Walter Scott
Waverley - So war's vor sechzig Jahren
Walter Scott

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Kapitel LVI.

Der Marsch.

Es ist nicht unsere Absicht, das Gebiet der Geschichte zu betreten. Wir wollen deshalb unsere Leser nur daran erinnern, daß der junge Chevalier gegen Anfang November beschloß, an der Spitze von höchstens sechstausend Mann seine Sache dadurch in Gefahr zu bringen, daß er einen Versuch wagte, in das Herz von England einzudringen, obgleich er die gewaltigen Anstalten kannte, die man zu seinem Empfange traf. Er brach zu diesem Kreuzzuge bei einem Wetter auf, welches für alle andern Truppen den Marsch unmöglich gemacht hätte, das aber in der That dem kühnen Bergbewohner Vortheile über einen weniger abgehärteten Feind gewährte. Einer überlegenen Armee trotzend, die unter dem Feldmarschall Wade an den Küsten lag, belagerte er Carlish und setzte dann bald seinen kühnen Marsch gegen Süden fort.

Da das Regiment des Obersten Mac-Ivor die Vorhut des Clans hatte, schritt er und Waverley, der jetzt eben so abgehärtet war wie irgend ein Hochländer und schon viel von ihrer Sprache verstand, beständig an der Spitze der Kolonne. Sie sahen das Vorrücken der Armee indeß mit verschiedenen Augen an. Fergus, der ganz Leben und Feuer war und gegen eine Welt in Waffen das Vertrauen nicht verlor, erwog nichts, als daß jeder Schritt sie London um zwei Fuß näher brachte. Er verlangte, erwartete und wünschte keinen Beistand als den der Clans, um die Stuarts wieder auf den Thron zu setzen, und wenn zufällig einige Anhänger zu den Fahnen stießen, betrachtete er sie stets in dem Lichte neuer Bewerber um die Gunst des zukünftigen Monarchen, der, wie er schloß, deshalb um so viel die Beute schmälern mußte, die sonst unter die Hochländer allein vertheilt worden wäre.

Edwards Ansichten waren von denen seines Freundes sehr abweichend. Er mußte bemerken, daß in den Städten, in welchen sie Jakob III. proklamirten, kein Mensch rief: »Gott segne ihn!« Der Pöbel glotzte und horchte herzlos, stumm, dumpf, gab aber nur wenig Beweise von dem lärmenden Geiste, welcher ihn zur Uebung seiner süßen Stimme bei jeder Gelegenheit veranlaßt laut zu schreien. Die Jakobiten hatte man glauben gemacht, die nordwestlichen Grafschaften wären überfüllt mit reichen Edelleuten und kräftigen Yeomen, die der Sache der Weißen Rose zugethan seien. Aber von den reichen Tories sahen sie wenig. Einige entflohen, einige stellten sich krank, einige lieferten sich der Regierung freiwillig als verdächtige Personen aus. Von den Bleibenden sahen die Unwissenden mit Staunen, Schreck und Widerwillen auf das wilde Aussehen, die unbekannte Sprache und die fremdartige Tracht der schottischen Clans; für die Klügeren waren die geringe Anzahl, der offenbare Mangel an Disciplin, die erbärmliche Bekleidung sichere Zeichen von dem traurigen Ausgange dieses übereilten Unternehmens. So waren also die wenigen, die zu ihnen stießen, entweder durch politischen Fanatismus blind gegen die Folgen, oder sie wurden durch zerrüttete Glücksumstände bewogen, in einem so verzweifelten Unternehmen alles zu wagen.

Als man den Baron von Bradwardine fragte, was er von diesen neuen Rekruten dächte, nahm er eine gewaltige Prise und antwortete dann trocken: »Ich kann nur eine vortreffliche Meinung von ihnen haben, da sie vollkommen denen gleichen, welche sich in der Höhle von Adullam dem guten König David anschlossen, videlicet, jeder, dem es schlecht ging, jeder, der Schulden hatte, jeder, der mißvergnügt war, und ohne Zweifel,« fügte er hinzu, »werden sie sich kräftig im Gebrauch ihrer Fäuste zeigen, und das ist auch nöthig, denn ich habe schon manchen sauren Blick auf uns werfen sehen.«

Aber keine dieser Rücksichten erschütterte Fergus. Er bewunderte die üppige Schönheit des Landes und die Lage mancher Edelsitze, an denen sie vorüberkamen, »Sieht Waverley-Haus so aus, Edward?« fragte er diesen. »Es ist um die Hälfte größer.«

»Ist Deines Oheims Park so schön wie der?«

»Er ist dreimal umfangreicher und gleicht eher einem Walde als einem bloßen Parke.«

»Flora wird eine glückliche Frau werden.«

»Ich hoffe, Miß Mac-Ivor wird viel Ursache zum Glücke haben, abgesehen von Waverley-Haus.«

»Das hoffe ich auch, aber die Herrin eines solchen Ortes zu sein erhöht doch die Totalsumme bedeutend.«

»Eine Erhöhung, deren Mangel, wie ich glaube, durch andere Mittel reichlich ersetzt werden wird.«

»Was!« sagte Fergus, indem er plötzlich stehen blieb und sich zu Edward wendete. »Wie habe ich das zu verstehen, Waverley? – Hatte ich das Vergnügen richtig zu hören?«

»Vollkommen richtig, Fergus.«

»Soll ich daraus entnehmen, daß Du meine Verwandtschaft und die Hand meiner Schwester nicht mehr wünschest?«

»Deine Schwester hat meine Hand zurückgewiesen,« sagte Waverley, »sowohl unmittelbar, als durch alle die Mittel, durch welche die Frauen unwillkommene Bewerbungen abzuweisen pflegen.«

»Ich habe,« antwortete der Häuptling, »keinen Begriff von einer Dame, welche eine Bewerbung zurückweist, oder einem Edelmanne, der sie zurücknimmt, wenn sie von ihrem gesetzlichen Vormunde genehmigt wurde, ohne ihm Gelegenheit zur Besprechung der Sache mit der Dame zu geben. Du erwartest doch hoffentlich nicht, daß meine Schwester Dir wie eine reife Pflaume in den Mund fallen werde, sobald es Dir beliebt, ihn zu öffnen?«

»Was das Recht der Dame betrifft, einen Liebhaber abzuweisen, so ist das ein Punkt, den Du mit ihr selbst abmachen mußt, ich kenne die Gebräuche des Hochlands in dieser Beziehung nicht. Was aber mein Recht betrifft, ihrer Verwerfung beizustimmen, ohne an Dein Interesse zu appelliren, so sage ich Dir offen, und ohne deshalb die Schönheit und Vorzüge der Miß Mac-Ivor herabsetzen zu wollen, daß ich die Hand eines Engels mit der Aussteuer eines ganzen Kaiserreiches nicht annehmen würde, würde ihre Zustimmung durch lästige Freunde und Hüter erpreßt, statt aus ihrer eigenen freien Neigung zu entspringen.«

»Ein Engel mit der Ausstattung eines Kaiserreiches,« sagte Fergus mit dem Tone bitterer Ironie, »würde schwerlich einen Junker aufgezwungen werden. Aber,« fuhr er in verändertem Tone fort, »wenn Flora auch nicht ein Kaiserreich zur Aussteuer hat, so ist sie meine Schwester, und das ist wenigstens hinreichend, sie gegen alles zu schützen, was der Unbeständigkeit gleichen könnte.«

»Sie ist Flora Mac-Ivor,« sagte Waverley mit Festigkeit, »und das würde ein besserer Schutz sein, wäre ich der Unbeständigkeit gegen irgend ein Weib fähig.«

Die Stirn des Häuptlings war jetzt völlig umwölkt, aber Edward fühlte sich zu aufgebracht über den Ton, den er angenommen hatte, um den Sturm durch das kleinste Zugeständniß abzuwenden. Beide standen während dieses kurzen Gespräches still, und Fergus schien halb geneigt, noch etwas Heftigeres zu sagen, aber mit einer gewaltigen Anstrengung unterdrückte er die Leidenschaft und ging mürrisch weiter. Da sie bisher immer mit einander gegangen waren, und beinahe beständig Seite an Seite, verfolgte auch Waverley seinen Weg schweigend in derselben Richtung, fest entschlossen, dem Häuptlinge Zeit zu lassen, die gute alte Laune wieder zu gewinnen, die er so unvernünftig verleugnet hatte, und von seiner Würde nicht einen Zoll breit zu vergeben.

Nachdem sie in dieser mürrischen Weise eine Weile gegangen waren, eröffnete Fergus das Gespräch in verändertem Tone. »Ich glaube, ich war heftig, lieber Edward, aber Du reiztest mich durch Deinen Mangel an Weltkenntniß. Du hast irgend eine Prüderie oder hochfliegende Aeußerung Floras übel genommen, und jetzt zürnst Du wie ein Kind mit dem Spielzeuge, nach dem Du erst geschrieen, und schlägst mich, Deinen treuen Wärter, weil mein Arm nicht bis nach Edinburg reicht, es Dir zu holen. Wenn ich leidenschaftlich war, so bin ich doch überzeugt, daß der Verdruß, einen Verwandten wie Dich zu verlieren, nachdem Hochland und Tiefland von Eurer Verbindung gesprochen haben, – und noch dazu, ohne zu wissen, warum oder weshalb, selbst kälteres Blut als das meine hätte in Hitze bringen können. Ich werde nach Edinburg schreiben und alles in Ordnung bringen, das heißt, wenn Du wünschest, daß ich es thue, und ich kann in der That nicht glauben, daß Du die gute Meinung von Flora, die Du so oft gegen mich aussprachest, ganz verloren hast.«

»Fergus,« sagte Edward, der in einer Sache, die er als schon erledigt betrachtet hatte, nicht weiter und schneller getrieben sein wollte, als ihm selbst gut dünkte, »ich erkenne den Werth Deiner Dienste vollkommen an, und durch Deinen Eifer für mich und in einer solchen Angelegenheit erzeigst Du mir gewiß keine geringe Ehre, aber da Deine Schwester ihre Entscheidung offen und freiwillig ausgesprochen hat, da alle meine Aufmerksamkeiten in Edinburg mit Kälte aufgenommen worden sind, so kann ich, um gegen sie und mich selbst gerecht zu sein, nicht zugeben, daß sie mit dieser Sache nochmals belästigt werde. Ich hätte Dir das schon vor einiger Zeit gesagt, aber Du sahst, auf welchem Fuß wir mit einander standen, und mußtest es daher von selbst erkennen. Hätte ich das nicht geglaubt, so hätte ich früher gesprochen, aber ich fühlte eine sehr natürliche Abneigung, einen Gegenstand zu berühren, der uns beiden gleich peinlich sein mußte.«

»O sehr wohl, Herr Waverley,« sagte Fergus hochmüthig, »Die Sache ist zu Ende. Ich habe keine Veranlassung, meine Schwester irgend einem Manne aufzudrängen.«

»Noch habe ich Veranlassung, mich einer wiederholten Zurückweisung auszusetzen,« entgegnete Edward in demselben Tone.

»Ich werde indes,« sagte der Häuptling, ohne die Unterbrechung zu beachten, »die Sache genau erforschen, um zu erfahren, was meine Schwester davon denkt, und dann werden wir sehen, ob sie hier endet.«

»Was die Erkundigungen betrifft, so wirst Du Dich natürlich durch Dein eigenes Urtheil leiten lassen,« sagte Waverley. »Ich bin überzeugt, daß Miß Mac-Ivor ihre Meinung nicht ändern wird; träte dieser mir unmöglich scheinende Fall aber dennoch ein, so ist es doch gewiß, daß ich meinen Entschluß nicht ändere. Ich erwähne dies nur, um späteren Mißverständnissen vorzubeugen.«

Mit Vergnügen hätte Mac-Ivor in diesem Augenblick ihren Zwist der Entscheidung durch den Degen anheimgestellt, seine Augen flammten, und er maß Edward mit seinem Blicke, als wollte er die Stelle suchen, wo er ihm eine tödtliche Wunde beibringen könnte. Aber Fergus wußte, daß zu einem Zweikampfe auf Leben und Tod doch irgend ein anständiger Vorwand gehört. Zum Beispiel kann man jemanden fordern, wenn er einen im Gedränge auf das Hühnerauge tritt, oder einen gegen die Wand drängt, oder einem im Theater den Sitz wegnimmt; aber der neuere Codex der Ehre gestattet nicht, eine Herausforderung auf das Recht zu stützen, einen Mann zu zwingen, gegen eine weibliche Verwandte die Aufmerksamkeiten fortzusetzen, die von der Dame selbst verworfen wurden. Fergus war also gezwungen, diese angebliche Beleidigung hinabzuschlucken, bis der Lauf der Zeit, den er genau zu beachten beschloß, ihm die Gelegenheit zur Rache bieten würde.

Waverleys Diener führte hinter dem Bataillon immer ein Reitpferd, obgleich sein Herr nur selten ritt. Jetzt blieb er, gereizt durch das herrische und unverständige Benehmen seines bisherigen Freundes, hinter der Kolonne zurück und bestieg sein Pferd mit der Absicht, den Baron von Bradwardine aufzusuchen und ihn zu bitten, in seine Abtheilung als Freiwilliger eintreten zu dürfen, statt bei dem Regimente Mac-Ivor zu bleiben.

»Ein glückliches Leben würde ich geführt haben,« dachte er, als er zu Pferde saß, »wäre ich mit diesem prächtigen Pröbchen des Stolzes, des Dünkels und der Leidenschaft so nahe verwandt. Ein Oberst! Ei, er hätte Generalissimus werden müssen. Ein erbärmliches Oberhaupt von drei- oder vierhundert Mann! – Sein Stolz reichte hin für den Khan der Tartarei – für den Großherrn – den Großmogul. – Ich bin froh, daß ich ihn los bin. Wäre Flora ein Engel, so brächte sie einen zweiten Lucifer an Ehrgeiz und Wuth als Schwager mit.«

Der Baron, dessen Gelehrsamkeit gleich Sanchos Witz in der Sierra Morena aus Mangel an Uebung schimmelig zu werden schien, ergriff freudig die Gelegenheit zu neuer Uebung, die sich ihm dadurch bot, daß Waverley in sein Regiment eintreten wollte. Der gutmüthige alte Herr bemühte sich aber zunächst, eine Aussöhnung zwischen den beiden ehemaligen Freunden zu bewirken. Fergus blieb kalt gegen seine Vorstellungen, obgleich er sie achtungsvoll anhörte, und was Waverley betrifft, so sah er keinen Grund, weshalb er der erste sein sollte, der die Wiederanknüpfung eines vertrauteren Verkehrs suchte, den der Häuptling so unvernünftig abgebrochen hatte. Der Baron erzählte hierauf die Sache dem Prinzen, welcher, bemüht, Zwistigkeiten in seiner kleinen Armee zu hindern, erklärte, daß er selbst es übernehmen wollte, dem Obersten Mac-Ivor Vorstellungen über sein unvernünftiges Benehmen zu machen. Aber in der Verwirrung des Marsches vergingen ein oder zwei Tage, ohne daß er Gelegenheit fand, seine Autorität geltend zu machen.

Inzwischen benutzte Waverley die Kenntnisse, die er bei den Gardinerdragonern erworben hatte und verrichtete bei dem Baron eine Art von Adjutantendienst. Unter den Blinden ist der Einäugige König, sagt ein Sprichwort, und die Kavallerie, welche meistens aus Tieflandsedelleuten, sowie deren Pächtern und Dienern bestand, bekam eine hohe Meinung von Waverleys militärischer Bildung und eine große Anhänglichkeit für seine Person. Diese schrieb sich freilich zum großen Theil aus der Genugthuung her, die sie darüber fühlten, daß der vornehme englische Volontär die Hochländer verließ, um bei ihnen einzutreten, denn es bestand eine alte Eifersucht zwischen der Kavallerie und der Infanterie, welche nicht nur aus der Verschiedenheit des Dienstes entsprang, sondern auch daher rührte, daß die meisten der Edelleute, welche in der Nähe des Hochlandes lebten, zu irgend einer Zeit Zwistigkeiten mit den benachbarten Stämmen gehabt hatten, und weil alle mit eifersüchtigem Auge auf die Hochländer sahen, welche Anspruch auf größere Tapferkeit und Nützlichkeit im Dienste des Prinzen erhoben.


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