Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LXVI.

Glücklich die Freit',
Die da währt kurze Zeit.

Als das erste Gefühl der Freude, welches diese glücklichen Nachrichten erweckte, etwas verrauscht war, machte Edward den Vorschlag, augenblicklich ins Thal zu gehen und den Baron in Kenntniß zu setzen. Aber der vorsichtige Amtmann bemerkte mit Recht, wenn der Baron sich sogleich öffentlich zeigte, so möchten die Pächter und Dorfbewohner ihre Freude auf zu ungestüme Weise äußern und bei der bestehenden Macht, vor welcher der Amtmann stets die unbegrenzteste Ehrfurcht hatte, Anstoß erregen. Er schlug daher vor, daß Waverley nach der Hütte der Janet Gellatley gehen und den Baron unter dem Schutze der Dunkelheit nach Klein-Veolan bringen solle, wo er dann wieder den Luxus eines guten Bettes genießen könne. Inzwischen, sagte er, wolle er zu dem Kapitän Foster gehen, ihm den Schutzbrief des Barons zeigen und um dessen Erlaubniß bitten, ihn für diese Nacht bei sich behalten zu dürfen, dann wolle er für Pferde sorgen, daß er morgen nach Duchran in Begleitung des Herrn Stanley reisen könne, »welchen Namen vermuthlich Ew. Gnaden noch beibehalten werden,« fügte der Amtmann hinzu.

»Gewiß, Herr Macwheeble, doch wollt Ihr nicht selbst heute Abend nach dem Thale gehen, um Euren Patron zu begrüßen?«

»Das möchte ich von Herzen gern, und ich fühle mich Ew. Gnaden sehr verbunden, daß Sie mich an meine beschworene Pflicht erinnern. Aber ich werde erst nach Sonnenuntergang von dem Kapitän Foster zurückkehren, und zu solcher Stunde hat das Thal einen bösen Namen es ist so viel Unglückverheißendes mit der alten Janet Gellatley verknüpft. Der Laird will von solchen Dingen nichts glauben, denn er war immer übermäßig tollkühn und waghalsig, und fürchtete weder Menschen noch den Teufel. Aber ich weiß gewiß, daß Sir Georg Mackenzie sagt, kein Geistlicher kann an Hexen zweifeln, da die Schrift befiehlt: Du sollst Hexen nicht am Leben lassen. Ich will aber die alte Janet für diesen Abend herholen lassen, und Davie kann den Spieß drehen, denn ich will Eppie sagen, daß sie eine fette Gans zu Ew. Gnaden Abendessen schlachten soll.«

Als es nahe an Sonnenuntergang war, eilte Waverley nach der Hütte, und er mußte sich gestehen, daß der Aberglaube keinen unpassenden Ort oder Gegenstand gewählt hatte, um seine phantastischen Schrecken auf denselben zu gründen.

Die arme Janet, niedergebeugt durch das Alter und triefäugig durch den Torfrauch, trippelte in ihrer Hütte mit einem Birkenbesen umher und murmelte leise vor sich hin, während sie bemüht war, den Herd und den Fußboden zum Empfange der erwarteten Gäste ein wenig zu reinigen. Bei Waverleys Schritten fuhr sie zusammen, blickte auf und zitterte heftig, so sehr waren ihre Nerven durch ihre beständige Angst um die Sicherheit ihres Herrn gefoltert. Nur schwer machte ihr Waverley begreiflich, daß der Baron jetzt gegen persönliche Gefahr gesichert sei; als sie sich aber mit dieser freudigen Nachricht vertraut gemacht hatte, war es eben so schwer, sie zu überzeugen, daß er nicht wieder in den Besitz seiner Güter treten sollte. »Es paßte sich,« sagte sie, »daß er sie zurückerhielte, denn niemand würde so schlecht sein, ihm seine Güter zu nehmen, nachdem er ihn begnadigt hätte. Und was den Inchgrabbit betrifft,« sagte sie, »so könnte ich beinahe selbst wünschen, seinetwegen eine Hexe zu sein, wenn ich nicht fürchtete, daß der Böse mich beim Wort nehmen möchte.« Waverley gab ihr etwas Geld und versprach, daß ihre Treue belohnt werden sollte. »Wie kann ich anders belohnt werden, sagt nur selbst, als dadurch, daß ich meinen alten Herrn und Miß Rosa wieder zurückkommen und ihr Eigenthum genießen sehe?«

Waverley nahm jetzt Abschied von Janet und stand bald unter dem Patmos des Barons. Auf ein leises Pfeifen steckte der Veteran vorsichtig den Kopf aus der Höhle hervor. »Ihr seid sehr früh gekommen, mein guter Junge,« sagte er, heruntersteigend, »es ist nur die Frage, ob die Rothröcke schon Zapfenstreich geschlagen haben, und vorher bin ich nicht sicher.«

»Gute Nachrichten können nicht zu bald erzählt werden,« sagte Waverley, und mit unendlicher Freude theilte er dem Alten die guten Neuigkeiten mit. Der ehrliche Bradwardine stand einen Augenblick wie in Andacht versunken da und rief dann aus: »Gedankt sei Gott, ich werde meine Kind wiedersehen!«

»Um, wie ich hoffe, nie wieder von ihm getrennt zu werden,« sagte Waverley.

»Ich hoffe zu Gott, nein, es müßte denn sein, um die Mittel zu ihrem Unterhalte zu gewinnen, denn meine Angelegenheiten sind in einem zerrütteten Zustande; aber was haben irdische Güter zu sagen?«

»Und wenn nun,« sagte Waverley bescheiden, »sich eine Lage des Lebens böte, welche Miß Bradwardine gegen die Unsicherheit des Glückes schützte und sie in dem Range erhielte, in dem sie geboren ist, würdet Ihr dann etwas dagegen haben, mein theurer Baron, weil diese Lage einen Eurer Freunde zum glücklichsten Menschen von der Welt machte?« – Der Baron wendete sich um und sah Waverley sehr ernst an. »Ja,« fuhr Edward fort, »ich werde meine Verbannung nur dann als widerrufen betrachten, wenn Ihr mir die Erlaubniß gebt, Euch nach Duchran zu begleiten, und –«

Der Baron schien seine ganze Würde zu sammeln, um eine passende Antwort auf das zu geben, was er zu einer andern Zeit als die Präliminarien zu einer Verbindung zwischen der Häusern Bradwardine und Waverley betrachtet haben würde. Seine Anstrengungen waren vergebens. Der Vater war zu mächtig für den Baron, der Stolz der Geburt und des Ranges verschwanden in der freudigen Ueberraschung, durch seine Züge ging ein leichtes Zucken, als er seinen Gefühlen freien Lauf ließ, seine Arme um Waverleys Hals schlang und schluchzend ausrief: »Mein Sohn, mein Sohn, hätte ich die ganze Welt durchsuchen müssen, ich würde diese Wahl getroffen haben!«

Edward erwiderte die Umarmung mit aller Innigkeit des Gefühles, und einige Augenblicke schwiegen beide; endlich unterbrach Edward die Pause: »Aber Miß Bradwardine?«

»Sie hat nie einen Willen gehabt als den ihres Vaters, überdies seid Ihr ein hübscher junger Mensch von ehrenhaften Grundsätzen, von hoher Geburt, nein, sie hat nie einen andern Willen gehabt als den meinen, und in meinen stolzesten Tagen hätte ich für sie keinen passenderen Gatten wünschen können, als den Neffen meines vortrefflichen alten Freundes Sir Everard. – Aber ich hoffe, daß Ihr die Genehmigung Eurer Verwandten habt, und besonders Eures Oheims, der in loco parentis ist? Daran müssen wir denken!« – Edward versicherte, Sir Everard würde sich durch die schmeichelhafte Aufnahme seiner Werbung, die er vollkommen billigte, hoch geehrt fühlen. – Zum Beweise dafür händigte er dem Baron den Brief des Obersten Talbot ein. Der Baron las ihn sehr aufmerksam. »Sir Everard,« sagte er, »schätzte stets im Vergleich zu Ehre und Geburt den Reichthum gering, und in der That hat er keine Ursache, der diva pecunia, den Hof zu machen. Doch da der Malcolm ein solcher Vatermörder ist, denn anders kann ich ihn nicht nennen, da er daran denkt, das Familienerbe zu veräußern, wünschte ich jetzt,« er richtete dabei seine Augen auf einen Theil des Daches, welches die Bäume überragte, »daß ich Rosa das alte Haus mit dem, was dazu gehört, hinterlassen hätte. – Und dennoch,« sagte er mit milderem Tone, »mag es gut sein, wie es ist, denn als Baron von Bradwardine hätte ich es für meine Pflicht halten können, aus gewisse Bedingungen in Bezug auf Namen und Wappen zu dringen, die von einem güterlosen Laird und einer mitgiftlosen Tochter aufgegeben werden können, ohne daß man ihn tadelt.«

»Der Himmel sei gepriesen,« dachte Edward, »daß Sir Everard diese Skrupel nicht hört. Die drei laufenden Hermeline und der hüpfende Bär würden darüber sicher davonlaufen.« Mit der ganzen Gluth eines jugendlichen Liebhabers versicherte er dann den Baron, daß er sein Glück nur in Rosas Herz und Hand suche, und daß ihres Vaters bloße Genehmigung ihn ebenso glücklich machte, als wenn er seiner Tochter eine Grafschaft mitgeben könnte.

Sie erreichten jetzt Klein-Veolan. Die Gans dampfte auf dem Tische, und der Amtmann schwang Messer und Gabel. Eine freudige Begrüßung fand zwischen ihm und seinem Gutsherrn statt. Auch in der Küche war Gesellschaft. Die alte Janet saß in der Herd-Ecke, Davie hatte den Spieß zu seinem unsterblichen Ruhme gedreht, und selbst Ban und Buscar waren in der Freigebigkeit des glücklichen Macwheeble bis an den Hals vollgestopft worden und lagen jetzt schnarchend am Boden.

Der nächste Tag brachte den Baron und seinen jungen Freund nach Duchran, wo der erstere infolge der fast allgemeinen Verwendung der schottischen Regierungsfreunde erwartet wurde. Diese Verwendung war so zahlreich und so mächtig gewesen, daß man beinahe gewiß glaubte, auch seine Güter wären gerettet worden, wären sie nicht bereits in die habsüchtigen Hände seines unwürdigen Vetters übergegangen gewesen, dessen Rechte als von dem Baron unabhängig durch eine Begnadigung der Krone nicht angetastet werden konnten. Der alte Herr sagte aber mit seiner gewöhnlichen guten Laune, er sei zufriedener über den Besitz der guten Meinung bei seinen Nachbarn, als er über eine restitutio in integrum gewesen sein würde, hätte man diese auch ausführbar gefunden.

Wir wollen es nicht versuchen, das Zusammentreffen des Vaters und der Tochter zu beschreiben, die einander so innig liebten und unter so gefährlichen Umständen von einander getrennt gewesen waren. Noch weniger wollen wir es versuchen, das tiefe Erröthen zu analysiren, als sie die Glückwünsche Waverleys empfing, oder uns dabei aufhalten, ob sie neugierig war, zu wissen, welch besonderer Beweggrund ihn um diese Zeit nach Schottland geführt habe. Wir wollen den Leser selbst nicht mit der Beschreibung der Liebeswerbungen vor sechszig Jahren belästigen. Es genügt, zu wissen, daß unter einem so pünktlichen Soldaten, wie der Baron war, alles in der gehörigen Form ging. Er nahm es am Morgen nach ihrer Ankunft über sich, Rosa den Antrag Waverleys mitzutheilen, den sie mit dem gehörigen Grade mädchenhafter Schüchternheit aufnahm. Das Gerücht sagte aber, Waverley hätte schon den Abend zuvor fünf Minuten Zeit gefunden, sie auf das Kommende aufmerksam zu machen, während die übrige Gesellschaft drei verschlungene Schlangen betrachtete, welche im Garten ein jeu d'eau bildeten.

Meine schönen Leserinnen werden selbst urtheilen; was aber mich betrifft, so kann ich nicht begreifen, wie es möglich ist, eine so wichtige Angelegenheit in so kurzer Zeit mitzutheilen, wenigstens nahm die Verhandlung bei dem Baron eine volle Stunde in Anspruch, Waverley wurde jetzt in aller Form als anerkannter Liebhaber betrachtet. Auf das Winken und Nicken der Wirthin vom Hause mußte er bei dem Essen neben Miß Bradwardine sitzen und beim Whist ihr Mitspieler sein. Trat er in das Zimmer, so hatte diejenige der vier Miß Rubrick, welche zufällig zunächst bei Rosa saß, gewiß ihren Fingerhut oder ihre Scheere am obern Ende der Stube zu holen, damit der Sitz neben Miß Bradwardine von ihm eingenommen würde. Und zuweilen, wenn Papa oder Mama nicht bei der Hand waren, sie zurechtzuweisen, kicherten die Mädchen auch unter einander. Der alte Laird von Duchran machte auch gelegentlich seinen Scherz und die Lady ihre Bemerkung. Selbst der Baron konnte sich nicht ganz zurückhalten, aber hier entging Rosa jeder andern Verlegenheit, als der, Vermuthungen anstellen zu müssen, denn sein Witz bestand gewöhnlich in einem lateinischen Citate. Selbst die Bedienten grinsten zuweilen zu bemerkbar, die Mägde lachten zu laut, und ein herausforderndes Einverständniß schien durch die ganze Familie zu herrschen. Alice Bean, das schöne Mädchen aus der Höhle, welches nach ihres Vaters Mißgeschick, wie sie es nannte, Rosa als Kammermädchen begleitet hatte, lächelte und kicherte auf das beste mit. Rosa und Edward aber ertrugen alle diese kleinen Neckereien wie andere Liebesleute vor und nach ihnen, und es gelang ihnen wahrscheinlich, irgend eine Schadloshaltung zu finden, denn man vermuthet nicht, daß sie während der sechs Tage, die Waverley in Duchran blieb, im ganzen sehr unglücklich waren.

Es war endlich bestimmt, daß Edward nach Waverley-Haus gehen sollte, um die nöthigen Anstalten zu seiner Heirat zu treffen. Hierauf sollte er nach London eilen, um seine förmliche Begnadigung zu betreiben, aber dann sobald als möglich zurückkehren, um die Hand seiner verlobten Braut in Empfang zu nehmen. Er beabsichtigte auf seiner Reise auch einen Besuch bei dem Oberst Talbot; aber das Wichtigste war ihm, etwas von dem Schicksale des unglücklichen jungen Häuptlings von Glennaquoich zu erfahren, ihn in Carlisle zu besuchen und zu sehen, ob irgend etwas zu thun sei, wenn nicht seine Begnadigung, so doch wenigstens eine Umwandlung der Strafe zu erlangen, zu der er gewiß verurtheilt wurde; schlimmsten Falls aber Flora ein Asyl bei Rosa anzubieten, oder ihre Absichten sonst auf jede mögliche Weise zu unterstützen. Das Schicksal des Häuptlings Fergus war schwerlich abzuwenden. Edward war schon bemüht gewesen, seinen Freund, Oberst Talbot, für ihn zu interessiren, aber dieser hatte deutlich zu verstehen gegeben, daß sein Einfluß in dieser Art von Angelegenheiten gänzlich erschöpft sei.

Der Oberst war noch in Edinburg, um dort im Auftrage des Herzogs von Cumberland mehrere Geschäfte zu besorgen, die einige Monate in Anspruch nahmen. Hier sollte Lady Emily zu ihm kommen, der Luftveränderung und Ziegenmolken zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit empfohlen waren, und die die Reise in Begleitung von Frank Stanley machen sollte. Edward besuchte daher in Edinburg den Obersten, der ihm auf das herzlichste zu seinem bevorstehenden Glücke gratulirte und freundlich eine Menge Aufträge übernahm, die unser Held ihm anzuvertrauen gezwungen war. Aber in Beziehung auf Fergus war er unerbittlich. Er überzeugte Edward in der That, daß seine Verwendung nutzlos sein würde, aber außerdem gestand Oberst Talbot auch noch, daß er seinem Gewissen nach nichts für den unglücklichen jungen Mann thun könnte. Die Gerechtigkeit, sagte er, welche die Buße von denen forderte, die das ganze Land in Angst und Trauer versetzt hätten, könnte sich kein passenderes Opfer wählen. Er wäre mit der klarsten Ansicht von dem, was er unternahm, in das Feld gezogen. Er hätte seinen Gegenstand erforscht und begriffen. Seines Vaters Schicksal hätte ihn nicht abgeschreckt; die Milde der Gesetze, welche ihm die Güter und Rechte seines Vaters wieder übertragen, hätte ihn nicht belehrt. Daß er tapfer und großmüthig sei und andere gute Eigenschaften besäße, mache ihn nur um so gefährlicher, daß er aufgeklärt und kenntnißreich sei, lasse sein Verbrechen nur um so strafbarer erscheinen, daß er ein Enthusiast für eine falsche Sache sei, mache ihn zu einem Märtyrer für dieselbe nur um so geeigneter. Außerdem noch wäre er das Mittel gewesen, viele Hunderte in das Feld zu locken, welche ohne ihn nie daran gedacht haben würden, die Ruhe des Landes zu stören.

»Ich wiederhole es,« sagte der Oberst, »obgleich, wie der Himmel weiß, mit einem seinetwegen persönlich betrübten Herzen, daß dieser junge Mann das verzweiflungsvolle Spiel, welches er spielte, genau erforscht und erkannt hat. Er spielte um Leben oder Tod, Krone oder Sarg; es kann ihm jetzt mit Gerechtigkeit gegen das Land nicht erlaubt werden den Einsatz zurückzuziehen, weil die Würfel gegen ihn fielen.«

Das waren die Grundsätze jener Zeit, welche selbst brave und menschlich gesinnte Männer gegen einen besiegten Feind geltend machten. Hoffen wir fromm, daß wir wenigstens in dieser Beziehung die Auftritte nie wieder sehen, die Gefühle nie wieder hegen, welche vor hundert Jahren in Britannien allgemein waren.


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