Wege von Preston nach London entsprang er seinen Wächtern, man fand ihn aber in der Nähe seines letzten Nachtquartiers, wo er erkannt und wieder verhaftet wurde. Seine Gefährten und seine Eskorte waren überrascht durch seine Thorheit, und konnten nicht umhin zu fragen, weshalb er nicht so schnell als möglich einen sichern Ort zu erreichen gesucht hätte. Er antwortete darauf, dies wäre auch seine Absicht gewesen, aber er wäre umgekehrt, um seinen Titus Livius zu suchen, den er bei der Eile seiner Flucht vergessen hätte. Die Einfachheit dieser Anekdote ergriff den Vertheidiger des Angeklagten, der auf Kosten des Sir Everard und einiger anderer Parteihäupter seine Sache zu führen übernommen hatte, so sehr, daß er sich auf das äußerste anstrengte, offenbare Thatsachen, anerkannte Vergehungen etc. zu widerlegen, und es gelang ihm endlich, die Freisprechung des Cosmo Comyne Bradwardine vor dem obersten Gerichtshofe zu Westminster zu erwirken.

Der Baron von Bradwardine, denn so hieß er in Schottland gewöhnlich, obgleich seine näheren Bekannten ihn nach seinem Wohnorte Tully-Beolan nannten, und die noch vertrauteren nur Tully, war kaum vor Gericht freigesprochen, als er sich auf den Weg machte, in Schloß Waverley seine Achtung und Dankbarkeit zu bezeigen. Eine übereinstimmende Neigung für die Jagd und gleiche politische Meinungen befestigten seine Freundschaft mit Sir Everard trotz der Verschiedenheit ihrer Gewohnheiten. Nachdem er mehrere Wochen in Waverley zugebracht, schied der Baron unter manchen Ausdrücken des Bedauerns und drang lebhaft in den Baronet, den Besuch zu erwidern, und die nächste Jagdzeit für Birkhühner in seinen Sümpfen von Perthshire mitzumachen. Es trat nun ein jährlicher Verkehr und Austausch von einem kurzen Briefe und einem Packkorbe nebst ein oder zwei Fässern zwischen Schloß Waverley und Tully-Beolan ein. Die englischen Sendungen bestanden aus gewaltigen Käsen und noch gewaltigern Alefässern, Fasanen und Wildpret, und die schottischen Gegensendungen in Birkhühnern, weißen Hasen, marinirtem Salm und Uskebah. Dieses alles wurde als Pfand beständiger Freundschaft und Einigkeit zwischen zwei wichtigen Häusern angesehen, gesendet und empfangen. Daraus folgte natürlich, daß der muthmaßliche Erbe von Waverley-Haus Schottland nicht füglich besuchen konnte, ohne mit einem Empfehlungsbriefe an den Baron von Bradwardine versehen zu werden. Als diese Angelegenheit auseinandergesetzt und abgemacht war, sprach Mr. Pembroke seinen Wunsch aus, einen besondern Abschied von seinem theuren Zöglinge zu nehmen. Des guten Mannes Ermahnungen an Edward, sein Leben und seine Moral tadellos zu erhalten, die Grundsätze der christlichen Religion fest zu bewahren, und die Gesellschaft von Gottlosen und Sittenlosen, von denen es in der Armee nur zu viele gäbe, zu vermeiden, blieben nicht ohne eine Beimischung politischer Vorurtheile. Seine Hauptpflicht war, seinen theuren Zögling zu erkräftigen, unheiligen und verderblichen Lehren in Staat und Kirche zu widerstehen, wie sie sich dort zu Zeiten seinem widerstrebenden Ohre aufdrängen mußten.

Hierbei zog er zwei gewaltige zusammengefaltete Packete hervor, deren jedes ein eng geschriebenes Manuskript zu enthalten schien. Sie waren die Lebensarbeit des würdigen Mannes gewesen, und nie wurden Arbeit und Leben auf thörichtere Weise verschwendet. Er war einmal nach London gegangen, mit der Absicht, sie der Welt durch Vermittelung eines Buchhändlers zu übergeben, der dafür bekannt war, solchen Verlag zu führen, und den er nach empfangener Weisung mit einer gewissen Phrase und einem gewissen Zeichen anreden sollte, welche, wie es scheint, damals unter den eingeweihten Jakobiten als Erkennungszeichen galten. Sobald Mr. Pembroke das Zauberwort mit der gehörigen Bewegung ausgesprochen hatte, begrüßte der Buchhändler ihn trotz alles Widerspruches mit dem Doktortitel und führte ihn dann in sein Hinterstübchen. Nachdem er hier jeden möglichen und unmöglichen Versteck durchsucht hatte, sagte er: »nun, Doktor, gut – sub rosa, –, ich habe hier kein Loch, in dem sich nur eine hannöversche Ratte verstecken könnte. Nun, gibt es gute Neuigkeiten von unsern Freunden jenseits des Wassers? Was macht der würdige König von Frankreich? – Oder vielleicht waren Sie später in Rom – Rom muß es endlich thun! – Die Kirche muß ihre Kerze an der alten Lampe anzünden. – Nun – vorsichtig? Sie gefallen mir deshalb um so besser; doch ohne Furcht.« Hier unterbrach Mr. Pembroke mit einiger Ruhe den Strom der Fragen, den jener mit Zeichen, Gestikulationen und Winken durchwebt hatte, und nachdem er endlich den Buchhändler überzeugt, daß er ihm zu viel Ehre anthäte, wenn er ihn für einen Abgeordneten des verbannten Königthums hielte, erklärte er sein eigentliches Geschäft.

Mit viel ruhigerem Wesen ging der Büchermann jetzt an die Prüfung der Manuskripte. Der Titel des ersten war: »Ein Dissens von den Dissentern oder der widerlegte Hauptbegriff. Darlegung der Unmöglichkeit irgend einer Ausgleichung zwischen der Kirche und den Puritanern, Presbyterianern, Sektirern irgend einer Art, belegt durch Schriftstellen, die Kirchenväter und die weisesten Kontroversen.« – Das Werk wies der Buchhändler entschieden zurück; »wohl gemeint,« sagte er, »und ohne Zweifel sehr gelehrt, aber die Zeit ist vorüber. Mit kleiner Schrift würde es über 800 Seiten geben und sich nie bezahlt machen, bitte deshalb zu entschuldigen. Ich liebe und ehre die wahre Kirche von ganzer Seele, und wäre es eine Predigt über das Märtyrerthum gewesen, oder irgend eine Zwölfpencesache, weshalb sollte ich nicht etwas für die Ehre des Standes wagen? – Aber lassen Sie das andere sehen. »Dem Erbrecht zum Recht verholfen.« – Ach darin liegt schon etwas. Hm, hm, hm, so viele Seiten, so viel Papier, enge Schrift, ich will Ihnen etwas sagen, Doktor, Sie müssen von dem Lateinischen und Griechischen ausmerzen. Schwerfällig, Doktor, verdammt schwerfällig, bitte um Verzeihung, und wenn Sie einige Körner Pfeffer mehr daran thun, ich gebe meinem Autor nie etwas an, ich habe Sachen von Drake und Charlwood Lawton herausgegeben, und von dem armen Amhurst. Ach, Kaleb, Kaleb! Ja, es war eine Schande, den armen Kaleb vor Hunger sterben zu lassen, und doch gibt es so viele fette Pfaffen und Ritter unter uns. Ich gab ihm einmal wöchentlich freien Tisch, aber, hilf Himmel, was ist einmal wöchentlich, wenn ein Mensch nicht weiß, wohin er die andern Tage zum Essen gehen soll? Gut, aber ich muß das Manuskript dem kleinen Tom Alibi, dem Sachwalter, zeigen, der alle meine Rechtssachen leitet, muß auf der Windseite bleiben, der Pöbel war sehr ungezogen, als ich das letzte Mal die Rednerbühne bestieg, sind alle Whigs und Rundköpfe, Williamiten und hannöversche Ratten.« Am nächsten Tage fragte Mr. Pembroke wieder bei dem Buchhändler vor, aber er fand, daß Tom Alibis Rath diesen gegen die Annahme des Werkes gestimmt hatte. »Nicht etwa,« sagte der Buchhändler, »daß ich nicht mit Freuden im Weinberge des Herrn arbeitete, aber, lieber Doktor, ich habe Weib und Kind. Um aber meinen Eifer zu zeigen, will ich das Geschäft meinem Nachbar Trimmel empfehlen, der ist ein Hagestolz, und wenn er das Geschäft aufgeben müßte, so würde ihn eine Reise in einem Westindienfahrer nicht geniren.« Aber Mr. Trimmel war ebenfalls hartnäckig, und Mr. Pembroke mußte, vielleicht zum Glück für ihn selbst, mit seiner Abhandlung in dem Reisekoffer wieder nach Waverley zurückkehren. Diese Manuskripte überreichte er nun seinem Zöglinge beim Abschiede, der in dem Titel schon nichts sehr Einladendes sah und, durch die Dickleibigkeit derselben abgeschreckt, sie stillschweigend in einen Winkel seines Reisekoffers spedirte.

Das Lebewohl der Tante Rahel war kurz und herzlich. Sie warnte nur ihren theuren Edward, den sie wahrscheinlich für etwas gefühlvoll hielt, gegen die Bezauberung durch schottische Schönheiten. Sie gab zu, daß es im nördlichen Theile der Insel zwar einige alte Familien gebe, daß sie aber alle Whigs und Presbyterianer wären, die Hochländer ausgenommen; aber was diese beträfe, so müßte sie leider sagen, daß kein großes Zartgefühl unter den Damen herrschen könnte, wo die Kleidung der Männer, um wenig zu sagen, sehr sonderbar und durchaus nicht anständig sei. Sie beschloß ihren Abschied mit einem freundlichen, rührenden Segensspruch und gab dem jungen Offizier als Pfand ihrer Liebe einen werthvollen Diamantring und eine mit schweren Goldstücken gefüllte Börse, Geschenke, die die Lieutenants vor hundert Jahren gewiß eben so zu würdigen wußten wie heutzutage.


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